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„Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“

 

 

 

 

titelbild

 

Parlamentarische Enquete des Nationalrates

Mittwoch, 4. Mai 2011

(Stenographisches Protokoll)


Parlamentarische Enquete

Mittwoch, 4. Mai 2011

(XXIV. Gesetzgebungsperiode des Nationalrates)

Thema

„Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“

Dauer der Enquete

Mittwoch, 4. Mai 2011: 13.03 – 16.32 Uhr

*****

Tagesordnung

I. Einleitungsstatements

Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied

Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Karlheinz Töchterle

II. Impulsreferate

Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher, Universität Salzburg: „Erfahrungen und Schlussfolge­rungen aus den Schulversuchen auf der Basis der offiziellen Evaluation im Auftrag des BMUKK“

Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann, Universität Wien: „Ethikunterricht im Span­nungsfeld zwischen Religionsersatz und säkularer Moral“

Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner, Institut für Praktische Theologie der Universität Wien: „Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft“

III. Panel

Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer, Pädagogische Hochschule Tirol

Mag. Martin Kühnl, Universität Wien

Dr. Kurt Greussing, Sozialwissenschaftler; Vorarlberg

Mag. Maria Neuberger-Schmidt, „Elternwerkstatt“; Wien

IV. Allgemeine Diskussion

V. Resümee

*****


 

Inhalt

I. Einleitungsstatements ............................................................................................... 5

Bundesministerin Dr. Claudia Schmied ...................................................................... 5

Bundesminister Dr. Karlheinz Töchterle ..................................................................... 7

II. Impulsreferate ............................................................................................................ 7

Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher ....................................................................................... 8

Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann .................................................................... 10

Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner ..................................................... 13

III. Panel ......................................................................................................................... 16

Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer .......................................................................... 16

Mag. Martin Kühnl ........................................................................................................ 19

Dr. Kurt Greussing ....................................................................................................... 19

Mag. Maria Neuberger-Schmidt ................................................................................. 22

IV. Allgemeine Diskussion ........................................................................................... 24

HR Dr. Dieter Braunstein ............................................................................................ 24

Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits ..................................................................................... 25

Mag. Dr. Michael Jahn ................................................................................................. 26

Abg. Anneliese Kitzmüller .......................................................................................... 27

Emer. Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer ................................................................ 28

Mag. Karl Schiefermair ................................................................................................ 28

Dr. Anita Kitzberger ..................................................................................................... 29

Univ. Prof. Dr. Christian Friesl ................................................................................... 30

Abg. Dr. Andreas Karlsböck ....................................................................................... 30

Abg. Mag. Alev Korun ................................................................................................. 31

Mag. Amena Shakir ...................................................................................................... 32

Abg. Mag. Katharina Cortolezis-Schlager ................................................................. 33

Erzbischof Dr. Michael Staikos .................................................................................. 34

Heidi Jütte ..................................................................................................................... 34

Chorbischof Dr. Emanuel Aydin ................................................................................ 35

Abg. Mag. Daniela Musiol ........................................................................................... 36

Prof. Anas Schakfeh .................................................................................................... 37

Abg. Sonja Ablinger ..................................................................................................... 38

Dr. Walter Hessler ........................................................................................................ 39

Abg. Dr. Franz-Joseph Huainigg ................................................................................ 40

Andreas Kastner .......................................................................................................... 40

Bundesrätin Monika Mühlwerth ................................................................................. 41

Elisabeth Pietsch .......................................................................................................... 42

Abg. Mag. Rosa Lohfeyer ............................................................................................ 43

Gerhard Weißgrab ........................................................................................................ 43

Bundesrat Stefan Schennach ..................................................................................... 44

Iris Schwarzenbacher .................................................................................................. 45

Mag. Dr. Eckehard Quin .............................................................................................. 46

Mag. Horst Schachtner ................................................................................................ 47

Mag. Isabella Zins ......................................................................................................... 47

V. Resümee ................................................................................................................... 48

Abg. Elmar Mayer ........................................................................................................ 48

Abg. Mag. Silvia Fuhrmann ........................................................................................ 49

Abg. Dr. Walter Rosenkranz ....................................................................................... 51

Abg. Dr. Harald Walser ................................................................................................ 52

Abg. Stefan Petzner ..................................................................................................... 53

Geschäftsbehandlung

Antrag im Sinne des § 98a Abs. 5 GOG, das Stenographische Protokoll dieser Enquete dem Nationalrat als Verhandlungsgegenstand vorzulegen – Annahme .....................................................  5, 5


 

13.03.04Beginn der Enquete: 13.03 Uhr

Vorsitzende: Präsidentin Mag. Barbara Prammer, Zweiter Präsident Fritz Neuge­bauer.

*****

 


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Meine Damen und Herren, ich darf Sie alle sehr herzlich begrüßen.

Ich eröffne die parlamentarische Enquete des Nationalrates „Werteerziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“ und begrüße dazu alle Anwesenden sowie auch die Zuhörerinnen und Zuhörer.

Im Vorfeld von parlamentarischen Enqueten gibt es immer wieder Zurufe von außen beziehungsweise auch Irritationen. Daher darf ich zu Beginn dieser Enquete einige grundsätzliche Erklärungen abgeben, Erklärungen bezüglich der Vorbereitung und Durchführung von parlamentarischen Enqueten.

Die Geschäftsordnung besagt, dass die Mitglieder des Hauptausschusses des Natio­nalrates gemäß der Geschäftsordnung einen Antrag auf Abhaltung einer parlamen­tarischen Enquete stellen können beziehungsweise stellen. Dieser Antrag wird in der Regel im Konsens aller Fraktionen vorbereitet. Das heißt, dass sich die Fraktionen auf ein Thema, auf den Ablauf und auf den Kreis der Teilnehmerinnen und Teilnehmer einigen. Der Hauptausschuss beschließt das letztlich und kann diesen Vorschlag der Fraktionen natürlich auch noch abändern. Das ist ja auch bei dieser Enquete ge­schehen.

Wenn der Hauptausschuss eine Enquete beschlossen hat, ist diese von der Parla­mentsdirektion in meinem Auftrag zu organisieren. Als Präsidentin kann ich aber kei­nen Einfluss nehmen: weder auf das Thema noch auf den Ablauf, auch nicht auf die Teilnehmerinnen und Teilnehmer; das ist allein die Angelegenheit des Hauptausschus­ses.

Wie Sie wissen, ist mir die Abhaltung von parlamentarischen Enqueten ein sehr großes Anliegen. Sie geben dem Nationalrat die Möglichkeit, sich in einer sehr grundsätzlichen Weise mit wichtigen Themen zu befassen und in einen Austausch mit Expertinnen und Experten sowie Vertreterinnen und Vertretern von wichtigen Organisationen zu treten.

Es ist mir daher auch wichtig, dass solche Enqueten für die Öffentlichkeit zugänglich sind, nicht nur, was die Abhaltung der Enquete betrifft, sondern vor allen Dingen auch, dass diese Enqueten im Internetangebot des Parlaments dokumentiert werden. Das wird auch dieses Mal wieder so geschehen.

Das gibt allen, auch jenen, die heute nicht sprechen können, die Möglichkeit, die Dis­kussion fortzusetzen, in einen Austausch mit den Mitgliedern des Nationalrates zu tre­ten und sich auch weiter für ihre Anliegen einzusetzen.

Ich möchte Sie auch darauf aufmerksam machen, dass in der Programmgestaltung dieser Enquete aufgrund der kürzlich erfolgten Regierungsumbildung kleinere Verän­derungen vorgenommen wurden. Die neue Programmfolge können Sie der auf den Ti­schen aufgelegten Unterlage entnehmen. Da eine Teilnehmerin und ein Teilnehmer an der Panel-Diskussion erst sehr knapp gemeldet wurden, scheinen diese leider nicht in diesen Unterlagen auf. Ich bitte, das zu entschuldigen.

(Es folgen technische Mitteilungen durch die Vorsitzende.)

Entsprechend der Geschäftsordnung des Nationalrates wird über die heutige Enquete ein Stenographisches Protokoll verfasst. Ich darf daher ersuchen, die Beiträge über dieses Mikrophon hier am Rednerpult abzugeben.

Das Stenographische Protokoll wird selbstverständlich im Internet des Parlaments zur Verfügung stehen. Ebenso wird es die Parlamentsdirektion an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Enquete versenden.

Im Vorsitz werde ich um 14.30 Uhr durch den Zweiten Präsidenten, Kollegen Fritz Neu­gebauer, abgelöst.

Es ist nun noch ein geschäftsordnungsmäßiger Beschluss zu fassen.

Es liegt mir ein Antrag gemäß § 98a Abs. 5 der Geschäftsordnung vor, das Stenogra­phische Protokoll als Verhandlungsgegenstand dem Nationalrat vorzulegen. Der dies­bezügliche Beschluss ist gemäß der erwähnten Geschäftsordnungsbestimmung durch die dem Teilnehmerkreis der Enquete angehörenden Abgeordneten zum Nationalrat zu fassen.

Ich bringe diesen Antrag auch gleich zur Abstimmung.

Ich ersuche jene Abgeordneten zum Nationalrat, die an der Enquete teilnehmen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Ich sehe keine Gegenstimme. Der Antrag ist somit ein­stimmig angenommen.

13.10.00I. Einleitungsstatements

 


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Wir gehen in die Tagesordnung ein, und ich darf Frau Bundesministerin Dr. Schmied um die einleitende Stellungnahme bitten. Wir haben uns geeinigt, diese sollte sehr knapp sein, also 5 Minuten betragen. – Bitte.

 


13.10.07

Bundesministerin für Unterricht, Kunst und Kultur Dr. Claudia Schmied|: Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Präsident! Herr Bundesminister! Hohes Haus! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Herzlichen Dank für die Einladung zu dieser parla­mentarischen Enquete. Ich freue mich sehr, dass dieser Termin zustande gekommen ist.

Ich darf Sie darüber informieren, dass wir seit dem Schuljahr 1997/98 Schulversuche im Fach „Ethik“ durchführen und in diesem Jahr etwa 15 000 Schülerinnen und Schüler an etwa 200 Standorten in Österreich an diesem Unterricht teilnehmen. Herr Univ.-Prof. Bucher von der Universität Salzburg wird über die Erfahrungen aus diesen Schul­versuchen heute auch hier berichten.

Ich möchte daher einige wenige, aber, wie ich glaube, wichtige Punkte reflektieren. Vor allem möchte ich auf den Punkt eingehen, welche Bedeutung „Ethik“ in der heutigen Zeit hat und haben kann.

Es wird, meine sehr geehrten Damen und Herren – das ist jedenfalls mein Eindruck –, für junge Menschen in einer Gesellschaft, die mitunter zu einseitig und bedingungslos auf Wettbewerb, auf Konkurrenz setzt, zunehmend schwierig, die Bedeutung von Ko­operation, sozialem Handeln, Solidarität und Mitmenschlichkeit zu verstehen. Wenn wir hier nicht auch als Verantwortliche für Bildung gegensteuern, setzen wir den Zusam­menhalt und den sozialen Frieden unserer Gesellschaft aufs Spiel. Über diese Gedan­ken können wir, denke ich, sehr schnell Einigkeit erzielen.

Schon Albert Schweitzer hat uns gewarnt, als er gesagt hat – ich darf ihn zitieren –: „Wo das Bewusstsein schwindet, dass jeder Mensch uns als Mensch etwas angeht, kommen Kultur und Ethik ins Wanken.“ – So weit dürfen wir es nicht kommen lassen.

Wenn wir nun aber von Ethik sprechen, müssen wir uns auch und im Besonderen da­rauf verständigen, welche Beiträge unsere Schulen leisten können. Soll Ethik ein Er­satzfach für den Religionsunterricht werden oder ein eigener Gegenstand, der für alle Schülerinnen und Schüler verbindlich ist, oder ist es ein Querschnittsthema, das in vie­len Fächern erarbeitet werden kann?

Albert Einstein hat Ethik für ein ausschließlich menschliches Unterfangen gehalten, hinter dem keine übermenschliche Autorität steht. Dieses „menschliche Unterfangen“ gebietet, sorgfältig und präzise jene Werte zu definieren, die mit der Ethik vermittelt werden sollen.

Hier möchte ich besonders auf die Charta der Grundrechte der Europäischen Union verweisen. Schon daraus lässt sich ableiten, dass wir auf weltliche Art und Weise an die Grundwerte herangehen sollten, ohne dass wir damit die anerkannten Religionen in Frage stellen.

Das entspricht auch einem Grundwert unserer Gesellschaft, der die Trennung von Staat und Religion vorsieht. Diese Trennung hat in Österreich seit jeher zu einem pro­duktiven Miteinander geführt, bei dem jeder Teil seine Verantwortung und seine Aufga­ben verantwortungsbewusst wahrnimmt.

Unsere Schulen haben die Verantwortung jedes Einzelnen nicht nur für sich selbst, sondern auch für die Gemeinschaft zu erklären und die Stärkung der persönlichen Identität jedes Einzelnen zur Aufgabe, wie dies Arno Gruen, Psychoanalytiker, in sei­nem Buch „Der Fremde in uns“ aus meiner Sicht besonders eindrucksvoll beschrieben hat.

Es ist die Identitätsstärke, die Ich-Stärke, die die Voraussetzung für einen angstfreien Diskurs in multikulturellen und multireligiösen Gesellschaften ist. Mitgefühl, Einfüh­lungsvermögen und Anteilnahme, mit einem Wort „Empathie“, ist eine Art Immunität gegen das Unmenschlichsein und gegen den Fundamentalismus.

Unsere Aufgabe als Verantwortliche in Politik und Verwaltung besteht darin, die verbin­denden Werte der Gesellschaft zu vermitteln und vorzuleben.

Ich möchte zum Abschluss noch einmal Albert Schweitzer zitieren, der sagte: „Ethik ist ins Grenzenlose erweiterte Verantwortung gegen alles, was lebt.“

Lassen Sie uns daher heute, meine sehr geehrten Damen und Herren, unter anderem vor allem auch folgende Fragen diskutieren:

Was darf, soll, kann der weltanschaulich neutrale Staat an Werthaltungen vorgeben? Und von der Beantwortung dieser Frage hängt dann auch ab: Wie gestalten wir die Ausbildung für diejenigen, die den Ethikunterricht gestalten sollen?

Zweite Frage: Welchen Beitrag zum Gemeinwohl und damit zu Fragen des interkul­turellen Zusammenlebens, des interreligiösen Dialogs und der demokratischen Grund­prinzipien unserer Gesellschaft kann der Religionsunterricht heute in einer pluralisti­schen Gesellschaft leisten?

Und dritte Frage: Inwieweit können andere Fächer, wie zum Beispiel Geschichte, Phi­losophie, Politische Bildung, Latein, Fragen unter den verschiedensten ethischen Ge­sichtspunkten behandeln?

Meine sehr geehrten Damen und Herren, ich freue mich auf diese Enquete, ich freue mich auf die Beiträge. Es ist dies ein Thema, das mir besonders am Herzen liegt. – Vielen Dank. (Beifall.)

13.16


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Ich darf nun Herrn Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Töchterle um seine Stellungnahme bitten. Eben­falls 5 Minuten. – Bitte.

 


13.16.21

Bundesminister für Wissenschaft und Forschung Dr. Karlheinz Töchterle|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Frau Kollegin, Frau Bundesminister! Sehr geehrte Ab­geordnete! Vor allem auch sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Religionsge­meinschaften! Exzellenz! Ich darf anknüpfen, Frau Kollegin, bei Ihrer Bemerkung, die Sie mir freundlicherweise gewidmet haben, dass auch Latein etwas zum Ethikunterricht beitragen könnte. In der Tat tut es das.

Es gibt einen Briefwechsel zwischen dem Apostel Paulus und dem römischen Philoso­phen Seneca über philosophische, ethische, religiöse Fragen. Dieser Briefwechsel ist gefälscht, aber er ist treffend gefälscht, weil er nämlich etwas repräsentiert, was mir ganz wichtig ist: die enge Verbindung der christlichen Religion mit der antiken Ethik.

Die christlichen Texte haben zwar wertvolle ethische Postulate, die berühmtesten viel­leicht in der Bergpredigt, sie enthalten aber kein philosophisches, ethisches System. Dieses ethische System hat das Christentum aus der antiken Philosophie übernommen und gelernt, und die Kirchenlehrer haben das inkorporiert, und aus diesem ethischen System der Antike sind sehr viele zentrale ethische Forderungen der christlichen Reli­gion entstanden und in diese aufgenommen worden, nämlich zum Beispiel die Tugend­lehre aus der Stoa oder der Dualismus mit seiner Leibfeindlichkeit aus dem Platonis­mus, insbesondere aus dem Neoplatonismus.

Dieser Befund zeigt, dass es keinen wirklichen Gegensatz gibt zwischen Ethik und christlicher Religion, sondern dass es Supplemente sind und dass sie geistesge­schichtlich eng zusammenhängen. Dieser Befund zeigt auch, dass wir auch heute in der aktuellen politischen Diskussion hier nicht zu sehr Gegensätze sehen sollten, son­dern ein kluges ergänzendes Miteinander.

Natürlich ist der Mensch aufgefordert, ethisch zu denken, ethisch zu handeln, das ist eines seiner wesentlichen humanistischen, anthropologischen Signa, der Mensch ist aber auch ein Animal religiosum, und wenn er diese religiöse Unterweisung nicht zu brauchen meint und auf sie verzichten will in der Schule, dann ist es in einer plu­ralistischen Gesellschaft und in einem Staat, der allen Weltanschauungen Rechnung zu tragen hat, richtig, wenn er dafür einen Ersatz wählen kann. Dieser Ersatz kann durchaus und soll auch unserer Meinung nach ein guter Ethikunterricht sein.

In dieser sinnvollen Ergänzung, denke ich, sollen und können beide Fächer existieren, in dieser sinnvollen Ergänzung können sie beide zu dem beitragen, zu dem Schule ganz wesentlich beitragen soll und wozu meine Vorrednerin das Wesentliche bereits gesagt hat: zur Erziehung der Menschen in einer Gemeinschaft, in der es Werte gibt, in der man Werte lebt, in der es ein Wertsystem gibt, für das man sich entscheidet und für das man sich dann auch einsetzt.

Deswegen bin ich dankbar dafür, dass ich hier bei dieser Enquete diese meine Ge­danken einbringen konnte, und ich wünsche den politischen Entscheidungsträgern, dem Souverän, eine gute Entscheidung in dieser Frage. Ich bin überzeugt davon, dass sie – vielleicht auch auf Basis dessen, was ich hier kurz ausführen durfte – eine treffen­de sein wird. – Danke sehr. (Beifall.)

13.20

13.20.20II. Impulsreferate

 


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Ich darf nun zu den Impulsrefe­raten überleiten. Die Referenten können, wenn sie möchten, ihr Statement vom Red­nerpult aus abgeben. 10 Minuten Redezeit sind vereinbart.

Als Erster zu Wort gelangt Herr Universitätsprofessor Dr. Bucher. – Bitte.

„Erfahrungen und Schlussfolgerungen aus den Schulversuchen auf der Basis der offiziellen Evaluation im Auftrag des BMUKK“

 


13.21.08

Univ.-Prof. Dr. Anton Bucher (Universität Salzburg)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Abgeordnete, Honoratioren – insbesondere auch von den Religionsgemeinschaften! Ich darf zu Ihnen als derjenige sprechen, der vor zehn Jahren die Evaluation der damals 94 Schulver­suche Ethikunterricht durchgeführt hat. Ich tat dies nach der zweiten Habilitation in Er­ziehungswissenschaft primär aus erziehungswissenschaftlicher empirischer Perspekti­ve, weil damals – aus verständlichen Gründen – mehrfach kritisiert wurde, jetzt eva­luiere einer den Ethikunterricht für die nicht mehr am Religionsunterricht Teilnehmen­den, der selber Religionslehrer ausbildet – Vorbehalte, wie sie auch jüngst wieder an mich gerichtet wurden.

Akademisch bin ich an einem pädagogischen Institut in Fribourg groß geworden. Es ist auf ethische Bildung spezialisiert. Ich versuchte diese Evaluation nach bestem Wissen und Gewissen, primär orientiert an der ethischen und religionskundlichen Bildung aller Schüler und Schülerinnen in Österreich.

Als ich 1993 den Dienst als Religionspädagoge antreten durfte, wurde mir geraten, zum Thema Ethikunterricht eher ruhig zu sein. Die Kirche stand diesem überwiegend ablehnend gegenüber – wohlverstanden nicht alle –, oft mit dem Argument, das wir heute sicherlich auch wieder hören werden, nämlich dass nur ein konfessioneller Religionsunterricht wirklich tragfähige Werte verbürgen könne, obschon es historisch natürlich auch ein Faktum ist, dass es auch der bürgerliche Staat gewesen war, der im Modernisierungsprozess der Kirche auch die vielen heute geltenden Grund- und Frei­heitsrechte abgetrotzt hatte.

Der Staat wusste damals, in den 90er-Jahren, also sehr wohl um die Notwendigkeit ethischer Bildung für mehr und mehr SchülerInnen. Es gab ja Schulstandorte, selbst in Mittersill im Bundesland Salzburg, mit bis zu 50 Prozent Abmeldungen vom Religions­unterricht. Der Staat delegierte diese Aufgabe jedoch an die Kirche. Ich kann mich noch erinnern, dass im Jahre 1995 Ministerialrat Felix Jonak sagte, solange nicht ein eindeutiger Beschluss der Bischofskonferenz vorliege, werde er nicht im Hinblick auf die ethische Bildung der nicht am Religionsunterricht Teilnehmenden aktiv werden.

Es war dann aber wie so oft bei erfolgreichen Schulreformen die Basis, die diese Patt­situation beendete und engagierte Lehrer und Lehrerinnen, auch und gerade für Reli­gion, 1997 die ersten Schulversuche lancierten. 1998 bis 2000 befragten wir dann im Rahmen der offiziellen Evaluation alle Ethikschüler, aber auch alle Unterrichtenden. Es war für mich als einen aus der Schweiz Zugezogenen auch eine willkommene Nach­hilfe in österreichischer Geographie. Knittelfeld ist mir damals schon ein Begriff ge­worden. (Heiterkeit.) Knittelfeld ist in der Steiermark der erste Schulstandort mit Ethik­unterricht gewesen.

Obschon anfänglich viele Schüler den Freistunden nachgetrauert und von der Eva­luation vor allem erwartet hatten, dass sie ihre Freistunden wieder bekommen, hat sich der Ethikunterricht gut bewährt.

Die Schülerinnen und Schüler gaben diesem Unterricht auch Zensuren: 2,2. Ich weiß nicht, ob es, wenn man heute Politik benoten lassen würde, da auch die Note 2,2 gäbe. Sie attestierten dem Fach auch, es trage wesentlich zur Allgemeinbildung bei – auch und gerade über die Weltreligionen, auch über das Christentum. Das Fach ermuntere zu eigenständigem Urteilen in ethischen Fragen. Es stärke Toleranz, von den vielfälti­gen Wissensgewinnen ganz zu schweigen.

Unvergesslich bleibt mir eine Wiener Schülerin, die gesagt hat: Seit ich in Ethik gehe, sehe ich in meinem Leben überall Ethik.

Besonders aufschlussreich war auch eine nur an den Salzburger Schulstandorten durchgeführte längsschnittliche Erhebung. Wir konnten da feststellen, dass nach einem Jahr zusätzlichem Ethikunterricht ausländerfeindliche Stereotype zurückgegangen sind. Ebenfalls zurückgegangen ist das für das Jugendalter vielfach typische relativisti­sche Lebensgefühl, es sei sowieso alles gleichgültig; eine Kritik übrigens, die sich der Ethikunterricht immer wieder gefallen lassen musste. Auch stieg die ökologische Handlungsbereitschaft deutlich.

Auch die Unterrichtenden registrierten wünschenswerte Effekte, beispielhaft in einer multireligiösen Ethikgruppe mit Schülern und Schülerinnen aus den zerstrittenen Re­gionen Jugoslawiens. Diese sind nicht zuletzt aufgrund der im Ethikunterricht zur Spra­che gekommenen und praktizierten Toleranz zu einer Lerngruppe zusammengewach­sen.

Aufgrund dieser und vieler weiterer Befunde kam ich damals zu folgenden Emp­fehlungen.

Erstens: Ethikunterricht hat sich bewährt. Dieser sollte, wie mittlerweile in allen Staa­ten der Europäischen Union, ins Regelschulwesen überführt werden.

Zweitens: Endgültig zu verabschieden ist die Bezeichnung „Ersatzfach“. Nicht nur, weil Ersatz stets zweitrangig ist – wer von uns ist schon gerne Ersatzspieler? –, sondern auch weil Ethik kein Ersatz für Religion sein kann – und es auch nicht sein will. Ethik beansprucht keine Antworten auf Fragen wie: Warum sind wir hier? Was kommt nach dem Tod? Darüber hinaus provoziert das Wort „Ersatzfach“ früher oder später unver­meidlich die Klagen konfessionsloser Eltern, warum ihre Kinder Ersatz für etwas fre­quentieren müssen, was nicht das Ihre ist. Solche Klagen sind in der Bundesrepublik Deutschland geführt worden. Mit dem Urteil vom Juli 1998 hat das Verfassungsgericht in Karlsruhe die Bezeichnung „Ersatzfach“ gekippt und spricht seitdem von „komple­mentären Pflichtgegenständen“.

Drittens: Religions- und Ethikunterricht wären – so damals die Empfehlung – als alter­native Pflichtgegenstände einzurichten. Das heißt: freie Wahl und ohne Abmeldung vom Religionsunterricht. Ich habe damals dafür ziemliche Schelte bekommen, auch vom damaligen Salzburger Erzbischof bis hin zur Androhung des Entzugs der Lehrbe­fugnis. Aber das ist alles vergessen. Es war, wie es war. Blicken wir in die Zukunft!

Viertens: Die angemessene Bezeichnung wäre „Ethik- und Religionskunde“, und zwar deswegen, um Schülern und Schülerinnen von Anfang an deutlich zu machen, dass, wie in allen österreichischen Ethikrahmenlehrplänen vorgesehen, auch die Religion zur Sprache kommt. Es mag sein, dass individuelle Religiosität privat ist, aber niemals privat sein können Religionen als soziale, weltanschauliche und auch politische Kräfte, worüber Schüler und Schülerinnen Bescheid wissen müssen.

Fünftens: Von Anfang an ist eine gediegene Ausbildung der Ethiklehrer und -lehrerin­nen zu gewährleisten, um zu verhindern, dass das eintritt, woran der Ethikunterricht in Deutschland krankte: die Einsicht nämlich, dass man mit ein paar Seminaren und ein paar Artikeln aus dem „Spiegel“ dieses Fach nicht zufriedenstellend unterrichten kann. Ich empfahl damals und tue es auch heute noch: interfakultärer Fachbereich an den Universitäten unter Teilhabe von Philosophie, Moral-, Sozialpädagogik, Religionswis­senschaft und Theologie.

Sechstens: Reflektiert wurde im Evaluationsbericht auch die Relation zwischen Reli­gions- und Ethikunterricht. Religionsunterricht hat gemäß vielen empirischen Studien, wie wir sie auch durchgeführt haben, eine erstaunlich gute Resonanz. Er zieht Mündig­keit an, Toleranz. Er nimmt die plurale Lebenswelt ernst und ist auch nicht indoktrinär, die in ihm thematisierte Ethik nicht irrational. Aber genau dieser auch pädagogisch be­gründete Religionsunterricht zieht immer wieder auch zum Teil harsche innerkirchliche Kritik auf sich, er sei schon längst keine Verkündigung mehr und er sei schon gar nicht mehr römisch-katholisch.

Eines, meine sehr verehrten Damen und Herren, ist jedenfalls klar: Aktueller Religions­unterricht entspricht nicht mehr jenem von vor 60 Jahren, als die jetzt geltende rechtli­che Regelung getroffen wurde, nämlich das Bundesgesetz vom Juli 1949. Vielfach ent­spricht er – auch gemäß meinen Beobachtungen – dem, was etwa im Bundesland Brandenburg unter dem Fach „Lebensgestaltung, Ethik und Religionskunde“ läuft.

Ähnlich scheinen das auch die von uns befragten Religionslehrer und Religionslehre­rinnen zu sehen. Ich habe Daten aus dem Jahre 2006. Damals war es so, dass es im­merhin 70 Prozent ein intensives beziehungsweise starkes Anliegen oder Ziel war, dass sich Schüler und Schülerinnen im Pluralismus positionieren und verständigen ler­nen. 29 Prozent sagten, es sei für sie ein intensives Ziel, dass Schüler und Schüle­rinnen die Glaubenslehre der Kirche kennenlernen. Wie immer dem sei, auch Reli­gionslehrer, wenn sie entsprechende Qualifikationen erwerben, sollten mit Ethikunter­richt betraut werden können.

In einem Pressefrühstück im BMUKK, es war der 15. November 2001, fanden meine Empfehlungen Zuspruch.

Ich erlaube mir, noch kurz mit einer persönlichen Vision abzuschließen. Mittelfristig er­hoffe ich mir für Österreich in der Sekundarstufe auch ein Fach wie „Ethik und Reli­gionen“ verpflichtend für alle, vielerorts bewährt. Ein solches Fach wäre in Kooperation mit den Religionsgemeinschaften und dem Staat zu entwickeln. Es müsste verpflich­tend für alle sein. Es ist eingerichtet, sogar in der katholischen Innerschweiz, und es hat sich sehr gut bewährt; von den Einsparungsmöglichkeiten und zugleich dem auch bildungstheoretischen Gewinn ganz zu schweigen.

Letzter Satz. Was immer dieses Hohe Haus beschließen mag: An den öffentlichen Schulen muss vor partikulären Interessen die ethische Bildung aller Kinder und Ju­gendlichen unserer Republik Österreich Vorrang haben. – Danke für die Aufmerksam­keit. (Beifall.)

13.33


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Ich darf nun Herrn Universitäts­professor Dr. Liessmann das Wort erteilen. – Bitte.

„Ethikunterricht im Spannungsfeld zwischen
Religionsersatz und säkularer Moral“

 


13.33.44

Univ.-Prof. Dr. Konrad Paul Liessmann (Universität Wien)|: Sehr geehrte Frau Prä­sidentin! Verehrter Herr Bundesminister! Verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Man kann nicht aus jeder Not eine Tugend machen. Die Tatsache, dass die Abmeldungen vom konfessionellen Religionsunterricht vor allem in Ballungsräumen ein Ausmaß erreicht haben, das die Einführung eines alternativen Ethikunterrichts als Ersatz für den nichtbesuchten Religionsunterricht nahelegte, mag zwar unter pragma­tischen Gesichtspunkten relevant gewesen sein, die Aufgaben, Möglichkeiten und Per­spektiven eines sinnvollen Ethikunterrichts werden durch diesen Gesichtspunkt aller­dings eher verzerrt und beschnitten.

Grundsätzlich – es ist auch schon mehrfach angedeutet worden – muss gelten: Ethik­unterricht kann kein Ersatz für den Religionsunterricht sein, weil Ethik kein Ersatz für Religion ist. Ethik ist nicht das, was von den Religionen übrig bleibt, wenn man Gott durchstreicht, wie umgekehrt auch Religion ihrem Wesen nach keine Ethik für Men­schen ist, die den Prozess der Aufklärung noch vor sich haben. Weder erspart es die Religion den Mitgliedern einer modernen Gesellschaft, sich mit den Fragen einer säku­laren Moral auseinanderzusetzen, noch ist diese Moral eine Art Religionsersatz für Ag­nostiker oder Atheisten.

Die Notwendigkeit des Ethikunterrichts muss deshalb anders begründet werden als mit dem Hinweis, dass junge Menschen, die keinen Religionsunterricht besuchen, wenigs­tens irgendeine Werterziehung bekommen sollten. Gelingen kann Ethikunterricht nur, wenn man anerkennt, dass die Ethik seit der Antike Ausdruck des Willens der Men­schen ist, die Fragen ihres Zusammenlebens weder einem Gott noch einer Kirche zu überlassen, sondern ihrer eigenen Souveränität und Vernünftigkeit zu überantworten.

Die Dringlichkeit eines Ethikunterrichts stellt sich meines Erachtens deshalb aus zwei Gründen: Einmal gibt es in einer prinzipiell säkular ausgerichteten, sich selbst als pluralistisch verstehenden Gesellschaft kein tradiertes und wie selbstverständlich ver­mitteltes Werte- und Normensystem mehr, das von allen relevanten Akteuren eines Er­ziehungs- und Bildungsprozesses fraglos weitergegeben werden könnte. Eine säkulare Gesellschaft muss sich deshalb auch über ihre geistigen Fundamente, ihre grundle­genden Werte und ihre normativen Vorgaben stets aufs Neue verständigen.

Niemand hat dies klarer formuliert als der portugiesisch-niederländisch-jüdische Philo­soph Baruch Spinoza. In einem freien Staat legen die Bürger durch Diskussion und Argumente, manchmal auch durch Abstimmungen und Mehrheitsentscheidungen die ethischen Grundsätze ihres Zusammenlebens fest.

Dass Spinoza aus der jüdischen Gemeinde Amsterdams ausgeschlossen wurde, dass seine Werke auf dem vatikanischen Index der verbotenen Bücher landeten und auch in den eher protestantisch orientierten Niederlanden nicht erscheinen durften, sagt übri­gens einiges über die ursprüngliche Bereitschaft der Religionen, sich mit diesem Mün­digkeitskonzept auseinanderzusetzen.

Meine Damen und Herren, gerade weil keine Religion mehr eine allgemeinverbindliche Autorität beanspruchen kann, sind mündige Menschen gefordert, die um die Möglich­keiten, aber durchaus auch um die Grenzen eines ethischen Diskurses Bescheid wis­sen und diesen mitgestalten können. Ethikunterricht ist unter diesem Gesichtspunkt ei­ne demokratie-, ja staatspolitische Notwendigkeit.

Das führt zum zweiten Argument. Eine moderne, in hohem Maße von Migration und kultureller Vielfalt geprägte Gesellschaft benötigt Grundlagen, Formen und Verfahren des Zusammenlebens, die für alle Mitglieder dieser Gesellschaft gelten können – egal, welcher sprachlichen oder ethnischen Herkunft sie auch sein mögen, egal, ob sie Gläubige oder Nichtgläubige sind, egal, ob sie sich zu einer anerkannten, nicht aner­kannten oder gar keiner Religionsgemeinschaft bekennen.

Die Formulierung und die Diskussion solcher Grundlagen kann nur eine säkulare Ethik liefern, die unterschiedlichen religiösen und nichtreligiösen Moralvorstellungen einen gemeinsamen Rahmen geben muss. Es soll nicht verschwiegen werden, dass dieser Rahmen durchaus auch in Konflikt mit bestimmten Werthaltungen und moralischen Praktiken geraten kann, man darf auch daran erinnern, dass die normativen Grundla­gen unserer modernen Gesellschaft, die Menschenrechte, oft auch gegen den Wider­stand der Religionen formuliert und durchgesetzt werden mussten.

Die europäische Aufklärung – wir dürfen uns daran erinnern – begann als Kritik der Re­ligion. Das schmälert nicht die Leistungen, Aufgaben und Funktionen der Religionen, zeigt aber, dass es zwischen den Ansprüchen einer säkularen Moral und religiös moti­vierten Lebensformen durchaus Spannungen geben kann, die nicht ignoriert werden dürfen und die selbst zum Gegenstand einer ethisch-philosophisch-politischen Refle­xion werden müssen.

Ethikunterricht ist unter diesem Gesichtspunkt auch eine gesellschafts- und kultur­politische Notwendigkeit.

Meine Damen und Herren, eine säkulare, vernunftgeleitete Ethik ist allerdings keine Er­findung unserer Zeit, sondern gehört ganz wesentlich zum europäischen Erbe. Man könnte es geradezu als Spezifikum der europäischen Kultur erachten, die Frage der Moral als Sache der Vernunft zu sehen. Von den Glücks- und Tugendethiken der Antike und Spätantike über die moralischen Reflexionen eines Montaigne, von der Ethik des Baruch Spinoza bis zum kategorischen Imperativ eines Immanuel Kant, vom angelsächsischen Utilitarismus bis zur modernen Diskurs- und Verantwortungsethik spannt sich ein Bogen, der nicht nur die Möglichkeiten einer rational argumentierbaren Ethik ausleuchtet, sondern auch die Grundlagen der aktuellen ethischen Debatten im Bereich der Medizin, der Biopolitik, der Wirtschaft, der Technik und der Gesellschaft darstellt.

Erste und wichtigste Aufgabe eines jeden Ethikunterrichts müsste es deshalb sein, in genau dieses Denken, seine Argumentationsfiguren, seine Voraussetzungen und seine Konsequenzen kritisch und altersgerecht einzuführen.

Was bedeutet dies für die aktuelle Situation? – Ganz einfach: Die Frage des Ethik­unterrichts muss von der Frage des Religionsunterrichts prinzipiell entkoppelt wer­den. Man könnte sogar sagen, dass gerade für Angehörige von Religionen mit Moral­ansprüchen, die einer aufgeklärten Vernünftigkeit nicht immer entsprechen müssen, die Teilnahme an einem religionsneutralen Ethikunterricht von ganz besonderer Wich­tigkeit sein müsste, um den Stellenwert und die Bedeutung eines religiösen Wertesys­tems im Kontext einer pluralen Gesellschaft richtig einschätzen zu können. Das heißt, Ethik müsste meines Erachtens ein für alle Schüler verbindliches Pflichtfach zumindest der Sekundarstufe II werden.

Ethikunterricht ist deshalb auch nichts, was von Religionslehrern oder auch Lehrern anderer Fächer so nebenbei erledigt werden könnte. Wenn überhaupt, dann bringen vielleicht Philosophielehrer einige, bei Weitem nicht alle der dafür notwendigen Kenntnisse und Kompetenzen mit. Ethik ist deshalb auch keine Querschnittmaterie, auch wenn dies gut klingen mag. Ethik ist eine umfassende Disziplin mit einer 2 500 Jahre alten Geschichte und einer mittlerweile sehr ausdifferenzierten Argumentations­kultur, in der Erkenntnisse der Sozial- und Naturwissenschaften ebenso Berücksichti­gung finden wie Fragestellungen, die durch den rasanten technologischen Fortschritt und durch globale Entwicklungen aufbrechen.

Meinte man es wirklich ernst mit Ethikunterricht, dann müsste Ethik nicht nur als Un­terrichtsfach, sondern auch als eigenes Studienfach etabliert werden, das wie jedes Lehramtsstudium in Kombination mit einem anderen Fach absolviert und dann unter­richtet werden kann.

Inhalte solch eines Faches sollten neben den Grundlagen der philosophischen Ethik durchaus auch Grundkenntnisse unterschiedlicher, auch religiös fundierter Moralvor­stellungen und Normensysteme sein, die es erlauben, diese ohne ideologische oder konfessionelle Präferenz im Unterricht zur Sprache zu bringen.

Es muss deshalb Aufgabe des Ethikunterrichts sein, kritisch in jene Denktraditionen und Lebensformen einzuführen, die die Basis unserer Gesellschaft darstellen. Der Ethikunterricht sollte junge Menschen intellektuell und emotional befähigen, die zuneh­mend brisanter und verwirrender werdenden Debatten über Glücksvorstellungen und Gerechtigkeitskonzeptionen, über Freiheitspotentiale und Verantwortungserwartungen, über Grenzfragen des Lebens und des Todes, über den Umgang mit Unterschieden und Differenzen, über Werte und Wertveränderungen zu verfolgen, zu verstehen und in einer letztlich dem Kriterium der Vernünftigkeit gehorchenden Weise auch selbst zu ge­stalten. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

13.43


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Vielen Dank. – Ich darf nun Herrn Universitätsprofessor Dr. Zulehner um sein Referat bitten.

„Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft“

 


13.43.08

Emer. o. Univ.-Prof. DDr. Paul Michael Zulehner (Universität Wien)|: Meine hochver­ehrten Damen und sehr geschätzten Herren – mit so wunderbaren unterschiedlichen Ämtern und Diensten in Kirche und Republik! 2006 hat in Österreich eine Jugendwer­testudie stattgefunden, und Teilergebnisse sind für unsere heutigen Überlegungen zu Religion und Ethik in der Schule einer pluralistischen Gesellschaft – nicht einer säku­laren Gesellschaft, wie mein Vorredner sagte – nützlich. So sind 68 Prozent der Ju­gendlichen der Ansicht: Es gibt Normen, an die ich mich auch halten will!

Dabei haben diese Normen der jungen Menschen einen starken Realitätsbezug, denn 64 Prozent der Befragten prüfen, was von den Normen in konkreten Situationen auch lebbar ist. 62 Prozent der Befragten wünschen mehr ethischen Diskurs in der Ge­sellschaft. Und immer noch eine deutliche Mehrheit von 57 Prozent wünscht mehr ethische Bildung in den Schulen. Folgt man den Betroffenen, erhält ethische Bildung also zumindest demokratiepolitisch eine absolute Mehrheit.

Ähnlich gut abgesichert ist in einer verlässlich erhobenen Meinungslage der von den Religionsgemeinschaften getragene Religionsunterricht im Land. Zwar hat sich seit 1970 – so weit reichen unsere Daten zurück – dessen Bedeutung von sehr wichtig zu wichtig verlagert. Dem entspricht eine allmähliche Relativierung der religiösen Dimen­sion modernen Lebens. Aber es waren 2010 – und die Erhebung war Juli/August – 69 Prozent der Meinung, für die Kirchen sei es eine wichtige Aufgabe, Religionsunter­richt zu erteilen. – 69 Prozent sind nach wie vor eine Art Verfassungsmehrheit.

Auch sind 66 Prozent der Ansicht: Ich halte es für wichtig, dass die Kinder in Österreich Religionsunterricht erhalten, um den christlichen Glauben kennenzulernen!

Die Qualität des Religionsunterrichts wird übrigens überraschend gut bewertet.

Die Wertschätzung des Religionsunterrichts hat in den letzten Jahren eine überra­schende europapolitische Steigerung erfahren. Für immerhin 71 Prozent der Menschen in Österreich ist das Christentum ein Teil der europäischen Identität. Mit Blick auf eine mögliche Aufnahme der Türkei oder das Verhältnis zum Islam wie die Errichtung von Minaretten oder das Tragen der Burka wird ein offensives Christentum in der Be­völkerung erwartet. Auch die Kirchen sollten für die Bewahrung der christlichen Identi­tät mehr tun, so vor allem die kämpferischen Kulturchristen. Auf jeden Fall sollen, um die christliche Identität auch in Zukunft hin zu wahren, die Kinder einen Religionsunter­richt erhalten. Diese kulturpolitische Forderung ist im Übrigen nicht an eine religiöse Praxis oder an ein kirchliches Commitment gebunden.

Übrigens gibt es diese kämpferischen Kulturchristen bis tief in die christlichen Kirchen hinein und quer gestreut durch alle Sympathisanten der verschiedenen politischen Par­teien, die im Parlament vertreten sind.

Meine sehr geehrten Damen und Herren, diese breiten Wertschätzungen für sozialethi­sche und ethische – ich hätte gerne, dass man auch das Wort Sozialethik deutlicher sieht, weil es ja nicht nur um Individualethik geht – und auch für religiös/weltanschau­liche Bildung stehen aber nicht beziehungslos nebeneinander. Vielleicht bin ich hier auch als Empiriker ein bisschen anderer Meinung als der Philosoph Liessmann. Diese spiegeln nämlich, weil es zumindest sehr beachtliche empirische Korrelationen gibt, das dialektische Verhältnis von Theorie und Praxis, Lebensanschauung und Le­bensgestaltung wider.

Wer in einer transzendenzreichen Welt lebt, optiert beispielsweise nachweislich für eine andere Sterbekultur als jemand, dessen Welt sich in begrenzter Zeit und begrenz­tem Raum erschöpft. Wie jemand in den beiden großen Herausforderungen der Ge­genwart, nämlich beim Zugriff auf den Zellkern und auf den Atomkern, ethisch optiert, hat sehr wohl mit den umgreifenden Weltdeutungen zu tun. Man braucht dazu lediglich die Arbeit in den europäischen und nationalen Ethikkommissionen zu analysieren.

Sozialethische wie individualethische Bildung implizieren also stets auch weltanschau­liche Bildung, wobei die christliche Bildung in der weltanschaulich verbunteten Kultur eine nach wie vor starke und auch – darauf möchte ich doch als Theologe Wert legen, Herr Liessmann – ziemlich vernünftige Form von Auseinandersetzung ist. Religiös/welt­anschauliche Bildung hat umgekehrt immer auch sozialethische sowie ethische Konse­quenzen.

In den letzten Jahrzehnten hat die Annahme als gesichert gegolten, dass das Ende der Religion bevorstehe und moderne Gesellschaften eine von Religion unabhängige säku­lare Moral entwickeln würden. Die Entwicklung, meine Damen und Herren, läuft an­ders. Sie geht nicht einbahnig von der Religion zur Säkularität, von der religiösen Moral zur säkularen Ethik, vielmehr ereignet sich eine dramatische Verbuntung der Gesell­schaft. Man muss künftig von Religionen, ja auch von Säkularitäten reden, will man nicht einer nützlichen Ideologie aufsitzen.

Neben den durchaus unterschiedlichen christlichen Kirchen erstarken beispielsweise Variationen des Islam: eine Moschee der Türken und eine Moschee der Kurden sind nicht dasselbe, Aleviten, Schiiten und Sunniten haben keinesfalls immer die gleichen Positionen, weder religiös noch politisch. Dazu kommen immer mehr Menschen, auch in unserem Land, die sich an buddhistischen Weisheiten und ihrer Anleitung zu einer leidmindernden Ethik orientieren. Andere atheisieren. Und eine lautstarke, wenngleich sehr kleine Minderheit – vielleicht hätte man deren Vertreter auch zu dieser Enquete einladen können – vertritt einen antiquierten, aggressiven Neoatheismus.

Für die Bürgerinnen und Bürger des Landes bedeutet das: Sie nehmen die Verbun­tung wahr. Sie leben und arbeiten zunehmend zusammen mit Personen, die eine an­dere Lebensdeutung und eine andere sozialethische Option vertreten. Letztlich aber haben sie, so die Daten unserer Studie, kaum Einblick in das, was die Fremden, die Anderen glauben und leben. So kommt es nicht selten zu einer durch blinde Stereo­typen gesteuerten, angstbesetzten Abwehr. An die Stelle des Antisemitismus ist in­zwischen eine sich ausweitende und partei-, aber nicht staatspolitisch ausgebeutete Islamophobie getreten. Das verwundert nicht.

Ein Beispiel: 66 Prozent der Katholiken im Land sagen, sie würden den islamischen Religionsunterricht überhaupt nicht kennen – was ja auch nicht verwundert –, aber zugleich sagen sie: Ich finde diesen Unterricht nicht gut! Die kämpferischen Kultur­christen, die ich vorher beschrieben habe, sind sogar zu 83 Prozent der Meinung, dass der nur negativ sein kann, während unter den friedlichen immerhin nur 41 Prozent das sagen. – Wie kann man ohne Kenntnis solche Urteile abgeben? Mit der Migration wandern eben nicht nur Menschen, sondern auch Religionen und deren ethische Le­bensregeln.

Solche Beispiele demonstrieren, dass religiösen und sozialethischen Fragen wach­sende Bedeutung zukommt, soll der Friede im Land und darüber hinaus gesichert sein. Religiöse und ethische Verbuntung verlangen nach einer anspruchsvollen reli­giösen und sozialethischen Bildung. Es wird immer wichtiger, die Anderen in ihrer welt­anschaulichen und ethischen Option kennen und wertschätzen zu lernen, Respekt zu haben, die Unterschiede wahrzunehmen und in einem friedlichen Dialog und einer da­rauf gestützten Praxis für das Gemeinwohl der Nation, Europas und der Welt zu arbei­ten.

Aber auch eine weitere Entwicklung unserer Demokratie verlangt nach einer Bildung sowohl in weltanschaulicher wie auch, damit häufig verbunden, in sozialethischer Hinsicht. Es kann einer demokratischen Gesellschaft nicht gleichgültig sein, wenn es, laut unseren Daten, unter den Jüngeren immer mehr sind, welche die lästig werdende Last der Freiheit wieder loswerden wollen. Bei ihnen wächst nachweislich jene Unter­werfungsbereitschaft, die Theodor Adorno zu den Ermöglichern des Totalitarismus ge­zählt hat. Der Anteil der Autoritären unter den Jungen ist seit Mitte der 90er-Jahre von 31 Prozent auf 53 Prozent gestiegen.

Ebenso kann es der modernen Gesellschaft nicht egal sein, ob die Bürgerinnen und Bürger in Fragen der Solidarität und Gerechtigkeit sensibel sind – dies vor allem dann, wenn einem klar ist, dass soziale Konflikte, Krieg und Terror zumeist einem Gemenge von religiös-kulturellen Kränkungen und sozialen Ungerechtigkeiten entspringen. Wo anders aber ressortieren die großen Themen von Freiheit und Solidarität, wenn nicht im weltanschaulich-ethischen Feld?

Eine moderne Schule, welche die nachwachsende Generation zukunftsfit machen soll, betreibt Bildung sowohl in religiösen als auch in ethischen Fragen. Eine solche Bildung wünschen sich heute längst nicht mehr nur die Kirchen von den Schulen. – Es ist das eine Erinnerung an Zeiten, in denen die Kirchen ein weltanschauliches Monopol besaßen. Nein, Bildung in religiösen und ethischen Fragen gründet letztlich in der All­gemeinen Erklärung der Menschenrechte.

In Artikel 26 heißt es:

„Die Bildung muss auf die volle Entfaltung der menschlichen Persönlichkeit und auf die Stärkung der Achtung vor den Menschenrechten und Grundfreiheiten gerichtet sein. Sie muss zu Verständnis, Toleranz und Freundschaft zwischen allen Nationen und al­len rassischen oder religiösen Gruppen beitragen und der Tätigkeit der Vereinten Na­tionen für die Wahrung des Friedens förderlich sein.“

Schulische Bildung in einer pluralistischen Kultur ist daher stets zur Bildung über reli­giöse und sozialethische Fragen als einem Moment am Zusammenleben der Völker verpflichtet. Selbst der vermeintlich säkulare Staat ist daher im eigenen Interesse, im friedenspolitischen Interesse verantwortlich für die Bildung über religiöse und ethische Fragen. Er kann diese Verantwortung nicht an Kirchen und Religionsgemeinschaften delegieren.

Im Konkreten würde das bedeuten:

Die Schülerinnen und Schüler sollen die verschiedenen Weltanschauungen konkret ler­nen: das Christentum in seinen historisch gewachsenen Variationen, die asiatischen Religionen, die spirituelle Dynamik in säkularer Kultur, die atheisierende und die aus­gereifte atheistische Position gleichermaßen.

Aufgezeigt werden soll zweitens, wie diese die Welt und das Leben deuten und welche ethischen Implikationen ihre Lebensanschauung und Weltanschauung hat.

Drittens: Die Lernenden sollen dadurch in die Lage versetzt werden, in Freiheit ihre ei­gene weltanschauliche und ethische Position zu überprüfen und zu klären. Wenn man das nicht tut, besteht die Gefahr, dass die Menschen in fundamentalistische Leiden­schaften abgleiten. Dies ist angesichts einer enormen Komplexität des eigenen Lebens und der kulturellen Herausforderungen etwa im ökologischen, wissenschaftlichen, so­zialen und politischen Bereich unumgänglich.

Ein wichtiger Aspekt wird zudem die ständige Spannung zwischen dem ethischen Ideal und der jeweils erreichbaren ethischen Praxis sein.

Eine weltanschaulich/religiös und ethisch pluralistische Gesellschaft kann nur dann friedlich bleiben, wenn es in der Bevölkerung ein höheres Maß an Pluralitätstoleranz gibt, als dies derzeit der Fall ist. Unverzichtbar gehören auch das Einüben von Dialog, Toleranz und Respekt für die Anderen, friedfertige Kooperation im Sinn gemeinsamer Projekte dazu.

Bei der Erfüllung dieser Bildungsaufgabe kann der Staat mit den Kirchen und Reli­gionsgemeinschaften kooperieren und ihnen unter bestimmten klaren, erkennbaren Kriterien Bildung in religiösen und ethischen Belangen zusätzlich zu ihrem eigenen In­teresse, nämlich religiöse und ethische Bildung direkt zu machen, durch einen Reli­gionsunterricht anvertrauen, welcher unabtrennbar ethische Implikationen haben wird.

Sobald sich aber Eltern beziehungsweise Bürgerinnen und Bürger ab dem religions­mündigen Alter entscheiden, diese von den Kirchen verantwortete Arbeit abzuwählen, steht nach wie vor der Staat in der Pflicht, Bildung über religiöse und ethische Fragen eben für alle anzubieten.

Das Ziel meiner sehr knappen Intervention war, aufzuzeigen, dass sich die Schule in einer modernen Bildungsgesellschaft um die schulische Bildung in religiösen und indi­vidual- wie sozialethischen Belangen nicht herumdrücken kann, will sie ihren in den Menschenrechten verankerten Bildungsauftrag nicht verraten. Eine Schulpolitik, die diesen unerlässlichen Auftrag kompetent erfüllt, leistet einen wichtigen Beitrag zu einer friedvollen Zukunft des Landes. Religiöse und ethische Vielfalt bedroht dann nicht mehr, sie wird nicht zum Herd subtiler Konflikte und kann nicht zur Rechtfertigung reli­giös motivierter Gewalt werden.

Dass in einer solchen Entwicklung auch die christlichen Kirchen gefordert werden, deutlich zwischen kircheneigener religiös-ethischer Bildung und schulischer Bildung in religiös-ethischen Fragen zu unterscheiden, sei zur Sicherheit nur vermerkt. – Ich dan­ke Ihnen. (Beifall.)

13.57

13.56.48III. Panel

 


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Wir kommen damit zur ersten Dis­kussionsrunde über die Impulsreferate. Redezeit ebenfalls 10 Minuten.

Als Erster zu Wort gelangt Herr Professor Dr. Auer. – Bitte.

 


13.57.28

Prof. MMMag. DDr. Karl Heinz Auer (Pädagogische Hochschule Tirol)|: Verehrte Prä­sidentin! Verehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Sehr ge­ehrte Mitglieder des Hohen Hauses! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Re­ligionsgemeinschaften und der Behörden und Institutionen! Das Thema „Werterziehung durch Religions- und Ethikunterricht in einer offenen, pluralistischen Gesellschaft“ steht, wie wir heute schon gehört haben, im Kontext eines gesellschafts- und bildungs­politischen Diskurses und ist schon von daher geeignet, hier im Parlament behandelt zu werden.

Der Wandel der Gesellschaft impliziert auch einen Wandel von Normen und Werten. Entwicklungen werden von den einen begrüßt, von den anderen bekämpft, von man­chen als Glück und von manchen als Krise empfunden. Was bedeutet das für die Wer­te-Erziehung in der Schule? Welche Werte sollen in einer pluralistischen Gesellschaft vermittelt werden? Welche Rolle kommt dem konfessionellen Religionsunterricht zu, welche einem Ethikunterricht de lege ferenda?

Über alle weltanschaulichen unterschiedlichen Wege gibt es einen verbindlichen Maß­stab, und der liegt in der österreichischen Bundesverfassung, insbesondere in Arti­kel 14 Abs. 5a B-VG. Die Ziele der Verfassung und die staatlichen Erziehungsziele korrelieren miteinander, und der Verfassungsgesetzgeber hat klare Worte gefunden: Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit, Offenheit und Toleranz sind die Grundwerte, die er für die Schule normiert.

Durch die Orientierung an sozialen, religiösen und moralischen Werten sollen Kinder und Jugendliche zu Menschen werden, die befähigt sind, Verantwortung zu überneh­men: für sich selbst, ihre Mitmenschen, die Umwelt und auch für die nachfolgenden Generationen. Zu selbständigem Urteil und sozialem Verständnis sollen sie geführt werden, gegenüber dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen sein sowie befähigt, am Kultur- und Wirtschaftsleben Österreichs, Eu­ropas und der Welt teilzunehmen und in Freiheits- und Friedensliebe an den gemeinsa­men Aufgaben der Menschen mitzuwirken.

Ein kritischer Blick in die gegenwärtige Situation macht schnell die große gesellschafts­politische Relevanz deutlich, die in der praktischen Umsetzung dieser Erziehungsziele steckt. Der Staat hat dafür Sorge zu tragen, die Umsetzung dieser Ziele zu ermögli­chen. Dem Religionsunterricht kommt dabei von jeher – historisch bedingt – eine wich­tige Rolle zu.

Die weltanschauliche Neutralität und Säkularität des Staates schließt die Kooperation mit Kirchen und Religionsgesellschaften keinesfalls aus. Im Gegenteil: Durch den Um­stand, dass die meisten Menschen in Österreich zugleich auch Mitglieder einer Reli­gion beziehungsweise Konfession sind, ergibt sich die Notwendigkeit einer Kooperation bei Wahrung der jeweiligen Autonomie. Die Kultur der Anerkennung ist zudem ein Qualitätsmerkmal freiheitlich-westlicher Demokratien, die die Grundrechte der Glau­bens-, Gewissens- und Bekenntnisfreiheit ernst nehmen.

Österreich, meine Damen und Herren, geht mit gutem Beispiel voran. Das Religionsun­terrichtsgesetz, das für alle anerkannten Kirchen und Religionsgesellschaften Geltung hat, das Islamgesetz oder das Schulkonkordat sind Beispiele dafür. Die Europäische Menschenrechtskonvention, die in Österreich Verfassungsrang genießt und daher zu dem Bereich gehört, dem über alle weltanschaulichen Grenzen hinweg Anerkennung geschuldet wird, normiert in Artikel 2 des ersten Zusatzprotokolls – ich zitiere –:

„Das Recht auf Bildung darf niemandem verwehrt werden. Der Staat hat bei Ausübung der von ihm auf dem Gebiete der Erziehung und des Unterrichts übernommenen Auf­gaben das Recht der Eltern zu achten, die Erziehung und den Unterricht entsprechend ihren eigenen religiösen und weltanschaulichen Überzeugungen sicherzustellen.“ – Das ist eindeutig.

Der Blick auf die demographische Entwicklung macht die Verschiebungen deutlich, die sich im Lauf der Zeit in Österreich ergeben haben. Bei der Volkszählung im Jah­re 1951 waren bei einer Bevölkerungszahl von knapp 7 Millionen 95,7 Prozent Chris­ten, 3,8 Prozent waren ohne religiöses Bekenntnis, Muslime wurden damals unter „Sonstige“ subsumiert.

Beim letzten Zensus im Jahr 2001 – wie Sie wissen, liegen neuere offizielle Zahlen nicht vor – lag bei einer Bevölkerungszahl von gut 8 Millionen der Anteil der Christen bei 78,5 Prozent, 12 Prozent gaben an, ohne religiöses Bekenntnis zu sein, der Anteil der Muslime lag bei 4,2 Prozent, und „Sonstige“ kamen auf einen Prozentsatz von 3,18. Sie dürfen davon ausgehen, dass sich diese Zahlen zwischenzeitlich wieder verschoben haben.

Bei den genannten Gruppen können weitere Differenzierungen vorgenommen werden. So zählen beispielsweise zu den Menschen, die als konfessionslos geführt werden, nicht nur sogenannte Ungläubige, sondern viele, die sich aus diversen Gründen von einer konkreten Religionsgemeinschaft zwar distanzieren, aber ihren Glauben behal­ten haben. Viele von ihnen melden ihre Kinder trotz Austritt beziehungsweise Distanz zu einem konfessionellen Religionsunterricht an.

Auf alle Fälle spiegeln sich in den angeführten Zahlen Säkularisierung und Pluralität. Ausdruck findet diese Pluralität in der Vielfalt der Religionsunterrichte, die ein vorbildli­ches Religionsrecht in Österreich ebenso ermöglicht wie die damit verbundene Förde­rung der Integration, besonders für die Minderheiten.

Der Staat hat die verfassungsrechtlich vorgegebenen Erziehungsziele mit ihrer Priorität der Werteerziehung bei allen Schülerinnen und Schülern sicherzustellen, auch bei je­nen, die den Religionsunterricht nicht besuchen – und darin liegt die eigentliche Be­gründung für den Ethikunterricht.

30 Jahre, nachdem in Deutschland Ethikunterricht für diese Zielgruppe eingeführt wur­de, gab es auch entsprechende Schritte in Österreich mit einem deutlichen West-Ost-Gefälle. So begannen vor 14 Jahren sechs Schulen in Tirol und Vorarlberg und zwei Schulen in Wien mit dem Schulversuch Ethik. Heute sind es rund 200 Schulen, fast ausschließlich der Sekundarstufe II, an denen der Schulversuch Ethik geführt wird – aber nicht, wie wir heute auch schon gehört haben, als Ersatz für den Religions­unterricht und schon gar nicht als Umgehung des Grundrechts der Glaubensfreiheit, die sich in der Abmeldemöglichkeit vom konfessionellen Religionsunterricht manifes­tiert, sondern als Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler, die am Reli­gionsunterricht aus welchen Gründen auch immer nicht teilnehmen.

Damit wird dem verfassungsrechtlichen Bildungs- und Erziehungsauftrag nach Arti­kel 14 Abs. 5a B-VG entsprochen. Andere Varianten sind in der Rechtsordnung de le­ge lata nicht möglich. Ein vom Schulversuch nicht umfasster verpflichtender Ethikun­terricht für alle würde, bedingt durch die Themengleichheit einerseits und die Abmelde­möglichkeit vom Religions-, nicht aber vom Ethikunterricht andererseits, zu einer emp­findlichen Schwächung des Religionsunterrichts und seiner Integrationskraft führen, vor allem wiederum bei Minderheiten.

Ein kurzer Blick in die Erfahrungen. – Bevor die Schulversuche begannen, haben wir am damaligen Pädagogischen Institut des Landes Tirol fachkundige Teams zusam­mengestellt, die die deutschen Bundesländer bereist und deren Erfahrungen mit dem Ethikunterricht studiert und in die Versuchslehrpläne eingebracht haben.

Die Curricula für die vierjährigen Lehrgänge in der Aus- beziehungsweise Fort- und Weiterbildung der Ethiklehrerinnen und -lehrer orientierten sich in Quantität und Quali­tät am universitären Lehramtsstudium. In den Jahren, in denen ich als wissenschaft­licher Leiter dieser Lehrgänge für Tirol und Vorarlberg tätig war, konnten diese Lehr­gänge von 100 Absolventinnen und Absolventen erfolgreich abgeschlossen werden.

Hervorheben möchte ich das Bemühen um gegenseitigen Respekt und Anerkennung. Beide, Religions- und Ethikunterricht, sind den Zielen der Schule verpflichtet. Beide wollen Werte und Orientierungswissen vermitteln – und zu einem Handlungswissen führen. Beide stellen den Menschen in den Mittelpunkt, verstehen sich auch als Kor­rektiv inhumaner Strukturen, wollen den jungen Menschen begleiten. Viele Themen fin­den sich sowohl im Ethik- als auch im Religionsunterricht.

Worin liegt dann der Unterschied? – Während sich der Ethikunterricht prinzipiell welt­immanent versteht, wie Professor Liessmann angedeutet hat, und auf der Basis von Vernunft, Kultur und Geistesgeschichte ethische Fragestellungen in einer Äquidistanz zu religiösen Bekenntnissen und Weltanschauungen behandelt, spricht der Religions­unterricht auch Fragen der Transzendenz an. Er hat im Hinblick auf die eigene Kon­fession eine Innenperspektive und berücksichtigt neben Vernunft, Kultur und Geistes­geschichte auch die Offenbarung. Darin liegt auch sein religiöser Anspruch, der dem Ethikunterricht fremd ist, ja fremd sein muss.

Formal liegt der wesentliche Unterschied darin, dass der Unternehmer des Religions­unterrichts die jeweilige anerkannte Kirche oder Religionsgesellschaft ist, der des Ethikunterrichts aber der Staat.

Nach 14 Jahren des erfolgreichen Schulversuchs ist es an der Zeit, den Ethikunter­richt im Sinne der Erprobung in das Regelschulwesen zu überführen. – Ich bedanke mich. (Beifall.)

14.07


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Vielen Dank. – Ich darf nun Herrn Mag. Kühnl um seinen Diskussionsbeitrag bitten.

 


14.08.00

Mag. Martin Kühnl (Universität Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsidentin! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Minister! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! Es wäre vermessen, angesichts der Qualität der Impulsreferate auf vergleichbarem Reflexions­niveau in Kürze Wesentliches ergänzen zu wollen, daher aus der praxisorientierten Sicht eines Ethiklehrer-Ausbilders einige Gedanken zu zentralen Punkten.

Ethik als Orientierungsangebot in zentralen Lebens- und Gesellschaftsfragen für jun­ge Menschen steht nur scheinbar im Widerspruch zum Religionsunterricht. Die wahre Antithese zum Ethikunterricht sind ein Konsumismus und eine Haltung des Achselzu­ckens in Wertfragen.

An den Schulen – so wie ich es erlebe und von meinen Kolleginnen und Kollegen rück­gemeldet bekomme – besteht ein liebevoller Streit im Versuch, von verschiedenen Standpunkten aus jungen Menschen Sinnfindung und Orientierung zu geben.

Besonders wichtig für diesen Gegenstand scheint mir die Auswahl der Lehrkräfte zu sein; nicht so sehr im Gegensatz zu Religionspädagogen – sollen die jetzt Ethik unter­richten dürfen oder nicht? –, sondern im Sinn eines professionellen Selbstverständ­nisses und eines pädagogischen Habitus, der, wie Professor Konrad Krainer einmal er­wähnt hat, gerade im Ethikbereich besonders wichtig ist. Insofern scheint mir der Ein­satz erfahrener Pädagoginnen und Pädagogen von zentraler Bedeutung zu sein. Weisheit in Lebensfragen lässt sich schlecht mit Anfang 20 lernen.

In der Rückmeldung von Ethiklehrerinnen und -lehrern stellen sie nur einen einzigen Aspekt als problematisch dar im praktischen Arbeiten an den Schulen, nämlich den Kampf um Werteinheiten und die Frage, wie der Ethikunterricht finanziert werden soll. Es besteht die große Sorge, dass weiterhin ein Konflikt und ein Konkurrenzdenken zwischen Ethik- und Religionsunterricht bestehen bleiben könnte. Das wird von den Ethiklehrern vor allem angemerkt, dass dies hoffentlich bald der Vergangenheit ange­hört.

Ich sehe weiters einen Bedarf an Entwicklung in curricularen Fragen, aber wenn man sich die Lehrpläne der Schulversuche ansieht, dann sind wir, so denke ich, auf einem guten Weg. – Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.10


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Danke. – Ich darf nun Herrn Dr. Greussing um seine Stellungnahme ersuchen. – Bitte.

 


14.10.37

Dr. Kurt Greussing (Sozialwissenschaftler; Vorarlberg)|: Sehr geehrte Frau Präsiden­tin! Meine Damen und Herren und politisch Verantwortlichen – nicht nur diejenigen in Ämtern, sondern auch jene ohne! Ich möchte mich den hier bereits geäußerten Vor­stellungen eines Ethikunterrichts, der nicht als Ersatz für Religionsunterricht dient, in einer ganz spezifischen Weise anschließen.

Es ist schon mehrmals betont worden, dass es in einer offenen Gesellschaft keine zen­tralen Sinnreservoirs gibt, aus denen wir uns umstandslos bedienen können. Solche Sinnreservoirs gab es noch im 19. Jahrhundert bis zur Mitte des 20. Jahrhunderts in Form der vom politischen Katholizismus formulierten Ordnungsvorstellungen. Es gibt derartige Sinnreservoirs heute noch im Islam durch die von den Gelehrten formulierte Orthodoxie, in der ebenfalls religiöse Ordnungsvorstellungen durch Gesetze formuliert werden. Und wir haben säkulare Weltanschauungen gehabt und haben sie zum Teil immer noch, die unter funktionalen Gesichtspunkten auch diese Aufgabe erfüllen. Der inzwischen doch weitgehend verblichene Marxismus-Leninismus hat diese Aufgabe gehabt, ein zentrales gesellschaftliches Sinn- und Wertereservoir darzustellen. Dassel­be tun auch die politischen Nationalismen verschiedener Prägung.

Wenn wir also über offene Gesellschaften reden, dann haben wir immer mit Gesell­schaften zu tun, die die verbindlichen Werte, mit denen sie auf irgendeine Form, auf irgendeine Weise zusammengehalten werden, eben nicht aus einem allgemein ver­bindlichen Sinnsysteme beziehen können, sondern wir müssen diese Werte – auch das ist hier betont worden – immer wieder neu finden und neu ausverhandeln. Es gibt für die meisten von uns keine zentralen „Depots“ mehr, aus denen wir uns diesbezüg­lich beliefern lassen können. Aber auch wenn wir Werte selbst finden müssen – das muss schon dazugesagt werden –, gibt es doch noch immer bestehende religiöse und säkulare Weltanschauungen, die diesen Wertetransfer ermöglichen.

In einer multiethnisch, multikulturell, vor allem aber auch multireligiös verfassten Ge­sellschaft müssen wir dieses Ausverhandeln erst recht dann üben, wenn die Lebens­stile der beteiligten Menschen ganz unterschiedlich sind, wenn es angesichts der Viel­falt der individuellen Vorstellungen davon, was gerecht ist, was sittlich angemessen ist – in der Kleidung, im Geschlechterverhältnis, im Verhältnis der Kinder zu ihren El­tern –, was strafwürdig und was belohnenswert ist, welche Freiheiten und Beschrän­kungen es für einen selbst, aber vor allem natürlich für die anderen geben soll, eine erhebliche Wertevielfalt, Wertekonkurrenz und erst Wertekonflikte gibt. Dann braucht es eben auch Verfahren, durch die wir uns auf Grundwerte einigen können und darauf, was wir gemeinsam in einer Gesellschaft wollen.

Dieses Ausverhandeln eines minimalen, aber grundlegenden Satzes von Werten ist nicht einfach. Ich möchte im Folgenden meiner Ausführungen über ein Verfahren re­den, wie das nun im Ethik- beziehungsweise im Religionen- und Weltanschauungsun­terricht in der Schule geschehen kann.

Es geht – das möchte ich auch noch betonen – bei diesem Aushandeln von Werten nicht einfach um die äußerliche Akzeptanz, beispielsweise der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte oder der Prinzipien unserer Verfassung von 1867, die übrigens durch Gesetze im Verfassungsrang bis zur Unkenntlichkeit entstellt und aufgebläht worden ist, sondern wir müssen uns fragen, ob es Verfahren gibt, mit denen diese Werte jeweils neu in der Sozialisation von Menschen auch erarbeitet und auf diese Weise auch verinnerlicht werden können.

Ich glaube und werde im Folgenden einige Argumente ins Treffen führen, dass ein zen­traler Ort für einen solchen Lernprozess auch in pädagogischer Sicht ein Religionen- und Weltanschauungsunterricht auf nicht konfessioneller Grundlage sein könnte, als Pflichtfach, als allgemein verbindliches Pflichtfach in Schulen, nicht als Konkurrenz und schon gar nicht als Ersatz zum Religionsunterricht. Ein solcher Religionen- und Weltanschauungsunterricht könnte für Heranwachsende buchstäblich zu einer Schule dieses gesellschaftlich notwendigen Wertediskurses werden.

Es ist ja bekannt, dass wir in keiner ideologiefreien Gesellschaft leben. Diese Illusion, die noch in den Jahren 1989/90 lautstark genährt worden ist, hat sich selbst als Ideo­logie erwiesen. Stattdessen erleben wir zum Teil erbitterte Auseinandersetzungen ent­lang meist sehr grob gezogener Trennlinien zwischen Weltanschauungen. Es sind das religiöse Trennlinien, etwa Christentum versus Islam, es sind kulturalistische Trenn­linien wie etwa Abendland gegen Orient oder den Osten, und es sind in einem gewis­sen Sinn politische Trennlinien wie Aufklärung gegen Despotie.

Dieser Trennliniendiskurs wird übrigens auch von jener Seite geführt, die sonst übli­cherweise ins Lager der Gegenaufklärung gestellt wird und der die Zugehörigkeit zum Abendland abgesprochen wird, denn nicht weniger holzschnittartig und hartkantig wer­den auch dort eigene religiöse und kulturelle Werte gegen den angeblichen Materialis­mus des Westens oder den vermeintlich zügellosen Sexismus dieses Systems in Stel­lung gebracht. Die sogenannte Islamophobie hat also einen zweieiigen siamesischen Zwilling, die sogenannte Okzidentophobie.

Ein Religionen- und Weltanschauungsunterricht müsste aus solchen Gegensatzkons­truktionen, die sich ja schon längst in unserem Alltag verfestigt haben, herausführen. Dazu wäre es notwendig, dass ein Blick auf Religionen in diesem Unterricht praktiziert wird, den die moderne Religionswissenschaft und vor allem die Religionssoziologie – dazu Namen wie Émile Durkheim oder Max Weber – entwickelt haben. Um diesen Blick zu entwickeln, bedarf es eines Zugangs zu den Religionen von außen, also einer funktionalen Betrachtung, die die Glaubensvoraussetzungen, das heißt die geoffenbar­ten Wahrheiten der einzelnen Religionen und Weltanschauungen, gerade nicht berührt.

Es geht bei solch einem religionssoziologischen Blick auf Religionen eben nicht um Glaubenswahrheiten im Sinn der Annahme oder der Ablehnung göttlicher Offenbarung, sondern es geht schlicht um die gesellschaftlichen Funktionen von Religion, um die Frage, welche Auswirkungen jeweils bestimmte Glaubensvorstellungen auf die Formu­lierung von Wertesystemen und damit auf das Zusammenleben der Menschen und so­mit auf die Organisation der Gesellschaft haben.

Diese Frage nach der Funktion von Religionen kann man sehr gut von der Frage der Wahrheit der Religionen lösen. In diesem Sinne ist auch für einen nichtreligiösen Menschen wie mich ein, wie ich glaube, sinnvolles, ernsthaftes und respektvolles Ge­spräch über Religionen und mit religiösen Menschen möglich. Um wissenschaftlich über Religion zu reden muss man nicht religiös sein – genauso wenig wie man krimi­nell sein muss, wenn man Kriminalsoziologie betreiben will.

Das setzt dann aber im Weiteren voraus, dass ein Unterricht mit einem derartigen Blick auf Religionen und Weltanschauungen die ganze empirisch vorfindbare Breite dieser Religionen und Weltanschauungen mit einbezieht, auch ihren Wandel. Ein konfes­sionell gebundener Unterricht, auch innerhalb der einzelnen großen Weltreligionen, wird immer dazu tendieren, innerhalb dieser Weltreligionen die eigene Konfession – sei sie katholisch oder kirchenprotestantisch, sei sie bei Muslimen schiitisch oder sun­nitisch, so wie sich die Religionsgelehrten der Rechtsschulen das vorstellen – in den Mittelpunkt zu rücken.

Da fragt man sich: Wo bleiben denn bei solch einem Herangehen die anderen Denomi­nationen? Wo bleibt die Vielfalt gerade volksreligiöser Bekenntnisse? Wo bleiben die kritischen, unorthodoxen Aufbrüche in den Religionen? Wo bleiben auch die ortho­doxen Verengungen im Zeichen der Rechtsgläubigkeit? Wo zum Beispiel lernt das Kind im islamischen Religionsunterricht etwas von der Vielfalt christlicher und isla­mischer Bekenntnisse? Wo lernt das Kind, der Schüler/die Schülerin im katholischen Religionsunterricht etwas von der Vielfalt islamischer und auch christlicher Bekennt­nisse oder wird gar auf diese Vielfalt und Unordnung des Religiösen neugierig gemacht?

Ich fürchte, Theologen – gleich, welcher Konfession – sind Ordnungsspezialisten. Wir brauchen aber ein Fach für das Unordentliche von Religionen und Weltanschauun­gen. (Beifall.)

14.20


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Ich darf nun Frau Mag. Neu­berger-Schmidt um ihren Beitrag ersuchen.

 


14.20.38

Mag. Maria Neuberger-Schmidt („Elternwerkstatt“; Wien)|: Ich bedanke mich herzlich für die Einladung, die vonseiten des BZÖ kam, und ich spreche im Namen der „Eltern­werkstatt“, deren Obfrau ich bin – da geht es um Elternbildung und auch um Elternfüh­rerschein.

Wie kam ich zum Thema Ethik? – Mein damals 15-jähriger Sohn kam eines Tages nach Hause und sagte: Mama, ich habe mich von Religion abgemeldet! Ich fragte: Wie bitte?! Und da fragst du mich gar nicht?! Er sagte: Nein, das muss ich nicht! Ich ging dann zum Direktor, dieser bestätigte mir das und sagte, das sei die Entscheidung mei­nes Sohnes, ich müsse nicht gefragt werden. Und auf meine Frage: Was gibt es denn stattdessen? Haben Sie alternativ einen Ethikunterricht anzubieten?, sagte der Direk­tor: Nein! – Ach so, das Kind wählt jetzt zwischen Religionsunterricht und Freistun­de? – Ja.

Das hat in mir einiges ausgelöst – das war vor zirka 15 Jahren –, und seither be­schäftigt mich dieses Thema ganz persönlich und auch in der Arbeit mit den Eltern, die unsere Beratungen und Seminare besuchen.

Ein anderes persönliches Beispiel: Ich habe eine Freundin aus dem Iran, sie ist Musli­min und hat zu mir gesagt: Weißt du was, meine Söhne gehen in den evangelischen Religionsunterricht?! – Ach so? Warum nicht in den muslimischen? – Nein, ich habe Angst, das könnte zu fundamentalistisch sein. Ich finde, dass dieser Religionsunterricht sehr weltoffen ist, und ich und meine Söhne sind damit sehr zufrieden!

Ich habe auch sehr viel Positives von vielerlei Seiten eben vom katholischen Religions­unterricht gehört. Ich kenne auch einen Vater, der seine Töchter dorthin geschickt hat, obwohl er sagt, er selbst ist atheistisch orientiert, aber ihm ist es wichtig, dass seine Töchter eine christliche Bildung haben, damit sie eine Werteerziehung bekommen und damit sie auch mit der Kultur, in der sie leben, mit den Wurzeln des Christentums ver­traut werden.

Zum Ethikunterricht: Ich habe jetzt große Übereinstimmung pro Ethikunterricht ge­hört, dieser möchte ich mich anschließen. Die Frage ist nun: Soll es einen allgemein verpflichtenden Ethikunterricht geben und Religion nur als Privatsache in der Freizeit, oder aber sind wir für einen Ethikunterricht wahlweise zu einem konfessionell gebunde­nen Unterricht?

Meine persönliche Meinung, nachdem ich länger darüber nachgedacht habe – es gibt viele Pro und Kontras; wir haben sie schon gehört –: Ich plädiere dafür, den Ethikunter­richt wahlweise zum Religionsunterricht einzuführen. Wir haben sehr viele positive Rückmeldungen über die verschiedenen Religionsunterrichte gehört. Eine gewisse Konkurrenz Religion versus Ethik würde sich in allen Elternhäusern auftun, wenn die Eltern und die Kinder vor der Entscheidung stehen. Und ich glaube, dass auch ein Re­ligionsunterricht, wie er heute stattfindet, sehr weltoffen und pluralistisch ist und sich vornehmlich an die humanistischen Ideale wendet.

Wo hat denn Ethik ihre Wurzeln? – Ich bin der Meinung, ganz allgemein menschlich hat Ethik im eigenen Gewissen seine Wurzeln. Ob ich jetzt an einen Gott glaube und an welchen ich glaube oder ob ich mich zu keinem Glauben an einen Gott oder an etwas Übernatürliches durchringen kann, dafür entscheiden kann: Jeder Mensch hat ein Gewissen, und daraus resultieren die ethischen Grundlagen.

Eine Initiative, die heute noch nicht erwähnt wurde und der ich persönlich auch mit gro­ßem Respekt angehöre, ist die Initiative Weltethos. Es geht dabei um das Verbinden­de zwischen den Religionen, um den gemeinsamen Nenner, darum, diesen zu suchen, damit sich die Menschen eben einander annähern können – zunächst über das Ver­bindende – und das Trennende vielleicht in den Hintergrund rücken und bezüglich des Trennenden dann auch bessere Brücken und Lösungen finden können.

Worum geht es im Ethikunterricht? – Es gehört sehr sorgfältig ausgewählt: die Inhal­te, die Lehrenden, welche Qualifikationen sie mitbringen müssen, was den Kindern bei­gebracht wird – sei es im Religionsunterricht, sei es im Ethikunterricht, da gibt es etwas ganz Zentrales.

Ich habe vor vielen Jahren einmal folgende Aussage von Herrn Professor Marian Heit­ger im Radio gehört: Wir müssen den jungen Menschen das Werten lehren!

Auf der einen Seite sollen die jungen Menschen Wissen und Kenntnisse über verschie­dene Wertehaltungen und Religionen in der Gesellschaft erhalten, auf der anderen Seite aber auch Prozesse lernen, mit denen sie sich zu Entscheidungen durchringen. Das kann etwas ganz Banales sein: Warum schmeiße ich mein Papierl auf den Boden, oder gebe ich es stattdessen in den Mistkübel? – Das praktische Reflektieren darüber, warum handle ich wie.

Mir ist es daher ganz wichtig, dass in der Diskussion, die heute stattfindet, und auch in der Folge Ethik und Religion nicht gegeneinander ausgespielt werden, sondern dass wir die jeweiligen Qualitäten besser erkennen.

Es wurde auch die Frage gestellt: Können wir den Ethikunterricht nicht in andere Fächer auslagern?; sei es Geschichte, Literatur et cetera, es kommt ja überall Ethik vor. – Es stimmt, dass in allen Fächern Ethik vorkommt. Es kommt in jeder meiner Handlungen Ethik vor, in jedem Wort, das ich spreche – das gilt für uns alle. Und es ist auch wichtig, dass solche Werte auch in andere Lebensbereiche einfließen und wir wissen, woher sie und das Wissen, das wir über sie vermitteln, gespeist werden.

Es macht aber doch einen Unterschied, ob es einen Ethikunterricht gibt oder nicht, denn in diesem Ethikunterricht wird meiner Meinung nach darüber reflektiert, warum ich wie denke, warum ich mich wie entscheide, warum ich wie mit anderen Menschen, mit anderen Kulturen, anderen Überzeugungen umgehe. Es ist daher für eine mündige demokratische Gesellschaft ganz, ganz wichtig, dass wir solch einen Ethikunterricht haben, wo das Reflektieren – das ganz persönliche Reflektieren – gelehrt wird.

Jetzt gibt es aber noch etwas: Auch ein Ethikunterricht ist etwas Theoretisches. Mir ist es sehr, sehr wichtig, dass in der Schule dieser theoretisch reflektierende Ethikunter­richt in das praktische Leben der Schule sowie Schülerinnen und Schüler überfließt.

Es wird auch sehr oft von der PISA-Studie geredet und darüber, dass die Leistungen vieler Schüler nicht entsprächen. Woran liegt das denn? Ist denn unser Schulsystem so schlecht? – Darüber kann man streiten. Meiner Meinung nach hängt es aber nicht nur davon ab, wie gut die Qualität des Unterrichts ist – die gehört permanent verbes­sert –, sondern vor allem davon, wie aufnahmebereit unsere Schüler sind, wie leis­tungsfähig sie sind, davon, ob ein Kind das Wissen, das ihm angeboten wird, über­haupt integrieren, aufnehmen kann, ob es das überhaupt möchte.

Wovon hängt denn diese Bereitschaft ab? – Diese Bereitschaft hängt meiner Meinung nach ab vom Selbstwertgefühl des Kindes, vom Verantwortungsgefühl, das sich ent­wickelt, und von seiner sozialen Kompetenz.

Ein afrikanisches Sprichwort sagt: Um ein Kind zu erziehen, brauchen wir ein ganzes Dorf! – Nun gibt es diese Dörfer nicht mehr, in denen Kinder erzogen werden. Wir le­ben in Einkindfamilien, in sehr isolierten Familien. Kinder haben zu Hause oft keine Gelegenheit, mit Geschwistern zu streiten, weil es diese nicht gibt, und die Isolation ist für viele Eltern und Kinder ein großes Problem geworden, insbesondere in einer Welt, in der die virtuelle Welt im Leben unserer Kinder zunehmend mehr Platz einnimmt. Sie sind dadurch gefährdet, sie sind von der geistigen „Umweltverschmutzung“, die überall auf sie einströmt, gefährdet.

Die Psychologen haben sehr viele Seiten darüber geschrieben, wie viele negative Aus­wirkungen die moderne Umwelt auf Kinderseelen hat. Jetzt sehe ich eine große Chance darin, dass Schule gegensteuern kann. Und wie kann sie gegensteuern? – In­dem diese Ethik auch in einer lebendigen Schule, in einer lebendigen Klassengemein­schaft gelebt wird.

Wir brauchen also den Ethik- oder Religionsunterricht, eine Klassengemeinschaft mit professionell ausgebildeten Lehrern, die Gruppenprozesse steuern können, Kon­fliktmanagement – dann würde weniger Mobbing zustande kommen.

Wir müssen auch das Thema Verantwortung ganz praxisorientiert in die Schule ein­bringen, den Kindern von klein auf Verantwortung übertragen, nicht nur das Wissen ver­mitteln, und die Schule als Tor zur Welt mit geeigneten Projekten sehen. – Danke. (Bei­fall.)

14.32


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Damit ist die erste Diskussionsrun­de abgeschlossen.

14.32.06IV. Allgemeine Diskussion

 


Vorsitzende Präsidentin Mag. Barbara Prammer|: Ich leite zur allgemeinen Diskus­sion über und gebe bekannt, dass 30 Wortmeldungen vorliegen. Bei großer Zeitdiszi­plin, also der Einhaltung von 3 Minuten Redezeit, werden wir nicht dazu übergehen müssen, eine Zeitkürzung durchzuführen. Ich darf aber alle Rednerinnen und Redner bitten, sich daran zu halten.

Als Erster gelangt Herr Dr. Braunstein zu Wort. – Bitte.

 


14.32.42

HR Dr. Dieter Braunstein (Direktor des GRG 23, Wien)|: Sehr geehrte Frau Präsi­dentin! Verehrte Frau Bundesministerin! Herr Bundesminister! Meine Damen und Her­ren! Ich nütze die Gelegenheit, als Praktiker zu Ihnen zu sprechen, als einer der stol­zen Direktoren, die bereits vor 14 Jahren mit dem Schulversuch Ethik hier in Wien begonnen haben. Meine Schule, das GRG 23, Anton-Baumgartner-Straße, hat mit dem ORG 1, Hegelgasse, 1997/1998 mit einem Schulversuch begonnen, der damals in der Öffentlichkeit noch sehr, sehr negativ betrachtet wurde.

Wir waren also mit großem Misstrauen konfrontiert. Die Vorwürfe reichten – je nach ideologischer Position – von „linker Ideologisierung“ bis hin zu „Demontage des Reli­gionsunterrichtes“ und auch zu dem Vorwurf, das wäre „ohnehin nur ein verkappter Re­ligionsunterricht“. (Präsident Neugebauer übernimmt den Vorsitz.)

Meine Damen und Herren, Sie haben heute gehört, die Evaluierung von Herrn Pro­fessor Bucher – sie betraf natürlich auch unsere beiden Schulen – war äußerst positiv. Wir haben natürlich immer wieder das Feedback der Schülerinnen und Schüler und der Eltern berücksichtigt, und ich kann Ihnen sagen, dieser Schulversuch, der als „alterna­tiver Pflichtgegenstand Ethik“ geführt wird – wir haben den Begriff „Ersatzunterricht“ oder „Ersatzgegenstand“ immer vehement abgelehnt –, erfreut sich größter Beliebtheit. Er wird nicht nur akzeptiert, sondern er wird von den Eltern und von den Schülerinnen und Schülern sogar eingefordert  und das mit gutem Recht.

Ich sehe die heutige Veranstaltung als weiteren Schritt in die richtige Richtung, nämlich zu dem Ziel zu kommen, die flächendeckende Einrichtung des „Pflichtfaches Ethik“ – und nicht anders darf das heißen – österreichweit umzusetzen.

Ich benutze jetzt – ich habe mir das von Herrn Professor Liessmann notiert – eine si­cher dramatische Aussage: Eine „staatspolitische Notwendigkeit“ steht vor uns, nämlich endlich bildungspolitisch verantwortungsbewusst diese Maßnahme umzuset­zen. 14 Jahre Schulversuch sind genug! Ich sage das auch aufgrund der Tatsache, dass die Schulversuchsschulen auch an die Grenzen ihrer Finanzierbarkeit und ihrer Ressourcen gekommen sind.

Sie müssen sich vorstellen, wir müssen jede einzelne Werteinheit durch Einsparungen in anderen Bereichen, in unverbindlichen Übungen, in Freigegenständen, oder durch den Verzicht auf Teilungen bei gesetzlich zustehenden Teilungszahlen Jahr für Jahr umsetzen! Da gibt es Verteilungskämpfe. Einige Schulen haben schon kapituliert.

Derzeit nehmen – das wurde hier schon gesagt – 194 Schulen an diesem Schulver­such teil. Ich wage die Aussage: Wenn hier keine wirkliche Entscheidung fällt, bil­dungspolitisch verantwortungsbewusst, wird die Zahl dieser Schulversuchsschulen ge­ringer werden. Ich denke, dass wir damit eine große Chance verlieren.

Ich verlasse mich jetzt gar nicht auf diese großen theoretischen Konstrukte, sondern ich glaube – jeder von Ihnen kann das nachvollziehen in seiner persönlichen täglichen Praxis –, da sind wir alle gefordert. Da ist der Gesetzgeber gefordert. Es geht da auch um – dieses Wort ist heute noch nicht direkt gefallen – Integration, Auseinanderset­zung mit Werten. Ich verwende nicht den Begriff „Werteerziehung“, denn ich glaube, gerade das ist der Punkt eines säkularen Ethikunterrichtes, die Hinterfragung von Wer­ten und die eigene Position zu diesen Werten zu definieren. – Ich danke für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall.)

14.36


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Professor Kam­pits. – Bitte.

 


14.36.17

Univ.-Prof. Dr. Peter Kampits (ehemaliger Dekan der Fakultät für Philosophie und Bildungswissenschaft, Universität Wien)|: Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Es ist so viel an sehr klugen Gedanken heute bereits geäußert worden, dass ich mich eigentlich in der Rolle eines jener finde, die nur noch ein paar Ergänzungen anbringen möchten – und das möchte ich haupt­sächlich in drei Punkten tun.

Über die Notwendigkeit des Ethikunterrichts als Regelunterricht möchte ich gar kein Wort verlieren, das halte ich für eine Selbstverständlichkeit. Und ich appelliere auch, dass das budgetäre Problem, das damit verbunden ist, die Sache nicht hindern oder letztlich verhindern sollte.

Ich mache die etwas boshafte Bemerkung: Österreich ist wirklich kein armes Land, und es wird Geld für so viele meiner Ansicht nach unnütze Dinge ausgegeben, dass gerade die Notwendigkeit, diesen Ethikunterricht einzurichten, nicht dem Budget zum Opfer fallen sollte.

Eine weitere Ergänzung betrifft die gegenwärtige Situation der Ethik. Es ist vieles – wie gesagt, ich möchte das nicht wiederholen – schon gesagt worden, ich möchte nur noch darauf verweisen, dass durch die Technisierung und die Verwissenschaftlichung unse­rer Lebenswelt ein ungeheurer Bedarf an dem entstanden ist, was wir die angewandte Ethik nennen. Als Beispiel seien die Entwicklungen im Bereich der Medizin, die uns vor neue ethische Herausforderungen und Fragestellungen gestellt haben, genannt.

Ein zweiter Punkt, der mich sehr bedrückt: der Zuwachs – unter den Jugendlichen vor allem – an Aggression, und zwar nicht nur an Aggression, sondern auch an Rohheit und der Bereitschaft zu sinnloser Gewalttätigkeit, der durch einen Ethikunterricht nicht unbedingt gebremst werden wird können, ich meine aber, dass eine bestimmte Rich­tung der Erziehung und eine bestimmte Sensibilisierung da doch einiges bewirken könnten.

Der Gedanke meines Kollegen Liessmann betreffend Entkoppelung von Religionsun­terricht und Ethikunterricht hat etwas Verlockendes an sich, das dürfte aber nie in ein Entweder-oder beziehungsweise in ein Gegeneinander dieser beiden münden.

Der dritte Punkt wäre – auch das wurde schon öfters betont – die Gediegenheit der Ausbildung. Da kann man darauf verweisen, dass nicht nur die Pädagogischen Hoch­schulen, sondern eben auch die Universität Wien – ich glaube, jetzt auch die Univer­sität Graz – in einem viersemestrigen Ausbildungslehrgang, der also Universitätslehr­gangscharakter und ein Volumen von 48 Stunden hat, ausbilden.

Ich bin kein Fan der Bologna-Struktur, darum habe ich mich um die ECTS-Punkte ei­gentlich nie gekümmert, aber die kann man berechnen, wenn man es will.

In einem letzten Punkt darf ich noch darauf verweisen, dass eben Ethik nicht unbedingt Moral, also Moralisieren, Auffahren mit dem „Moral-Caterpillar“ und Erheben des Zei­gefingers bedeutet, sondern uns Anleitung zu einem geglückten Leben geben soll.

Anschließend an Minister Töchterle als letzte Bemerkung: Schwierigkeiten in der Aus­bildung wird es immer geben. Die Ausbildung soll gediegen sein. Schon Aristoteles hat darauf verwiesen, dass die Ethik eigentlich nichts für junge Menschen ist, weil die zu sehr von Leidenschaften erfüllt sind, sondern Ethik ist eher etwas für Betagte. Aber das sollte man nicht unbedingt als Slogan und als Anfang für einen Ethikunterricht neh­men. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

14.39


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Dr. Jahn. – Bitte.

 


14.40.00

Mag. Dr. Michael Jahn (Direktor des BORG Wien I)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Ministerin! Herr Minister! Hohes Haus! Dr. Dieter Braunstein und ich waren vor 14 Jahren, wie schon erwähnt, die Ersten, die in Wien diesen Schulversuch begonnen haben. Wir sind sozusagen als Tandem durch die Landschaft Wiens gezo­gen, um für etwas zu werben, was damals noch lange nicht selbstverständlich war, was aber heute Gott sei Dank in einer sehr, sehr offenen Diskussion in einem Rahmen diskutiert wird, der eine Fortsetzung und vor allem eine Etablierung des Ethikun­terrichts als alternatives Fach, so hoffe ich, zulassen kann.

Mein Part ist: Ich schließe mich den Ausführungen des Kollegen Braunstein vollkom­men an – und möchte Ihnen nun ganz kurz ein Schulmodell vorstellen, wie es in der Praxis wirklich funktioniert.

Der Schlüssel dazu ist, dass wir eine Zeitschiene aufgestellt haben, wo Religionsun­terricht und Ethikunterricht in einem Zeitrahmen stattfinden. Konkret: Alle sechsten Klassen – ich habe vier davon – haben zur gleichen Zeit katholischen Religionsunter­richt, evangelischen und muslimischen sowie Ethikunterricht. Das hat einen großen Vor­teil.

Erstens ist organisatorisch – Voraussetzung ist, dass man genügend Lehrer hat – die­ser Rahmen ein wesentlicher Punkt, weil der zweite Punkt, der wichtig ist, nämlich eine Gemeinsamkeit, wo sie möglich ist, auch gemeinsam überarbeitet und erarbeitet werden kann. Das heißt, eine Themenfindung, die von verschiedenen Aspekten be­leuchtet werden kann, hat den großen Vorteil, die schon angesprochene Toleranz über Integration, über ethnische Minderheiten, über diverse Ausrichtungen verschiedenster Art auch wirklich zu diskutieren. Die Schüler lernen argumentieren, tolerieren und ein­ander Reibebaum zu sein. Das heißt, sie können untereinander diese Werthaltungen unter der Leitung oder unter dem Supportership, würde ich einmal sagen, eines guten Ethiklehrers dann auch wirklich gut aufarbeiten.

Einen kleinen Spareffekt hat das sogar, denn: Erstens brauche ich keine Beaufsich­tigungen mehr für Schüler, die sich sonst irgendwo aufhalten oder keinen Unterricht haben, und zweitens: Ich kann im Notfall, wenn ein Religionslehrer oder ein Ethiklehrer zum Beispiel krank oder etwa durch Schikurs et cetera verhindert ist, eine gemein­same Stunde auch mit einem Thema finden – in aller Verschiedenheit, aber auch in der Gemeinsamkeit.

Ich glaube, das sind ein paar wesentliche Aspekte, wie es sich bewährt hat, und ich möchte mich daher wirklich auch der Meinung anschließen: Ethikunterricht, wie wir ihn durchgeführt haben, ist ein Erfolgsmodell!

Ich würde sehr dafür plädieren, dass dies auch wirklich etabliert werden kann. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

14.43


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Kitzmüller. – Bitte.

 


14.43.15

Abgeordnete Anneliese Kitzmüller (FPÖ)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Minister! Sehr geehrter Herr Minister! Hohes Haus! Dass die Trennung von Staat und Kirche unbedingt notwendig ist, wissen wir, und das wurde auch schon fest­gestellt. Es kann aber nicht sein, dass man sagt: Tausche Religionsunterricht gegen Ethikunterricht!

Dass Ethikunterricht auf freiwilliger Basis möglich ist, ist keine Frage, wobei es natür­lich vordergründig für die anerkannten Religionsgemeinschaften und Kirchen vielleicht verlockend ist, durchs Hintertürl mehr Kinder in den Religionsunterricht zu bringen, in­dem man sagt: Na gut, wenn ihr nicht in den Religionsunterricht geht, dann müsst ihr halt in den Ethikunterricht gehen!

Ich glaube aber, dass dieses Hintertürl so nicht funktionieren kann. Die Taktik wird so nicht aufgehen, denn es ist zu befürchten, dass genau jene Schüler, die sich sehr wohl zum Religionsunterricht und zum christlichen Glauben und zu den Religionsgemein­schaften, die bei uns anerkannt sind, bekennen, dann diskriminiert werden, indem man sagt: Ihr geht in den Religionsunterricht!, und Ethikunterricht soll aber dann als Non­plusultra hingestellt werden.

Religionsunterricht muss weiterhin so bestehen bleiben, wie wir ihn bisher hatten: auf freiwilliger Basis und nicht verpflichtend im Tauschgeschäft zu einem Ethikunterricht.

Allerdings stelle ich dann hier schon an die Kirchen, an die Religionslehrer die Forde­rung, den Religionsunterricht doch etwas attraktiver, zeitgeistiger und moderner zu ge­stalten, denn die Jugend sucht Werte, die Jugend ist auf der Suche nach Sinn und Werten. Und in diesem Falle sind, glaube ich, die Religionsgemeinschaften aufgefor­dert, dies zu vermitteln und nicht in einem Ethikunterricht zu verhaften und den dann verpflichtend vorzuschreiben. (Beifall.)

14.45


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Professor Ober­hummer. – Bitte.

 


14.45.16

Emer. Univ.-Prof. Dr. Heinz Oberhummer (Technische Universität Wien)|: Sehr ge­ehrter Herr Präsident! Frau und Herr Minister! Verehrte Abgeordnete! Meine Damen und Herren! Über das bedenkliche Fundament der geplanten flächendeckenden Ein­führung eines Ethikunterrichts, und zwar ausschließlich als Ersatzpflichtgegenstand zum konfessionellen Religionsunterricht, und der Qualifikation von Ethiklehrern/ Ethik­lehrerinnen möchte ich in dieser kurzen Zeit etwas sagen.

Warum Ersatzpflichtgegenstand? – Das ist klar! Weil die Existenz des Religionsunter­richts herangezogen wird, um die Einführung eines verpflichtenden Ethikunterrichts für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler zu rechtfertigen. Stichhaltige Gründe, wa­rum Kinder, die den konfessionellen Religionsunterricht besuchen, nicht an diesem Ethikunterricht teilnehmen sollen, sind mir bisher nicht bekannt. Ebenso ist mir auch nicht klar, warum Ethikunterricht für konfessionsfreie Schülerinnen und Schüler von Religionslehrern gehalten werden soll.

Ein kritischer Blick, den ich auf den Personenkreis, der seit Jahren diesen Ethikunter­richt propagiert und als Ersatzpflichtgegenstand zum konfessionellen Religionsunter­richt vorantreibt, werfe, lässt jedenfalls eine überwiegend religiös geprägte Motivation zumindest erahnen.

Allein die Tatsache, dass in diesem Haus gleich 28 Vertreter der gesetzlich anerkann­ten Kirchen und Religionsgesellschaften eingeladen wurden, um über die ethische Bil­dung gerade unserer Kinder und Kindeskinder, die keiner Religionsgemeinschaft an­gehören, zu diskutieren, widerspricht meinem demokratischen Hausverstand. Insbe­sondere deshalb, weil diese Konfessionsfreien nach unseren Schätzungen bereits die 2-Millionen-Grenze in diesem Land überschritten haben, ist es diesem Haus nicht an­gemessen und nicht fair, diese Leute einzuladen.

Gerade erst vorigen Monat hat der Europarat eine Empfehlung beschlossen, dass auch die Repräsentanten der säkularen Vereinigungen in die interkulturellen Dialoge und Netzwerke mit einbezogen werden sollten. Ich hoffe, diese Botschaft kommt auch hier in Österreich an.

Sehr geehrte Damen und Herren! Die konfessionsfreien Österreicherinnen und Öster­reicher sind keine BürgerInnen zweiter Klasse. Sie haben lediglich andere Antworten auf die wichtigsten Fragen des Lebens und Daseins, wie Glück, Sinn, Werte und Le­bensinhalte, gefunden. Sie benötigen keine Sonderbehandlung und schon gar keine Zwangsmissionierung unter dem Deckmantel der Werteerziehung.

Zusammengefasst: Ethikunterricht ja!, aber wenn, dann weltanschaulich neutral und für alle Schülerinnen und Schüler, und zwar unabhängig von deren konfessioneller Zu­gehörigkeit oder Weltanschauung und von LehrerInnen, die Philosophie studiert ha­ben, und nicht nur eine Religionsausbildung haben. – Ich darf mich für Ihre Aufmerk­samkeit bedanken. (Beifall.)

14.48


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Mag. Schiefer­mair. – Bitte.

 


14.49.05

Prof. Mag. Karl Schiefermair (Oberkirchenrat, Evangelische Kirche in Österreich)|: Herr Präsident! Hohes Haus! Herr Minister! Frau Ministerin! Werte Vertreterinnen und Vertreter fast aller Spiritualitäten und Geisteshaltungen! Es freut mich, dass ich hier als zweiter evangelischer Theologe nach Albert Schweitzer zu Wort kommen darf. (Heiter­keit.) Die Frau Bundesministerin hat ihn ja zitiert, und da denke ich mir, so nahe sich Professor Liessmann und die Frau Bundesministerin in ihren Positionen sind, so unter­schiedlich ist das Verständnis von Ethik, das sie zitiert haben, und damit haben wir das Problem.

Die Ethik Albert Schweitzers ist nicht die säkulare Ethik von Herrn Liessmann. Und Sie sehen damit einen Hintergrund, warum sich – auch für Herrn Oberhummer gesagt – die Kirchen und Religionsgemeinschaften so sehr dafür interessieren, was da alles un­ter Ethik verkauft und gelehrt wird.

Als religiöse Minderheit ist uns vollkommen klar, dass eine flächendeckende Einfüh­rung des Ethikunterrichts, vor allem in der Sekundarstufe II, unseren Religionsunter­richt schwächen wird. Trotz der sehr großen Schwierigkeiten in der Organisations­form, die wir bei unserem Religionsunterricht haben, fürchten wir den Ethikunterricht nicht. Im Gegenteil: Wir befürworten die Einführung des Ethikunterrichts in der Se­kundarstufe II für alle Schülerinnen und Schüler, die, aus welchen Gründen immer, den Religionsunterricht nicht besuchen.

Ich war selbst 25 Jahre lang Lehrer in Sachen Religion für diese Altersgruppe, und Sie dürfen mir glauben, dass ich auch sehr viel Kontakt mit den Abgemeldeten hatte und da keinerlei Gewissensgründe im Gespräch feststellen konnte, warum da abgemeldet wurde, sondern es waren allein Stundenplan- und Zeitersparnisgründe. Es ist uns nicht egal, was mit diesen Jugendlichen sozusagen passiert.

Wir wünschen uns den Ethikunterricht nicht als Ersatz für den Religionsunterricht oder als Anti-Religionsunterricht, sondern wirklich auf Basis des § 2 SchOG und des Artikels 14 (5a) Bundes-Verfassungsgesetz und freuen uns auf einen Gegenstand, der in einer Fächergruppe herzlich willkommen ist.

Wenn hier ein paar Worte angeklungen sind, dass möglicherweise die Kooperation mit den Religionen in der Bildungsfrage vom Staat einseitig aufgekündigt wird, dann möch­te ich wirklich davor warnen. Das würde nur die Stärkung der Fundamentalismen zur Folge haben. Denn glauben Sie nicht, dass man dann mit einem allgemein eingeführ­ten Ethikunterricht seitens der Religionen zufrieden sein wird. (Beifall.)

14.52


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Dr. Kitzberger. – Bitte.

 


14.52.02

Dr. Anita Kitzberger (AHS-Lehrerin für Ethik)|: Guten Tag, Herr Präsident! Meine Da­men und Herren, schönen guten Tag! Es ist heute schon sehr viel Inhaltliches, sehr viel Kritisches, es sind aber auch sehr viele Ängste vorgebracht worden. Ich möchte das auch aus einer schulpragmatischen Sichtweise betrachten.

An den Schulen ist die Realität einer multikulturellen, pluralistischen Gesellschaft ange­kommen. Wir haben sehr viele Schülerinnen und Schüler, die sich aus verschiedensten Gründen nicht am Religionsunterricht beteiligen. Ich denke, es besteht die Notwendig­keit eines Ethikunterrichts für eine moderne Gesellschaft, eines Ethikunterrichts, der säkular und mit der Grunddisziplin der Philosophie verbunden ist. Dieser sollte den Schülern und Schülerinnen die Möglichkeit geben, sich mit den relevanten Dingen des Lebens und der modernen Gesellschaft, mit den Herausforderungen der Informations­technologie, der Gen-Ethik und dergleichen mehr zu beschäftigen.

Damit der Ethikunterricht sozusagen nicht Schauplatz von ideologischen Kämpfen wird, ist die Forderung notwendig, dass die Ausbildung zum Ethikunterricht in einem ei­genen Studium an der Universität zu absolvieren ist und dass dafür ein einheitliches Curriculum ausgearbeitet wird, das die Grundlage für alle Universitäten, Fachhoch­schulen und Pädagogischen Hochschulen in Österreich darstellt.

Das ist die Voraussetzung dafür, dass der Ethikunterricht nicht ein ideologischer Schau­kampf oder ein Kampf beziehungsweise Streit um Kulturen wird, sondern ein säkulares Fach, wo sich Kinder, Jugendliche und auch Erwachsene mit den normativen Grundla­gen und mit den Wertvorstellungen unserer Gesellschaft beschäftigen können. – Dan­ke schön. (Beifall.)

14.54


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Dr. Friesl. – Bitte.

 


14.54.28

Univ.-Prof. Dr. Christian Friesl (Österreichische Industriellenvereinigung)|: Herr Präsi­dent! Geschätzte Regierungsmitglieder! Meine Damen und Herren! Ich vertrete hier die Industriellenvereinigung, die sich seit Jahren für eine umfassende Bildungsreform ein­setzt. Dazu gehört auch das Thema Ehtikunterricht. Aus diesem Grund erlaube ich mir, einige kurze, vielleicht auch pragmatische Gedanken dazu zu sagen.

Wir haben heute in den Referaten gehört, dass der Bedarf für ethische Bildung groß ist. Wir erleben auch – selbstkritisch gesagt – in der wirtschaftlichen und in der politi­schen Praxis Tag für Tag, dass der Bedarf an Wertebildung groß ist.

Ich möchte auf etwas hinweisen, was in der Diskussion vielleicht nicht immer so gut durchdringt, nämlich dass Ethik, und zwar Ethik, so wie wir es uns vorstellen, nicht Mo­rallehre, nicht Sittenlehre ist, sondern Ethik ist Wissenschaft.

Was wir uns vom Ethikunterricht erwarten, ist, dass er erstens bald eingeführt wird, weil 14 Jahre Schulversuche wahrscheinlich wirklich genug sind. Wir erwarten uns zweitens, dass er verpflichtend eingesetzt wird für jene, die nicht den konfessionellen Religionsunterricht besuchen. Wir meinen drittens, dass er gekennzeichnet sein soll durch gut ausgebildete Lehrende, die unterschiedliche Formen von Ethik in den Ethik­unterricht einbringen. Was wir uns viertens wünschen, ist, dass der Religionsunter­richt als Vermittler von Ethik respektiert wird.

Für den konfessionellen Religionsunterricht bedeutet dies, dass er selbst wahrschein­lich seine Rolle als Vermittler von Werten und Ethik reflektieren muss und dass dies auch in den Lehrplänen zu berücksichtigen ist, und zwar deswegen, weil letztlich nur Religion, die im Umgang mit Freiheit geübt wird, auch in der Lage sein wird, Beiträge zur Wertebildung in einer pluralistischen Gesellschaft zu leisten. – Danke. (Beifall.)

14.56


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Karlsböck. – Bitte.

 


14.56.45

Abgeordneter Dr. Andreas Karlsböck (FPÖ)|: Herr Präsident! Herr Minister! Frau Ministerin! Hohes Haus! Sehr geehrte Damen und Herren! „Anima naturaliter religiosa“ hat uns der große Philosoph C. G. Jung wissen lassen. Das bedeutet, die Seele ist von Natur aus religiös. Der große Psychoanalytiker und Menschenfreund – trotz seines dramatischen Schicksals – Viktor Frankl hat noch eines daraufgesetzt und gemeint: Anima naturaliter christiana – die Seele ist von Natur aus christlich.

Wie dem auch immer sei, es hat in den letzten Jahren und Jahrzehnten in Europa ein wirklich signifikanter struktureller Wandel stattgefunden. In der westlichen Welt ist die Zahl der Christen, bezogen auf die Kirchensteuerzahler, rückgängig. Die Identifikation von Volk und Kirche schmilzt dadurch leider immer mehr. Wir gehen dadurch auf ein sogenanntes Entscheidungschristentum zu. Richtig ist aber auch, dass unsere Ge­sellschaft immer noch von einem Christentum bestimmt wird, das die gewollte kultu­relle Identität vorgibt.

Auch wenn sich viele Menschen heute als Atheisten bezeichnen, so wissen sie doch, dass die Wurzeln ihrer kulturellen, zivilisatorischen Herkunft im Christentum liegen. Unsere Zivilisation hat Kraft. Sie steht auf starken Fundamenten. Freiheit und Verant­wortung heißen diese. Aber Freiheit benötigt Maßstäbe, Orientierung und Halt, denn sonst ist alles erlaubt, alles möglich.

Die konstanten Werte haben die Menschen groß gemacht. Es ist nicht die Beliebigkeit, die unsere Gesellschaft ausmacht. Man kann keine Moral leben, wenn man keinen Maßstab kennt.

Im Ethikunterricht soll jetzt eine Vielfalt der Wertevorstellungen der pluralistischen Gesellschaft abgebildet werden: Alles ist gleich gut, alles gleich gültig, letztendlich viel­leicht sogar gleichgültig. Wenn im Ethikunterricht alle religiösen und anti-religiösen Standpunkte gleich gültig nebeneinander gestellt werden, sind sie für den nach Sinn und Halt strebenden Schüler möglicherweise wirklich bald gleichgültig.

Man forciert die Befreiung vom Bisherigen, weil es einfach fortschrittlich erscheint. Dem gegenüber steht ein Religionsunterricht, gleich welcher Konfession, mit seiner Verläss­lichkeit hinsichtlich Wertevorstellungen und jahrhundertelanger Tradition.

In diesem Zusammenhang gibt es in Deutschland eine sehr befruchtende Diskussion. Sie alle, die hier sitzen, kennen vielleicht, weil Sie sich ja mit diesem Thema eingehend beschäftigt haben, die Diskussion, die vom Staatsrechtler Ernst-Wolfgang Böcken­förde ausgelöst wurde. Dieser meint, ein freiheitlich verfasster, weltanschaulich neu­traler Staat kann die Werte, von denen er lebt, weder schaffen noch garantieren, er braucht so etwas wie einen ethischen Input, und das kommt in unserer Kultur eben aus den Religionen heraus.

Die grundsätzliche Frage, die sich stellt, ist: Welche Ethik, wenn wir sie in Schulen un­terrichten, wird dann tatsächlich gelehrt? Und soll oder darf sich der Staat aufs Gera­tewohl zum monopolistischen Lehrer über die Ethik machen? – Ich glaube, das kann er nicht.

Ich meine, dass der Glaube immer noch ein sehr starkes Fundament in unserer Ge­sellschaft ist: ein sehr starkes Fundament für die Säulen der Gesellschaft, eine ethi­sche Botschaft, die den Menschen Orientierung gibt.

Die Chancen auf diese Erfahrung dürfen wir unseren Kindern nicht nehmen. Im Gegen­teil: Wir müssen ihnen die Möglichkeit dieser positiven Erfahrung gerade im öffentli­chen Raum weiterhin zugänglich erhalten. (Beifall.)

15.00


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Korun. – Bitte.

 


15.00.26

Abgeordnete Mag. Alev Korun (Grüne)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Verehrte Damen und Herren! Es freut mich sehr, dass von vielen Vorrednern und Vorrednerinnen die Tatsache gesehen wurde, dass die Vielfalt in unse­rer Gesellschaft, die Vielfalt betreffend unterschiedliche Lebensformen, unterschiedli­che Glaubensrichtungen, aber auch bezüglich der Konfessionsfreiheit in den letzten Jahren zugenommen hat und in den nächsten Jahren und Jahrzehnten auch weiterhin zunehmen wird.

Angesichts dieser Tatsache der Vielfältigkeit in unserer Gesellschaft brauchen wir die Auseinandersetzung, brauchen junge Menschen die Auseinandersetzung mit Werte­konflikten, mit unterschiedlichen Grundwerten, mit unterschiedlichen Vorstellungen, durchaus auch mit unterschiedlichen Religionen, und unsere Gesellschaft und die jun­gen Menschen, die Schüler und Schülerinnen, brauchen diese Beschäftigung damit um­so dringender.

Umso mehr kann ich mich den Forderungen der vorangegangenen Redner anschlie­ßen, dass 14 Jahre Schulversuch und 14 Jahre nicht Teil des Regelschulsystems zu sein, genug sind und dass der Ethikunterricht endlich in das Regelschulwesen übernommen werden sollte – allerdings, auch da schließe ich mich vielen Vorrednern und Vorrednerinnen an, bitte nicht als Ersatzgegenstand, nicht als Ersatz für konfes­sionellen Religionsunterricht.

Interessanterweise wurde die Gruppe von Kindern und Jugendlichen, die aus multireli­giösen Ehen und Partnerschaften stammen, noch nicht angesprochen. Auch das ist ei­ne Tatsache, nämlich dass die Zahl dieser Kinder und Jugendlichen aus multireligiö­sen Partnerschaften – sprich: mit Eltern mit unterschiedlichem Glauben, oder ein El­ternteil gehört einer Glaubensrichtung an und einer ist ohne Bekenntnis – im Zuneh­men begriffen ist, und je besser die gesellschaftliche Integration von Minderheiten und von eingewanderten Menschen gelingen wird, desto größer wird diese Gruppe von Kindern und Jugendlichen auch werden.

Das ist nur ein zusätzliches Argument, ein zusätzlicher Grund, warum wir einen regu­lären Ethikunterricht für alle Schüler und Schülerinnen brauchen, unabhängig von ihrer konfessionellen Herkunft oder von der Tatsache, dass sie einer Religionsgemeinschaft angehören oder eben nicht angehören.

In diesem Sinne hoffe ich, dass sich der Gesetzgeber hoffentlich in den nächsten Wo­chen und Monaten – und nicht erst Jahren! – bewegen wird und ein Beschluss im Par­lament möglich sein wird, damit wir endlich zu einem regulären Ethikunterricht für al­le Schülerinnen und Schüler kommen. – Danke für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall.)

15.03


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Mag. Shakir. – Bitte.

 


15.03.33

Mag. Amena Shakir (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich)|: Verehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Hohes Haus! Ich danke sehr dafür, dass ich hier zu Ihnen sprechen darf.

Ich habe in meinem Leben und auch heute hier schon viel über den Islam gehört, wo sich mir trotz Kopftuches doch manchmal die Haare sträuben. Und ich habe auch in den Schulbüchern in der Schule so viel über den Islam gelesen, wo ich denke: Wie re­präsentativ kann das sein, was ein Mensch, der eine Religion von außen – und nur von außen, also nur aus der Außenperspektive! – betrachtet, über die Religion selber sagt, über die Menschen, die in dem Selbstverständnis der Religion aufgewachsen sind und vielleicht auch in diesem Selbstverständnis leben? Insofern freue ich mich na­türlich, wenn ich höre, dass die Ethiklehrerausbildung so professionell sein soll, dass auch die Religionsgemeinschaften eingebunden werden, sodass tatsächlich auch das Selbstbild des Schülers oder das Selbstbild einer Religion berücksichtigt werden kann.

Was ich in Deutschland, in meinem Heimatland, vermisst habe, war eine Gleichwer­tigkeit der Religionen im öffentlichen Leben, zum Beispiel in der Schule, ein Religions­unterricht für alle Schülerinnen und Schüler in der öffentlichen Schule – und das, was ich in Österreich erlebe, ist doch eine Professionalisierung dieses Punktes.

Aus der islamischen Perspektive heißt das, dass wir zum Beispiel einen Religionsun­terricht in deutscher Sprache haben, wo die Schülerinnen und Schüler erstmals – und das ist der einzige Ort, nämlich die öffentliche Schule – in deutscher Sprache etwas über ihre Religion erfahren, unabhängig von ihren ethnischen Hintergründen, unabhän­gig von ihren verschiedenen Glaubensrichtungen und so weiter.

Wissenschaftliche Studien zum Beispiel der Uni Wien haben belegt, wie sehr sich – im Gegensatz zum Beispiel zu Deutschland oder zu Frankreich – muslimische Schülerin­nen und Schüler in Österreich beheimatet fühlen, wie sehr sie Österreich als Heimat akzeptieren und wie sehr sie sich einfach wohl- und als normales Mitglied der Gesell­schaft respektiert fühlen.

Der Religionsunterricht in der öffentlichen Schule hat eine ganz wichtige Funktion: Die öffentliche Schule ist der einzige Ort, wo Schülerinnen und Schüler unterschied­lichen religiösen Bekenntnisses gemeinsam in einer Klasse sind, wo sie aber unab­hängig davon auch trotz dieser gemeinsamen Klasse ihren eigenen Standpunkt lernen und diskutieren müssen, und ich denke, da sehe ich eine ganz große Aufgabe des Re­ligionsunterrichts an der öffentlichen Schule, nämlich dass die Schülerinnen und Schüler ihr eigenes Bekenntnis leben können, etwas über ihr eigenes Bekenntnis er­fahren können, dass sie aber dann innerhalb der gemeinsamen Klasse doch eine Ge­meinsamkeit erleben können, die sie dazu befähigt, dass sie sagen: Wir sind Teil einer Gesellschaft, einer Gruppe, wir haben aber auch unterschiedliche Einstellungen zu ver­schiedenen Themen!

Insofern danke ich Ihnen und hoffe, dass ich noch einen kleinen Input geben konnte, was die Bedeutung des Religionsunterrichts im öffentlichen Raum angeht. – Danke. (Beifall.)

15.06


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Cortolezis-Schlager. – Bitte.

 


15.06.27

Abgeordnete Mag. Katharina Cortolezis-Schlager (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Prä­sident! Werte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr geehrte Damen und Herren! Der konfessionelle Religionsunterricht und der Dialog der Kulturen und Religionen haben für eine wertorientierte Gesellschaft eine ganz besondere Bedeutung und leisten einen wichtigen Beitrag für ein friedliches Zusammenleben.

Österreich hat gut daran getan, schon sehr früh den anerkannten Religionsgemein­schaften die Möglichkeit zu geben, im Rahmen der Schulbildung ihre Religionsgemein­schaft und ihren Religionsunterricht anzubieten. Die Qualitätssicherung erfolgt über die Aus- und Weiterbildung und über die Schulaufsicht. Viele andere Länder wünschen sich so eine Regelung in ihren Ländern, denn sie erleben in Österreich, dass das fried­liche Zusammenleben in der Schule, im Religionsunterricht thematisiert, erprobt und erlernt wird.

In einer pluralistischen Gesellschaft erleben wir aber auch, dass sich immer mehr Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abmelden.

Heute wurde ein Schulversuch mit zwei Schulen vorgestellt, und ich möchte ganz stark unterstreichen, dass sich das Modell, das uns heute unter anderem auch Direktor Jahn dargestellt hat, in Wien sehr bewährt hat.

15 Jahre der Versuch, zu überzeugen, dass Religionsunterricht einen wichtigen Stel­lenwert hat, dass aber auch der Ethikunterricht für all jene, die sich, aus welchen Gründen auch immer, vom Religionsunterricht abmelden, einen wichtigen Beitrag leis­ten kann.

Junge Menschen brauchen Unterstützung, wenn es um die Fragen geht: Woher kom­me ich?, Wer bin ich? und: Wohin gehe ich? – Religionsgemeinschaften werden dabei helfen und unterstützen, je nach ihrem religiösen Ansatz, aber auch der Ethikunter­richt kann Jugendliche und Kinder begleiten auf ihrem Weg bei der Suche nach einer Identität und auf ihrem Weg, Verantwortung für die Gemeinschaft zu übernehmen.

Uns geht es daher – zusammengefasst – darum, die Einführung des Ethikunterrichts für alle, die, aus welchen Gründen auch immer, keinen konfessionellen Religionsunter­richt besuchen, anzubieten, dies für die Sekundarstufe II zu tun, weil hier auch die ent­sprechenden Evaluierungen und die entsprechenden Erfahrungen vorliegen und weil wir an den Universitäten und an den Pädagogischen Hochschulen auch schon die ent­sprechenden Ausbildungen für die Lehrerinnen und Lehrer haben.

Ich glaube, der heutige Tag könnte uns einen und helfen, bei all den unterschiedlichen Vorstellungen, die wir haben, uns heute darauf zu verständigen, den Schulen den ent­sprechenden rechtlichen Rahmen zu geben, dieses Angebot zur Verfügung zu stellen. (Beifall.)

15.09


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Metropolit Dr. Stai­kos. – Bitte.

 


15.09.55

Erzbischof Dr. Michael Staikos, Metropolit von Österreich (Griechisch-orientalische Kirche in Österreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bundesministerin! Herr Bun­desminister! Meine Damen und Herren! Ich danke für die Einladung zu dieser Parla­mentarischen Enquete und für die Möglichkeit, die mir gegeben wird, als Repräsentant der orthodoxen Kirchen in Österreich hier sprechen zu dürfen, wobei ich betonen und unterstreichen möchte, dass die Zahl der orthodoxen Christinnen und Christen im ös­terreichischen Bundesgebiet zurzeit etwas mehr als 400 000 beträgt, wobei die Alt­orientalen auch mit berücksichtigt werden.

Das Meiste ist schon aus verschiedenen Perspektiven besprochen worden oder wurde in den Vordergrund gestellt: pro und kontra Religionsunterricht oder Ethikunterricht, pro und kontra Ersatz des Religionsunterrichtes durch einen Ethikunterricht.

Ich möchte das aus der Perspektive der vielen Hundertausenden von orthodoxen Christinnen und Christen erörtern, die hierher gekommen sind, um eine Heimat zu finden: Wenn in Österreich über Integration gesprochen wird und es sogar einen neuen Staatssekretär für Integration gibt, dann muss ich ganz kategorisch sagen, dass eine Integration ohne den Glauben dieser Menschen nicht möglich und nicht vorstellbar ist.

Wenn man sich eine Integration ohne Assimilierung, die wir kategorisch ablehnen, wünscht, dann kann das nur geschehen, wenn auch der Faktor Kirche mit berücksich­tigt wird, der die Identität des Orthodoxen praktisch mitbestimmt und mitträgt.

Eine Erfahrung, die die meisten dieser Leute nach Österreich mitbringen, ist, dass sie in der Vergangenheit ohne die Kirche leben mussten. Der erste Faktor, der aus dem Leben, aus der Schule entfernt wurde, war die Kirche beziehungsweise der Religions­unterricht.

In diesem Sinne glauben wir, dass für die meisten, für die größte Mehrheit der ortho­doxen Christinnen und Christen in Österreich der Religionsunterricht der einzige Faktor ist, der eine Bindung zwischen der jüngsten Generation und der Kirche darstellt, damit sie ihre Identität weiterhin bewahren. Und ich schließe ab mit der Feststellung, dass eine Integration in Österreich und in ganz Europa oder sonstwo nicht möglich sein wird, wenn nicht der Faktor Kirche auch durch den Religionsunterricht mitgeprägt wird. – Danke schön. (Beifall.)

15.14


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Jütte. – Bitte.

 


15.14.25

Heidi Jütte (Österreichischer Familienbund)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Bundesminister! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Werte Damen und Herren! Ich vertrete hier den Österreichischen Familienbund, und für uns ist es von großer Bedeutung, dass Bildung als lebensbegleitender Entwicklungsprozess des Menschen gesehen wird, durch den er seine geistigen, moralischen, kulturellen und le­benspraktischen Fähigkeiten ständig weiterentwickelt und auch die personalen und sozialen Kompetenzen erweitert. – Das ist auch heute schon in vielen Formen betont worden.

Für uns bedeutet das auch, dass bei den Kindern in den ersten Lebensjahren innerhalb der Familie durch liebevolle Zuwendung und das Vorbild der Eltern vieles gemacht und diese Entwicklung dann auch im Kindergarten ergänzt wird.

Darüber hinaus ist natürlich die Entwicklung in der Schule zu sehen, und wir sind uns ja darin völlig einig, dass der Ethikunterricht neben dem Religionsunterricht eine Möglichkeit gibt, diese lebensbegleitende Entwicklung zu fördern.

Wir haben jetzt Gott sei Dank die Möglichkeit, eine Alternative zu den Abmeldungen vom Religionsunterricht zu bieten, durch die man ja dieses Ziel konterkarieren würde. Was wir also als sehr wichtig erachten, ist, dass wir diesen Schulversuch, der ja jetzt 14 Jahre lang gelaufen ist, doch in das Regelschulwesen übersetzen wollen.

Wir hoffen, dass das nicht an den Kosten scheitert, denn aus unserer Sicht ist das ei­gentlich eine Selbstverständlichkeit, weil das alles zu der Werthaltung gehört und der gesamtgesellschaftliche Nutzen genauso wichtig ist wie zum Beispiel das Beherrschen von Kulturtechniken.

Je pluralistischer die Gesellschaft ist und je weitreichender die Lebenswelten der Ein­zelnen in der globalen Welt vernetzt sind, je mehr medizinische, biologische Möglich­keiten uns zur Verfügung stehen und je mehr technische und wirtschaftliche Verände­rungen nur vom erzielten Profit abhängen, desto wichtiger ist diese Werterziehung, denn letztendlich hängt von dieser Werterziehung das Funktionieren der Demokratie ab und letztendlich entscheidet die menschliche Reife und das Verantwortungsbe­wusstsein jedes Einzelnen, wie wir uns in unserer Gesellschaft weiterentwickeln.

Die unterschiedlichen Zugangsweisen zum konfessionellen Religionsunterricht und zum Ethikunterricht sehen wir bei diesen Zielen jetzt eigentlich nicht als Problem. Wir stellen uns auch vor, dass dadurch eine sehr positive Entwicklung entsteht, für uns ist aber auch wichtig, dass die geeigneten Pädagoginnen und Pädagogen arbeiten be­ziehungsweise vor allem, dass sie auch ihre Lebenserfahrung an die nächste Gene­ration weitergeben können. – Ich danke vielmals. (Beifall.)

15.18


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Dr. Aydin. – Bitte.

 


15.18.22

Chorbischof Dr. Emanuel Aydin (Syrisch-orthodoxe Kirche in Österreich)|: Sehr ge­ehrter Herr Präsident! Verehrte Frau Bundesministerin! Verehrter Herr Bundesminister! Eminenz! Meine Damen und Herren! Wir denken darüber nach, Jugendlichen bezie­hungsweise ihren Eltern die gleichberechtigte Wahl zwischen Religions- und Ethikun­terricht zu lassen. Wir stellen diese Frage bezüglich einer Lebensphase, in der Jugend­liche unserer Erfahrung nach verstärkte spirituelle und geistliche Betreuung brauchen.

Für uns orientalisch-orthodoxe Christen ist daher die Frage nicht so sehr, ob man den Ethikunterricht verpflichtend machen sollte oder freiwillig lässt, sondern die Frage ist für uns vielmehr, ob ein verpflichtender Ethikunterricht nicht das Risiko in sich trägt, ei­nes Tages den Religionsunterricht ersetzen zu wollen.

Jugendliche setzen sich in der Regel mit der Autorität ihrer Eltern, der Traditionen, der Kirche und der Werte der Gesellschaft auseinander. Unsere Rolle als Kirche ist es, in dieser Zeit für sie da zu sein und ihnen in dieser Phase der Auseinandersetzung Unter­stützung und Orientierung zu geben.

Religion beziehungsweise Religionsgemeinschaften und Kirchen sind immer schon ein sehr wichtiges Thema gewesen und waren für viele der orientalisch geprägten ur­sprünglichen Migranten in Österreich Lebensmittelpunkt. Beobachtet man die Entwick­lung in den meisten dieser Länder, sieht man, dass Religion sich über die Jahre zu ei­nem noch wichtigeren Thema entwickelt hat und inzwischen fast alle Lebensbereiche berührt.

Für Migranten der ersten und zweiten Generation in Aufnahmeländern wie Österreich bleibt die Religion vielfach einer der wichtigsten Lebensbereiche. Die Religion spielt eine große Rolle in der Entwicklung und Aufrechterhaltung der Identität dieser Migran­ten und ist häufig die Hauptquelle für ihre Beziehungsnetzwerke, die ihnen Sicherheit, Lebenschancen und Zugehörigkeit in dem meist fremden Aufnahmeland geben.

Für uns orientalisch-orthodoxe Christen in Österreich durchzieht Religion das komplet­te Leben. Unser Glaube bestimmt den Alltag und unsere Entscheidungen. Basierend auf dem Glauben, der Nächstenliebe und einem Leben nach Jesu Gebot des respekt­vollen Miteinanders bemühen wir uns als orientalisch-orthodoxe Gemeinde um die Inte­gration unserer Gemeindemitglieder in der österreichischen Gesellschaft.

Den Einfluss, den wir als Kirche haben, nutzen wir, um die Erwachsenen, die Jugendli­chen und die Kinder unserer Gemeinde die Liebe zu diesem Land und seiner Demo­kratie zu lehren. Die Lehrer unserer Kirche sagen unseren Jugendlichen und Gemein­demitgliedern, dass sie die Gesellschaft und dieses Land respektieren und mitgestal­ten sollten. Unsere Liturgie schließt Gebete für den Staat, seine Entscheider und die Sicherheit des Landes mit ein. Durch unsere Dienste in der Kirche und durch unseren Religionsunterricht in den Schulen erziehen wir unsere Kinder und Jugendlichen so, dass sie in der Gesellschaft zu verantwortungsvollen Bürgern heranwachsen.

Die Rate der Kriminalität unter unseren Jugendlichen, die zu orientalisch-orthodoxen Diözesen gehören, liegt bei nahezu null Prozent. Unsere Rolle als Kirche ist es, für unsere Jugendlichen vor allem in der Lebensphase da zu sein, in der sie auf der Suche sind. Wir geben ihnen Orientierung in der Phase der Auseinandersetzung mit sich selbst und mit ihrer Umwelt.

Auch Schulen füllen eine orientierende Rolle für eine Gesellschaft aus, vor allem auch durch den Religionsunterricht. Die Frage, die sich die Bildungspolitik daher stellen soll­te, ist nicht, ob der Ethikunterricht als gleichberechtigte Alternative zum Religionsunter­richt verpflichtend durchgeführt werden sollte, sondern die Verpflichtung der Politik sollte vielmehr sein, dass der Religionsunterricht auch in Zukunft einen wichtigen und hohen Stellenwert im Lehrplan der Schulen genießen darf. Für die orientalisch-orthodoxe Kirchenkommission danke ich für diese Möglichkeit. – Danke für Ihre Auf­merksamkeit. (Beifall.)

15.23


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Musiol. – Bitte.

 


15.23.11

Abgeordnete Mag. Daniela Musiol (Grüne)|: Sehr geehrte Damen und Herren! Sehr geehrte ExpertInnen auf der Regierungsbank, aber auch hier im Saal, die Sie zahlreich vertreten sind! Einige haben schon die Trennung von Kirche und Staat angesprochen. Sie, Frau Ministerin, haben sozusagen von der lebendigen Trennung von Kirche und Staat gesprochen; ich weiß nicht genau, ob Sie damit den Status quo oder die Vision gemeint haben.

Es gibt zahlreiche Situationen, in denen man schon hinterfragen kann, ob wir in Ös­terreich wirklich die gelebte Trennung von Kirche und Staat haben – oder ob wir hier vielleicht auf die manchmal sehr übliche österreichische Art auch sehr schlampig mit dieser Trennung umgehen. Ich sage nur: Stichwort „Kreuze in den Schulen und den Kindergärten“. Ich werde aber diese Diskussion – keine Sorge! – hier nicht aufmachen, weil das den Rahmen sprengen würde. Aber das ist auch eine Diskussion, die in die­sem Zusammenhang zu führen ist.

Zurück zum Ethikunterricht: Wenn wir die Trennung von Kirche und Staat ernst neh­men und konsequent durchführen, dann bedeutet das aus meiner Sicht, dass die Fra­ge nicht die ist, ob Ethikunterricht statt Religionenunterricht, ob Ethikunterricht statt Religionsunterricht stattzufinden hat, sondern dass die Frage, die zu beantworten ist, folgendermaßen lautet: Will der Staat, will die Ministerin für Unterricht, wollen wir als Gesetzgeber, dass in unseren Schulen Ethikunterricht erfolgt, also der Unterricht, in dem sich Schülerinnen und Schüler auseinandersetzen können mit den Grundwerten, mit den allgemeingültigen Grundwerten, aber auch Methodiken finden, wie sie sich so­zusagen solchen annähern können, also nicht nur vorgegebene Werte, die da sozusa­gen zum Besten gegeben werden, sondern auch Methoden, mit denen sie in Diskus­sionen, in verschiedenen Auseinandersetzungen zu ihren eigenen Einschätzungen kommen können? Und wollen wir, dass das vom Staat zur Verfügung gestellt werden soll, wollen wir, dass das von unserem Bildungssystem zur Verfügung gestellt werden soll, oder nicht?

Ich, wir Grüne, beantworten das eindeutig mit einem Ja. Daher führt aus meiner Sicht überhaupt kein Weg an einem verpflichtenden Ethikunterricht vorbei. Verpflichtender Ethikunterricht bedeutet aber natürlich auch die Auseinandersetzung mit Weltanschau­ungen, die Auseinandersetzung mit Religionen; das haben einige Experten und Vor­rednerinnen auch so angesprochen. Das würde dann einen verpflichtenden Ethik- und Religionenunterricht bedeuten, der aber klar zu unterscheiden ist von einem Religions­unterricht, der auf einem anderen Papier steht. Aber wenn ich hier als Politikerin, hier als Nationalratsabgeordnete stehe und hier die Position des Staates einnehmen muss, dann muss ich diese Frage ganz klar mit einem Ja beantworten.

Vor diesem Hintergrund freut es zwar, wenn hier Einigkeit besteht, zumindest in we­sentlichen Fragen – wenn man dann allerdings ins Detail geht, ist es ohnehin nicht so und wird man noch viel diskutieren müssen –, aber was dann nicht freut, ist, wenn man im letzten Bundesfinanzrahmengesetz, das den Finanzrahmen für die nächsten Jahre vorsieht, liest, dass bei der flächendeckenden Einführung des Ethikunterrichtes, die sich an funktionierenden 14-jährigen Schulversuchen orientiert – auch ein öster­reichisches Phänomen, dass Schulversuche jahrzehntelang dauern –, sozusagen als Einsparungsmaßnahme Folgendes genannt wird: Rücknahme der Einführung des flä­chendeckenden Ethikunterrichts!

Das heißt, wir sind zwar in dem Willen sehr weit, aber in der Konsequenz – und das wird auch noch zu beantworten sein – wird sich schon auch die Frage stellen, ob man zu Handlungen kommt, ob man das umsetzt, ob man das finanziert und ob man wirk­lich der eigenen Verpflichtung nachkommt, einen Ethikunterricht, einen verpflichtenden Ethik- und Religionenunterricht für alle Schülerinnen und Schüler in diesem Land ein­zuführen. – Danke. (Beifall.)

15.27


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Professor Anas Schakfeh. – Bitte.

 


15.27.10

Prof. Anas Schakfeh (Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Meine Damen und Herren! Die Isla­mische Glaubensgemeinschaft in Österreich hat keinen anderen Standpunkt als eben den Standpunkt der anderen Kirchen und Religionsgesellschaften in diesem Land. Das haben wir bereits zu Beginn des Schulversuches Ethikunterricht in einem gemeinsam erarbeiteten Papier kundgetan. Wir sind für das Schulfach Ethik als Alternative zum Religionsunterricht, nicht aber als Ersatz für den Religionsunterricht.

Wenn man jetzt aber sagt: Wir wollen den Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, also auch für die Schülerinnen und Schüler, die den Religionsunterricht besu­chen!, dann haben wir Bedenken. Warum? – Weil das für die Schülerinnen und Schü­ler eine zusätzliche Belastung bedeutet, einen neuen Lehrgegenstand/Schulgegen­stand – und für den Staat ein Mehr an Kosten.

Vielleicht meint jemand, es soll uns als Kirchen und Religionsgesellschaften egal sein, wenn der Staat mehr zahlt – aber nein, es ist uns nicht egal! Wir sind auch Staatsbür­gerinnen und -bürger sowie Steuerzahler; wir wissen, was das bedeutet, und wir be­fürchten auch, dass am Ende wegen Kostenersparnissen auch der Gedanke einfließt, dass man auf etwas verzichten muss. Und das ist dann der Religionsunterricht, denn der Ethikunterricht ist ja für alle da, der Religionsunterricht aber nur für diejenigen, die sich nicht abgemeldet haben.

Das ist unsere Befürchtung, das sind unsere Bedenken.

Vielleicht sagt der eine oder andere: Niemand denkt heute daran, oder fast niemand. Aber ich höre manche Töne; zum Beispiel Herr Prof. Bucher hat am Ende gesagt: Er träumt davon, dass am Ende, auch aus Ersparnisgründen, doch ein Schulfach „Ethik und Religionen“ steht. Das bedeutete die Abschaffung des konfessionellen Religions­unterrichts – das wollen wir nicht!

Was wir bieten, ist eine starke Dimension Ethik im Religionsunterricht. Hier pflichte ich Herrn Minister Töchterle bei, der gesagt hat: Die Ethik war schon in der Antike da, und die Religionen haben davon profitiert! – Ja, sehr viel ist in die Religionen eingeflossen, und ich sage Ihnen etwas dazu: Muslimische Gelehrten haben als Erste die Ethikbü­cher aus dem Griechischen übersetzt, weil das gemeinsame menschliche Werte sind. Wir haben also diese Dimension, aber der Ethikunterricht hat die Dimension Re­ligion nicht!

Was wir im Religionsunterricht den heranwachsenden Generationen anbieten, das kann der Fachunterricht Ethik nicht anbieten. Wir sind auch dafür, dass weiterhin die Diskussion, der Dialog in der Schule stattfindet. Wenn aber die Schülerinnen und Schüler über die eigene Religion nicht aufgeklärt sind, können sie auch nicht diskutie­ren und können sie den Dialog, den sehr notwendigen Dialog, nicht führen. – Danke schön für die Aufmerksamkeit. (Beifall.)

15.30


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Ablinger. – Bitte.

 


15.30.54

Abgeordnete Sonja Ablinger (SPÖ)|: Herr Präsident! Sehr geehrte Expertinnen und Experten! Meine Damen und Herren! Ich möchte auch, wie einige meiner Vorredne­rinnen und Vorredner, auf die Frage „Ersatz oder Pflicht für den Ethikunterricht“ einge­hen. Für mich gilt vom Staatsverständnis von der Trennung von Kirche und Staat her ebenso wie aus der Überzeugung und dem Staatsverständnis von Religions- und Welt­anschauungsfreiheit, dass der Staat sich neutral verhalten muss gegenüber den Kon­fessionen und gegenüber den Konfessionslosen, sich also unparteiisch verhalten muss.

Ich bin auch der Meinung, dass der gegenwärtige Schulversuch, also „Wenn du nicht in den Religionsunterricht gehst, musst du in den Ethikunterricht gehen!“, diesem Neu­tralitätsgebot des Staates nicht entspricht. Ich zitiere dazu eine interessante Diplomar­beit eines jungen Juristen, Wolfram Bauer, der sagt:

Da es keine Religionspflicht gibt, kann es schon begrifflich keine Pflicht geben, die er­satzweise an die Stelle der Religionspflicht tritt. Die Entscheidung, nicht am Religions­unterricht teilzunehmen, darf nicht durch die Verpflichtung zum Besuch eines Ethikun­terrichts sanktioniert werden. Der Staat kann für die Wahrnehmung eines Grundrechts keinen Preis verlangen. – Zitatende.

Bauer nennt dann ganz wesentliche, witzige Beispiele, die es aber gut veranschauli­chen: Wenn etwa niemand im Gesundheitsamt seine religiöse Überzeugung offen­baren muss, soll er dann ersatzweise zum Beispiel Angaben über seine sexuelle Orientierung machen müssen? Oder: Man stelle sich vor, dass alle Personen, die aus der Kirche austreten, höhere Steuern zahlen müssten, oder dass jene, die sonntags der Messe fernbleiben, zwei Stunden Sozialdienst leisten müssten. – Niemand würde das für rechtmäßig halten!

Ich finde, diese Begründung hat eine gewisse Logik: Es wäre etwas Skurriles. Ich sage das auch als Mutter eines Sohnes, der nicht getauft ist und der in den Ethikunterricht gehen muss. Mein Sohn findet das auch deswegen störend, weil Ethik die Religions­lehrerin an der Schule unterrichtet.

Ich bin der Meinung, man muss den Ethikunterricht von der Frage des Religionsun­terrichts abkoppeln. Ich spreche mich für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle aus, und der Besuch des Religionsunterrichts ist eine freiwillige Entscheidung.

Aber dann brauchen wir allemal einen eigenen Lehrplan und eine eigene Ausbildung; das als Anregung. – Ich danke Ihnen. (Beifall.)

15.33


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Dr. Hessler. – Bitte.

 


15.33.27

Dr. Walter Hessler (Neuapostolische Kirche in Österreich)|: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Vertreterinnen und Vertreter der Kirchen und der Politik! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Bereits der Titel der heutigen Enquete weist darauf hin, dass die Erziehung zu Werten in einem unmittelbaren Zusammenhang mit dem Ziel ei­ner offenen, pluralistischen, und ich möchte noch hinzufügen, auf Toleranz und Ver­söhnung basierenden Gesellschaft steht. Lassen Sie mich in diesem Zusammenhang auf zwei Punkte hinweisen.

Eine offene, pluralistische Gesellschaft misst sich sowohl an den Möglichkeiten zum Denken und Handeln des Einzelnen als auch am Verhältnis der Bürgerinnen und Bürger zueinander. Ich verweise hier auf die Artikel 9 und 10 der Europäischen Men­schenrechtskonvention und auf das Staatsgrundgesetz, Artikel 14, welche sich mit dem Gedanken der Gewissens- und Religionsfreiheit, mit dem Recht der freien Meinungs­äußerung sowie mit der vollen Glaubens- und Gewissensfreiheit für jedermann befas­sen.

Abs. 2 des Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention beginnt mit den Worten: „Da die Ausübung dieser Freiheiten Pflichten und Verantwortung mit sich bringt“; dies weist somit auf den zweiten Punkt meiner Ausführungen hin. Wenn wir uns alle, die wir uns als Bürgerinnen und Bürger, aber auch als Gäste in Österreich lebend verstehen, in der Ausübung unserer Freiheiten auch unserer Pflichten und Verantwor­tung bewusst sein müssen und wollen, bedarf es einer entsprechenden Schulung, ent­sprechender Vorgaben und auch eines entsprechenden Vorlebens anderer – egal, ob das nun Eltern, Erzieher, Vertreter der Politik sind oder der einzelne Mitmensch ist.

In der Antike bezeichnete Aristoteles das Ethos als die Glaubwürdigkeit eines Spre­chers. Jedoch bezieht sich diese Glaubwürdigkeit – damals wie heute – nicht auf den Einzelnen, sondern vielmehr auf das Gesamtgefüge der sozialen Gemeinschaft, deren Teil der Einzelne ist. Demgemäß sollen Ethik und damit auch Ethikunterricht dem Men­schen Hilfen für seine sittlichen Entscheidungen liefern.

Außer Frage steht, dass das Verständnis für Werte und ethisches Verhalten eine Grundfeste unserer Gesellschaft darstellt und daher den heranwachsenden Menschen nahegebracht werden muss. Da sind die Eltern, die Schule und auch die Kirchen und Religionsgesellschaften gefragt und als Partner verantwortlich. Daher kann es nicht da­rum gehen, den einen Partner gegen den anderen auszuspielen, sondern darum, so viel Unterstützung und Begleitung wie möglich für die Kinder und Jugendlichen zu er­möglichen.

Das bedeutet ganz klar: einerseits Ethikunterricht für alle Schülerinnen und Schüler, welche keinen Religionsunterricht erfahren, und andererseits Religionsunterricht für al­le einer staatlich anerkannten Kirche und Religionsgesellschaft angehörigen Schüle­rinnen und Schüler. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.) Das bedeutet auch eine hohe Verantwortung für den kirchlichen Religionsunterricht. Als christliche Kirchen sind wir dazu bereit und stellen uns dieser Verantwortung.

Im Namen der neuapostolischen Christen möchte ich Ihnen Weisheit und Weitblick für die weiteren Beratungen und Beschlussfassungen wünschen. (Beifall.)

15.37


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Abgeordneter Dr. Huainigg. – Bitte.

 


15.37.22

Abgeordneter Dr. Franz-Joseph Huainigg (ÖVP)|: Herr Präsident! Frau Minister! Herr Minister! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich bin für die heutige Enquete sehr dankbar, denn Ethikdebatten gehören ins Parlament, und ich würde mir sehr viel mehr davon wünschen. Angesichts von Diskussionen wie jenen über Designer-Babys oder aktive Sterbehilfe – wie es ja in Europa diskutiert wird – würde ein wenig Ethikunterricht auch den Abgeordneten nicht schaden.

Viele Jugendliche sind auf der Suche nach dem Sinn des Lebens und nach Orientie­rung, da ist es sehr wichtig, dass sie in der Schule ein Fundament bekommen. Jeder Mensch ist in seinem Leben konfrontiert mit Grenzen, gerade am Beginn und am En­de des Lebens. Es geht da nicht nur um Menschenrechte, sondern auch um Men­schenwürde. Das sollte, glaube ich, in den Vordergrund gestellt werden.

Ich sehe es sehr skeptisch, dass Prof. Liessmann gemeint hat, dass der Ethikunterricht nur vernunftbezogen sein könne, denn wir wissen aus der Vergangenheit, aus unserer eigenen Geschichte, wie sehr Ideologien auch die Gesellschaftsbilder prägen können und wie leicht es geht, dass zwischen lebenswertem und ‑unwertem Leben unter­schieden werden kann. Daher glaube ich auch, dass der konfessionelle Unterricht, der Religionsunterricht sehr wichtig ist.

Ich trete dafür ein, dass der Ethikunterricht als Pflichtfach in der Sekundarstufe ein­geführt wird, aber ich glaube, er sollte und darf nicht in Konkurrenz zum Religionsun­terricht stehen. – Danke. (Beifall.)

15.39


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Kastner. – Bitte.

 


15.40.01

Andreas Kastner (Bundesarbeiterkammer)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrter Herr Minister! Sehr geehrte Frau Ministerin! Sehr geehrte Damen und Herren! Der Arbeiterkammer ist es immer ein Anliegen, dass die Schule die jungen Mitbürge­rinnen und Mitbürger bestmöglich auf das Leben nach der Schule, auf das Leben in un­serer Gesellschaft vorbereitet.

Schule muss in diesem Sinn auch die Kompetenzen vermitteln, dass Schülerinnen und Schüler eine eigene Position zu wichtigen Fragen des Zusammenlebens entwickeln können, gleichzeitig aber auch an der Gestaltung unserer Gesellschaft teilhaben kön­nen.

Speziell in einer Gesellschaft wie der unseren, in der jeder Mensch verschiedene Iden­titäten hat, verschiedene Hintergründe, in der es persönliche Zugänge, religiöse und teilweise nicht religiöse Zugänge gibt, ist es wichtig, dass die kommende Generation auf diese Herausforderungen vorbereitet wird.

Dieser Diskurs und die Auseinandersetzungen um Werte und Grundlagen des Zusam­menlebens müssen jedoch gemeinsam geführt werden, und es hat wenig Sinn, wenn man sie trennt, je nachdem, ob es katholische Jugendliche, muslimische Jugendliche, evangelische Jugendliche oder Jugendliche ohne Konfession sind.

In einer Gesellschaft, in der immer mehr Menschen konfessionsfrei sind, einer der klei­neren religiösen Gemeinschaften angehören oder ihren Glauben ohne Kirche leben, ist es für uns wichtig, dass diese Menschen die Möglichkeit haben, an der Entwicklung ei­ner gemeinsamen Grundlage der Gesellschaft teilzuhaben – in einem gemeinsamen Rahmen und nicht getrennt aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit.

Daher wäre es uns wichtig, dass es einen solchen gemeinsamen Ethikunterricht – zum Beispiel nach Vorbildern, wie es sie in Berlin gibt – allgemein für alle Kinder gibt, und dass Lehrer in einem eigenständigen Lehramtsstudium für diesen Unterricht ausge­bildet werden. Ich glaube, nur so ist es möglich, dass die Kinder an der gemeinsamen Gestaltung teilnehmen können: als Gemeinschaft in einer Schule oder als Klasse – und nicht geteilt, je nachdem, welcher Religionsgemeinschaft sie angehören. – Danke. (Beifall.)

15.41


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Bundesrätin Mühlwerth. – Bitte.

 


15.42.05

Bundesrätin Monika Mühlwerth (FPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Minister! Sehr geehrte Damen und Herren Experten! Sehr geehrte Damen und Herren dieses Hohen Hauses! Als Freiheitliche trete ich für die Wahlfreiheit ein: für die Wahlfreiheit, zu entscheiden – im ersten Schritt die Eltern, in der Oberstufe die Schü­ler selbst –, ob man in den Religionsunterricht geht, ob man den Ethikunterricht wählt, oder ob man keines von beiden möchte.

Eine meiner Vorrednerinnen hat es durchaus ähnlich gesehen, wobei ich es mir jetzt nicht verkneifen kann, anzumerken, dass es gerade ein sozialdemokratischer Stadt­schulratspräsident war, der diesen Ethikversuch, bei dem es dann nur noch die Alter­native gab, möglich gemacht hat.

Die Werte- und Moralvorstellungen einer Gesellschaft, die wir an unsere Kinder weiter­geben sollen – wie das Prof. Auer heute angesprochen hat, die Verantwortung für sich selbst und für andere, Toleranz – sind nach meiner Ansicht in allen Fächern relevant, nicht nur in einem, in dem sie explizit unterrichtet werden. Das betrifft auch die natur­wissenschaftlichen Fächer.

Was meiner Meinung nach heute zu wenig herausgekommen ist, ist die Rolle der El­tern. Ich möchte zitieren, was das Schulorganisationsgesetz in § 2 sagt:

„Die österreichische Schule hat die Aufgabe, an der Entwicklung der Anlagen der Ju­gend nach den sittlichen, religiösen und sozialen Werten sowie nach den Werten des Wahren, Guten und Schönen durch einen ihrer Entwicklungsstufe und ihrem Bildungs­weg entsprechenden Unterricht“ mitzuwirken.

Da ist keine Rede davon, dass das einzig Auftrag der Schule ist, wie das heute – für mich zumindest – ein bisschen dargestellt wurde, also es sei nur die Schule dafür zu­ständig. Nein, die erste Wertevermittlung kommt von den Eltern und wird an ihre Kin­der weitergegeben. Die Schule soll dabei sehr wohl unterstützen, wobei ich meine, in allen Fächern. Eine besondere Bedeutung kommt aber natürlich auch der Philosophie zu. Ich danke Herrn Minister Töchterle, dass wir jemanden in den Regierungsreihen haben, der wieder einmal Latein vertritt; zeitweise habe ich mich da ganz alleine ge­wähnt.

Aber: Man muss auch die Möglichkeiten dafür haben, sich diesen staatlichen Vorgaben zu entziehen. Ich kenne Politische Bildung zum Teil und weiß, dass das weiß Gott nicht ideologiefrei abläuft, so wie das heute in einer Art frommen Wunschdenkens mehrmals geäußert wurde.

Sehr geehrte Damen und Herren! Nicht das Fach, in dem es unterrichtet wird, ist das Wesentliche, sondern das Vorleben macht es aus. Das sollten wir alle bedenken! (Bei­fall.)

15.44


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Pietsch. – Bitte.

 


15.44.58

Elisabeth Pietsch (Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage in Österreich)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Mitglieder der Bundesregierung! Sehr ge­ehrte Damen und Herren! Wir bedanken uns für die Einladung zu dieser auch für die Zukunft so wichtigen Diskussion, dafür, dass wir für dieses Land und für die Wertege­sellschaft einen Beitrag leisten dürfen.

In folgenden Punkten möchte ich darstellen, wie die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage – landläufig auch bekannt als Mormonenkirche – das sieht.

Erstens: Der Religionsunterricht für die Angehörigen einer staatlich anerkannten Kir­che und Religionsgemeinschaft soll weiterhin in der Verantwortung der entsprechen­den Religionsgemeinschaft erhalten bleiben, und zwar wie bisher ab der ersten Schulstufe.

Als Mutter, Großmutter und begeisterte Österreicherin möchte ich auch sagen, dass uns der folgende zweite Punkt sehr wichtig ist:

Der Ethikunterricht soll für alle Kinder und Jugendlichen – und das mag jetzt idealis­tisch klingen – ein Pflichtfach sein, und zwar ab der ersten Schulstufe. Denn wer heute erlebt, wie wichtig es für unsere Kinder und Jugendlichen ist, an Ehrlichkeit und all den Werten zu arbeiten, der weiß, dass Kontinuität und Qualität in der Werteerzie­hung von Anfang an notwendig sind.

Daher denken wir, dass es wichtig wäre, diesen Ethikunterricht wenigstens zwei Stun­den im Monat – natürlich mit guter Qualität und gut ausgebildeten Pädagogen – durch­zuführen. Diese zwei Stunden sollten es uns wert sein, die Zukunft der Wertegesell­schaft sollte uns das wert sein.

Warum alle Kinder? – Um eine für die Zukunft unserer Gesellschaft wichtige gemein­same Basis zu schaffen, die tatsächlich den Herausforderungen einer offenen, pluralis­tischen Gesellschaft gerecht werden kann. Das wäre auch ein wichtiger Beitrag zur Integration. Denken wir an Themen wie die Gleichstellung von Mann und Frau, oder den Umgang miteinander und die Wichtigkeit des Dialoges!

Die Vertreter der Religionsgemeinschaften und weiterer sozialer Einrichtungen wie Fa­milienverbände, aber auch Vertreter einer atheistischen Weltanschauung sollten bei der Erstellung der Lehrinhalte und des Lehrplans für den Ethikunterricht mitwirken dür­fen, denn es geht um einen allgemeinen gemeinsamen Konsens. Die Ausbildung der Pädagogen ist natürlich enorm wichtig. Darum sollte auch im Ethikunterricht nicht ver­sucht werden, interne Positionen der Religionsgemeinschaften zu kritisieren, aber der Ethikunterricht ist dazu angetan, den allgemeinen gemeinsamen Konsens zu lehren. (Präsident Neugebauer gibt das Glockenzeichen.)

Auch wir beten dafür, dass dieser Ethikunterricht für die Jugend und für die Zukunft un­seres Landes entscheidend ist und etwas wirklich Wichtiges bringt. Dabei wünsche ich uns allen und Österreich sehr viel Erfolg. (Beifall.)

15.48


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Abgeordnete Mag. Lohfeyer. – Bitte.

 


15.48.49

Abgeordnete Mag. Rosa Lohfeyer (SPÖ)|: Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Mi­nister! Werte Expertin und Experten! Sehr geehrte Damen und Herren! Ich kenne eigentlich nur positive Rückmeldungen – ob das die Evaluierungsergebnisse sind oder verschiedenste Rücksprachen, die ich gehalten habe in verschiedenen Schulen, die an dem Schulversuch teilnehmen.

Ich sehe den Ethikunterricht als eine Chance und auch als eine Dringlichkeit in un­serer pluralistischen Gesellschaft. Ich denke da besonders an Kinder aus bildungsfer­neren Schichten und an Kinder und junge Leute, die in verschiedenen Kulturen und Religionen groß geworden sind. Ich denke, gerade sie brauchen die Auseinanderset­zung mit verschiedensten Religionen, die Reflexion ethischer Probleme, aber auch die­se wichtige Stärkung des Einzelnen besonders, um sich angstfrei im Klassenverband oder in Jugendgruppen zu bewegen beziehungsweise anderen zu begegnen.

Wir haben es heutzutage nicht selten mit aggressiven Haltungen und Reaktionen von Jugendlichen zu tun, auch mit der Übernahme von unreflektierten rassistischen und feindlichen Haltungen anderen gegenüber.

Werte wie Solidarität, Toleranz und Wertschätzung den Mitmenschen gegenüber, aber auch das Hinführen eines jeden Jugendlichen „zu selbständigem Urteil“, „sozialem Ver­ständnis“ und Aufgeschlossenheit gegenüber „dem politischen, religiösen und weltan­schaulichen Denken anderer“ – wie es in Artikel 14 des Bundes-Verfassungsgesetzes festgeschrieben ist –, sind unser aller Auftrag.

Ich wünsche mir einen flächendeckenden Ethikunterricht als Unterrichtspflicht­fach. Ich meine, dass wir aus den vielen schon genannten Gründen einen gesell­schafts- und kulturpolitischen Auftrag dazu haben. Ich meine auch, dass wir bezüglich der LehrerInnen, die dieses Fach unterrichten sollen, im Zuge der bevorstehenden Neustrukturierung der LehrerInnenausbildung auch die Möglichkeit haben, ein eigenes Lehramtsstudium dafür zu installieren. – Danke für die Vielfalt der Diskussionsbei­träge! (Beifall.)

15.51


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Weißgrab. – Bitte.

 


15.51.20

Gerhard Weißgrab (Präsident der Österreichischen Buddhistischen Religionsgesell­schaft)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Frau Bundesministerin! Sehr ge­ehrter Herr Bundesminister! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Repräsentant der österreichischen Buddhistinnen und Buddhisten möchte ich mich herzlich für die Mög­lichkeit bedanken, hier ein paar Gedanken formulieren zu dürfen.

Es ist ein sehr mächtiges Thema, ein sehr wichtiges Thema, und ich möchte dazu nur ganz kurz drei Gedankenansätze skizzieren.

Erstens: Die Zukunft liegt beim Ethikunterricht und beim Religionsunterricht, nicht in einem Konkurrenzverhältnis, sondern in einem ergänzenden und fruchtbaren Miteinan­der.

Zweitens: Bei der Förderung ethischer Bildung durch Einsicht und Wissen in allen Be­reichen – wie die Frau Bundesministerin einleitend gesagt hat – ist damit auch zu einer Art von Einsichtsethik und nicht Vorschriftsethik zu kommen.

Drittens: Förderung der Selbstverantwortung von frühester Jugend an.

Abschließend möchte ich sagen: Die Entwicklung unserer Gesellschaft wird ohne das Selbstverständnis einer fundierten Ethik keine gute sein.

Teil der buddhistischen Ethik ist das Geben: Ich gebe damit dem Herrn Präsidenten den Rest meiner Redezeit zurück. – Vielen Dank. (Beifall.)

15.52


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Bundesrat Schen­nach. – Bitte.

 


15.52.48

Bundesrat Stefan Schennach (SPÖ, Wien)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr ge­ehrte Frau Bundesministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Die Aufgaben, die sich der Schule stellen, werden immer vielfältiger. Neben der Wissensvermittlung sind es vor allem zwei Aufgaben, mit denen die Schule in den letzten Jahren ihre großen Probleme hatte.

Das eine ist, dass sehr viel an Sozialisation von der Familie an die Schule transferiert wird. Das andere ist, dass es am Fundament gescheitert ist, wenn wir sagen, dass In­tegration in unserer Gesellschaft glücken muss – und das Fundament stellt die Schule dar, und daran ist sie zuletzt immer wieder gescheitert. Aber wenn wir diese beiden neuen Aufgabenbereiche sehen, so ist es geradezu eine Herausforderung, einen Ethikunterricht als Pflichtfach einzuführen, nämlich die Vermittlung, das Erfahrbar­machen der Grundlagen des Zusammenlebens.

Das kann nicht funktionieren, indem man eine Art „Restlunterricht“ für jene macht, die keiner anerkannten Religionsgemeinschaft angehören oder sich generell abmelden, sondern das ist eine zentrale Aufgabe. In einer pluralistischen Gesellschaft kann es keine höhere Aufgabe für die Schule geben, als dieses Zusammenleben zu lehren, im Bereich der Toleranz, des Verständnisses – Verständnis gegenüber Kulturen, unter­schiedlichen Mobilitäten, unterschiedlichen Religionen –, aber auch im Bereich der glo­balen Solidarität und Verantwortung.

Neben den Grundwerten gibt es ja auch Werte, die sich innerhalb der Gesellschaft im Wandel befinden: Das Medienrecht und das Familienrecht haben sich doch in den letz­ten 40 oder 50 Jahren völlig gewandelt. Das Verständnis in der Gesellschaft für gleich­geschlechtliche Beziehungen hat sich gewandelt. All dies gilt in einer vernunftorien­tierten Moral und in einer Mündigkeit als eine Grundlage eines solchen Ethikunter­richts.

Die anerkannten Religionsgemeinschaften brauchen keine Angst zu haben, dass sie nicht auch noch eine Funktion haben, aber zuerst muss es einmal diesen Pflichtunter­richt geben – unabhängig davon, woher ein Kind kommt und woher seine Eltern kom­men. Das sollte auch nicht an schlanken Kassen und Budgets scheitern, denn um die Gegensätze und die Probleme, die es später gibt, zu vermeiden, müssen diese Grund­lagen des Zusammenlebens gelehrt und erfahrbar gemacht werden.

Das kann nicht irgendwie geschehen, sondern das sollte auf einer geordneten Basis beruhen, auf der Basis eines Lehramtsstudiums für Ethiklehrende.

Im Übrigen bin ich der Meinung, dass Österreich längst die alevitische Religionsge­meinschaft anerkennen sollte. – Danke. (Beifall.)

15.56


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Schwarzen­bacher. – Bitte.

 


15.56.08

Iris Schwarzenbacher (Aktion kritischer Schüler_innen)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Wie wir alle nur zu gut wissen und wie auch schon öfter angesprochen wurde, ist Österreich auf dem Papier ein laizistischer Staat und sollte weltanschaulich neutral sein.

Die Trennung von Kirche und Staat muss vor allem auch für die Schule gelten, denn die Schule sollte als öffentliche Einrichtung einen geschützten Raum für alle Schüler und Schülerinnen darstellen, in dem sich Kinder und Jugendliche frei von externen und somit auch frei von konfessionellen Einflüssen ihre Meinung und ihre eigenen Wert­vorstellungen bilden können.

Im Moment ist dieser geschützte Raum leider nicht gewährleistet – schaut man sich allein die Durchführung des jetzigen konfessionellen Religionsunterrichtes an. Ein kon­fessioneller Religionsunterricht kann niemals wertneutral sein, vor allem nicht, wenn die Lehrbefugnis von einer Kirche oder einer Religionsgemeinschaft erteilt wird und auch in dem Fall wieder entzogen werden kann, sollte eine Lehrperson nicht das Bild der Kirche vermitteln. Das ist eine Art von konfessionellem Einfluss auf die Schule und von großer Macht, die die Kirchen in den Schulen haben, die sehr wohl – und zwar ganz, ganz eindeutig – dem laizistischen Prinzip der Trennung von Kirche und Staat widerspricht.

Eine notwendige Entwicklung ist – wie schon oft angesprochen – die Einführung eines Ethikunterrichts für alle Schüler und Schülerinnen, und zwar nicht als Ersatz für den Religionsunterricht, wenn man keinen Religionsunterricht besuchen will, sondern an­statt des Religionsunterrichts. Alle Schülerinnen und Schüler sollen die Möglichkeit ha­ben, sich aus nicht-konfessioneller Sicht mit ethischen Fragen und menschlichem Handeln beschäftigen zu können.

Zum Inhalt eines solchen Faches möchte ich noch Folgendes hinzufügen. Was sehr oft und auch in dieser Debatte vermischt worden ist: Ethik ist nicht gleichzusetzen mit Reli­gionsethik, sondern – wie auch schon angesprochen – ein großer Teilbereich der Phi­losophie, die sich mit dem menschlichen Handeln im Allgemeinen befasst. Das darf auf keinen Fall verwechselt werden.

Für die Zukunft des Ethikunterrichts muss gewährleistet werden, dass er nicht als Reli­gionsunterricht durch die Hintertür durchgeführt wird, sondern dass Schüler und Schü­lerinnen auch wirklich die Möglichkeit haben, in der Schule keinen konfessionellen Religionsunterricht zu haben.

Es wurde schon öfter angesprochen, dass die Qualität des Ethikunterrichts ganz stark davon abhängt, wer unterrichtet und wie die Ausbildung ausschaut. Notwendig ist ein eigenes Lehramtsstudium für Ethik, nicht nur die Zusatzausbildung, die es im Mo­ment gibt, denn nur wer diese Thematik auch wirklich studiert hat, ist fähig, dieses Fach zu unterrichten. Deshalb sollte ausschließlich mit Lehrbefugnis durch ein Lehr­amtsstudium Ethik unterrichtet werden können.

Zusammenfassend: Ja zum Ethikunterricht, aber nur wenn gewährleistet wird, dass Ethik keinen Religionsunterricht durch die Hintertür darstellt, sondern ein modernes Fach aus nicht-konfessioneller Sicht ist, denn Ziel dieser Debatte muss eine pluralisti­sche und eine säkulare Schule sein.

Religion ist Privatsache und hat in der Schule nichts verloren. (Beifall.)

15.59


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächster Redner: Herr Dr. Quin. – Bitte.

 


15.59.29

Mag. Dr. Eckehard Quin (Vorsitzender der AHS-Gewerkschaft)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Regierungsmitglieder! Meine Damen und Herren Abgeordnete! Sehr geehrte Damen und Herren! Als Gewerkschafter begebe ich mich von den philo­sophischen Höhen in die Niederungen der Praxis.

Ich möchte hier zum Ausdruck bringen, dass ich mich nicht ganz des Eindrucks erweh­ren kann, dass diejenigen, die einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle fordern, wissentlich oder unwissentlich das Ganze auf die lange Bank schieben wollen.

Ich glaube, dass alle, die mich kennen, mir zumindest zugestehen, halbwegs gut zu rechnen. Ich habe daher ein bisschen gerechnet, was denn die Einführung eines Ethik­unterrichts kosten würde. Die Daten basieren, das sei gesagt, auf den Ethik-Schulver­suchen, die derzeit in Wien und Niederösterreich laufen. Das umfasst etwa 40 Prozent der Schülerpopulation der Sekundarstufe II. Sie sind, glaube ich, daher statistisch rele­vant.

Es würde im Vollausbau, wenn Ethikunterricht als alternativer Pflichtgegenstand eingeführt würde, also als ein Gegenstand, den alle zu besuchen haben, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, in etwa 16 bis 17 Millionen € pro Jahr kosten.

Wenn man einen Ethikunterricht als Pflichtgegenstand für alle Schülerinnen und Schüler in der Sekundarstufe II einführen würde, dann würde das etwa 160 Millionen € jährlich kosten.

Wenn man das auf alle Schulstufen ausweiten würde, wären wir bei ungefähr 332 Mil­lionen €.

Ich begrüße jeden Euro, der ins österreichische Bildungssystem fließt. Bei aller weltan­schaulicher Differenz zur Frau Abgeordneten Musiol bin ich mit ihr einer Meinung: Mehr Geld für die Bildung ist immer gut! Mir fehlt allerdings ein bisschen der Glaube, dass das Hohe Haus dreistellige Millionen-Euro-Beträge investieren wird, um einen Ethikunterricht umzusetzen.

Daher plädiere ich sehr dafür, dass wir mit dem beginnen, was sich in 14 Jahren Schul­versuchen bewährt hat, nämlich Ethikunterricht als alternativer Pflichtgegenstand – selbstverständlich mit einer profunden Ausbildung für alle, die das unterrichten; das ist keine Frage. Ich kann mir aber nicht vorstellen, dass man Personengruppen davon ausschließt, also zu sagen: Alle, die einen konfessionellen Religionsunterricht erteilen, dürfen keine Ethik-Lehrer werden! – Das entspricht nicht ganz meinem Verständnis von freiheitlicher Demokratie.

Damit hoffe ich, dass das Hohe Haus sehr bald den schon lang dauernden Schulver­such ins Regelschulwesen überführen, nämlich einen alternativen Pflichtgegenstand Ethik zunächst einmal zumindest in der Sekundarstufe II einrichten wird. – Vielen Dank. (Beifall.)

16.02


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Zu Wort gelangt nun Herr Mag. Horst Schachtner. – Bitte.

 


16.02.32

Mag. Horst Schachtner (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst)|: Sehr geehrter Herr Präsi­dent! Sehr geehrte Vertreter und Vertreterinnen der Bundesregierung! Ich bin von der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst eingeladen worden, den Bereich Berufsschule bei dieser Enquete zu vertreten.

Ich unterrichte seit 15 Jahren Religion an zwei Wiener Berufsschulen, bin aber auch geprüft für andere Gegenstände, habe die Lehramtsprüfung zum Beispiel für Rech­nungswesen und Politische Bildung. Mittlerweile leite ich eine dieser beiden Berufs­schulen. Ich möchte einmal Zeugnis darüber geben, damit es nicht permanent heißt, ich käme etwa als Religionslehrer durch die Hintertür. Ich bin für diese Gegenstände, und das entspricht eben meiner Ethik, für alle Schülerinnen und Schüler in gleichem Maße da.

Ich lege aber auch Wert darauf, dass der Religionsunterricht auch in der Berufsschu­le – dort wird er als Freigenstand geführt, ich stelle also mit meinem Religionsunterricht eine Alternative zum Beispiel zu Englisch oder zu Sport und Bewegung dar – als eine Alternative sehr wohl auch gewählt wird, weil er wichtig ist für die Diskussion, für den Dialog, der später auch in anderen Gegenständen erfolgen kann, wie zum Beispiel „Politische Bildung“.

Ich sehe den Dialog, die Dialogfähigkeit über Religion nämlich einem Ethikunterricht vorgelagert. Ich kann nur etwas ins Wort bringen, in die Diskussion einbringen, was ich auch tatsächlich wahrnehme, auch im öffentlichen Bereich wahrnehme, wo ich in der Lage bin, etwas zu artikulieren, etwas auch zu kritisieren, wenn ich mich auskenne, wenn ich also in meiner eigenen Religiosität, in meinem eigenen religiösen Segment auch einen Standpunkt finden kann.

Es gibt keinen Religionenunterricht, ohne dass da Menschen sitzen, die auch religiöse Empfindungen vorher in ihrer eigenen Identität wahrgenommen haben, in den Dialog gebracht haben, miteinander kommuniziert haben. Und gerade da hat der Religionsun­terricht einen Stellenwert, der nicht einfach von der öffentlichen Hand ignoriert werden kann.

Ich sehe somit den Religionsunterricht in der jetzigen Form als enorm notwendig, den Ethikunterricht sehe ich als eine echte Alternative – als eine echte Alternative für viele Schüler, die aus welchen Gründen auch immer am Religionsunterricht nicht teilneh­men. (Beifall.)

16.04


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nächste Rednerin: Frau Mag. Zins. – Bitte.

 


16.05.03

Mag. Isabella Zins (Gewerkschaft Öffentlicher Dienst)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Vertreter der Bundesregierung und des Nationalrates! Sehr geehrte Da­men und Herren! Ich melde mich in zwei Rollen zu Wort, einerseits als Bundesobfrau der Vereinigung christlicher Lehrer/innen, die sich schon sehr lange für die Einfüh­rung eines Ethikunterrichts starkmacht, andererseits als Direktorin einer der Schulen, die den Ethikunterricht im Schulversuch eingeführt haben – allerdings an meinem ORG in Mistelbach erst im zweiten Jahr –, wo Ethik unterrichtet wird von Kolleginnen und Kollegen, die eine sehr umfangreiche und fundierte Ausbildung an der Pädagogischen Hochschule Niederösterreich gemacht haben. – So weit zur Ausbildung.

Ich kann den Argumenten für einen verpflichtenden Ethikunterricht für alle Schü­lerinnen und Schüler viel abgewinnen. Als Praktikerin habe ich allerdings die Sorge, die auch mein Vorvorredner schon angesprochen hat, nämlich, dass nach den vielen schönen Worten, die wir heute hier gehört haben, alles beim Alten bleiben wird, eben weil das Ganze am schnöden Mammon scheitern wird. Und das würde mir sehr leid­tun.

Wenn ich sehe, dass an meiner Schule für diesen Schulversuch nicht einmal ein paar Werteinheiten zur Verfügung stehen, wie meine Kollegen aus Wien gesagt haben, dass wir schauen müssen, wo wir es abzwacken, dass dafür kein Freigegenstand Fuß­ball, keine Sprachteilung möglich ist, dann möchte ich hier wirklich noch einmal beto­nen, dass es absolut nicht realistisch sein kann, diesen Gegenstand für alle Schüle­rinnen und Schüler einzuführen.

Was ich mir als Ergebnis dieser heutigen Enquete wirklich dringend wünsche, ist da­her, dass es für alle Schülerinnen und Schüler, für alle uns anvertrauten jungen Men­schen in diesem Lande eine Anleitung, eine Werteerziehung als Anleitung zu einem geglückten Leben geben kann, ja muss.

Und das deckt aus meiner Sicht der Religionsunterricht auf der einen Seite sehr gut ab – das kann ich auch wieder aus der Praxis bestätigen. In keinem anderen Fach ste­hen die Kolleginnen und Kollegen so sehr auf dem Prüfstand wie in diesem Fach, wo sie jedes Jahr fürchten müssen, dass sich Schülerinnen und Schüler abmelden. Ge­rade in diesem Fach gibt es sehr viel Gelegenheit zur Diskussion, und ich sehe wirklich nicht die Gefahr einer Indoktrination.

Ebenso geschieht dies im Fach Ethik an meiner Schule – auch das kann ich aus der Praxis bestätigen. Und ich wünsche mir dringend die Einführung des Ethikunterrichts als alternativen Pflichtgegenstand, damit die „Alternative“ zum konfessionellen Reli­gionsunterricht nicht weiterhin Kaffeehaus heißt. (Beifall.)

16.07


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Ich danke allen, die in dieser Diskussions­runde zu uns gesprochen haben.

16.07.32V. Resümee

 


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Wir kommen nun zu den abschließenden Stellungnahmen der Repräsentanten/Repräsentantinnen der Parlamentsklubs.

Die Redezeit beträgt jeweils maximal 5 Minuten. Zeitgeschenke werden angenommen.

Als Ersten ersuche ich den Bildungssprecher des SPÖ-Klubs, Herrn Abgeordneten El­mar Mayer, um seine Stellungnahme. – Bitte.

 


16.07.53

Abgeordneter Elmar Mayer (SPÖ)|: Herr Präsident! Geschätzter Herr Minister! Frau Ministerin! Geschätzte Kolleginnen und Kollegen! Hohes Haus! Gäste im Hohen Haus! Als Normalsterblicher versucht man, wenn man an dieses Thema herangeht, auch in Gedanken Revue passieren zu lassen: Wie war der eigene Religionsunterricht? Wie hat man das erlebt? Hat man selber Ethikunterricht erlebt? Was fehlt an den Schulen?

Ich habe den Vorteil gehabt, dass ich unseren Religionsunterricht sehr gut in Erinne­rung habe. Ich habe auch meine Ausbildung an der Pädagogischen Akademie – ich darf sehr herzlich Herrn Professor Dr. Hans Fink begrüßen, der damals mein Lehrer war – als sehr positiv erfahren und weiß auch um das Bemühen, wirklich Fortschritte zu erzielen, was den Religionsunterricht anbelangt. Also ich glaube, von dem her ist es eine Debatte, die jetzt, heute, einen entscheidenden Schritt für uns weitergeht.

Ich möchte mich, weil ich mich sehr pragmatisch an dieses Thema angenähert habe, auch ganz herzlich bedanken bei jenen, die heute zum Teil schon als Referenten zu Wort kamen, bei Herrn Direktor Dr. Braunstein, der mir die Möglichkeit gegeben hat, wirklich hinter die Kulissen zu schauen, was sich im Ethikbereich tut, und bei Frau Dr. Kitzberger, die auch das erste Buch dazu verfasst hat, wo ich lesen konnte und an­schauen konnte, was den Ethikunterricht ausmacht. Und ich muss eigentlich feststel­len, dass in diesem Unterricht genau jene Dinge behandelt werden, die wir bei vielen Bildungsdebatten immer diskutieren, die auch heute angesprochen wurden, die wir ei­gentlich in der Schule lebendig haben wollen, die aber nirgends, in keinem speziellen Unterrichtsfach, so richtig Platz haben.

Ich meine, es ist auch recht gut gelungen, heute einen breiten Bogen zu spannen, von Kurt Greussing angefangen über Liessmann bis hin zu Zulehner, wirklich einen Einblick zu geben: Was braucht es an den Schulen? Und ich meine, der Ethikunterricht steht wohl nach der heutigen Debatte für alle, die teilgenommen haben, außer Streit. Also: Es muss einen Ethikunterricht geben. Die Frage ist dabei: Wie soll er organisiert, wie soll er gestaltet, wie kann er finanziert werden?

Man wird – da gebe ich den Vertretern der Gewerkschaft schon recht – über die Art der Finanzierung natürlich reden müssen. Wir alle wissen, dass wir in Zeiten von knappen Finanzen leben. Und man muss auch darüber reden: Wo bleiben die Finanzen, die der­zeit nicht von den Religionsgemeinschaften abgerufen werden?

Da wird ja vom Ministerium Geld an die Länder bezahlt, und dann entfällt, weil sich so viele auch abmelden oder keine Gruppen zustande kommen in den gesetzlich aner­kannten Religionsgemeinschaften, der Unterricht beziehungsweise wird kein Unterricht angeboten. Glauben Sie, dass das Geld ans Ministerium zurückfließt? Das ist eines je­ner vielen Körberlgelder, die die Landesschulräte und Stadtschulräte haben, um ande­re Dinge tun zu können.

Da sind wir beim Thema Verwaltungsreform. Auch da bin ich schon Ihrer Meinung, man muss darüber reden: Wo ist das Geld, was kann man machen, wenn man es will? Und ich meine, die heutige Debatte hat einwandfrei ergeben: Wir wollen einen Ethikun­terricht, der losgelöst von allen anderen Bereichen ist, der selbstständig vom Staat or­ganisiert wird, der Lehrer zur Verfügung hat, die eine eigenständige tertiäre Ausbildung haben.

Wir haben derzeit aktuell die Debatte: Wie sollen wir neue Lehrerinnen und Lehrer aus­bilden? Ich meine, ein eigenes Ausbildungsfach für Ethiklehrer ist ein Gebot der Stun­de. Und es muss einen einheitlichen Lehrplan geben, nach dem alle dann gemeinsam unterrichten. Das kann auch keine Frage sein.

Und die entscheidende Frage, die wir uns dann stellen müssen, ist: Wie können wir es umsetzen? Da ist dann die Politik gefordert. Politik ist oft die Kunst, die Dinge möglich zu machen, und ich meine, nach dem heutigen Appell, nach der heutigen Veranstal­tung, nach den Vorträgen, die wir heute gehört haben, sind wir tatsächlich aufgerufen, in diese Richtung die entscheidenden Schritte zu setzen.

Ich kann nur versprechen: Vonseiten unserer Fraktion wollen wir alles dazu tun, dass wir einen entscheidenden Schritt in Richtung eines eigenständigen Ethikunterrichts machen, der dann auch diesen Namen verdient. – Danke schön für die Diskussion und weiterhin viel Erfolg! (Beifall.)

16.12


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Für den ÖVP-Klub spricht nun Frau Abge­ordnete Mag. Fuhrmann. – Bitte.

 


16.12.22

Abgeordnete Mag. Silvia Fuhrmann (ÖVP)|: Sehr geehrter Herr Präsident! Frau Bun­desministerin! Sehr geehrter Herr Bundesminister! Geschätzte Experten und Exper­tinnen! Ich möchte mich eingangs sehr herzlich für die heutige Enquete bedanken, für die zahlreichen Ausführungen, für die Information, die uns hier dargebracht wurde und die wir dann auch im Zuge einer weiteren parlamentarischen Debatte diskutieren und besprechen werden.

Diese Debatte heute hat eines gezeigt, nämlich, dass wir alle, und das kann ich, glaube ich, kritiklos sagen und auch für alle geltend unterstreichen, dass Ethik wichtig für eine Werteerziehung ist – ich glaube, da sind wir grundsätzlich einer Meinung – und in einer pluralistischen Gesellschaft die Vermittlung von Werten einfach unverzichtbar geworden ist. Dies nicht nur deshalb, weil es in der Bundesverfassung verankert ist und auch Schulen aufgefordert werden, Orientierung an religiösen, an moralischen Werten zu ermöglichen – es ist wie ein Unterrichtsprinzip im Schulorganisationsgesetz festgeschrieben; das heißt, junge Menschen sollen in der Entwicklung von sittlichen, religiösen und sozialen Werten und Anlagen gefördert werden –, sondern auch deswe­gen, weil wir der Meinung sind, dass allen Schülerinnen und Schülern ein Zugang zu diesen Fragestellungen, zu der Auseinandersetzung mit Werten, mit Vorstellungen von Moral ermöglicht werden soll.

Wenn sich Schülerinnen und Schüler vom Religionsunterricht abmelden oder sie über­haupt keinen Zugang dazu haben, weil sie keiner Konfession angehören, dann bedarf es hier einer Lösung.

Es wurde schon vielfach angesprochen, dass es bereits seit 14 Jahren, wie wir heute gehört haben, sehr erfolgreiche Schulversuche gibt, die durchgeführt wurden, wo jenen Schülerinnen und Schülern, die sich vom Religionsunterricht abmelden, als Alternative Ethikunterricht angeboten wurde.

Herr Dr. Bucher hat in seinem Statement erklärt, dass die Evaluierung ergeben hat, dass diese Schulversuche sehr positiv angenommen und begrüßt werden und dass so­gar nachgewiesen werden konnte, dass ausländerfeindliche Stereotype durch Ethikun­terricht reduziert werden können, aber auch die sittliche Handlungsbereitschaft erhöht werden kann.

Und nicht zuletzt ist Ethikunterricht natürlich auch eine Maßnahme, um die Kommu­nikationskultur und den Klassenzusammenhalt zu stärken.

Eines gilt es aber zu betonen, und da möchte ich Dr. Kampits zitieren, der Folgendes gesagt hat: Es geht nicht um ein Entweder-Oder, sondern vielmehr um ein Gegenein­ander! Dieser Meinung bin ich auch, und ich würde davor warnen, die Diskussion in diese Richtung laufen zu lassen. Vielmehr geht es meiner Meinung nach darum, den jungen Menschen zur gesellschaftlichen Orientierung, aber auch zur persönlichen Ent­wicklung Werte an die Hand zu geben, ein Rüstzeug an die Hand zu geben, um auch zu lernen, sich mit unterschiedlichen Meinungen und Positionen kritisch auseinander­zusetzen, oder auch gewappnet zu sein – und jedem Menschen passiert das leider auf seinem Lebensweg –, sich schwierigen Situationen, wie einer schweren Krankheit oder sogar dem Tod, stellen zu können.

Da stellt man sich oft die Sinnfrage, und ich denke, auch im Rahmen einer Werteer­ziehung kann das entsprechende Rüstzeug ein wesentlicher Bestandteil für eine ge­sunde und glückliche Entwicklung sein.

Dass es hier gut ausgebildete Pädagoginnen und Pädagogen braucht, ist unbestritten. Diese sind als VermittlerInnen besonders wichtig und haben eine besonders zentrale Rolle. Deshalb bin ich auch der Meinung, dass wir für das Fach Ethik jedenfalls eine Zusatzausbildung an den Pädagogischen Hochschulen brauchen.

Noch eine konkrete Aussage zum Schluss: Ich bin dafür, dass wir auf Basis der Schul­versuche nach 14 Jahren nun den Ethikunterricht für alle, die keinen konfessionellen Religionsunterricht besuchen, ins Regelschulwesen überführen, als ersten Schritt in die Sekundarstufe II. Ich denke, es wäre an der Zeit. (Beifall.)

16.16


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nun kommt der Bildungssprecher des FPÖ-Klubs, Herr Abgeordneter Dr. Rosenkranz, zu Wort. – Bitte.

 


16.16.41

Abgeordneter Dr. Walter Rosenkranz (FPÖ)|: Herr Präsident! Geschätzte Versamm­lung! Ethik und Religion ist das Thema des heutigen Nachmittags gewesen, mit einer durchaus qualitätsvollen Diskussion und Debatte. Und es kommt immer heraus: Die Religionen und der Ethikunterricht sollen einander nicht konkurrieren. Was denn als Konkurrenz ist es, wenn ich mich ab einem bestimmten Zeitpunkt für das eine oder das andere entscheiden muss?

Wir haben als Grundprinzip in unserer Sichtweise immer das Prinzip der Freiheit, das über allem steht. Und so muss es möglich sein, den Ethikunterricht als Wahlfach zu nehmen, Religion als Wahlfach zu nehmen, und auch, beides zu nehmen. Warum ist das ausgeschlossen? Warum soll das auf einmal ausgeschlossen sein, wenn beide Seiten so überzeugt sind, dass beide Unterrichtsarten so hervorragend sein werden? Es muss aber auch möglich sein, beides nicht zu nehmen. Das ist eigentlich unser Zu­gang.

Wir haben gehört von den Wünschen, dass man jetzt einmal in der Sekundarstufe II beginnen soll. Kollege Huainigg hat gemeint, es soll in der Sekundarstufe sein. Und es kamen auch die Wünsche, dass es bereits ab der ersten Schulstufe möglich sein soll. Also hier gibt es unterschiedlichste Betätigungsfelder. Wir glauben, in der Sekundarstu­fe II ist der richtige Ort, einen Ethikunterricht einzuführen, allerdings wenn, dann nur als Wahlgegenstand.

Wo ist denn – diese Frage an alle, die gesprochen haben – jetzt auf einmal die Schul­autonomie geblieben? Warum ist denn auf einmal nicht mehr die Frage, ob ein Ethik­unterricht oder ein Religionsunterricht angeboten wird? An alle Prediger der Schulauto­nomie – es sind ja eigentlich alle Fraktionen, die sich für diese Stärkung entscheiden wollen –: Wo ist der Ansatz geblieben? Wieso kann zum Beispiel eine Schule da oder dort im Zusammenspiel der Schulpartner nicht entscheiden: Wir wollen das eine oder das andere haben!? Das fällt komplett auch aus dieser Diskussion heraus.

Eine klare Absage erteilen wir jedenfalls der Diskussion, dass man sagt: Die Religion hat in der säkularen Schule überhaupt nichts mehr verloren. Wir bekennen uns dazu, dass die Religionen ein wesentlicher Bestandteil unseres kulturellen Erbes sind und daher auch Bestandteil unserer Gesellschaft, so wie es auch im Gesetz steht: zum sitt­lichen, religiösen und sozialen Wert zu erziehen. Daher hat der Religionsunterricht, wenn es die Kirche oder Religionsgesellschaft auch möchte, Platz in der öffentlichen Schule. Das muss gewährleistet bleiben. Zwingen kann man natürlich auch die Reli­gionsgemeinschaft nicht dazu.

Jetzt die Frage des Ethikunterrichts selbst. – Wer soll es unterrichten? Meiner Mei­nung nach muss jeder Lehrer einen hohen ethischen Anspruch erfüllen, egal in wel­chem Gegenstand, und ethische Prinzipien müssen auch in anderen Gegenständen angesprochen werden, ob das Philosophie oder Biologie ist, ob das in Geographie oder Geschichte ist, in Physik, in Kunstgeschichte, Musik oder auch Bildende Erzie­hung – es muss überall gelebt und erzogen werden können.

In diesem Spannungsfeld tut sich auch eines auf, und es wurde von meiner Kollegin Monika Mühlwerth, aber auch von Herrn Professor Auer angesprochen: die Rechte der Eltern. Das geht irgendwie komplett unter. Da versucht der Staat immer mehr, alles an sich zu ziehen. Bei der Reform, die Maria Theresia eingeleitet hat, indem sie das Volksschulwesen für alle eingeführt hat, war es nicht so sehr der pure Humanismus, der sie dazu gedrängt hat, sondern einfach der Versuch, die Bildung von der Kirche wegzunehmen und dem Staat zu geben.

Diesen Versuch sehe ich auch hier, und es ist nicht alles eitel Wonne und Waschtrog, was uns da vorgegeben wird. Die Äußerung von Vertretern der Aktion kritischer Schü­ler, aber auch von Bundesrat Schennach gehen meines Erachtens eher in die Rich­tung, dass hier sukzessive der Religionsunterricht abgeschafft werden soll – einmal das erste Scheibchen, dann das zweite, dritte und dann das nächste, bis zum Schluss nichts mehr übrig bleibt.

Dazu sind aber die Religionen in unserer Gesellschaft – und zwar alle Religionen – zu wichtig. Ich glaube, es geht nicht darum, ob Ethikunterricht oder Religionsunterricht, sondern hier muss man natürlich auch von der Qualität sprechen. Ein guter Religions­unterricht ist wahrscheinlich besser als ein schlechter Ethikunterricht – und umge­kehrt.

Zum Schluss: Wenn es heißt, der Ethikunterricht sei das Neutrale, das Unabhängige, dann muss ich sagen: Geschätzte Damen und Herren, wenn man weiß, wie „verpar­teipolitisiert“ die österreichische Lehrerlandschaft ist, dann ist auch da ein gewisses Misstrauen angebracht. (Beifall.)

16.21


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Nun erteile ich dem Bildungssprecher des Parlamentsklubs der Grünen, Herrn Abgeordnetem Dr. Walser, das Wort. – Bitte.

 


16.21.11

Abgeordneter Dr. Harald Walser (Grüne)|: Herr Präsident! Frau Ministerin! Herr Minister! Geschätzte Expertinnen und Experten und Gäste hier im Hohen Haus! Ich glaube, eine Angst war heute Nachmittag von vielen Vertreterinnen und Vertretern der Religionsgemeinschaften spürbar: die Angst, aus der Schule gedrängt zu werden, die Angst, an den Rand gedrängt zu werden, die Angst, aus der Gesellschaft gedrängt zu werden.

Ich glaube, dieser Angst muss man das entgegensetzen, was in dieser Diskussion auch deutlich geworden ist, nämlich die Bedürfnisse, die der Staat in der jetzigen Situa­tion hat. Lassen Sie mich auf ein konkretes Beispiel eingehen. Ich habe gestern eine Schulklasse aus Lustenau durch das Parlament geführt: Von 26 SchülerInnen nehmen laut Befragung sechs am Religionsunterricht teil.

Es ist heute Nachmittag mehrfach angesprochen worden, was wir als Staat in Richtung Werteerziehung machen können. Wie wollen wir einen qualitativen Ethik- und Reli­gionenunterricht gewährleisten, wenn wir nicht alle Schüler gemeinsam darüber disku­tieren lassen, was denn Werte sind? Ich möchte es nicht Fundamentalisten über­lassen, über die Rolle der Frau mit Schülerinnen und Schülern alleine zu diskutieren. Ich möchte, dass das vom Staat ausgebildete – gut ausgebildete! – Pädagoginnen und Pädagogen machen.

Über etwas haben wir heute auch nicht gesprochen, nämlich über die Krise des Reli­gionsunterrichts. Ich bin Direktor einer großen Schule, im Juni jeweils bei der Matura dabei. Und wenn man sich die Fragen anhört, die da gestellt werden, merkt man, dass von einem konfessionellen Religionsunterricht teilweise gar nicht mehr die Rede sein kann. Der Religionsunterricht in der Praxis entwickelt sich schon längst in Richtung eines allgemeinen Unterrichts. Nehmen wir das als Staat zur Kenntnis und versuchen wir hier nicht gegen die Religionsgemeinschaften und die Kirchen, sondern mit ihnen eine Lösung herbeizuführen, an deren Schluss allerdings klar das Ziel stehen muss: Wir wollen einen einheitlichen Ethik- und Religionenunterricht, und wir wollen den kon­fessionellen Religionsunterricht in der Schule durchaus als Möglichkeit, aber eben nicht als Verpflichtung.

Es sind ja auch gemeinsame Werte – das wurde heute Nachmittag auch mehrfach an­gesprochen –, die auch diese Konfessionen und Religionsgemeinschaften kennzeich­nen. Also lassen wir den Schülerinnen und Schülern auch die Chance, das im Dialog miteinander in der Diskussion, in der Auseinandersetzung auszuloten, was es da an Werten gibt.

Es ist ein schöner Satz zitiert worden: Um ein Kind zu erziehen, braucht es ein ganzes Dorf! – Die Schlussfolgerung war allerdings das Gegenteil von dem, was wir wollen. Wenn es ein ganzes Dorf braucht, dann braucht es auch die ganze Palette an Mei­nungen, an Überzeugungen, um schlussendlich zu jener Wertehaltung zu kommen, die wir als Gesellschaft einfordern und wo wir uns auch sehr schwertun, das zu definieren. Da müssen wir auch einmal zugeben, das ist nicht so ganz einfach, da muss vieles of­fen bleiben, das können wir nicht abschließend ausdrücken. Aber ich glaube, im Dialog von Schülerinnen und Schülern mit ihren Lehrkräften – mit ihren gut ausgebildeten Lehrkräften – entwickelt sich das, was wir als gemeinsame Werte bezeichnen.

Es ist auch erwähnt worden, dass die Diskussion hier ausgehen wird wie das Horn­berger Schießen – es ist schlicht kein Geld da. Das Finanzrahmengesetz spricht eine eindeutige Sprache, und wir werden also zu diesem von der ÖVP gewünschten alter­nativen Pflichtgegenstand nicht kommen können. Ich bedauere das, denn, wie gesagt, wir haben hier weiter gehende Forderungen.

Ich habe jetzt den Wunsch des Herrn Präsidenten nicht ganz erfüllen können, Zeit zu­rückzugeben, aber ein ganz klein wenig bleibt noch übrig. – Danke. (Beifall.)

16.25


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Danke für das Bemühen.

Nun spricht der Vertreter des BZÖ-Parlamentsklubs, Herr Abgeordneter Petzner. – Bitte.

 


16.26.04

Abgeordneter Stefan Petzner (BZÖ)|: Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Vor zwei Tagen ist Osama bin Laden von amerikanischen Elite-Soldaten erschossen wor­den, und der amerikanische Präsident Barack Obama hat dann im Fernsehen erklärt: Justice has been done!, die Gerechtigkeit hat gesiegt, wir haben Gerechtigkeit ge­schaffen. Daraufhin haben tausende Menschen auf den Straßen gejubelt und diesen Mord gefeiert.

Sie werden sich jetzt wahrscheinlich fragen, warum ich dieses Beispiel bringe, was das mit der heutigen Enquete, mit dem Ethikunterricht zu tun hat. Ich möchte Ihnen eine Antwort in der Form bieten, dass ich den deutschen Bundestagsvizepräsidenten Wolf­gang Thierse zitiere, der von der SPD kommt – jetzt sollte auch der Kollege der Arbei­terkammer gut zuhören, wenn er das Berliner Modell des Ethikunterrichtes gelobt hat. Thierse hat am 4. Dezember 2008 in der „Berliner Zeitung“ zum Ethikunterricht erklärt, dass es sich dabei um einen „staatlich verordneten Weltanschauungsunterricht“ han­delt.

Und Thierse hat weiter gesagt: Ich weiß, was das ist! – Thierse weiß das deswegen so genau, weil er aus der DDR stammt.

Wir haben negative Erfahrungen in der österreichischen Geschichte – ich erinnere an den sogenannten Lebenskundeunterricht, den es hier einmal in einer sehr düsteren Zeit gegeben hat –, und wir haben negative Erfahrungen, was die marxistischen Sys­teme betrifft, was den politischen Missbrauch eines sogenannten Ethikunterrichtes an­langt.

Und davor möchte ich zum Schluss als letzter Redner warnen. Wir müssen aufpassen, dass der vermeintlich positive Ethikunterricht nicht zu einem staatlich verordneten, politisch beeinflussten Gesinnungsunterricht wird. Das kann er nicht sein, das darf er nicht sein!

Diese Gefahr kann aber derzeit aber nicht ausgeschlossen werden, zumal völlig unklar ist, wie die Ausbildung dieser Ethiklehrer ausschauen soll. Diese Frage konnte heute niemand beantworten – vielmehr wurde auf die problematische Nicht-Ausbildung in Deutschland verwiesen –, und niemand konnte die Frage beantworten, wie konkret der Lehrplan eines solchen Ethikunterrichtes ausschauen soll, welche Werte dort vermit­telt werden, welche Ansicht von Ethik, welche Werte in einem Ethikunterricht den jun­gen Menschen dieses Landes vermittelt werden.

Noch einmal: Die Geschichte zeigt uns – und das amerikanische Beispiel einer verord­neten Staatsethik, wo es als staatlich notwendig und gerecht bezeichnet wird, Men­schen zu ermorden, soll uns ein warnendes Beispiel sein –, in welche negative Rich­tung auch so ein Ethikunterricht missbraucht werden kann.

Ich darf Sie wirklich ersuchen, auch im Sinne der jungen Menschen dieses Landes – und ich gehöre selber zur jungen Generation –, diese Gefahr nicht zu unterschätzen.

Der große Philosoph der Aufklärung, Immanuel Kant, der sich auch sehr viel mit der Frage der Ethik beschäftigt hat, hat die Ethik bezeichnet mit der Frage: Was soll ich tun?

Wir sollen und müssen uns heute in Anlehnung an dieses Zitat des Immanuel Kant klarmachen, dass wir im Sinne der jungen Menschen dieses Landes auch in der Frage des Ethikunterrichtes nach bestem Wissen und vor allem Gewissen das Richtige tun müssen, das Richtige für die junge Generation bewerkstelligen müssen.

Es ist heute das Beispiel genannt worden, dass es im Ethikunterricht darum geht, das Werten zu lehren, und das ist nicht zu verwechseln mit politischen Wertungen, politi­schen Weltanschauungen, die im Rahmen eines Ethikunterrichtes indoktriniert werden könnten – ich betone: könnten.

Diese Gefahr darf – noch einmal! – nicht unterschätzt werden! Daher lehnen wir vom BZÖ auch den Ethikunterricht nicht von Haus aus ab. Wir stellen uns dieser Diskus­sion, aber wir führen eine sehr kritische Diskussion. Wir wollen eine Diskussion führen, die auch die Hintergründe beleuchtet – und erst dann, wenn ein konkretes Modell, ein konkreter Lehrplan und auch ein konkreter Ausbildungsplan auf dem Tisch liegen, ent­scheiden.

Schlusssatz, auch in Richtung des Herrn Kardinals Schönborn, der heute hier bei uns ist: Dass es die Diskussion um den Ethikunterricht gibt, ist ja vielmehr auch – das muss man sagen – ein Problem der römisch-katholischen Kirche, weil der Religionsunter­richt, vor allem der der römisch-katholischen Kirche – das zeigen die vielen Abmeldun­gen –, ja kein Problem des österreichischen Bildungssystems an sich ist, sondern ein Problem der Ausbildung der Religionslehrer, ein Problem der römisch-katholischen Kirche, die da offensichtlich Handlungsbedarf hat. Das darf gerade ich sagen, der ich im Unterschied dazu ein positives Beispiel bin, weil ich sogar in Religion maturiert ha­be. (Heiterkeit und Beifall.)

16.31


Vorsitzender Präsident Fritz Neugebauer|: Ich schließe die Debatte und bedanke mich sehr herzlich bei den beiden Mitgliedern der Bundesregierung, bei allen Referen­ten, bei allen, die hier das Wort ergriffen haben, bei den Kollegen aus dem Nationalrat, aus dem Bundesrat, den Zuhörerinnen und Zuhörern für ihr Interesse.

Ich weise noch einmal darauf hin, dass ein Stenographisches Protokoll dieser Enquete angefertigt wird, das über das Internetangebot des Parlaments zur Verfügung gestellt werden wird.

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Die Enquete ist geschlossen.

16.31.44Schluss der Enquete: 16.32 Uhr

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