83/A XXV. GP

Eingebracht am 17.12.2013
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ein Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden (Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz AREG)

 

 

ein Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden (Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz AREG)

ANTRAG

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden (Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz AREG)

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

ein Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden (Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz - AREG)

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

„Bundesgesetz, mit dem die Opfer der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze amnestiert, rehabilitiert und entschädigt werden 

(Amnestie-, Rehabilitierungs- und Entschädigungsgesetz - AREG)

 

§ 1. (1) Die Republik Österreich verurteilt jede Form der Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen homo- und bisexuelle Frauen und Männer. Sie bedauert, dass homo- und bisexuelle Frauen und Männer in der Vergangenheit schweren Verfolgungen ausgesetzt waren und auch heute noch mit Diskriminierungen konfrontiert werden.

(2) Die Republik Österreich bedauert, dass auch in der Zweiten Republik § 129 I lit. b des Strafgesetzes 1852 unverändert in Kraft blieb und 1971 durch weitere Sonderstrafgesetze ersetzt wurde. Österreich bekennt, dass durch die nach 1945 weiter bestehende Strafdrohung homo- und bisexuelle Bürgerinnen und Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt worden sind.

§ 2. (1) Sonderstrafgesetze im Sinne dieses Bundesgesetzes sind:

1.      § 129 I lit. b iVm § 130 Strafgesetz 1945 (StG), A. Slg. Nr. 2, insoweit sie Handlungen erfassten, die bei verschiedengeschlechtlicher Begehung nicht strafbar waren 

2.      § 129 I iVm § 130 StG, jeweils idF gem. Art. I Z. 5 Strafrechtsänderungsgesetz 1971, BGBl Nr. 1971/273, insoweit sie Handlungen erfassten, die bei verschiedengeschlechtlicher Begehung nicht strafbar waren

3.      § 500 StG, BGBl Nr. 1971/273

4.      § 517 StG, BGBl Nr. 1971/273

5.      § 518 StG, BGBl Nr. 1971/273

6.      § 209 Strafgesetzbuch (StGB), BGBl. Nr. 1974/60

7.      § 209 StGB idF gem. BGBl 1988/599

8.      § 210 StGB, BGBl. Nr. 1974/60

9.      § 220 StGB, BGBl. Nr. 1974/60

10.    § 221 StGB, BGBl. Nr. 1974/60

(2) § 517 StG und § 220 StGB gelten insoweit nicht als Sonderstrafgesetz im Sinne dieses Gesetzes als sich diese Bestimmungen auf Unzucht mit Tieren beziehen.

§ 3. (1) Verurteilungen nach den Sonderstrafgesetzen sind mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getilgt.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Verurteilung auch wegen eines Gesetzes erfolgte, das eine gleich hohe oder höhere Strafe als das der Verurteilung zu Grunde liegende Sonderstrafgesetz mit der höchsten Strafdrohung androhte (§ 28 StGB).

(3) § 1 Abs. 2 bis 6 Tilgungsgesetz gelten.

(4) In den Fällen des Absatz 2 ist im Strafregister (§ 1 Strafregistergesetz) jedenfalls die sich auf das Sonderstrafgesetz beziehende Deliktsbezeichnung zu löschen.

(5) Für die verurteilte Person günstigere Bestimmungen bleiben unberührt.

§ 4.  (1) Ausländische Verurteilungen sind mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes getilgt, wenn sie wegen einer Tat schuldig sprechen, die nach österreichischem Recht auf Grund eines Sonderstrafgesetzes gerichtlich strafbar war.

(2) Darüber hinaus sind mit dem Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes auch ausländische Verurteilungen getilgt, wenn sie wegen einer Tat schuldig sprechen, die, nach dem für den Schuldspruch, für die Strafbemessung oder für sonstige Unrechtsfolgen maßgebenden Recht, bei einem anderen Geschlecht oder einer anderen sexuellen Orientierung der verurteilten Person oder des Opfers nicht in gleicher Weise strafbar war.

(3) Bei der Anwendung der Absätze 1 und 2 gelten § 3 Abs. 2, 3 und 4 sinngemäß.  

(4) Für die verurteilte Person günstigere Bestimmungen bleiben unberührt.

§ 5. (1) Verurteilungen nach den Sonderstrafgesetzen sind mit Inkrafttreten dieses Bundesgesetzes aufgehoben.

(2) Absatz 1 gilt nicht, wenn die Verurteilung auch wegen eines Gesetzes erfolgte, das eine gleich hohe oder höhere Strafe als das der Verurteilung zu Grunde liegende Sonderstrafgesetz mit der höchsten Strafdrohung androhte (§ 28 StGB).

(3) Im Falle des Absatz 2 ist das Verfahren auf Antrag zu erneuern. Für das Verfahren gelten die §§ 363a Abs. 2 bis 363c StPO sinngemäß.

(4) Das Verfahren ist auf Antrag im Strafausspruch zu erneuern, wenn bei einer Verurteilung wegen gleichgeschlechtlicher Handlungen die Strafe (auch) nach § 130 Abs. 2 StG bemessen worden ist und bei entsprechenden verschiedengeschlechtlichen Handlungen ein milderer Strafrahmen (geringere Mindest- oder Höchststrafe) zur Anwendung gekommen ist. Für das Verfahren gelten die §§ 363a Abs. 2 bis 363c StPO sinngemäß. Im erneuerten Verfahren ist die Strafe anstatt unter Anwendung der Strafdrohungen des § 130 Abs. 2 StG unter Anwendung der im Falle entsprechender verschiedengeschlechtlicher Handlungen vorgesehen gewesenen Strafdrohungen neu zu bemessen.

§ 6. (1) Der Bund haftet für den Schaden, den eine Person durch eine Verurteilung nach den Sonderstrafgesetzen oder sonst durch eine auf einem Sonderstrafgesetz beruhende Maßnahme eines Gerichtes oder einer Verwaltungs- (insbesondere einer Polizei- oder staatsanwaltschaftlichen) -behörde erlitten hat.

 (2) In den Fällen des § 5 Abs. 1 betragen dabei der Ersatzanspruch für die durch die Verurteilung erlittene persönliche Beeinträchtigung, ungeachtet der ausgesprochenen Unrechtsfolge, EUR 15.000,-- und der Ersatzanspruch wegen des auf eine Verurteilung nach Absatz 1 zurückzuführenden Entzugs der persönlichen Freiheit EUR 200,-- für jeden Tag der Freiheitsentziehung, wobei auf volle Tage aufzurunden ist. Darüber hinaus sind Vermögensschäden aller Art zu ersetzen. Für entgangene Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung gilt § 506a ASVG sinngemäß.

(3) In den Fällen des § 5 Abs. 2 und 4 beträgt der Ersatzanspruch wegen Entzugs der persönlichen Freiheit EUR 200,-- für jeden Tag der Freiheitsentziehung, der im erneuerten Verfahren keine Deckung findet, wobei auch hier auf volle Tage aufzurunden ist. Darüber hinaus sind Vermögensschäden aller Art zu ersetzen, die dadurch verursacht wurden, dass die Verurteilung auch wegen eines Sonderstrafgesetzes oder unter Anwendung eines strengeren Strafrahmens erfolgte. Für entgangene Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung gilt § 506a ASVG sinngemäß.

(4a) In allen anderen Fällen beträgt der Ersatzanspruch für die durch eine für die betroffene Person nachteilige Maßnahme erlittene persönliche Beeinträchtigung EUR 10.000,-- und der Ersatzanspruch wegen eines auf eine solche Maßnahme zurückzuführenden Entzugs der persönlichen Freiheit EUR 200,-- für jeden Tag der Freiheitsentziehung, wobei auf volle Tage aufzurunden ist. Darüber hinaus sind Vermögensschäden aller Art zu ersetzen. Für (durch Freiheitsentzug oder auf andere Weise) entgangene Versicherungszeiten in der Pensionsversicherung gilt § 506a ASVG sinngemäß.

(4b) Die Ansprüche auf Ersatz für erlittene persönliche Beeinträchtigung und der Ersatzanspruch wegen Entzugs der persönlichen Freiheit sind jedoch ausgeschlossen, wenn die Maßnahme auch auf einem Gesetz beruhte, das eine gleich hohe oder höhere Strafe als das der Maßnahme zu Grunde liegende Sonderstrafgesetz mit der höchsten Strafdrohung androhte. Auch in solchen Fällen sind aber jedenfalls Vermögensschäden aller Art zu ersetzen, die dadurch verursacht wurden, dass die Maßnahme auch wegen eines Sonderstrafgesetzes erfolgte.

(5) Für die Geltendmachung von Vermögensschäden genügt Glaubhaftmachung. § 273 ZPO gilt. 

(6) Ansprüche nach Abs. 1 verjähren dreißig Jahre nach Inkrafttreten dieses Gesetzes.

(7) Im Übrigen gelten die §§ 1 Abs. 2, 2 Abs. 2, 5 Abs. 1 und 3, 6, 7, 8 Abs. 2, 9 und 12 des Strafrechtlichen Entschädigungsgesetzes 2005 – StEG 2005, BGBl I Nr. 125/2004, sinngemäß.

(8) Auf Grund sonstiger gesetzlicher Bestimmungen oder auf Grund eines endgültigen Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte bezahlte Beträge für Schäden im Sinne des Abs. 1 sind auf solche Ansprüche anzurechnen.

(9) Ansprüche nach anderen Bundesgesetzen bleiben unberührt.

(10) Der Bundesminister für Justiz wird ermächtigt, im Einvernehmen mit dem Hauptausschuss des Nationalrates, durch Verordnung die in den vorhergehenden Absätzen festgelegten Beträge zu erhöhen, soweit dies notwendig ist, um angesichts  geänderter wirtschaftlicher Verhältnisse den Wert der Entschädigungsbeträge für die geschädigten Personen zu sichern.

 

§ 7. Erscheint bei der Anwendung dieses Gesetzes nach Lage des Falles zweifelhaft, ob die Voraussetzungen der §§ 3 bis 6 vorliegen, so ist stets die dem Täter günstigste Möglichkeit zugrunde zu legen.

§ 8. Mit der Vollziehung sind die Bundesministerien für Inneres und für Justiz, je nach ihrem Wirkungskreis, betraut.

 

 

Begründung:

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich wegen der jahrelangen strafrechtlichen Verfolgung homo- und bisexueller Männer auf Grund des § 209 StGB wiederholt verurteilt, und zwar in folgenden Fällen:

 

·        L. & V. vs. Austria,  09.01.2003, Appl. 39392/98, 39829/98

·        S.L. vs. Austria, 09.01.2003, Appl. 45330/99

·               Wolfgang Wilfling & Michael Woditschka vs. Austria, 21.10.2004, Appl. 69756/01, 6306/02

·        F.L. vs. Austria, 03.02.2005, Appl. 18297/03

·        Thomas Wolfmeyer vs. Austria, 26.05.2005, Appl. 5263/03

·        H.G. & G.B. vs. Austria, 02.06.2005, Appl. 11084/02, 15306/02

·        R.H. vs. Austria, 19.01.2006, Appl. 7336/03

 

Besonders kritisiert hat der Gerichtshof die Verweigerung der Aufhebung des § 209 auch noch nach dem Oktober 1995, obwohl damals, durch die Expertenanhörung im Jahre 1995, bereits bekannt war, dass es keinen Grund für das schwule Sondermindestalter gibt (L. & V.: par. 51; S.L.: par. 43).

Der Verfassungsgerichtshof hat § 209 StGB mit Erkenntnis vom 21.06.2002 (G 6/02) als gleichheitswidrig aufgehoben. § 209 StGB ist mit Ablauf des 13.08.2002 außer Kraft getreten (BGBl I 134/2002, Art. I Z. 19b, Art. IX iVm  Art. 49 Abs. 1 B-VG).

Das anti-homosexuelle Strafgesetz § 209 StGB war jedoch nur das letzte der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze. Auch in der Zweiten Republik blieb § 129 I lit. b (iVm § 130) des Strafgesetzes 1852, der homosexuelle Handlungen zwischen Frauen und zwischen Männern generell unter Strafe stellte (Totalverbot), unverändert in Kraft. 1971 wurde das Totalverbot aufgehoben, jedoch gleichzeitig vier neue Sonderstrafbestimmungen eingeführt:

§ 129 I StG Sondermindestaltersgrenze 18 für männliche homosexuelle Handlungen

(„gleichgeschlechtliche Unzucht“) (später § 209 StGB)            

§ 500 StG männlich homosexuelle Prostitution (“gewerbsmäßige gleichgeschlechtliche Unzucht”) (später § 210 StGB, aufgehoben 1989) 

§ 517 StG „Werbung für Unzucht mit Personen des gleichen Geschlechts“ (später § 220 StGB, aufgehoben 1997)                                                                   

§ 518 StG „Vereinigungen zur Begünstigung gleichgeschlechtlicher Unzucht“ (später § 221 StGB, aufgehoben 1997)                                                                

Wie heute klar ist, haben diese Sonderstrafgesetze homo- und bisexuelle Bürgerinnen und Bürger in ihrer Menschenwürde verletzt.

Personen, die auf Grund dieser Sonderstrafgesetze verurteilt, und, zum Teil sogar in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, inhaftiert wurden, sind nicht rehabilitiert worden. Ihre Verurteilungen sind nach wie vor aufrecht. Nur jene Opfer, die sich an den EGMR wandten, können die Aufhebung ihrer Urteile samt Freispruch und Entschädigung erreichen (§ 363a stopp; OGH 19.02.2003, 13 Os 3/03; OGH 11.11.2003, 11 Os 101/03; OGH 16.06.2004, 13 Os 106/03; OGH 07.06.2005, 14 Os 46/05d; OGH 26.07.2005, 11 Os 44/05p; OGH 20.09.2005, 14 Os 82/05y; OGH 03.11.2005, 15 Os 109/05a; OGH 17.01.2006, 14 Os 109/05v; OGH 13.09.2006, 13 Os 51/06h).

Nach der Aufhebung des § 209 StGB ist vorerst lediglich ein § 209-Opfer begnadigt worden        (BMJ GZ 98.478/16-IV 4/02) (Anfragebeantwortung Dr. Dieter Böhmdorfer vom 03.04.2003, GZ 7003/1-Pr 1/2003). Auch in diesem Fall (dem berüchtigten „Liebesbrief-Fall“ aus dem Jahr 2001) erfolgte jedoch nur eine teilweise Begnadigung. Die Tilgung der Verurteilung aus dem Strafregister wurde auch hier nicht gewährt (ebendort).

Wie im Sommer 2005 bekannt wurde waren zum damaligen Zeitpunkt im österreichweiten (Vor)Straf(en)register immer noch 1.434 Männer und Frauen vorgemerkt, die nach den anti-homosexuellen Sonderstrafgesetzen verurteilt worden sind. Während nach dem erst jüngst (2002) aufgehobenen § 209 Strafgesetzbuch (samt Vorgängerbestimmung § 129 I StG) 476 Verurteilte als vorbestraft registriert waren, waren nach dem bereits 1971 beseitigten Totalverbot homosexueller Kontakte (§ 129 I b Strafgesetz 1852) gar immer noch 558 Männer und Frauen vorgemerkt. In diesen Zahlen sind nur Verurteilungen enthalten, in denen das anti-homosexuelle Sonderstrafgesetz das (im Sinne der Kriminalstatistik) führende Delikt war (Anfragebeantwortung BM Liese Prokop 26.07.2005, XXII. GP-NR 3039/AB).

Auf Initiative des Herrn Bundespräsidenten Dr. Heinz Fischer im Sommer 2005 hat Justizministerin Mag. Karin Gastinger dann diesem einen großen Teil, jedoch nicht alle, der (führend) nach den Sonderstrafgesetzen erfolgten Verurteilungen zur gnadenweisen Tilgung vorgeschlagen (BMJ, Unterlage „Begnadigung von Personen, die wegen § 209 StGB, Vorgängerbestimmungen und verwandten Tatbeständen verurteilt wurden“, Pressekonferenz  08.01.2007). Eine gnadenweise Tilgung bewirkt zudem zwar eine Löschung aus dem Strafregister  aber keine Aufhebung der Verurteilung.

Kein Opfer des § 209 StGB ist für das Leid und die Zerstörung der bürgerlichen Existenz durch Bloßstellung, Stigmatisierung, kriminalpolizeiliche Ermittlungen, kriminalgerichtliche Verfahren und Verurteilung sowie schließlich bis hin zur Internierung in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher jemals entschädigt worden ist. Dies, obwohl Personen, die auf Grund des § 209 StGB in Haft gehalten wurden (oder werden), „Gewissensgefangene" im Sinne des Mandats von Amnesty International sind.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat in den zehn genannten Fällen die Republik Österreich (neben einem Beitrag zu den Anwaltskosten) auch zu Entschädigungszahlungen für erlittene immaterielle Schäden verpflichtet und zwar:

·        15.000 EUR pro Beschwerdeführer in den Fällen L. & V. vs. Austria (bedingte Freiheitsstrafe)

·        5.000 EUR im Fall S.L. vs. Austria (14-18j Jugendlicher durch § 209 an einverständlichen Kontakten mit erwachsenen Männern gehindert)

·        15.000,-- EUR im Fall Michael Woditschka vs. Austria (bedingte Geldstrafe)

·        20.000,-- EUR im Fall Wolfgang Wilfling vs. Austria (teilbedingte Freiheitsstrafe, 32 Tage Untersuchungshaft)

·        17.500,-- EUR im Fall F.L. vs. Austria (bedingte Freiheitsstrafe, 13 Tage in Untersuchungshaft)

·        10.000,-- EUR im Fall Thomas Wolfmeyer vs. Austria (vom Berufungsgericht freigesprochen, keine Haft)

·        15.000,-- EUR im Fall G.B. vs. Austria (bedingte Freiheitsstrafe)

·        75.000,-- EUR im Fall H.G. vs. Austria (1 ½ Jahre unbedingte Freiheitsstrafe, davon 1 Jahr verbüsst)

·        35.000,-- EUR im Fall R.H. vs. Austria (teilbedingte Freiheitsstrafe, 133 Tage Untersuchungshaft)

Der Gerichtshof verweist dabei immer wieder darauf, dass weder das Erkenntnis des VfGH noch die Aufhebung des § 209 den Opferstatus der strafverfolgten homo- und bisexuellen Männer beenden konnten. Österreich hat die an den Beschwerdeführern begangenen Menschenrechtsverletzungen nie anerkannt und auch keinerlei Entschädigung geleistet, weshalb, wie der EGMR in jedem seiner Urteile betont, die Menschenrechtsverletzung nach wie vor anhält.

Im Urteil Thomas Wolfmeyer vs. Austria (26.05.2005) führte der EGMR aus, es sei unbegreiflich, wie selbst ein Freispruch (nach § 209) ohne jede Entschädigung für ideelle Schäden und unter Ersatz von lediglich einem geringen Teil der erwachsenen Verteidigungskosten eine angemessene Wiedergutmachung darstellen könne. Der Menschenrechtsgerichtshof hat unterstrichen, dass das Strafverfahren, in dem der Öffentlichkeit intimste Details offen gelegt wurden, für den Freigesprochenen ein schwer erschütterndes Ereignis war, und eine finanzielle Entschädigung dafür notwendig ist (par. 33, 45f). Verfahren auf Grund § 209 StGB waren von Anfang an grundrechtswidrig (R.H. vs. Austria, § 29).

Um eine Zweiteilung in Opfer erster und zweiter Klasse zu vermeiden, stellt sich nun brennend die Notwendigkeit der Rehabilitierung und Entschädigung auch jener Opfer des      § 209 StGB und der anderen Sonderstrafgesetze, die nicht die Möglichkeit und die Kraft hatten, den Weg zum EGMR zu beschreiten.

Amnesty International forderte in seinem Jahresbericht 2005 neuerlich die Rehabilitierung und Entschädigung aller § 209-Opfer.

Mit seiner Entscheidung vom 7. November 2013 erkannte der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte eine Verletzung des Artikel 8 iVm Artikel 14 EMRK dahingehend, dass der Österreichische Gesetzgeber es bislang verabsäumt habe, geeignete Maßnahmen zu setzen, um bestehende Benachteiligungen, die im direkten Zusammenhang mit dem für verfassungswidrig erklärt § 209 StGB stehen, zu beseitigen. Zwar betont der EGMR, dass das Strafrecht einem permanenten gesellschaftlichen Wandel unterworfen sei, insofern grundsätzlich keine Verpflichtung des Gesetzgebers abgeleitet werden könne, alle negativen Auswirkungen einer später für verfassungswidrig erklärten strafrechtlichen Norm zu beseitigen, allerdings § 209 StGB nicht aufgrund der geänderten gesellschaftlichen Wertehaltung aufgehoben worden sei, sondern weil die Norm ihrem Gehalt nach verfassungsrechtlich unsachlich (VfGH) und diskriminierend (EGMR) sei.

Die generelle Aufhebung bzw. Tilgung von Verurteilungen und das Festsetzen von Entschädigungszahlungen obliegt dem Nationalrat.

 

Zu § 1:

§ 1 dient der unmissverständlichen Verurteilung von Diskriminierung, Anfeindung und Gewalt gegen homo- und bisexuelle Frauen und Männer durch das Parlament. Des Weiteren bekennt der Gesetzgeber eindeutig die begangenen und allzu lange verleugneten Verletzungen der Menschenwürde.

 

Zu § 2:

§ 2 definiert den Anwendungsbereich des Gesetzes durch Definition des Begriffs „Sonderstrafgesetze“ im Sinne dieses Bundesgesetzes. Hiezu wird auf die allgemeinen Ausführungen oben verwiesen.

Die §§ 517 StG und 220 StGB sind auszuschließen soweit sich diese Bestimmung auf Unzucht mit Tieren beziehen.

§ 129 I lit. b StG (§ 129 I) iVm § 130 StG sind auszuschließen soweit sich diese Bestimmungen auf Handlungen erstreckten, die auch im heterosexuellen Bereich strafbar waren. Die strengeren Strafdrohungen gegenüber analogen Taten im heterosexuellen Bereich (dazu unten bei § 5) werden in § 5 Abs. 4 angemessen berücksichtigt.

 

Zu § 3:

Getilgt werden sollen nur jene Verurteilungen, bei denen ein anti-homosexuelles Sonderstrafgesetz das schwerste Delikt war, dieses daher strafsatzbestimmend war. Bei allen anderen Verurteilungen ist im Strafregister lediglich die Bezeichnung des Sonderstrafgesetzes zu streichen.

Dass Handlungen, die einer Verurteilung zu Grunde lagen, auch heute unter Strafe stehen (z.B. nach § 207b StGB) muss außer Betracht bleiben, weil eine solche Bedachtnahme neuerlich auf den menschenrechtswidrigen anti-homosexuellen Sonderstraftatbeständen beruhte und damit ebenfalls grundrechtswidrig wäre. Die Taten waren zum Tatzeitpunkt eben nur im homosexuellen Bereich strafbar. Entsprechende heterosexuelle Handlungen am selben Ort zur selben Zeit konnten nicht zu einer Verurteilung führen. Der Oberste Gerichtshof hat daher in diesem Sinne bereits 2003 entschieden, dass § 207b StGB auch bei männlich-homosexuellen Beziehungen nicht auf Taten vor dem 14.08.2002 angewendet werden darf (OGH 11.11.2003, 11 Os 101/03; OGH 26.07.2005, 11 Os 44/05p; OGH 03.11.2005, 15 Os 109/05a; OGH 13.09.2006, 13 Os 51/06h; vgl. auch Reindl in WK-StPO § 363c Rz 12).

 

Zu § 4:

Im Strafregister sind auch ausländische Verurteilungen eingetragen und stehen diese inländischen tilgungsrechtlich gleich (§ 2 Abs. 3 StrafregisterG, § 7 Tilgungsgesetz). Es wäre ein nicht akzeptabler Wertungswiderspruch, würden inländische Verurteilungen nach anti-homosexuellen Sonderstrafgesetzen getilgt, ausländische (etwa nach § 175 dtStGB) jedoch nicht. § 4 Abs. 2 soll dies vermeiden.

Des Weiteren sollen ausländische Verurteilungen getilgt werden, die zwar (im Ausland) nicht auf einem diskriminierenden Gesetz beruhten, im Inland jedoch nur deshalb Rechtswirkung entfalteten (zB Eingang in das Strafregister fanden), weil die abgeurteilte Tat hier den Tatbestand eines Sonderstrafgesetz erfüllte (§ 2 Abs. 3 StrafregisterG, § 7 Tilgungsgesetz). Das ist etwa dann der Fall, wenn die Mindestaltersgrenze für sexuelle Kontakte im Urteilsstaat generell höher war als in Österreich (z.B. 15 oder 16 Jahre) und die Verurteilung wegen einverständlicher sexueller Handlungen mit einer 14 oder 15jährigen Person erfolgte. Bei heterosexuellen (und lesbischen) Kontakten war (und ist) eine solche Verurteilung in Österreich (mangels inländischer Strafbarkeit) unbeachtlich. Im männlich homosexuellen Bereich entfalteten solche Verurteilungen jedoch Wirkung (und fanden Eingang in das österreichische Strafregister), weil derartige Kontakte zwischen Männern bis zum 14.08.2002 gem. § 209 StGB strafbar waren. § 4 Abs. 1 stellt die Tilgung auch solcher Verurteilungen sicher.

Analog zu den inländischen Verurteilungen sollen zudem ausländische Verurteilungen getilgt werden, denen auch andere Taten zu Grunde lagen, sofern jene Taten, die das in- oder ausländische Sonderstrafgesetz erfüllten, das schwerste Delikt begründeten. Bei allen anderen Verurteilungen ist auch hier im Strafregister lediglich die Bezeichnung des Sonderstrafgesetzes zu streichen. § 4 Abs. 3 stellt dies sicher.

 

 

Zu § 5:

Eine Tilgung beseitigt nicht alle nachteiligen Rechtswirkungen und sämtliche Urteilsfolgen.

Mit einer Tilgung ist lediglich eine Streichung der Verurteilungen aus dem österreichweiten Strafregister verbunden. Die Urteile selbst sind damit nicht aufgehoben, sie bleiben weiter bestehen.

Es gibt in der österreichischen Rechtsordnung keinerlei Vorschrift, die es verbieten würde, solche Verurteilungen und die dazugehörigen Akte in spätere Verfahren (auch nach erfolgter Tilgung) einfließen zu lassen (so ausdrücklich Oberster Gerichtshof OGH 21.09.1999, 14 Os 92/99). Und es wird bei Anhängigwerden eines neuen Verfahrens (am selben Gericht) auch tatsächlich regelmäßig der betreffende frühere Akt beigeschafft, dem neuen aktuellen Akt angeschlossen und verlesen und gelangt, trotz Tilgung aus  dem Strafregister, die nach wie vor aufrechte Verurteilung so zur Kenntnis der Richter und der Staatsanwälte (so etwa in den Verfahren LG Wr. Neustadt, 32 Ur 72/03t und LG Klagenfurt  13 Hv 240/03w). Das diese Wirkung einem (neuerlich) Beschuldigten nachteilig ist, liegt auf der Hand. Sie wird nicht durch die Tilgung beseitigt, sondern nur durch die formelle Aufhebung des (Unrechts)Urteils.

Dazu kommt, dass in zahlreichen Rechtsbereichen außerhalb des Strafrechts die – trotz Tilgung – aufrechte Verurteilung weiter negative Wirkungen entfaltet, weiterhin zum Nachteil des Verurteilten zu berücksichtigen und zu verwerten ist. So etwa bei der Beurteilung der Verkehrszuverlässigkeit hinsichtlich einer Führerscheinentziehung (Verwaltungsgerichtshof VwGH 01.07.1999, 99/11/0172), bei aufenthaltsbeendenden Maßnahmen im Fremdenrecht (VwGH 15.10.1998, 94/18/1102; VwGH 06.05.1997, 97/18/0235), bei der Verleihung der Staatsbürgerschaft (VwGH 07.10.1993, 93/01/0250; VwGH 20.05.1994, 92/01/0953; VwGH 03.09.1997, 96/01/0810), bei Erteilung einer Waffenbesitz- oder –Waffenführungserlaubnis (VwGH 18.01.1995, 93/01/0906) und bei der Erteilung einer Gewerbeberechtigung (VwGH 23.11.1993, 93/04/0157 bis 0159; VwGH 27.04.1993, 92/04/0247). Dies alles sogar dann, wenn das Wissen um die (nur aus dem nationalen Strafregister gelöschte, aber nach wie vor aufrechte) Verurteilung gesetzwidrig erlangt wird (VwGH 02.09.1999, 99/18/0284)!

Dass menschenrechtswidrig Verurteilte, auch nach Tilgung ihrer Verurteilung aus dem Strafregister, ein gerechtfertigtes Interesse an der formellen Aufhebung der (Unrechts)Urteile haben, zeigt auch ganz deutlich der Beschluss des deutschen Bundestags, sämtliche Verurteilungen von Homosexuellen während der Nazizeit aufzuheben (NS-Aufhebungsgesetz, dt BGBl I 58/1998, S. 2501, idF BGBl 51/2002, S. 2714, www.bundesgesetzblatt.de), obwohl all diese Verurteilungen zu diesem Zeitpunkt bereits längst getilgt waren. Die bloße Löschung einer Verurteilung aus dem landesweiten Verurteiltenregister, ohne Aufhebung des (Unrechts)Urteils selbst, beseitigt eben nicht sämtliche (Unrechts)Wirkungen des Urteils.

Aufgehoben werden sollen nur jene Verurteilungen, bei denen ein anti-homosexuelles Sonderstrafgesetz das schwerste Delikt war. Bei allen anderen Verurteilungen soll das Verfahren auf Antrag erneuert und der Schuldspruch im Umfang des anti-homosexuellen Delikts aufgehoben werden können. Im erneuerten Verfahren ist dann die Strafe auf der Grundlage des unberührt gebliebenen Schuldspruchs wegen der übrigen Delikte neu zu bemessen.

Dass Handlungen, die einer Verurteilung zu Grunde lagen, auch heute unter Strafe stehen (z.B. nach § 207b StGB) muss auch hier außer Betracht bleiben, weil eine solche Bedachtnahme neuerlich auf den menschenrechtswidrigen anti-homosexuellen Sonderstraftatbeständen beruhte und damit ebenfalls grundrechtswidrig wäre. Die Taten waren zum Tatzeitpunkt eben nur im homosexuellen Bereich strafbar. Entsprechende heterosexuelle Handlungen am selben Ort zur selben Zeit konnten nicht zu einer Verurteilung führen. Der Oberste Gerichtshof hat daher in diesem Sinne bereits 2003 entschieden, dass § 207b StGB auch bei männlich-homosexuellen Beziehungen nicht auf Taten vor dem 14.08.2002 angewendet werden darf (OGH 11.11.2003, 11 Os 101/03; OGH 26.07.2005, 11 Os 44/05p; OGH 03.11.2005, 15 Os 109/05a; OGH 13.09.2006, 13 Os 51/06h; vgl. auch Reindl in WK-StPO § 363c Rz 12).

Homosexuelle Gewalttaten unterlagen in mehrfacher Hinsicht strengeren Strafdrohungen als heterosexuelle Gewalttaten.

So bedrohte § 130 Abs. 2 StG homosexuelle Handlungen unter Anwendung von Gewalt, gefährlicher Drohung oder Betäubung mit 5 bis 10 Jahren schwerem Kerker (§ 130 Abs. 2 1. Fall StG) während die Erzwingung entsprechender heterosexueller Kontakte (Anal-, Oral-, Handverkehr, Penetration mit Gegenständen etc.) nur nach den mit deutlich geringerer Strafe bedrohten allgemeinen Nötigungs- und (allenfalls)  Körperverletzungstatbeständen geahndet werden konnten. Einen speziellen Tatbestbestand für heterosexuelle Gewalt gab es nur für die Erzwingung von (außerehelichem) penilem Vaginalverkehr (§ 125 StG: „Notzucht“). Auch dieser Tatbestand war aber auf die Begehung gegenüber Frauen beschränkt und erforderte, zusätzlich zur Anwendung von Gewalt, gefährlicher Drohung oder Betäubung, die Herbeiführung einer Widerstandsunfähigkeit.

§ 132 Abs. 2 2. Fall StG wiederum bedrohte homosexuelle Handlungen mit schwerem Kerker von 10 bis 20 Jahren, wenn sie eine erhebliche Gesundheitsschädigung und mit lebenslangem schweren Kerker, wenn sie den Tod zur Folge hatten. Eine Gewaltausübung (Gewalt, gefährliche Drohung oder Betäubung) war nicht erforderlich (OGH 22.01.1897, Slg. 2052; Kaniak StG5 § 130 E1). Es genügte das Eintreten der genannten Folgen, also etwa wenn der Partner mit einer Geschlechtskrankheit angesteckt wurde oder die Partnerin infolge späterer Schuldgefühle wegen des Verkehrs Selbstmord begangen hat. Solche Strafdrohungen für gewaltlosen heterosexuellen Verkehr mit derartigen Folgen gab es nicht. Selbst bei gewalttätigem heterosexuellem Verkehr gab es sie nur bei der Erzwingung penilen Vaginalverkehrs mit einer Frau (§ 125 StGB „Notzucht“) (§ 126 2. und 3. Fall StG). Insoweit analoge heterosexuelle Handlungen also gar nicht strafbar waren, fallen solche homosexuellen Kontakte unter § 2 Abs. 1 Z. 1, 2; insoweit sie auch im heterosexuellen Bereich strafbar waren, jedoch mit einer milderen Strafe bedroht waren, kommt § 5 Abs. 4 zur Anwendung.

Homosexuelle Gewalttaten gegenüber Personen unter 14 Jahren (unter Anwendung von Gewalt, gefährlicher Drohung oder Betäubung) wurden mit 5 bis 10 Jahren schwerem Kerker geahndet (§ 130 Abs. 2 1. Fall StG). Entsprechende heterosexuelle Gewalttaten mit Personen unter 14 Jahren waren jedoch nur mit schwerem Kerker von 1 bis zu 10 Jahren bedroht (§ 128 2. Fall StG „sehr erschwerende Umstände“). Hatten (auch gewaltlose) homosexuelle Handlungen mit Personen unter 14 Jahren den Tod zur Folge so war lebenslanger schwerer Kerker zu verhängen (§ 130 Abs. 2 2. Fall iVm § 126 3. Fall StG; OGH 22.01.1897, Slg. 2052; Kaniak StG5 § 130 E1). Heterosexuelle Handlungen mit unter 14jährigen mit Todesfolge waren hingegen nur mit 10 bis 20 Jahren schwerem Kerker bedroht (§ 128 3. Fall StG; OGH 17.09.1897, Slg. 2118; Kaniak StG5 § 130 E27).

Diese Diskriminierungen bei der Strafbemessung sollen durch die Möglichkeit einer Strafneubemessung auf Antrag  berücksichtigt werden (§ 5 Abs. 4). Das Verfahren ist auf Antrag zu erneuern und das Urteil im Strafausspruch aufzuheben. Im erneuerten Verfahren sind die geringeren Strafdrohungen für analoge heterosexuelle Delikte anzuwenden. Sollten die dem Schuldspruch zu Grunde liegenden Taten heute milderen Strafgesetzen unterliegen so wäre dies bei der nunmehrigen (Ermessensentscheidung der) Strafbemessung zu berücksichtigen (OGH 09.09.2003, 11 Os 99/03; OGH 27.05.2003, 11 Os 95/02). Auch sonst ist die Strafbemessung auf Grund der Umstände zum Zeitpunkt der Entscheidung im erneuerten Verfahren vorzunehmen (vgl. bspw. zum Strafmilderung der längere Zeit zurückliegenden Tat und des seitherigen Wohlverhaltens [§ 34 Abs. 1 Z. 18 StGB] OGH 14.12.2000, 15 Os 89/00). Keinesfalls darf eine strengere Strafe verhängt werden als das frühere Urteil ausgesprochen hat (§ 363b Abs. 3 StPO, Reindl, WK-StPO § 363b, 363c Rz 14). Auch der Lauf der Probezeit bzw. deren bereits erfolgter Ablauf werden durch die Erneuerung des Verfahrens nicht berührt (OGH 09.09.2003, 11 Os 99/03; Ratz, WK-StPO § 290 Rz 55; Mayrhofer StPO5 § 293 E50).

 

Zu § 6:

Die österreichische Rechtsordnung kennt keine generelle Bestimmung für Entschädigung für Schäden, die durch gesetzgeberisches Unrecht entstanden sind. § 6 dient daher dazu, den Opfern der anti-homosexuellen Sonderstrafgesetze die erlittenen immateriellen und materiellen Schäden abzugelten. Bei Vermögensschäden sollen alle Arten (einschließlich entgangenem Gewinn) ersetzt werden.

Die Ersatzbeträge richten sich dabei nach den vom EGMR zugesprochenen Beträgen (siehe hiezu bei den allgemeinen Ausführungen oben). Sie sollen mit Verordnung entsprechend der Inflationsrate aufgewertet werden können. Die Ersatzbeträge für durch Verurteilung/Maßnahme erlittene persönliche Beeinträchtigung, für Freiheitsentzug und Vermögensschaden stehen kumulativ zu.

Bei Personen, die auch wegen eines zumindest gleich schweren anderen Deliktes verurteilt wurden, soll kein Anspruch für erlittene persönliche Beeinträchtigung durch die Verurteilung an sich bestehen, sehr wohl aber ein Anspruch für jenen Teil des Entzugs der persönlichen Freiheit, der in der Entscheidung im erneuerten Verfahren (somit unter Ausschaltung des anti-homosexuellen Sonderstrafgesetzes) keine Deckung mehr findet. Des weiteren sind Vermögensschäden aller Art zu ersetzen, die dadurch verursacht wurden, dass die Verurteilung auch wegen eines Sonderstrafgesetzes erfolgte. Das wäre etwa dann der Fall, wenn die Tatsache der Verurteilung auch wegen homosexueller Handlungen den Verlust des Arbeitsplatzes bewirkte. Entsprechendes gilt für Personen, die sonst Opfer einer gerichtlichen oder verwaltungsbehördlichen Maßnahme geworden sind (wie etwa Strafverfahren, die nicht in einer Verurteilung endeten, Verwahrungshaft, Untersuchungshaft, Führerscheinentzug, Entzug der Gewerbeberechtigung etc.), wobei § 6 Abs. 4 lit. b darauf Bedacht nimmt, dass eine Verfahrenserneuerung hier nicht in Betracht kommt, die Aufteilung einer Freiheitsentziehung bei gemischter Grundlage daher nicht möglich ist.

Da die Schäden zum Grossteil bereits vor langer Zeit zugefügt wurden, soll den Opfern, um ihnen wirksame Rechte zu gewährleisten, eine Beweiserleichterung gewährt werden. Glaubhaftmachung des Schadens, der Kausalität und der Schadenhöhe sollen genügen. Erforderlichenfalls ist überdies von der Bestimmung des § 273 ZPO Gebrauch zu machen.  Erhebliche Beweisschwierigkeiten sollten sich aber nur bei Vermögensschäden ergeben, weshalb die Erleichterung auf diese zu beschränken ist.

In Anbetracht der jahrzehntelangen strafrechtlichen Verfolgung erscheint eine Verjährungsfrist von dreißig Jahren dem zugefügten Unrecht angemessen.

Ansprüche nach anderen Bundesgesetzen bleiben unberührt. So etwa Ansprüche (nach dem Amtshaftungsgesetz) wegen Misshandlungen im Zuge von Strafverfahren und Inhaftierungen.

 

Zu § 7:

Ergeben sich bei der Anwendung dieses Gesetzes Zweifelsfälle, so soll dies nicht zu Lasten von Opfern gehen. Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn Akten bereits skartiert sind und sich daher nicht mehr mit Sicherheit feststellen lässt, ob eine Verurteilung nach § 129 lit. b (129 I) StG oder §§ 517 StG, 220 StGB zur Gänze, teilweise oder gar nicht auf Grund eines anti-homosexuellen Sonderstrafgesetzes erfolgte (§ 2). Eine entsprechende Zweifelsregel sieht § 3 Abs. 2 dt NS-Aufhebungsgesetz (BGBl I 1998, 2501 idF G v. 23. 7.2002 I 2714) vor.

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Justizausschuss vorgeschlagen.