2163/A(E) XXV. GP

Eingebracht am 17.05.2017
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Parlamentarische Materialien

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

der Abgeordneten Birgit Schatz, Freundinnen und Freunde

 

betreffend Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze

 

 

 

BEGRÜNDUNG

 

Seit 1.1.2017 gibt es keine tägliche Geringfügigkeitsgrenze mehr. Die Abschaffung öffnete das Tor für Konstruktionen von Arbeitsverträgen, mit denen Menschen um ihre sozialrechtlichen Ansprüche geprellt werden.

 

Bereits am 5. Jänner 2017 hat etwa der Fachverband Film- und Musikwirtschaft der WKO folgendes E-Mail versandt:

 

Gesendet: Donnerstag, 05. Januar 2017 um 11:42 Uhr
Von:>
An: 
Betreff: Möglichkeit der wiederkehrenden tageweisen Beschäftigung ohne Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze seit 1.1.2017

Möglichkeit der wiederkehrenden tageweisen Beschäftigung ohne Überschreitung der Geringfügigkeitsgrenze seit 1.1.2017

 

Sehr geehrte Damen und Herren!

Mit 1.1.2017 ist die tägliche Geringfügigkeitsgrenze (GFG) gefallen. Für die Beurteilung, ob ein geringfügiges Beschäftigungsverhältnis vorliegt, ist also nur noch die monatliche GFG heranzuziehen, die 2017 bei €425,70 liegt.

Dadurch ergibt sich für Unternehmen der Film- und Musikbranche eine neue Möglichkeit hinsichtlich der fallweisen Beschäftigung von Dienstnehmern. Fallweise Beschäftigung bedeutet, dass jeder Tag als eigenständiges Dienstverhältnis zu betrachten ist.

Denn von nun an gilt: Liegen mehrere Dienstverhältnisse zum selben Dienstgeber vor, sind diese stets getrennt zu betrachten. Solange die tägliche Entlohnung (und somit die gesamte Entlohnung des Dienstverhältnisses) unter €425,70 liegt, gilt der Beschäftigte als geringfügig angestellt.

Beispiel:

Wichtig zu beachten ist, dass Dienstnehmer in unregelmäßiger Folge und nur tageweise anzustellen sind. Dabei sind die jeweiligen Vertragsverhältnisse unabhängig voneinander zu gestalten. Das bedeutet beispielsweise, dass in einem Dienstvertrag nicht bereits im Vorfeld hinausgehende weitere Arbeitstage oder Arbeitszeiten vereinbart werden dürfen.

Zusätzliche Kosten entstehen, sofern ein DG geringfügig Beschäftigte im Ausmaß des 1,5-fachen der monatlichen GFG (€638,55,--) beschäftigt hat. Dann sind eine Dienstgeberabgabe in Höhe von 16,4% sowie ein Unfallversicherungsbeitrag von 1,3% zu zahlen.

Film and Music Austria

FAMA

 

Ein Teil des Grundproblems ist mit diesem Mailauszug bereits hinreichend beschrieben: Unternehmen bemühen sich, Kosten für Sozialversicherungsbeiträge zu sparen. Die Rechnung zahlen die VertragsnehmerInnen, die um einen guten Teil ihrer sozialrechtlichen Ansprüche umfallen.

 

Beispiel 1

Ein Mensch verdient in einem Arbeitsverhältnis € 425,- für einen Tag Arbeit.

Die DienstnehmerInnen sind weder krankenversichert noch arbeitslosenversichert und erhalten auch keine Zeiten in der Pensionsversicherung. Auf diese Weise erspart sich der Dienstgeber die gesamten Sozialversicherungsbeiträge mit Ausnahme des Unfallversicherungsbeitrags (Rechtslage 2016: € 82,15; RL 2017: € 0).

 

Beispiel 2

Ein Mensch hat zwei voneinander getrennte Arbeitsverhältnisse von jeweils einem Tag mit jeweils € 318. Der Beschäftigte kommt zwar mit seinen monatlichen Einnahmen über die Geringfügigkeitsgrenze und ist (mit reduzierten Beiträgen: bis 2016 € 98,07; ab 2017 € 46,88) für zwei Tage vollversichert, aber der Dienstgeber erspart sich weiterhin die gesamten DG-seitigen Sozialversicherungsbeiträge (RL 2016: € 108,95; RL 2017: € 0).

Diese Konstellation wirkt zwar konstruiert, wird aber von einigen Fachgruppen in der Wirtschaftskammer aktiv beworben.

Dauert ein solches Dienstverhältnis ein Jahr, so verliert der oder die DienstnehmerIn knapp 50% seiner Pensionsansprüche oder seiner Arbeitslosenansprüche für das entsprechende Jahr. Die Sozialversicherung verliert € 2.321,90 im Jahr.


Förderung prekärer Arbeitsverhältnisse

Durch die Abschaffung der täglichen Geringfügigkeitsgrenze werden prekäre Dienstverhältnisse attraktiver gemacht.

Denkbar ist etwa: Ein Mutterunternehmen hat vier Töchterunternehmen, die mit einem Dienstnehmer oder einer Dienstnehmerin jeweils ein Arbeitsverhältnis im Ausmaß von zwei Tagen im Monat a € 318 eingehen.

Der oder die DN verdient zwar brutto € 2.544,- im Monat, von denen aber nur € 1.328 sozialversicherungsrechtlich wirksam werden. Keines der vier Unternehmen muss DG-Beiträge an die Sozialversicherung entrichten.

Der Pensionsanspruch der oder des Beschäftigten aus diesem Arbeitsjahr sinkt von € 45,28 auf € 23,64. Der Arbeitslosenanspruch sinkt von € 1.180 im Monat auf € 768,80. Im Extremfall entgehen der Sozialversicherung auf diese Weise Beiträge in der Höhe von € 9.287,60 im Jahr.

 

Weitere Aspekte: Sozialdumping wird legal

Denkbar ist übrigens auch die genau umgekehrte Variante: Ein EPU gründet vier Vereine und geht mit jedem dieser Vereine ein Beschäftigungsverhältnis wie unter Beispiel 2 dargestellt ein. Damit wird diese Person in die Lage versetzt, Leistungen wesentlich günstiger anzubieten, als andere Unternehmen, die diese Gesetzeslücke nicht ausnützen.

Die neue gesetzliche Situation eröffnet die Möglichkeit, als Einzelperson z.B. mehrere Vereine zu gründen und mit jedem dieser Vereine Geschäftstätigkeit anzubieten. Der Verein kann quasi für eine zu erbringende Leistung jeweils Rechnungen stellen und die Einzelperson mit der Leistungserbringung als fallweise Beschäftigte(n) „betrauen“. Ist sichergestellt, dass die Entlohnung bei keinem dieser Vereine höher als die 1,5-fache Geringfügigkeitsgrenze pro Monat beträgt, so muss der rein formale Dienstnehmer oder die formale DienstnehmerIn im Folgejahr zwar 14,12% der täglichen Höchstbeitragsgrenze pro Beschäftigungstag entrichten, erspart sich aber etwa Arbeiterkammerumlage, Beitrag zur Arbeitslosenversicherung, Wohnbauförderungsbeitrag sowie alle DienstgeberInnenbeiträge und lohnsummenabhängigen Abgaben.

 

Wie man es dreht und wendet…

Selbst ohne gefinkelte Hilfskonstruktion stellt die gegenwärtige Rechtslage ein Problem dar, weil sie es ermöglicht, Menschen mit bis zu € 425,- pro Tag zu beschäftigen, ohne dass die Beschäftigten dafür die entsprechende soziale Absicherung erhalten, weil ihre Einkommen, wenn überhaupt, nur bis zur täglichen Höchstbeitragsgrenze von € 166,- der Sozialversicherung unterliegen (und zwar auch dann, wenn das Beschäftigerunternehmen zusammengerechnet mehr als das 1,5-fache der Geringfügigkeitsgrenze pro Monat für geringfügige Beschäftigung aufwendet. In diesem Fall ist zwar an Stelle der Sozialversicherungsbeiträge eine zusätzliche DienstgeberInnenabgabe von 16,4% zu bezahlen, die aber den Beschäftigten nicht zu Gute kommen.

…es gehört verändert!

 

Lösungsvorschlag

Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze – jede Erwerbstätigkeit unterliegt der Sozialversicherung
Die Geringfügigkeitsgrenze war historisch als bürokratische Erleichterung für besondere Ausnahmefälle gedacht gewesen. Im Jahr 2017 ist geringfügige Erwerbstätigkeit jedoch kein Ausnahmefall mehr: Im Jahresdurchschnitt sind 345.632 Menschen (= ziemlich genau 10% der DN) geringfügig erwerbstätig. Diese Zahl hat sich seit 1996 um 133% erhöht. Geringfügige Erwerbstätigkeit stellt somit keinen berücksichtigenswerten Ausnahmefall mehr dar. Es gibt keinen Grund, dieses Tor für Sozialmissbrauch offen zu lassen.

Im Gegenzug zur Abschaffung der Geringfügigkeitsgrenze sind Zuverdienstregelungen in das Arbeitslosenversicherungsrecht und das Pensionsrecht aufzunehmen.

 

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgenden

 

 

ENTSCHLIESSUNGSANTRAG

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

Die Bundesregierung, insbesondere der Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz, wird aufgefordert, dem Nationalrat ehestens, jedoch jedenfalls bis 30. September 2017, einen Gesetzesvorschlag zukommen zu lassen, mit dem

1.    die Möglichkeit der geringfügigen Beschäftigung abgeschafft wird;

2.    eine Beitragsflicht in der Sozialversicherung für jedes Erwerbseinkommen geschaffen wird;

3.    auf die bisherige Geringfügigkeitsgrenze des ASVG abstellende Zuverdienstregelungen durch jährlich aufzuwertende Fixbeträge in den einzelnen Gesetzesmaterien umgestellt werden;

4.    §12 Abs. 1 Arbeitslosenversicherungsgesetz so abgeändert wird, dass arbeitslos ist, wer eine Beschäftigung beendet hat und keine der Pflichtversicherung unterliegenden Erwerbstätigkeit ausübt, die zu einem über der Einkommensgrenze nach Punkt 3. dieses Antrags liegenden Einkommen führt.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales  vorgeschlagen.