1748/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 16.06.2016
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Eva Glawischnig-Piesczek, Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Anrufung des Verfassungsgerichtshofs zur Schaffung von Sicherheit bei der Bedarfsorientierten Mindestsicherung

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Das mit der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung (BMS-Vereinbarung) verfolgte Ziel, österreichweit einheitliche Standards in der Mindestsicherung zu schaffen, ist deutlich verfehlt worden. Schon bisher haben zahlreiche Bundesländer in der Praxis Bestimmungen der BMS-Vereinbarung ignoriert. So ist es etwa in der Steiermark üblich, Kosten für MindestsicherungsbezieherInnen im Regresswege von Angehörigen zurückzufordern und damit Art. 15 der BMS-Vereinbarung zu verletzen. Das Land Oberösterreich wiederum rechnet entgegen Art. 13 BMS-Vereinbarung in jenen Fällen, in denen Menschen mit erheblicher Behinderung eine erhöhte Familienbeihilfe erhalten, diese Leistung auf die Mindestsicherung an. Auch das Burgenland hat entgegen Art. 4 BMS-Vereinbarung subsidiär Schutzberechtigte faktisch von der Mindestsicherung ausgeschlossen. Kärnten wiederum verweigert Lehrlingen, die ihre Ausbildung vor Vollendung des 18. Lebensjahres begonnen haben, entgegen Art. 14 BMS-Vereinbarung den Zugang zur Mindestsicherung.

In der Debatte um die Neufassung der mit Jahresende auslaufenden Mindestsicherungsvereinbarung zwischen Bund und Ländern versuchen immer mehr Bundesländer, mit Bestimmungen, die das geltende Regelwerk verletzen, Fakten zu schaffen: Dazu zählen etwa das Land Niederösterreich, das subsidiär Schutzberechtigte deutlich schlechter gestellt hat, wie auch das Land Oberösterreich, das die Ansprüche anerkannter Flüchtlinge vereinbarungswidrig deutlich zu kürzen und darüber hinaus eine unsachliche Obergrenze für Familien zu schaffen beabsichtigt.

In Art 4 Abs. 3 BMS-Vereinbarung über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung heißt es:

„…

(3) Rechtsansprüche auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sind für alle Personen vorzusehen, die zu einem dauernden Aufenthalt im Inland berechtigt sind. Dazu gehören jedenfalls

2. Asylberechtigte und subsidiär Schutzberechtigte;

...“

 

Entgegen dieser Vereinbarung hat das Land NÖ am 4. April 2016 durch Verlautbarung eine Änderung des Mindestsicherungsgesetzes in Kraft gesetzt, mit der subsidiär Schutzberechtigte vom Bezug von Mindestsicherung ausgeschlossen sind.

§ 5 NÖ MSG

(3) Keinen Anspruch auf Leistungen der Bedarfsorientierten Mindestsicherung des Landes haben insbesondere:

4. Subsidiär Schutzberechtigte gemäß § 8 AsylG 2005.

 

Diese Bestimmung verstößt nicht allein gegen die BMS-Vereinbarung, sondern auch gegen internationales und europäisches Recht. So ist etwa in Art. 29 Abs. 2 Richtlinie 201/95/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Dezember 2011 (EU-Statusrichtline) festgehalten, dass subsidiär Schutzberechtigten jedenfalls „Kernleistungen … im gleichen Umfang und unter denselben Voraussetzungen wie für eigene Staatsangehörige“ zu gewähren sind. In Erwägungspunkt 45 der EU-Statusrichtlinie ist dazu ausgeführt: „Insbesondere zur Vermeidung sozialer Härtefälle ist es angezeigt, Personen, denen internationaler Schutz zuerkannt worden ist, ohne Diskriminierung im Rahmen der Sozialfürsorge angemessene Unterstützung in Form von Sozialleistungen und Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts zu gewähren. Bei der Sozialhilfe sollten die Modalitäten und die Einzelheiten der Gewährung der Kernleistungen für Personen, denen der subsidiäre Schutzstatus zuerkannt worden ist, durch das nationale Recht bestimmt werden. Die Möglichkeit der Einschränkung der Sozialhilfe auf Kernleistungen ist so zu verstehen, dass zumindest eine Mindesteinkommensunterstützung sowie Unterstützung bei Krankheit oder bei Schwangerschaft und bei Elternschaft umfasst sind, soweit diese Leistungen nach dem nationalen Recht eigenen Staatsangehörigen gewährt werden.“

Bedeutungsvoll ist in dieser Hinsicht die Formulierung „Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts“, die sich wortident in der BMS-Vereinbarung wiederfindet (Art. 2 Abs. 1). Art. 3 BMS-Vereinbarung definiert diese als „den regelmäßig wiederkehrenden Aufwand für Nahrung, Bekleidung, Körperpflege, Hausrat, Heizung und Strom sowie andere persönliche Bedürfnisse wie die angemessene soziale und kulturelle Teilhabe.“ Die Höhe der Leistung zur Sicherung des Lebensunterhalts wird schließlich in Art. 10 BMS-Vereinbarung in einer für alle VertragspartnerInnen verbindlichen Untergrenze festgesetzt.

Schon allein aus dieser Darstellung ergibt sich, dass das Land Niederösterreich mit seiner Gesetzesänderung nicht nur die BMS-Vereinbarung verletzt, sondern auch das europäische Recht. Zu diesem Schluss gelangt auch das von der Bundesregierung in Auftrag gegebene Gutachten hinsichtlich „Differenzierung bei Sozialleistungen für international Schutzberechtigte und Schutzsuchende“ vom 29. März 2016, in dem auf Seite 84 ausgeführt ist: „Eine primär am Normtext orientierte Auslegung spricht für ein leistungsartbezogenes Verständnis von Art 29 Abs 2 [EU-Statusrichtlinie]: Auszugehen ist von den für Staatsangehörige vorgesehenen Leistungen, von diesen müssen nur die Kernleistungen erbracht werden, diese aber voll; wird die Leistung zum Lebensunterhalt (Mindestsicherung ieS) als einheitliche Leistung vorgesehen, muss sie daher auch subsidiär Schutzberechtigten in voller Höhe erbracht werden.“

Darüber hinausgehend ist jedoch auch festzustellen, dass die in Kraft gesetzte Änderung auch dem Sachlichkeitsgebot nach Art. 7 B-VG widerspricht: Sie lässt die bei der Schaffung der Mindestsicherung in den Erläuterungen zur BMS-Vereinbarung genannten Ziele außer Betracht. Dort heißt es unter anderem:

„Solange die unmittelbare (Wieder-)Eingliederung in den Arbeitsmarkt nicht möglich oder noch nicht gelungen ist, muss es Ziel der Bedarfsorientierten Mindestsicherung sein, durch die Deckung der in Art. 2 Abs.1 aufgezählten Bedarfe Personen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen, die dazu der Hilfe der Gemeinschaft bedürfen.[…]

Die Bedarfsorientierte Mindestsicherung soll nach Art. 2 Abs. 1 grundsätzlich in Form einer pauschalierten Geldleistung erbracht werden. Um in einer auf den Prinzipien der Geldwirtschaft beruhenden Gesellschaft die Fähigkeit zur Selbsthilfe wieder zu erlangen, ist es zur Wahrung der eigenen Menschenwürde notwendig, frei über die Art und Weise der Bestreitung des Lebensunterhaltes entscheiden zu können.[…]

Mit den bundesweit einheitlichen Mindeststandards in der Bedarfsorientierten Mindestsicherung soll das österreichische Sozialsystem armutsfest gestaltet werden. […]“

 

Menschen, die auf der Flucht vor Krieg und Verfolgung nach Österreich kommen und hier Schutz gefunden haben, sind in aller Regel ohne Einkommen und Vermögen, das sie im Verfolgerland zurücklassen mussten. Diese Menschen bedürfen notwendigerweise der Solidarität der Gemeinschaft, um ein menschenwürdiges Leben zu führen, bis eine erfolgreiche Inklusion in den Arbeitsmarkt erfolgt ist.

Die Mindestsicherung ist der niedrigste Betrag, dem die österreichische Rechtsordnung noch die Fähigkeit zuspricht, Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen. Dies sehr wahrscheinlich zu Unrecht, da der Richtwert der Mindestsicherung um 16% unter der netto-Ausgleichszulage für PensionistInnen und um fast 30% unter der jährlich von der Statistik Austria erhobenen Armutsgefährdungsschwelle liegt. Klar ist jedoch, dass ein Mensch mit einem Betrag, der unterhalb des Mindestsicherungsrichtwertes von Euro 838,-- für Alleinstehende liegt, in Österreich jedenfalls kein menschenwürdiges Leben führen kann. Die Gesetzesänderung des Landes Niederösterreich hat somit zwangsläufig zur Folge, dass die Gesellschaft mit einem erhöhten Ausmaß an Ausgrenzung und damit verknüpften sozialen Folgekosten konfrontiert sein wird.

Oder anders gesagt: Im Unterschied etwa zu Salzburg, das subsidiär Schutzberechtigte in Wohneinrichtungen aufnimmt, in denen sie vollständig versorgt sind (weswegen diese Menschen auch nicht den vollen Richtsatz aus der Mindestsicherung erhalten), schafft Niederösterreich wissentlich nachhaltig verfestigte Armut und Ausgrenzung und wälzt die Folgen und Kosten auf das Gemeinwesen sowie auf andere Bundesländer ab.

Statistisch ist etwa nachweisbar, dass Menschen, die im Burgenland rechtswidrig von der Mindestsicherung ausgeschlossen sind, ihren Wohnort in ein Bundesland verlegen, welches die BMS-Vereinbarung einhält. Durch rechtswidriges Handeln werden also Kosten auf andere Bundesländer abgewälzt. Dazu gesellen sich auch weitere Kosten infolge der Tatsache, die sich aus dem Fehlen von Inklusionsangeboten an Betroffene ergeben. So etwa werden Kosten für Deutschkurse, soziale Betreuung und Begleitung verlagert.

Mit der Entscheidung VfSlg. 19434 hat der Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass der Inhalt von Art.-15a-Vereinbarungen von den VertragspartnerInnen einzuhalten ist. Im Fall der Nichteinhaltung können Ansprüche gegen jene Gebietskörperschaft entstehen, die sich nicht rechtskonform verhält. Niederösterreich und das Burgenland verstoßen offenkundig gegen die BMS-Vereinbarung.

Die vom Land Niederösterreich gesetzte Verletzung der BMS-Vereinbarung, der Bundesverfassung (und hier insbesondere des aus Art. 7 B-VG abgeleiteten Sachlichkeitsprinzips) sowie des EU-Rechts darf nicht hingenommen werden. Sie überschreitet an inhaltlicher Substanz, an der Zahl der direkt betroffenen Menschen und hinsichtlich des Ausmaßes der Folgen für das Gemeinwesen das Maß der bisherigen Verletzungen. Die österreichische Bundesregierung ignorierte in der Vergangenheit wiederholt Verletzungen der BMS-Vereinbarung durch Bundesländer. Zumal nun auch andere Bundesländer beabsichtigen, ähnliche Schritte zu setzen, muss der Bund auch aus präventiven Überlegungen die erforderlichen Maßnahmen setzen.

 

Der Bundesregierung stehen zur Durchsetzung der BMS-Vereinbarung, aber eben auch zur Durchsetzung des EU-Sekundärrechts und zur Abwehr eines erheblichen Schadens für die Menschen in diesem Land mehrere Mittel zu Verfügung:

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

„Die Bundesregierung wird aufgefordert, ehestens, jedoch bis spätestens 30. September 2016, jene Verfahren beim Verfassungsgerichtshof einzuleiten, mit denen die Verletzungen der Rechtsgrundlagen in Zusammenhang mit der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B-VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung durch die Vertragspartner der Bundesregierung festgestellt und beendet werden können.“

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales  vorgeschlagen.