1646/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 27.04.2016
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Gerald Loacker, Nikolaus Scherak, Kollegin und Kollegen

betreffend Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte während Mindestsicherungsbezug

 

Österreich hat 2015 fast 90.000 Menschen auf der Flucht Schutz vor Gefahr und Verfolgung geboten. Nach Schätzungen des Fonds Soziales Wien werden sich bis zu 80% der Flüchtlinge nach positivem Verfahren in Wien niederlassen, was zu einer enormen regionalen Konzentration der zu bewältigenden Integrationsbemühungen führen wird.

Das stellt Wien, aber auch andere Ballungszentren Österreichs vor beträchtliche Herausforderungen: Viele der anerkannten Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigten werden mangels Erwerbseinkommen zumindest vorläufig durch die Bedarfsorientierte Mindestsicherung, gegebenenfalls auch durch die Grundversorgung in das österreichische Sozialsystem einbezogen werden. Im Jahr 2015 waren in Wien bereits 20 Prozent der Mindestsicherungsbezieher_innen Asylberechtigte oder subsidiär Schutzberechtigte (Salzburger Nachrichten, 15.03.2016, S.2). Aufgrund der großen Zahl unerledigter Asylanträge sowie der hohen Anerkennungsquoten ist ein weiterer Anstieg dieser Zahl und somit eine zusätzliche Belastung der Sozialbudgets von Wien, aber auch anderer einzelner Bundesländer und Kommunen sicher.

Allerdings besteht in Wien und Umgebung aufgrund der überdurchschnittlich hohen Arbeitslosenquote in absehbarer Zukunft kaum Aussicht auf ein Arbeitsverhältnis für Personen mit geringen Deutschkenntnissen und niedriger Qualifizierung. Rund 34 Prozent aller arbeitslosen Personen entfallen mit Februar 2016 beispielsweise auf Wien; fast 40 Prozent der arbeitslosen Personen sind Nichtösterreicher (Zahlen AMS). Hingegen besteht in anderen Bundesländern und Regionen ein Bedarf an Arbeitskräften, zum Beispiel im Bereich Tourismus. In diesen Regionen hätten anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte weit eher die Möglichkeit, selbst für ihren Lebensunterhalt zu sorgen und ein selbstverantwortliches und selbstbestimmtes Leben ohne Abhängigkeit von Sozialleistungen zu führen.

Aber nicht nur diese Differenzen am Arbeitsmarkt sprechen für eine Wohnortauflage. Auch aus anderen Gründen ist es sowohl kurzfristig als auch langfristig problematisch, wenn sich Asylwerber_innen, anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte vornehmlich in Wien und anderen Ballungszentren niederlassen. Auch bessere Aus- und Fortbildungsmöglichkeiten sprechen für eine ausgewogene Verteilung über das gesamte Bundesgebiet.

Bereits jetzt ist beispielsweise das Wiener Pflichtschulwesen überfordert. Es gibt kaum noch freie Plätze für geflüchtete Kinder; die Schulen bekommen keine ausreichenden Ressourcen zugeteilt, um auf die neuen Herausforderungen angemessen reagieren zu können. Bereits vor 2015 konnte im Pflichtschulsystem, so wie es derzeit geregelt ist, nicht sichergestellt werden, dass Kinder, speziell Kinder mit nichtdeutscher Muttersprache, nach Abschluss der Schulpflicht ausreichend Lesen, Schreiben und Rechnen können. Trotz der immensen Bemühungen der Wiener Pflichtschullehrer_innen kann so kein Grundstein für einen erfolgreichen Bildungsweg und für eine erfolgreiche Integration in den Arbeitsmarkt gelegt werden.

Ebenso bestand in Wien bereits vor der Flüchtlingswelle eine große Anspannung auf dem Wohnungsmarkt. Die aktuelle Bautätigkeit in Wien reicht nicht annähernd aus, um den steigenden Wohnbedarf zu erfüllen. Gerade mit dem Durchgriffsrecht wurde ein Instrument geschaffen, zumindest in den Zeiten der Bearbeitung des Asylantrages regionale Konzentrationen zu verhindern und eine bessere Aufteilung zu ermöglichen. Doch diese Verteilung über das Bundesgebiet, und insbesondere auch eine bessere Verteilung innerhalb von Bundesländern, endet mit meist mit positiven Asylbescheiden.

Integrationsmöglichkeiten werden durch die starke Konzentration auf Ballungszentren auch noch in weiterer Hinsicht beschränkt. Schließlich ist es in einer anonymen Großstadt schwieriger, Anschluss an die ansässige Bevölkerung zu finden. Stattdessen wird oft der Anschluss an die eigene Gemeinschaft von Landsleuten gesucht; dies hat in weiterer Folge oft Abschottungstendenzen und geringere Teilhabe an der österreichischen Gesellschaft zur Folge. Auch weiterführende gesellschaftspolitische Problemstellungen, die sich aus unzureichenden Perspektiven und Integrationsmöglichkeiten für diese Bevölkerungsgruppen im Zusammenhang mit einer verstärkten Community-Bildung ergeben, können und dürfen nicht außer Acht gelassen werden.

Auch die Arbeitsmarktintegration kann insbesondere durch eine Wohnsitzauflage erreicht werden. Besonders stark auf eine positive Arbeitsmarktintegration wirkt sich nämlich der Kontakt und Austausch mit Einheimischen aus – Arbeitsgelegenheiten werden viel häufiger durch informelle Kontakte vermittelt, als durch formelle Institutionen wie das AMS (insbesondere bei KMUs).

Zusammenfassend ist eine Wohnortauflage für ankerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte die Mindestsicherung beziehen ein sinnvolles Steuerungsinstrument, um eine faire Aufteilung der kommenden Herausforderungen auf alle Bundesländer herzustellen und um sicherzustellen, dass Flüchtlinge die bestmöglichen Startbedingungen vorfinden, um erfolgreich am österreichischen Bildungswesen, Arbeitsmarkt und der Gesellschaft teilzunehmen. Dafür muss sichergestellt werden, dass bereits Asylsuchende fair auf alle Bundesländer aufgeteilt werden, damit anerkannte Flüchtlinge/subsidiär Schutzberechtigte nicht den Wohnort wechseln müssen, sobald ihr Antrag positiv beschieden wurde.

Die Verteilung soll dabei zielgerichtet anhand eines Indikatorenmodells erfolgen, um die Integrationsfähigkeit der aufnehmenden Gemeinden zu berücksichtigen. Die Verteilung orientiert sich somit nicht allein an einer gleichmäßigen Verteilung anhand der Bevölkerungszahl der Gemeinden (aufgenommene Flüchtlinge : Einwohner), sondern ist sinnvoller Weise kapazitätsorientiert und zielt auf eine möglichst große Integrationsperspektive ab. Folgende Indikatoren, die die Aufnahmefähigkeit der Gemeinden beeinflussen, werden bei der Verteilung berücksichtigt:

·         Verfügbarkeit von geeignetem Wohnraum. Leerstehene Wohnungen, für Wohnzwecke (temporär) adaptierbare Bauten.

·         Einrichtungen zur medizinischen Versorgung und zur sozialen Betreuung. Verfügbarkeit von Allgemeinmediziner_innen in der Region, soziale Beratungs- und Betreuungsstellen.

·         Wirtschaftliche Lage der Gemeinde, um Kosten (insb. Infrastruktur) außerhalb der Leistungen der Grundversorgung tragen zu können.

·         Arbeitsmarktlage. Berücksichtigt werden u.a. der Grad an Arbeitslosigkeit, gemeldete offene Stellen, offene Lehrstellen sowie Betätigungsmöglichkeiten im Rahmen eines Gemeindedienstes. Hierbei erfolgt nach Möglichkeit auch eine Berücksichtigung der individuellen Fähigkeiten, Vorerfahrungen und Berufsabschlüsse der Flüchtlinge. Im Rahmen eines Qualifikationschecks bei Antragsstellung werden diese Faktoren erhoben und bei der Zuteilung im Hinblick auf regional besonders aufnahmefähige Branchen (Tourismus, Gastronomie, Landwirtschaft) nach Möglichkeit berücksichtigt.

·         Bildungssystem. Bei der Zuteilung von minderjährigen Flüchtlingen sowie geflüchteten Familien mit Kindern werden auch die Kapazitäten im Bildungssystem berücksichtigt. Darüber hinaus wird auch in Betracht gezogen, welche Möglichkeiten zum Abschluss fehlender beruflicher Qualifikationen und zum Erwerb der deutschen Sprache zur Verfügung stehen

Die Frage der rechtlichen Durchsetzbarkeit ergibt sich aus einem aktuelleren Urteil des EuGH. Der EuGH hat hierzu vor kurzem in einer deutschen Rechtssache (C-443/14 und C-444/14) geurteilt, dass bei Personen mit subsidiärem Schutzstatus eine Wohnsitzauflage zulässig ist, wenn diese in stärkerem Maß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind, als andere Fremde. Eine Wohnsitzauflage allein mit der Begründung der besseren Verteilung ist nicht mit EU-Recht vereinbar. Eine Wohnsitzauflage zur Förderung der Integration ist also europarechtlich möglich – weitergedacht auch für Asylwerber_innen/-berechtigte. Die Koppelung von Grundversorgungsleistungen/der Mindestsicherung an den Wohnsitz darf bei subsidiär Schutzberechtigten und Asylberechtigten nur dann erfolgen, wenn objektive Gründe vorliegen, die belegen, dass sie in stärkerem Ausmaß mit Integrationsschwierigkeiten konfrontiert sind als andere Fremde einerseits und Staatsbürger andererseits. Gerade die starke Belastung weniger Regionen mit den Integrationsaufgaben und den sich dadurch ergebenden Engpässen in der Bereitstellung von Integrationsmöglichkeiten und -angeboten zeigen die Notwendigkeit, aber auch die Durchsetzbarkeit einer Wohnsitzauflage bzw. Residenzpflicht.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz wird aufgefordert, im Rahmen der Verhandlungen über die 15a-Vereinbarung über die Bedarfsorientierte Mindestsicherung eine Residenzpflicht für anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte, die die Bedarfsorientierte Mindestsicherung beziehen, durchzusetzen. Die Verteilung soll aufgrund von Indikatoren erfolgen, die eine erfolgreiche Integration ermöglichen, wie z.B. die Verfügbarkeit von Wohnraum, sozialer Betreuung, der wirtschaftlichen und Arbeitsmarktsituation und der möglichen Kapazitäten des (Aus-)Bildungssystems."

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.