1114/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 23.04.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

EntschlieSSungsantrag

Parlamentarische Materialientigte

 

der Abgeordneten Birgit Schatz, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Mindestlohntarif für den KV-losen Bereich zur Existenzsicherung für unselbstständig Beschäftigte

 

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Erst im Jänner 2015 zeigte der Europarat in seinem Jahresbericht Österreich im Bereich der Mindestlöhne Nachholbedarf auf: das österreichische Arbeitsrecht garantiere nicht, dass der niedrigste Lohn zur Sicherung eines angemessenen Lebensstandards ausreicht. Das sei nicht konform mit der Europäischen Sozialcharta (European Committee of Social Rights Conclusions, S. 13). Im Vergleich zu anderen EU-Ländern hat Österreich nämlich keinen gesetzlichen Mindestlohn.

Die Sicherung des Lebensstandards sollte durch ein Einkommen bei Vollzeiterwerbstätigkeit ohne gleichzeitige Armutsgefährdung gewährleistet sein. Diese Sicherstellung ist eine zentrale Aufgabe des Staates und  der Ball kann nicht so einfach an die Sozialpartner weitergespielt werden – gerade dann wenn es immer mehr ungeregelte Bereiche Arbeitsmarkt gibt.

 

Damit Kollektivverträge zustande kommen braucht es eine Vielzahl an Voraussetzungen, wie etwa einen Organisierungsgrad auf Seiten der Interessensvertretungen, die Zuerkennung der Kollektivvertragsfähigkeit oder auch schlichtweg ein verhandlungsfähiges Gegenüber. Das Aushandeln von Kollektivverträgen fällt in den Aufgabenbereich der Sozialpartner. Gewerkschaften als Interessensvertreter der ArbeitnehmerInnen vereinbaren mit den Fachverbänden der ArbeitgeberInnen Mindestvereinbarungen zu Arbeitsnormen. Doch nicht alle Arbeitgeber sind in Fachverbänden organisiert.

 

In etablierten, auch oft männerdominierten Wirtschaftssektoren, ist der Vertretungsgrad hoch, in neuen oder „unsichtbareren“ Wirtschaftssektoren wie etwa der Social Media Kommunikation oder persönlichen Dienstleistungen ist der Vertretungsgrad innerhalb der Sozialpartnerschaft niedrig. Aber auch in einigen Tourismus- oder IT-Sektoren fehlen Kollektivverträge. Innerhalb der Wirtschaftskammersparten wies im Jahr 2009 die Information und Consultingbranche die höchste Nichtabdeckungsrate auf (hier waren 31.165 ArbeitnehmerInnen ohne KV-Regelungen beschäftigt), gefolgt von  der Tourismus- und Freizeitwirtschaft (22.184 Beschäftigte waren hier ohne KV-Regelungen beschäftigt) (Bauer 2010). Arbeitsverhältnisse von Beschäftigten, die in den „freien“ Berufsbereichen arbeiten, sind überhaupt abseits der KV-Logik gestaltet.

Und genau in diesen Bereichen sind Niedriglohnbranchen entstanden bzw. weiter am Entstehen. Laut Statistik Austria arbeiten in Österreich rund 15% der Beschäftigten in Niedriglohnbranchen. Das entspricht über einer halben Million Beschäftigten die unter 9,30 Euro/Stunde verdient (Statistik Austria, Arbeitsmarktstatistik 2. Quartal 2013).

Es gibt mehrere Gründe, warum Kollektivverträge nicht zustande kommen: der erste Grund findet sich in der dynamischen Arbeitsmarktstruktur. Neue Sektoren entstehen z.B. im IT- oder persönlichen Dienstleistungsbereich und es dauert eine Zeit bis eine gewerkschaftliche Organisierung und Vertretungsanerkennung erfolgt ist. Denn in Kollektivverhandlungen können nur kollektivvertragsfähige Körperschaften, wie die Sozialpartner eintreten.

Ein zweiter Grund betrifft Branchen bzw. Organisationsformen (z.B. Vereine) in welchen der Arbeitgeber nicht kollektivvertragsfähig ist (z.B. weil die Mitglieder- und ArbeitnehmerInnenanzahl sowie ihres Tätigkeitsumfanges nach ArbVG, §4 (2) keine maßgebende Bedeutung haben). Vor allem im Sozialbereich und NGO-Bereich ist das keine Seltenheit. Das Feststellen der  ortsüblichen „angemessenen Entlohnung“ (ABGB, § 1152) ist in der Praxis oftmals schwer zu eruieren und zeigt den Handlungsbedarf auf.

Und dann gibt es drittens Bereiche, wo die Voraussetzungen prinzipiell erfüllt wären, aber es dennoch keine Kollektivverträge gibt (z.B. Fachhochschulen).

 

Im Fall, dass Kollektivverträge bestehen und die Arbeitgeber sich nicht daran halten und ArbeitnehmerInnen Lohn vorenthalten, greift seit einigen Jahren das Lohn- und Sozialdumpinggesetz. Kontroll-  und Abgabebehörden prüfen, ob eine Unterentlohnung vorliegt und erstatten eine Anzeige. ArbeitnehmerInnen werden bei Vorliegen eines Strafbescheids von der Unterentlohnung informiert und können ihren entgangenen Lohn (unter der Voraussetzung, dass die Verfallsfrist dafür nicht bereits verstrichen ist) bei Gericht einfordern.

 

Das Bundeseinigungsamt hat die Aufgabe Kollektivverträge zu satzen und Mindestlohntarife für Wirtschaftszweige, in denen kein Kollektivvertrag (aufgrund der fehlenden Kollektivvertragsfähigkeit) wirksam ist, festzulegen und zu erlassen. Voraussetzung dafür ist erstens ein Antrag einer kollektivvertragsfähigen Körperschaft der Arbeitnehmerseite Mindestentgelte festzusetzen und dass zweitens keine kollektivvertragsfähigen Körperschaften auf Arbeitgeberseite bestehen (ArbVG §22).

Diese Möglichkeit wird derzeit zu wenig genützt und ist bis jetzt nur im Bereich der Lehrlingsentschädigungen (in Branchen wo es keine KVs zur Anwendung kommen) und in der Heimarbeit (z.B. HausbesorgerInnen, AnlagenbetreuuerInnen, Au-Pairs) zu finden.

 

Viele Anträge und Diskussionsbeiträge der Grünen in den letzten Jahren einen gesetzlichen Mindestlohn einzuführen, wurden mit dem Argument, dass dies im Rahmen der Kollektivverträge ohnehin geschehe und eine Aufgabe der Sozialpartner sei, von SPÖ und ÖVP abgewiesen. Auf dieser inhaltlichen Diskussion aufbauend wird nun ein neuer Weg beschritten.

 

Der neue Grüne Vorschlag zeigt den Handlungsbedarf auf unterschiedlicher Weise auf:

1.)  Dort wo es noch keine kollektivvertraglichen Regelungen gibt, da gilt der generelle Mindestlohntarif (der nur Entgeltbestimmungen regelt, aber keine KV-Merkmale). Dieser generelle Mindestlohntarif wird vom Bundeseinigungsamt erlassen und wird jährlich valorisiert. Für 2015 liegt dieser Wert bei € 9,30/Bruttostundenlohn. Dazu liegt ein eigener Initiativantrag der Grünen vor.

2.)  In jenen Bereichen, wo Kollektiverträge nicht angewendet werden, weil die Arbeitgeber nicht kollektivvertragsfähig sind, wird das Bundeseinigungsamt nach Prüfung ein Entgeltschema festlegen, das sich nach vergleichbaren Branchen KV-Entgeltschema orientiert.

 

3.)  Zusätzlich sollen Kontroll-  und Abgabebehörden, die das Fehlen eines Kollektivvertrags feststellen, verpflichtet sein, das Bundeseinigungsamt darüber zu informieren. In Folge wird das Bundeseinigungsamt einen generellen Mindestlohntarif bzw. ein Mindestentgeltschema nach vergleichbaren Branchen KV-Entgelt festlegen (siehe Punkt 2). Dadurch ist die Rechtsdurchsetzung gewährleistet.

 

Eine Erweiterung der Kompetenzen des Bundeseinigungsamts in Bezug auf Schlichtung und Feststellung könnte ein Netz für einen gesetzlichen Mindestlohn für ungeschützte Beschäftigungsgruppen aufspannen. Dazu sollen auch einzelne ArbeitnehmerInnen die Möglichkeit erhalten eine Feststellung, ob und welcher KV für sie zutreffend ist, zu beantragen. Im Falle, dass keiner zutreffend ist, wird auf den Mindestlohntarif Bezug genommen und wäre auch dann für andere ArbeitnehmerInnen gültig. Insofern würde der nicht-erfasste KV-Bereich immer kleiner werden.

 

Überall dort, wo neue Branchen entstehen bzw. noch keine Vertragspartner institutionell in der Sozialpartnerschaft konstituiert sind, würde ein gesetzlicher Mindestlohntarif bzw. Mindestentgeltschema vom Bundeseinigungsamt festgesetzt, die sich an bestehenden Kollektivverträgen orientieren, helfen das Lohnniveau zu stützen. Gewerkschaften, als auch Arbeitgeberverbände könnten durch diese Form der Anerkennung neuer Berufsgruppen und -felder dann aufgefordert sein, den Handlungsbedarf für weitere Arbeitsnormen zu erkennen, sich zu organisieren und in weiterer Folge in Kollektivverhandlungen einzutreten.

Diese Kombination aus einem gesetzlichen Mindestlohntarif, der als nicht zu unterschreitende Lohnuntergrenze gilt, als auch auf dieses Lohnniveau aufbauende Kollektivverträge, ebenso wie vom Bundeseinigungsamt erlassene Tarife für den noch nicht abgedeckten Bereich, sichern ArbeitnehmerInnen zukünftig im Lebensstandard ab und verhindern Graubereiche abseits der Kollektivvertrags-Logik.

Damit wäre die österreichische Situation auch mit der europäische Sozialcharta konform.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Der Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestens eine Gesetzesvorlage zuzuleiten, mit der sichergestellt ist, dass

 

1. das Bundeseinigungsamt im Falle des Nichtbestehens eines Kollektivvertrags von Amts wegen einen Mindestlohntarif zu erlassen hat;

2. ein Verfahren zur Erlassung eines Mindestlohntarifs im Falle des Nichtbestehens eines Kollektivvertrags zusätzlich zu den bereits bestehenden Antragsrechten auch von Einzelpersonen, die selbst in einem Beschäftigungsverhältnis stehen, das nicht durch einen Kollektivvertrag geschützt ist, sowie auf Grund der Wahrnehmungen der mit der Prüfung nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz beauftragten Einrichtungen, eingeleitet werden kann;

3. Prüforgane nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz dazu verpflichtet werden, Arbeitsverhältnisse, die keinem Kollektivvertrag unterliegen, an das Bundeseinigungsamt zu melden.

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales  vorgeschlagen.