865/A XXV. GP

Eingebracht am 21.01.2015
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ANTRAG

 

 

der Abgeordneten Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend Maßnahmen zur Verhinderung bzw. Überwindung von Armut und Ausgrenzung

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Bundesverfassungsgesetz, mit dem das Bundes-Verfassungsgesetz geändert wird

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Das Bundes-Verfassungsgesetz, BGBl. Nr 1/1930, zuletzt geändert durch das Bundesverfassungsgesetz BGBl. I Nr. 102/2014 wird wie folgt geändert:

 

In Art 12 Abs.1 Z.1. wird das Wort "Armenwesen" durch die Worte "Maßnahmen zur Überwindung und Verhinderung von Armut und sozialer Ausgrenzung sowie diese auslösende Problemlagen, soweit diese Maßnahmen nicht unter Art. 10 fallen, sowie bedarfsorientierte Mindestsicherung" ersetzt.

 

 

Begründung:

 

 

Artikel 12 Abs. 1 des Bundes-Verfassungsgesetzes ordnet seit 1920 die Grundsatzgesetzgebung hinsichtlich der "Armenfürsorge" dem Bund zu. Ein entsprechendes Grundsatzgesetz wurde jedoch trotz mehrmaliger - regelmäßig unzureichender - Anläufe nie erlassen, sodass über Jahrzehnte hinweg "Armenwesen" faktisch auf Grundlage des Heimatrechtsgesetzes 1863 vollzogen wurde. Dieses Gesetz, das im Wesentlichen auf die Ausgrenzung sozial benachteiligter Personen - und in der Folge der polizeilichen Abschiebung in ihre angeblichen Heimatgemeinden -hinauslief, hat indirekt bis heute - noch 150 Jahre später - eine Folgewirkung. Bis heute gibt es keine bundeseinheitliche gesetzliche Regelung dieses Bereiches.

Dies liegt unter anderem an einer absurden rechtspolitischen Debatte über den Inhalt des Begriffs "Armenwesen" sowie die Zuständigkeitsbereiche der Länder und


Gemeinden, die vornehmlich unter dem Gesichtspunkt der Kostenvermeidung geführt wird. Im Jahr 1968 (also nunmehr auch schon vor 45 Jahren) erklärte das damals zuständige Innenministerium seinen Verzicht auf die Einbringung eines Fürsorgegrundsatzgesetzes. In der Folge erließen die Bundesländer höchst unterschiedliche und uneinheitliche Sozialhilfegesetze.

Als nach 2006 ein Anlauf zur Vereinheitlichung der Sozialhilfe unternommen wurde, legten die Verhandlungspartner von Bund und Ländern ihren Bemühungen folgende, in den Erläuterungen der Art. 15a-Vereinbarung zur Mindestsicherung genannten Ziele fest:

"Zur Herstellung eines bundesweit einheitlichen Mindeststandards und harmonisierter landesgesetzlicher Regelungen in der Sozialhilfe sowie weiters zur Armutsbekämpfung soll das Instrument der Bedarfsorientierten Mindestsicherung eingeführt werden. Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung ist ein Gesamtpaket und besteht aus einem Bündel von Maßnahmen in den Bereichen der Sozialhilfe, der Arbeitslosen-, der Kranken- und der Pensionsversicherung.

Um die inhaltliche Ausgestaltung und Finanzierung der Bedarfsorientierten Mindestsi-cherung langfristig sicherzustellen, ist ein Zusammenwirken aller Gebietskörperschaften erforderlich."

Nach inzwischen vier Jahren Erfahrung mit der damals über einen Vertrag zwischen Bund und Ländern ist zweierlei festzuhalten:

1. Der Bund hat alle in diesem Vertrag übernommenen Verpflichtungen erfüllt.

2. Die Länder haben die in diesem Vertrag übernommenen Verpflichtung fast durch-wegs nicht erfüllt. Einzelne Länder missachten offen unmittelbar im Vertrag festgelegte Verpflichtungen. Und fast alle Länder interpretieren einzelne Bestimmungen des Vertrags zum Nachteil der Betroffenen (etwa hinsichtlich der Sicherungshöhe, der Erstattung der Kosten von Heilbehelfen oder dem Zugang zu Beratungs- und Betreuungsleistungen).

Tatsache ist, dass etwa das Ziel eines einheitlichen Mindeststandards in allen Bundesländern im praktischen, alltäglichen Vollzug der aus der Vereinbarung hervorgehenden Landesgesetze nicht erreicht wurde. Darüber hinaus wird den Betroffenen kein rechtliches Mittel geboten, die Ihnen auf Grund der 15a-Vereinbarung an sich zustehenden Unterstützungsformen vor den Gerichten einzufordern. Auf diese Weise wirkt das Heimatsrechtgesetz von 1863 bis heute faktisch weiter: Die Menschen sind der willkürlichen Zuweisung von Almosen ausgeliefert und haben kein Mittel in der Hand, Ihre Ansprüche durchzusetzen.

 

Tatsache ist aber auch, dass die Bundeszuständigkeit zur Rahmengesetzgebung nach Art. 12 B-VG auch in den erläuternden Bemerkungen zur Vorlage betreffend Mindestsicherung klargestellt wurde: "Auf Grundlage des der Österreichischen Bundesverfassung innewohnenden bundesstaatlichen Prinzips kommen die Vertragsparteien überein, eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung zur verstärkten Bekämpfung und weitest möglichen Vermeidung von Armut und sozialer Ausgrenzung zu schaffen.

 

Die Länder werden daher auf Grundlage des Art. 12 B-VG in Verbindung mit Art. 15 Abs. 6 B-VG bzw. des Art. 15 Abs. 1 B-VG die entsprechenden Regelungen im selbständigen Wirkungsbereich treffen. Der Bund wird seine Zuständigkeit zur Umsetzung der ihn in der gegenständlichen Vereinbarung betreffenden Maßnahmen im Wesentlichen auf Art. 10 Abs. 1 Z 11 B-VG stützen."

 

Da der Verzicht des Innenministeriums im Jahr 1968 allenfalls hinsichtlich der heute ohnehin anachronistischen Zuständigkeit der Sicherheitsbehörden im Bereich des "Armenwesens" eine Wirkung entfalten kann und die sachliche Zuständigkeit des Bundes unverändert in Art. 12 B-VG festgeschrieben ist, ist unzweifelhaft davon


auszugehen, dass der Bund diese Zuständigkeit auch ausüben kann. Die Erfahrungen mit den Ländern, die ihre aus der Vereinbarung nach Art 15a-B-VG hervorgehenden Verpflichtungen nur unvollständig erfüllen sowie die Tatsache, dass die angestrebten Ziele nicht erreicht werden konnten, machen deutlich, dass es heute – 150 Jahre nach Erlass des Heimatrechtsgesetzes von 1863 und 45 Jahre nach dem Verzicht des Bundes auf den Beschluss eines Grundsatzgesetzes nach Art. 12 Abs. 1 Z 1 erstes Wort B-VG - höchst an der Zeit ist, den Verfassungsauftrag zu erfüllen und ein entsprechendes Bundesrahmengesetz zu erlassen, wie es der historische Verfassungsgesetzgeber auch vorgesehen hatte.

 

Um dieser Realität Rechnung zu tragen und die sozialpolitische Entwicklung der letzten 150 Jahre ohne Rücksicht auf absurde Abwehrdiskurse zu Lasten der von Armut betroffenen Menschen in die Verfassungsrealität zu integrieren, schlagen die AntragstellerInnen vor, die ursprüngliche Absicht des Verfassungsgesetzgebers – die Zuständigkeit des Bundes zur Rahmengesetzgebung hinsichtlich der Verhinderung von Armut in Österreich – neuerlich zu beschließen. Bei dieser Gelegenheit ist es angebracht, eine Formulierung zu wählen, die der Lebensrealität der Gegenwart Rechnung trägt.

 

Die vorgeschlagene Formulierung umfasst jedenfalls die Bedarfsorientierte Mindestsicherung als bedarfsorientierten Anspruch auf eine Mindestleistung zur sozialen Absicherung sowie die Grundsätze der im Zuerkennungsverfahren anzuwendenden Grundsätze wie auch die Zuständigkeit für über die reine Geldleistung und ihre Rahmenbedingungen hinausgehende Angebote zur Verhinderung von Ausgrenzung und zur Stärkung der sozialen Inklusion.

 

Als „Maßnahmen zur Überwindung und Verhinderung von Armut und soziale Ausgrenzung sowie diese auslösende Problemlagen“ sind grundsätzlich Maßnahmen zur Überwindung oder Verhinderung aller Problemlagen anzusehen, die in der Konsequenz zu Armut und Ausgrenzung führen. Jedenfalls erfasst sind jedenfalls Maßnahmen zur Überwindung von Wohnungslosigkeit, Ausgrenzung auf Grund von Krankheit, Alter oder Behinderung, aber durchaus auch Unterstützung bei der Überwindung gruppenspezifischer Problemlagen wie etwa eines eingeschränkten Zugangs zur Gesellschaft auf Grund von Bildungs- und Ausbildungsdefiziten.

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen. Gleichzeitig wird die Abhaltung einer ersten Lesung binnen 3 Monaten verlangt.