1661/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 27.04.2016
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Nikolaus Scherak, Christoph Vavrik, Kollegin und Kollegen

betreffend Menschenrechtslage in der Türkei

Die türkische Regierung unter Recep Tayyip Erdogan geht mit zunehmend autoritären Mitteln gegen Kritiker, Journalisten und die Zivilgesellschaft vor. Geheim- und Sicherheitsdienste wurden mit weitreichenden Befugnissen ausgestattet.  Mehrfach wurden Demonstrationen verboten oder durch exzessive Gewaltanwendung beendet. Dabei kam es laut Berichten des Öfteren zu Misshandlung in Polizeigewahrsam und zu unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung durch die Sicherheitskräfte. Aber auch die türkischen Medien waren 2015 beispiellosen Repressalien ausgesetzt und die Meinungsfreiheit wurde erheblich eingeschränkt, auch im Internet. Im März 2014 ließ die Regierung vorübergehend Twitter sperren. Strenge Internetgesetze ermöglichen das Blockieren kritischer Webseiten. Alleine im letzten Jahr wurden über einhundert Verfahren wegen Beleidigung des Präsidenten eingeleitet. So berichtet Amnesty International, dass  ein 17-jähriger Student wegen "Beleidigung" des Staatspräsidenten zu einer elfmonatigen Gefängnisstrafe verurteilt wurde, nachdem er Präsident Erdoğan als "Dieb in seinem illegalen Palast" bezeichnet hatte. Zeitgleich wurde auch die Presse massiv unter Druck gesetzt. Hunderte türkische Journalisten stehen wegen kritischer oder investigativer Veröffentlichungen vor Gericht. Einige sitzen im Gefängnis, vielen drohen lange Haftstrafen. Diese Repressalien gegenüber Journalisten machen deutlich, dass das türkische Rechtssystem mittlerweile eine systematische Bedrohung der Pressefreiheit darstelle. Das bestätigen auch unabhängige Experten. In der aktuellen Rangliste der Pressefreiheit, erstellt von Reporter ohne Grenzen, nimmt die Türkei den erschreckenden Platz 151 von 180 untersuchten Staaten ein.

Auch Richter und Staatsanwälte werden zunehmend unter Druck gesetzt und teilweise politisch verfolgt. Die Unabhängigkeit der Justiz wurde massiv beschnitten, dementsprechend erfüllen Gerichtsprozesse meist nicht die internationalen Standards für faire Verfahren.

Das Grundproblem besteht darin, dass Richter und Staatsanwälte jederzeit aus politischen Gründen versetzt werden können. Der Hohe Rat der Richter und Staatsanwälte kann jederzeit durch Beschluss ungehorsame Juristen strafversetzen. Dies passiert so regelmäßig, dass alle Justizangehörigen unter enormem Druck stehen. Mehr als 2000 Richter und Staatsanwälte wurden im Jahr 2015 versetzt, eine noch größere Anzahl verhaftet. Die Vereinigung der österreichischen Richterinnen und Richter erklärte in diesem Zusammenhang sogar: „die Unabhängigkeit der Justiz in der Türkei ist weitestgehend abgeschafft.“

Besorgniserregend ist die Situation der etwa 2,3 Mio. registrierten syrischen Flüchtlinge und der rund 250.000 Flüchtlinge und Asylsuchenden aus anderen Ländern wie Afghanistan und Irak, die in der Türkei Zuflucht gefunden haben. Während knapp eine Viertel Millionen von ihnen in gut ausgestatten Lagern untergebracht wurden, lebt die Mehrheit schlecht versorgt, mit mangelnder staatlicher Unterstützung und ohne Zugang zum Arbeitsmarkt. Sie leben in äußerst prekären Verhältnissen und werden oft in den juristischen Graubereich gedrängt.  Das von der Europäischen Union gemeinsam mit der Türkei geschlossene Abkommen, welches die Zahl der Flüchtlinge, die über die Türkei in die EU kommen, weiter begrenzen soll, verschlechtert die Situation nur. Mittlerweile gibt es zahlreiche Berichte über rechtswidrige Inhaftierungen von Flüchtlingen in der Türkei und Abschiebungen von Schutzsuchenden durch türkische Behörden zurück in das Kriegsgebiet. Es ist daher zunehmend fraglich, Inwieweit die Türkei daher ein sicherer Drittstaat für Flüchtlinge ist.

Die Beitrittsverhandlungen der Türkei mit der Europäischen Union wurden am 4. Oktober 2005 aufgenommen. Zuvor wurde der Türkei am 11. Dezember 1999 der Status eines offiziellen Beitrittskandidaten der EU zuerkannt.

Nach dem Beschluss des Europäischen Rates zur Aufnahme von Verhandlungen wurde formal das Mandat an die Europäische Kommission übertragen, die die Verhandlungen führt. Es ist nun Aufgabe der EU-Beamten, regelmäßig in die Türkei zu reisen, um die Fortschritte bei der Anpassung der politischen, ökonomischen und rechtlichen Standards an das EU-Regelwerk zu überprüfen; um der EU tatsächlich beitreten zu können, muss die Türkei in den nächsten Jahren den kompletten rechtlichen Besitzstand der EU (den Acquis communautaire) übernehmen. Darin sind alle Rechtsakte wie zum Beispiel Verträge der Europäischen Union, die Verordnungen und Richtlinien enthalten.

Die Ergebnisse dieses Monitorings fließen in einen Bericht über den Stand der Reformen ein, den die Kommission jeweils im Herbst veröffentlicht. Ob und wann die 35 Beitrittskapitel abgeschlossen sind, stellt die Kommission fest. Nach Anhörung der Kommission und nach Zustimmung des Europäischen Parlamentes erklärt der Rat der EU-Regierungen die Beitrittsverhandlungen für abgeschlossen und setzt ein Datum für den formalen Beitritt fest.

Allerdings enthält der Brüsseler Gipfelbeschluss als „Notbremse“ eine Ausstiegsklausel: Wenn ein Drittel der EU-Mitgliedstaaten es fordert oder wenn die Entwicklung in der Türkei bei den von der EU verlangten Reformen in den Bereichen Menschenrechte, Minderheitenschutz und Meinungsfreiheit ins Stocken gerät, können die Verhandlungen ausgesetzt werden.

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher folgenden

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

Der Nationalrat wolle beschließen:

"Die Bundesregierung und insbesondere der Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres wird aufgefordert, darauf hinzuwirken, dass die EU Kommission ehestmöglich ein Prüfverfahren einleitet, um festzustellen, ob die Türkei auf dem Gebiet der Menschenrechte, des Minderheitenschutzes, der Meinungsfreiheit und der Rechtsstaatlichkeit weiterhin die Mindestanforderungen erfüllt, die für die Anerkennung des Beitrittskandidaten-Status erforderlich sind."

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Außenpolitischen Ausschuss
vorgeschlagen.