270/SPET XXIV. GP

Eingebracht am 04.03.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Stellungnahme zu Petition

 

 

 

 

 

 

Parlamentsdirektion

L1.13-Aussschussbetreuung NR

1017 Wien

via E-Mail:

stellungnahme.PETBI@parlament.av.at

Betrifft:        Bürgerinitiativen Nr. 41 und 50, Petition Nr. 61; Zlen 17020.0025/53-L 1.3/2012 und 17010.0020/116-L1.3/2012 Stellungnahme des BMJ

Das Bundesministerium für Justiz nimmt zu den nachfolgend angeführten    Petitionen/Bürgerinitiativen wie folgt Stellung:

Bürgerinitiative Nr. 41 betreffend „Das Recht der Kinder auf beide Elternteile. Betreuung der Kinder durch beide Elternteile. Absolute Gleichberechtigung beider Elternteile. Gemeinsame automatische Obsorge als Standard. Ein gleichberechtigtes Unterhaltsmodell“: 

Das Kindschaftsrecht wurde mit dem Kindschafts- und Namensrechts-Änderungsgesetz 2013,  das überwiegend mit 1. Februar 2013 in Kraft getreten ist, eben erst umfassend erneuert.       Dabei wurden auch einige der in der Bürgerinitiative angesprochenen Punkte aufgegriffen.

Ad 1) Gleichberechtigte Elternschaft in Bezug auf Rechte und Pflichten dem Kind gegenüber: Eines der Ziele des Gesetzes ist es, das Recht des Kindes auf Kontakt zu beiden Elternteilen aufzuwerten. Dies kommt zunächst in der Terminologie des Gesetzes zum Ausdruck: Statt        des missverständlichen Ausdrucks „Verkehr“ ist nunmehr von „Kontakt“ die Rede. Damit soll    auch verdeutlicht werden, worum es bei diesem Rechtsbereich geht: Das Recht auf      persönliche Kontakte dient der Anbahnung und Wahrung des besonderen Naheverhältnisses zwischen dem Kind und seinem Elternteil. Gerade die Regelmäßigkeit und Exklusivität der Kontakte des Kindes zum getrennt lebenden Elternteil nach der Scheidung können so die Erläuterungen zur Regierungsvorlage auf Seite 28 zu einer während des Zusammenlebens  nicht erreichten Intensität der Beziehung führen. Dieser - schon bisher von der       Rechtsprechung (RIS-Justiz RS0048376) anerkannte - Zweck ist nun explizit im Gesetz    verankert (§ 187 Abs. 1 vierter Satz ABGB nF). Der Elternteil, der mit dem Kind nicht im gemeinsamen Haushalt lebt, darf daher - so wiederum die Erläuterungen zur      Regierungsvorlage auf Seite 28 ausdrücklich - durch die Gestaltung der persönlichen        Kontakte nicht in die Rolle eines gelegentlichen Besuchers gedrängt werden. Der      Verwirklichung dieses Ziels dient auch der Vorschlag, dass die Regelung der Kontakte     möglichst Zeiten der Freizeit als auch der Betreuung im Alltag des Kindes umfassen soll              (§ 187 Abs. 1 Abs. 1 vorletzter Satz ABGB nF). Auch in § 180 Abs. 1 zweiter Satz ABGB nF      und § 186 ABGB nF wird deutlich, welchen Stellenwert der Gesetzgeber den persönlichen Kontakten des Kindes zum nicht hauptsächlich betreuenden Elternteil einräumt.

 

Ad 2) Einführung eines Rechtssystems, bei dem das Kindeswohl im Vordergrund steht. Eine Betreuung der Kinder durch beide Elternteile in einer „Doppelresidenz“ sollte der          anzustrebende Regelfall sein und

3) Grundsätzlich gemeinsame automatische, nicht aufhebbare Obsorge beider leiblicher     Elternteile, unabhängig vom Familienstatus:

Nach § 180 Abs. 2 ABGB nF hat das Gericht die Obsorgeentscheidung allein „nach Maßgabe       des Kindeswohls“ zu treffen. An entsprechende Anträge der Eltern ist es dabei nicht            gebunden. Auch kann ein „Veto“ eines Elternteils die gemeinsame Obsorge nicht mehr       verhindern. Entspricht eine Phase vorläufiger elterlicher Verantwortung dem Kindeswohl, hat          das Gericht - etwa zur Erprobung eines neuen Obsorgemodells - eine vorläufige             Entscheidung zu treffen, die auch dazu beitragen soll, rasch für eine gewisse Rechtssicherheit        zu sorgen. Eine automatische gemeinsame Obsorge beider leiblicher Elternteile war ebenso       wenig Ergebnis der politischen Meinungsfindung wie die sog. „Doppelresidenz“.

Ad 4) Sofortige unmittelbare Kontaktwiederherstellung bei Behinderung oder Verhinderung:

§ 107 Abs. 2 AußStrG aF regelte vorläufige Entscheidungen in Verfahren über die Obsorge          und die Ausübung des Rechts auf persönliche Kontakte. Sie durften nach bisherigem Recht          nur dann getroffen werden, wenn ein so dringendes Regelungsbedürfnis bestand, dass zur     Wahrung des Kindeswohls umfassende Erhebungen im Interesse einer sofortigen          Entscheidung zu unterbleiben hatten (vgl. 3 Ob 70/08b; 10 Ob 93/08w; 7 Ob 163/08h).

§ 107 Abs. 2 AußStrG nF soll hier Verbesserungen bringen:

Zum einen sollen die Pflegschaftsgerichte angehalten werden, schon dann eine vorläufige Entscheidung zu treffen, wenn zwar für die endgültige Entscheidung noch weiter gehende Erhebungen (z. B. die Einholung eines Sachverständigengutachtens) notwendig sind, aber          eine rasche Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte, die für die Dauer des Verfahrens Klarheit schafft, das Kindeswohl (bloß) fördert. Dabei kann es sich etwa um die    vorläufige Einräumung (auch begleiteter) Besuchskontakte zu einem Elternteil handeln, wenn      sonst eine Entfremdung des Kindes zu diesem Elternteil eintreten wird, oder generell um die vorläufige Regelung der Obsorge oder der persönlichen Kontakte im Zusammenhang mit der Auflösung der häuslichen Gemeinschaft der Eltern, wenn dadurch eine Beruhigung der          Situation für das Kind zu erwarten ist. Die Familiengerichtshilfe (siehe dazu § 106a AußStrG          nF) soll dem Gericht speziell in solchen Konstellationen rasch die Grundlagen für die           vorläufige Entscheidung liefern können.

Zum anderen war es nach bisherigem Recht strittig, ob einer vorläufigen Obsorge- oder Besuchsentscheidung auch ohne gerichtliche Anordnung (vorläufige) Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit zukommt. Diese Unklarheit wurde beseitigt und im Gesetz nunmehr        klargestellt, dass einer vorläufigen Entscheidung Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit            zukommt, sofern das Gericht diese nicht ausschließt. Das Gericht hat daher zu begründen,         wenn es im Einzelfall die Verbindlichkeit und Vollstreckbarkeit ausschließt.

Ad 5) Beim Verzug eines Elternteils verbleibt das Kind beim wohnortstabilen Elternteil:

§ 162 Abs. 2 ABGB nF räumt zwar dem obsorgeberechtigten Elternteil, der das Kind        hauptsächlich in seinem Haushalt betreut, das alleinige Recht ein, den Wohnort des Kindes            zu bestimmen. Dieser hat den anderen Elternteil aber rechtzeitig von einem bevorstehenden     Umzug zu verständigen. Lehnt der andere Elternteil den Umzug ab, so ist diese Äußerung           nach § 189 Abs. 1 letzter Satz und Abs. 5 ABGB nF zu berücksichtigen, wenn dies dem Wohl       des Kindes besser entspricht. Darüber hinaus hat der andere Elternteil die Möglichkeit, bei      Gericht einen Antrag auf Einschränkung oder Entziehung der Obsorge nach § 181 ABGB nF           zu stellen. Ist ein solcher Antrag bereits gestellt und zieht der hauptsächlich betreuende         Elternteil dessen ungeachtet mit dem Kind ins Ausland, so stellt dies einen Grund für eine Rückführung nach dem Haager Kindesentführungsübereinkommen dar.

Ad 6) Eine gerechte Kind-Überaabe/Übernahme-Reqelunq bei der zeitliche als auch            finanzielle Aufwendungen zur Aufrechterhaltunq des Eltern-Kind-Kontakts von beiden        Elternteilen getragen werden und

7) Ein Betreuungszeiten orientierter Unterhaltsausgleich, bemessen am Regelbedarf und nicht        am tatsächlichen Einkommen:

Das Kindesunterhaltsrecht wird Gegenstand einer mittelfristig zu startenden Reform sein. In     diesem Zusammenhang sollte dann auch die Frage der Aufwendungen für die Kontakte       behandelt werden.

Bürgerinitiative Nr. 50 betreffend „Die Wiedergutmachung des Unrechts in der        Fürsorge- und Heimerziehung“:

Die in der Bürgerinitiative vorgeschlagene Ergänzung des § 1494 ABGB zielt auf eine         Hemmung der Verjährungsfrist ab. Sie soll für Forderungen auf Schmerzengeld nach § 1325     ABGB gelten, die „Insassen eines Fürsorge- und Erziehungsheimes“ zustehen. Die     Verjährungsfrist soll erst zu laufen beginnen, wenn der Träger der Einrichtung die geschädigte Person auf mögliche Ansprüche aufmerksam gemacht hat. Diese Regelung soll rückwirkend    gelten.

Grundsätzlich verjähren Schadenersatzansprüche nach § 1489 ABGB in drei Jahren ab dem Zeitpunkt, zu welchem dem Geschädigten der Schaden und die Person des Schädigers           bekannt werden. Eine Verjährungszeit von 30 Jahren ist hingegen für den Fall vorgesehen,          dass der Schaden aus einer gerichtlich strafbaren Handlung entstanden ist, die nur vorsätzlich begangen werden kann und mit mehr als einjähriger Freiheitsstrafe bedroht ist.

Ist der Geschädigte minderjährig, so sind die Regeln der §§ 1494 und 1495 ABGB über die Hemmung der Verjährung zu beachten. Demnach ist etwa die Verjährung des Schadenersatzanspruchs eines Minderjährigen gegen eine mit seiner Obsorge betraute           Person für die Dauer der Obsorge gehemmt.

Die Schaffung neuer Gründe für die Hemmung von Verjährungsfristen muss - genauso wie           jede Verlängerung von Verjährungsfristen - stets kritisch geprüft werden. Es ist generell zu bedenken, dass das Rechtsinstitut der Verjährung vor allem der Rechtssicherheit dient, zumal        die Ermittlung der maßgeblichen Tatsachen mit zunehmendem zeitlichem Abstand immer schwieriger wird.

Der konkrete Vorschlag, der an ein Aufmerksammachen durch den potenziell Ersatzpflichtigen anknüpft, dürfte überdies in der Praxis kaum handhabbar sein. Es ist zu bedenken, dass mit      einem bloß abstrakten Hinweis auf allfällige Schadenersatzansprüche dem Opfer im Einzelfall     kaum geholfen sein wird. Hinweise auf konkret bestehende Schadenersatzansprüche können     aber wohl wegen fehlender Informationen weder gegeben noch gesetzlich verlangt werden.          Die vorgesehene Rückwirkung würde überdies dazu führen, dass bereits verjährte Ansprüche     wieder aufleben, weil die für eine Verjährung notwendigen Hinweise (für die vor einer solchen Regelung auch kein Erfordernis bestanden hat) nicht gegeben worden sind. Ob eine derartige Rückwirkung aus verfassungsrechtlicher Sicht in Frage kommt, müsste jedenfalls einer  eingehenden Prüfung unterzogen werden.

Das Bundesministerium für Justiz prüft derzeit Überlegungen, ob und inwieweit die         zivilrechtliche Verjährung von Schadenersatzansprüchen besser an die mittlerweile            geänderten Regelungen über die Verjährung gerichtlich strafbarer Handlungen angepasst       werden kann. Denkbar wäre es, den Ablauf der zivilrechtlichen Verjährungsfrist zu hemmen,       wenn eine Tat strafrechtlich noch nicht verjährt ist. Wenn solche oder vergleichbare          Regelungen auch für bereits eingetretene Schadensereignisse gelten sollten, würde sich auch          in diesem Zusammenhang das Problem des rückwirkenden Eingriffs in Rechtsverhältnisse     ergeben.

Zu den Vorschlägen zum Verbrechensopferqesetz:

Das Verbrechensopfergesetz fällt in den Zuständigkeitsbereich des Bundesministeriums für      Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz.

Allgemeines zur Opferhilfe:

Mit Ministerratsvortrag 135/26 vom 20. März 2012 betreffend die bundeseinheitliche    Vorgangsweise bei Missbrauchsfällen in Bundeseinrichtungen beschloss die            Bundesregierung, dass betroffenen Menschen möglichst rasch die erforderliche Hilfe und Unterstützung zuteil werden soll. Nach der öffentlichen Bekanntmachung der Notrufnummer          des Weißen Ringes als erste Kontaktmöglichkeit soll der Weiße Ring auf Basis einer Fördervereinbarung für die psychologische Erstbetreuung sorgen und danach ein beim            Weißen Ring eingerichtetes Opferschutzgremium die Ansuchen prüfen und den Umfang der            zu gewährenden Hilfeleistung festsetzen. Die konkrete Hilfe soll dann ebenfalls vom Weißen        Ring in Form eines Basisangebots (Clearing und/oder Psychotherapie) sowie allfälliger      zusätzlicher finanzieller Unterstützung zur Linderung bzw. Behebung des durch Übergriffe, Missbrauch oder Gewalt verursachten Leidens gewährt werden.

Am 25. September 2012 wurde vom Bundesministerium für Justiz mit dem Weißen Ring ein Förderungsvertrag über EUR 317.000 für das Projekt Hilfe für Opfer von Gewalt in Heimen             des Bundes, die dem Bundesministerium für Justiz unterliegen bzw. unterlagen, abgeschlossen.

Petition Nr. 61 betreffend „Gemeinsame Obsorge“:

Wie bereits zu den Punkten 2) und 3) der Bürgerinitiative Nr. 41 ausführlich dargelegt, hat           nach § 180 Abs. 2 ABGB nF (in Kraft seit 1. Februar 2013) das Gericht die       Obsorgeentscheidung allein „nach Maßgabe des Kindeswohls“ zu treffen. An entsprechende    Anträge der Eltern ist es dabei nicht gebunden. Auch kann ein „Veto“ eines Elternteils die gemeinsame Obsorge nicht mehr verhindern. Entspricht eine Phase vorläufiger elterlicher Verantwortung dem Kindeswohl, hat das Gericht - etwa zur Erprobung eines neuen     Obsorgemodells - eine vorläufige Entscheidung zu treffen, die auch dazu beitragen soll, rasch        für eine gewisse Rechtssicherheit zu sorgen. Eine automatische gemeinsame Obsorge beider leiblicher Elternteile war nicht Ergebnis der politischen Meinungsfindung.

Wien, 28. Februar 2013 Für die Bundesministerin:

Dr. Wolfgang Kirisits

Elektronisch gefertigt