1193/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 08.06.2015
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Dringlicher Antrag

gem. § 74a Abs.1 GOG-NR

 

der Abgeordneten Matthias Strolz, Waltraud Dietrich, Kollegin und Kollegen

betreffend "Stopp dem Überwachungsstaat: Gläserner Staat statt gläserne Bürgerinnen und Bürger“

 

Österreich befindet sich in einer bedenklichen Schieflage, was Informationsfluss und Transparenz betrifft. Mit einer alarmierenden Tendenz zu Ungunsten der Bürgerinnen und Bürger: In immer größerem Ausmaß sammelt der Staat persönliche und private Daten und Informationen über uns alle. Sich selbst hüllt der Staat, seine Institutionen und Organe jedoch in Schweigen. Ein Schweigen, das durch das immer noch geltende Amtsgeheimnis einen Deckmantel erhält, der für uns Staatsbürgerinnen und Staatsbürger schlichtweg undurchdringbar ist.

Land der Sammler, datenreich. Das lange angekündigte "Informationsfreiheitsgesetz" ist längst überfällig; doch schon im Vorfeld scheint es seinen Namen nicht zu verdienen. Bislang konnten Zweifel an Umfang und Effektivität nicht ausgeräumt werden. Die vorliegende Regierungsvorlage verweigert jedenfalls die Einräumung einer echten Informationsfreiheit. Die Abschaffung des Amtsgeheimnisses wird durch Ausnahme-Tatbestände in Bundes- und Landesgesetzen durchlöchert, für die Bürgerinnen und Bürger bleibt weiter vieles im Dunklen. Auch ein Open Data-Konzept der öffentlichen Hand, das im Interesse der Allgemeinheit ohne unnötige Einschränkung Datenbestände ohne Personenbezug zur Verfügung stellt, ist nicht in Sicht.

Systematische Verschleierung. Während der Staat und die staatlichen Stellen nach „gläsernen" Bürgerinnen und Bürgern streben, wird verlässlich und systematisch verschleiert, wie es um die Finanzen des Staates, der Bundesländer und der Gemeinden bestellt ist. Exemplarisch dafür: Vor fünfeinhalb Jahren kam es zur sogenannten „Notverstaatlichung“ der Hypo Alpe Adria – und noch immer ist es nicht möglich, in die Haftungen der Bundesländer und deren ausgegliederten Einheiten umfassend Einsicht zu nehmen. Bis vor zweieinhalb Jahren wurde in Salzburg mit Summen jenseits einer Milliarde Euro spekuliert, was damals fast der Hälfte des Landesbudgets entsprach – und noch immer gibt es keine einheitlichen Finanzvorschriften für die Bundesländer. Noch immer gibt es kein bundeseinheitliches Spekulationsverbot!

Der Förderdschungel wuchert weiter. Auch das im jetzigen Zustand völlig unbrauchbare und alles andere als vollständige Instrument der Transparenzdatenbank, das eigentlich als Mittel zur Bekämpfung des in Österreich wild wuchernden Förderdschungels gedacht war, ist immer noch weit davon entfernt, zur Finanztransparenz in diesem Land beizutragen. Auf dem sogenannten Transparenzportal (transparenzportal.gv.at) werden momentan Förderprogramme ohne Summen gelistet, gedeckt durch eine Vereinbarung gemäß Art. 15a B-VG mit den Ländern. In ihrer jetzigen Form wird die Transparenzdatenbank nie zur Durchforstung des Förderwesens oder zur Eindämmung von Mehrfachförderungen beitragen. Das Förderwesen bleibt undurchsichtig. Und die Finanzierungsströme im Rahmen des Finanzausgleichs bleiben unnötig komplex.

Ein Angriff auf die Privatsphäre. Umgekehrt soll es den Abgabenbehörden nach dem Wunsch der Regierung in Bälde möglich sein, OHNE richterlichen Beschluss Einsicht in die Konten aller Bürgerinnen und Bürger zu nehmen – wenn auch nur ein Verdacht besteht. Laut Entwurf genügen in Zukunft einseitige Bedenken der Abgabenbehörde gegen die Richtigkeit der Abgabenerklärung. Mit diesen Bedenken kann sie ein Auskunfsverlangen an die Bank richten und somit Einsicht in die finanziellen Verhältnisse jedes Bürgers und jeder Bürgerin nehmen. Wobei nicht klar ist, wie Missbrauch vermieden werden soll. Nicht einmal die Strafbehörden haben so weitreichende Befugnisse, weil das Vorsehen solcher schlicht mit den Grundsätzen des Rechtsstaates nicht vereinbar ist.

Explodierende Zugriffszahlen. Auch der Blick nach Deutschland, wo die Konteneinschau ohne richterlichen Beschluss seit einigen Jahren praktiziert wird, verheißt nichts Gutes: 2005 wurden von Finanzbehörden 8.700 Konten eingesehen. 2014 waren es bereits 230.000 Kontenabrufverfahren OHNE richterlichen Beschluss. Allein von 2013 auf 2014 ist die Zahl der Zugriffe von 142.000 auf 230.000 drastisch angestiegen. Wie das deutsche Bespiel zeigt, droht ohne richterlichen Beschluss eine komplette Verdünnung der Freiheits- und Bürgerrechte. Die Zugriffe der Behörden explodieren gleichsam hemmungslos. Auch die geplante Novellierung des Finanzstrafgesetzes bringt beunruhigende Eingriffe in die Privatsphäre der Bürgerinnen und Bürger, wenn sie vorsieht, dass die Finanzbehörden künftig auch Fingerabdrücke nehmen können. Die Abdrücke sollen zur Aufklärung von "bedeutenderen Finanzvergehen" verwendet werden. Auch IP-Adressen sollen durch Mobiltelefon- und Internetanbieter bekannt gegeben werden müssen.

Bürgerinnen und Bürger unter Generalverdacht. Jede Bürgerin und jeder Bürger automatisch und ständig unter Generalverdacht zu stellen, ist ein Angriff auf unsere Freiheitsrechte. Eine grundrechtswidrige, anlasslose Datenspeicherung ist daher abzulehnen – wie dies der Europäische Gerichtshof als auch der österreichische Verfassungsgerichtshof eindeutig festgestellt haben. Auch kürzere Speicherfristen können diesen schweren Eingriff in die Grundrechte auf Achtung des Privatlebens und auf Schutz personenbezogener Daten nicht legitimieren, ob es sich nun um Telefon- oder Internetdaten handelt oder die Planungen für eine Fluggastdatenspeicherung (PNR) in der EU. Die verdachtsunabhängige Datenspeicherung aller Bürgerinnen und Bürger zu Fahndungszwecken ist unvereinbar mit der EU-Charta der Grundrechte.

Geheimdienste für die „Landesfürsten“. Noch viel weitreichendere Befugnisse räumt der Entwurf des Staatsschutzgesetzes den Verfassungsschützern, vor allem dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT), ein. Aus dem BVT wird somit ein zusätzlicher Inlandsgeheimdienst OHNE parlamentarische Kontrolle. Außerdem wird im Entwurf die Grundlage für neun Landesgeheimdienste geschaffen – das alles unter Aushebelung des Rechtsschutzes, da dem Rechtsschutzbeauftragten jederzeit bei „Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ die Einsicht in Akten verwehrt werden kann.

 

Jetzt ist der Zeitpunkt, die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger zu verteidigen und zu stärken, nicht sie zugunsten einer vermeintlichen Sicherheit aufzugeben. Die Meinungsfreiheit und das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens sind wichtige Grundpfeiler unserer freien Gesellschaft, die weiterhin uneingeschränkten Bestand haben müssen!

Klar ist, dass ein starkes Missverhältnis herrscht: Während durch Instrumente wie Kontenöffnung, avisierte Neuauflage der Vorratsdatenspeicherung sowie Sammlung von Fingerabdrücken immer mehr Informationen von Bürgerinnen und Bürgern gesammelt werden, ist der Staat nicht gewillt, selbst Informationen bereitzustellen. In einem gelebten Rechtsstaat sollte die Realität diesem Zustand diametral entgegengesetzt sein. Grundrechte schützen die Privatsphäre eines jeden Bürgers und einer jeden Bürgerin, der Staat hat preiszugeben, was er nicht aufgrund einer guten Rechtfertigung geheim halten muss.


 Der Generalangriff auf die Grundrechte der Bürgerinnen und Bürger muss ein Ende haben. Deshalb: Stopp dem Überwachungsstaat! Gläserner Staat statt gläserne Bürgerinnen und Bürger!

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehenden

Entschließungsantrag

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

„Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, wird aufgefordert, immer weiter ausufernde überwachungsstaatliche Tendenzen entschieden zurückzudrängen und in ihren Gesetzesvorschlägen folgende Punkte zu berücksichtigen bzw. sich im Europäischen Rat dafür einzusetzen:

·        keine Kontenöffnung ohne richterlichen Beschluss

·        keine überbordende Ermächtigung zur Sammlung von Fingerabdrücken und IP-Adressen im Finanzstrafgesetz

·        keine Einführung einer systematischen, anlasslosen, personenbezogenen Datenspeicherung ohne parlamentarische Kontrolle

·        keine Fluggastdatenspeicherung (PNR) in der EU

·        Stärkung der parlamentarischen Kontrolle von Nachrichtendiensten und Verfassungsschutz

Weiters wird die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Finanzen, aufgefordert, den Staatsbürgerinnen und Staatsbürgern den Zugang zu Informationen und zur Verwendung des Steuergelds durch Vorlage von Gesetzesvorschlägen zu folgenden Punkten zu gewährleisten:

·        Etablierung einer effizienten und effektiven Transparenzdatenbank, die das österreichische Förderwesen umfassend abbildet

·        Vereinheitlichung der Rechnungslegung der Bundesländer im Sinne eines modernen und transparenten Rechnungswesens mit doppelter Buchführung und Bilanzierung

·        klare Regeln für Ausgliederungen, Beteiligungsmanagement sowie für die Haftungen von Beteiligungen

·        verpflichtende Offenlegung aller Haftungen auch für ausgegliederte Einheiten der Öffentlichen Hand

·        Inkraftsetzen eines bundeseinheitlichen Spekulationsverbots

·        Implementierung eines Insolvenzrechts für Gebietskörperschaften

·        Transparente Finanzausgleichsverhandlungen

·        echte Informationsfreiheit durch Abschaffung, nicht bloß Abschwächung, des Amtsgeheimnisses sowie

·        Umsetzung eines effektiven Open Data Konzeptes der öffentlichen Hand.“

 

In formeller Hinsicht wird verlangt, diesen Antrag im Sinne des § 74a Abs.1 GOG-NR zum frühestmöglichen Zeitpunkt zu behandeln und dem Erstantragsteller Gelegenheit zur mündlichen Begründung zu geben.