1810/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 08.07.2016
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ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

der Abgeordneten Judith Schwentner, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Schaffung einheitlicher Sozialversicherungssysteme für alle und demokratischer Versichertenwahlen nach dem Prinzip one-person-one-vote

 

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Österreich erlebt in den letzten Jahren einen Prozess des Vertrauensverlusts in seine Institutionen. Davon erfasst ist auch das österreichische Modell der Sozialen Sicherheit.

Ausgelöst durch offenkundiges berufsständisches Klientelinteresse und gefördert durch Segmentierung und daraus resultierender Intransparenz in zahlreichen Trägern und der Unfähigkeit weiter Teile der Sozialversicherung, sich auf geänderte gesellschaftliche Verhältnisse und Bedingungen einzustellen, nimmt nicht nur die Identifikation der Menschen mit dem Modell der sozialen Sicherheit, sondern das Vertrauen der Versicherten in die soziale Absicherung ab.

Der Schritt zur organisatorischen Zusammenlegung ermöglicht einen Neustart der Sozialversicherung und eine Ausweitung der von ihr angebotenen und garantierten Leistungen. Kombiniert mit einer Demokratisierung der Sozialversicherung wird es gelingen, das Vertrauen der Menschen in dieses System wiederzugewinnen.

Das österreichische Modell der Sozialversicherung hat sich in über hundert Jahren entwickelt. Daraus entstanden ist ein berufsständisches System, dass einem großen Teil der österreichischen Bevölkerung im internationalen Vergleich große soziale Sicherheit bietet, aber auch seit Jahrzehnten nicht mehr in der Lage ist, sich verändernden gesellschaftlichen Realitäten anzupassen.

 

Absurde berufsständische Organisation ist ein Bremsklotz

Die berufsständische Organisation der Sozialversicherung ist ein Bremsklotz der Entwicklung und widerspricht jeder gesellschaftlichen Realität: Im Jahr 2014 überstieg die Zahl der Anspruchsberechtigten in den verschiedenen Krankenversicherungsträgern die Zahl aller Anspruchsberechtigten um fast 700.000 Menschen. Mindestens 700.000 Menschen waren also bei mehr als einem Krankenversicherungsträger erfasst. Ca. 90.000 Menschen sind BeitragszahlerInnen bei mehr als einem Krankenversicherungsträger.

Ähnliches gilt auch für die Pensionsversicherung.

Unnötige Mehrgleisigkeiten binden nicht allein Verwaltungskapazitäten für Unsinnigkeiten, sondern bedeuten auch einen erheblichen bürokratischen Mehraufwand für die Versicherten ohne irgendeinen Mehrwert für die Betroffenen.

Die berufsständische Struktur der Versicherungsträger verursacht aber nicht allein unnötigen Mehraufwand in der Verwaltung und für Versicherte, sondern behindert auch die berufliche Mobilität.

 

Unterschiedliche Beitragshöhen und Berechnungsgrundlagen schüren Neiddebatten

Das Fehlen eines einheitlichen Pensionssystems für alle erwerbstätigen Menschen bewegt die Republik seit vielen Jahrzehnten. Ein einheitlicher Pensionsversicherungsträger für alle Menschen garantiert einheitliche Beitragssätze und macht Schluss mit der Klientelpolitik und der unterschiedlichen Behandlung Berufsgruppen in der Pension. Bereits jetzt werden Pensionssysteme höchst unterschiedlich behandelt: Während die nach dem ASVG versicherten Arbeitnehmer mehr als 80% ihrer Pensionen über Beiträge aufbringen, liegt dieser Wert bei den Selbständigen unter 50%, bei BeamtInnen sogar deutlich unter 40%.

Ziel muss ein einheitliches Pensionssystem für alle – also ArbeitnehmerInnen, BeamtInnen, BäuerInnen, Gewerbetreibende und freie Berufe – ohne Sonderrechte und Sonderversicherungsträger zu schaffen: Ein einheitliches System mit gleichen Beitragssätzen, gleichen Berechnungsregelungen und Leistungszugängen.

 

Unterschiedliche Leistungskataloge sind für Betroffene nicht nachvollziehbar

Den Versicherten tritt die Vielzahl unterschiedlicher Systemteile als intransparentes und undurchschaubares Konstrukt entgegen. Es wirkt wie ein Hohn für einen kranken Menschen, wenn er erfahren muss, dass ein Mensch in seiner Situation bei manchen Versicherungsträgern bessere und in anderen schlechtere Leistungen erhält. Es kann nicht sein, dass der Zugang zu Gesundheitsleistungen, zu Behandlungen, Kostenersätzen, Rehabilitationsmaßnahmen oder Hilfsmittel davon abhängt, welchen Beruf ein Mensch hat oder in welchem Bundesland er lebt.

Es ist nicht erklärbar, nicht verständlich und letztlich auch inakzeptabel, dass Versicherte in Wien Zugang zu ambulanten Leistungen der medizinischen Rehabilitation haben, die ein zehn Meter hinter der Wiener Landesgrenze in Niederösterreich lebender Mensch nicht hat.

Es ist nicht erklärbar, nicht verständlich und letztlich auch inakzeptabel, dass ÄrztInnen für die Versorgung von selbständig erwerbstätigen Menschen und deren Angehörige eine höhere Vergütung erhalten, als für ArbeiterInnen und Angestellte.

Es ist nicht erklärbar, nicht verständlich und letztlich auch inakzeptabel, dass Wahlarztvergütungen in Vorarlberg oder Salzburg höher sind als in der Steiermark.

 

Mehrgleisigkeiten sind ökonomischer Nonsense

Die mit diesem Antrag angestrebte Zusammenlegung der Sozialversichungsträger zu jeweils einem Träger pro Versicherungssparte – als Krankenversicherung, Pensionsversicherung und Unfallversicherung – hebt ein begrenztes, aber vorhandenes Einsparungspotenzial. Es ist nicht erklärbar, warum etwa die ärztlichen Honorare der Sozialversicherungsanstalt der Gewerblichen Wirtschaft deutlich höher sind, wie jene der Gebietskrankenkassen. Es ist auch für Versicherte nicht einsichtig, warum manche Versicherungsträger Kosten für den Besuch von ÄrztInnen verrechnen, zumal dies Auswirkungen auf das Verhalten der Versicherten hat, die zu erheblichen Folgekosten führen.

Kontraproduktiv ist auch, dass auf Grund der unterschiedlichen Versichertenstruktur und der weitgehend leistungslosen Zusatzeinnahmen mancher Versicherungsträger für Mehrfachversicherte manche Sozialversicherungsträger erhebliche Rücklagen bilden können, während anderen Träger notwendige Mittel fehlen.

Ebenso sind Kostenreduktionen durch die Beendigung von Mehrgleisigkeiten und die Zusammenlegung bestimmter Funktionen zu erwarten. Diese aus der Umsetzung von Einsparungspotenzialen gewonnenen Mittel kommen werden dringend benötigt für den Ausbau der Leistungen. So bestehen etwa im Bereich der Versorgung von Kindern, älterer Menschen oder von Menschen mit psychischen Erkrankungen erhebliche Lücken, zu deren Füllung die Einsparungseffekte aus einer Zusammenlegung beitragen können.

 

Beibehaltung und Ausbau der Unfallversicherung

Die Unfallversicherung ist eine eigenständige und von der Krankenversicherung sowohl hinsichtlich ihrer Mittelaufbringung als auch ihrer Aufgaben unterscheidbare Einrichtung. Sie ist als eigenständige Funktion des Sozialsystems beizubehalten und in die Lage zu versetzen, ihre Aufgaben auch in den Bereichen Vorsorge und Prävention noch besser zu erfüllen mit dem Ziel, die Arbeitsbedingungen in Österreich deutlich zu verbessern und zu gewährleisten, dass alle erwerbstätigen Menschen länger bei guter Gesundheit bleiben.

 

Demokratisierung der Sozialversicherung

Die berufsständische Organisation der Sozialversicherung macht eine demokratische Gestaltung der Träger unmöglich. So zählt etwa die Stimme von Selbständigen bei der Besetzung von Funktionen im Hauptverband der Sozialversicherungsträger fast zehn Mal so viel wie die Stimme von Arbeitnehmerinnen.

Dazu kommt, dass zahlreiche Sonderversicherungsträger eindeutig politisch zugeordnet und damit als Erbpacht von Parteien zu betrachten sind.

Eine demokratisch legitimierte Selbstverwaltung der Sozialversicherung ist essentiell für die Akzeptanz des sozialen Sicherungssystems wie auch zur Wahrung der Interessen der Versicherten. Im Sinne eines ausgeprägten Systems von Checks und Balances ist es wesentlich, dass die Interessen der Versicherten nicht mehr von berufsständischen Interessensvertretungen vertreten werden, sondern von in echten demokratischen Versichertenwahlen nach dem Prinzip one-Person-one-vote bestimmten VertreterInnen. Nur derart legitimierte VertreterInnen sind in der Lage, die Interessen der Versicherten auch gegen Eingriffe der Politik zu verteidigen.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung, insbesondere die Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz sowie die Bundesministerin für Gesundheit und Frauen werden aufgefordert, dem Nationalrat eine Gesetzesvorlage zukommen zu lassen, mit dem ein einheitliches System an Sozialversicherungsträgern pro Versicherungssparte – also Krankenversicherung, Pensionsversicherung und Unfallversicherung - und Versichertenwahlen nach dem Grundsatz „one person, one vote“ geschaffen werden. Dies bedingt einheitliche Träger mit jeweils neun Landesstellen, in denen alle der Pflichtversicherung unterliegenden Menschen in diesem Land sowie alle Mitversicherten nach gleichen Prinzipien mit gleichem Leistungkatalog, gleichen Beitragssätzen und gleichen Berechnungs- bzw. Leistungsregelungen.

Die Gesetzesvorlage hat überdies einen verbindlichen Organisationsplan für die Überführung der jeweils in den Sonderversicherungsträgern, Betriebsversicherungen, BeamtInnenpensionssystemen und Krankenfürsorgeanstalten versicherten Personen bzw. der von den Trägern und Anstalten verwendeten Betriebsmittel und gebildeten  Rücklagen in die neuen, einheitlichen Systeme festzulegen.

Am Prinzip der Selbstverwaltung und der Solidarität sowie des Umlageverfahrens ist festzuhalten. Die VertreterInnen der Versicherten in den Landesstellen der Krankenversicherung, der Pensionsversicherung, der Unfallversicherung sowie des Hauptverbandes der österreichischen Sozialversicherungsträger sind durch alle vier Jahre stattfindende Versichertenwahlen nach dem Grundsatz „one person, one vote“ zu bestimmen.

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales  vorgeschlagen.