2216/A XXV. GP

Eingebracht am 07.06.2017
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ANTRAG

der Abgeordneten Birgit Schatz,  Freundinnen und Freunde

 

 

betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. I 59/2017, geändert wird (Mindestlohngesetz)

 

 

 

Der Nationalrat wolle beschließen:

 

 

Bundesgesetz, mit dem das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. I 59/2017, geändert wird

 

 

Der Nationalrat hat beschlossen:

 

Das Allgemeine Bürgerliche Gesetzbuch, zuletzt geändert durch BGBl. I 59/2017, wird wie folgt geändert:

 

 

1. In §1152 wird folgender Satz angefügt:
„Das Entgelt darf € 10,10 für die Arbeitsstunde nicht unterschreiten. §1154 Abs. 1a und 1b gelten entsprechend.“

 

2. In §1154 Abs. 1 wird folgender Satz angefügt:

„Das Entgelt darf € 10,10 für die Arbeitsstunde nicht unterschreiten. Kollektivvertragliche Regelungen, gesetzliche Bestimmungen oder Arbeitsverträge, die ein höheres Entgelt vorsehen, bleiben von dieser Bestimmung unberührt.“

 

3. Nach §1154 Abs.1 werden folgende Absätze eingefügt:

„(1a) Die Höhe des Mindestlohns nach §1154 Abs. 1 verändert sich mit 1. Jänner eines jeden Jahres in jenem Maße, in dem sich der von der Statistik Austria verlautbarte Generalindex des Tariflohnindex im Zeitraum zwischen 1. Juli des der Verlautbarung vorhergehenden Jahres und 30. Juni des Jahres, in dem die Änderung verlautbart wird, verändert hat. Eine Verringerung des Mindestlohns ist nicht möglich.

(1b) Die Anpassung des Mindestlohns für das folgende Jahr gemäß §1154 Abs. 1a ist vom Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz zu ermitteln und bis 30. November eines jeden Jahres durch Verordnung kundzumachen.“

 

4. In § 1154 werden nach Abs. 3 folgende Abs. 4 bis 7 angefügt:

„(4) Personen, die einer unselbständigen Erwerbstätigkeit nachgehen, gebührt unabhängig der Form der unselbständigen Erwerbstätigkeit spätestens am 1. Dezember jeden Jahres eine Weihnachtsremuneration sowie spätestens am 30. Juni jeden Jahres eine Urlaubsbeihilfe in der Höhe von jeweils 100% des jeweils zur Auszahlung gelangenden Lohnes oder Gehalts.

(5) Den während des Jahres ein- oder austretenden Erwerbstätigen gebührt der aliquote Teil der Beträge nach Abs 4; bei austretenden Erwerbstätigen berechnet nach dem letzten Monatsgehalt oder Monatslohn.

(6) Bei unselbständig Erwerbstätigen mit unterschiedlichem Ausmaß der Beschäftigung berechnet sich die Weihnachtsremuneration und die Urlaubsbeihilfe nach dem Durchschnitt der letzten 13 Wochen vor der Fälligkeit. Der Anspruch auf Weihnachtsremuneration und Urlaubsentschädigung wird durch Zeiten, in denen kein oder ein gekürzter Anspruch auf Entgelt im Krankheits- oder Unglücksfall besteht, nicht gekürzt.

(7) Ist auf Grund eines Arbeitsvertrages, eines Kollektivvertrages oder einer Betriebsvereinbarung eine höhere Weihnachtsremuneration oder eine höhere Urlaubsentschädigung vereinbart, so wird diese durch dieses Gesetz nicht gekürzt.“

 

5. Nach §1503 wird folgender §1504 eingefügt:

„§1504. Inkrafttreten und Übergangsbestimmungen

(1) § 1152 und §1154 in der Fassung dieses Gesetzes treten mit 1. Juli 2017 in Kraft.

(2) Verordnungen zur Durchführung dieses Bundesgesetzes können ab dem auf die Kundmachung im Bundesgesetzblatt folgenden Tag an erlassen werden; sie treten frühestens mit 1. Juli 2017 in Kraft.“

 

Begründung:

 

Was verschiedene Studien und Einkommensberichte zeigen, erfahren viele Beschäftigte in Hinblick auf ihre Verdienstmöglichkeiten an jedem Monatsende. In den letzten 25 Jahren gab es einen Reallohnverlust von bis zu 46% (Siehe Einkommensbericht des Rechnungshofes 2016). Gerade die unteren Einkommensgruppen – darunter viele ArbeiterInnen – haben ihren Anteil am „Wohlstandskuchen“ verloren. Diese Situation schadet jedem einzelnen Beschäftigten und verstärkt Abhängigkeiten von Ehepartnern.

http://ec.europa.eu/eurostat/statistics-explained/images/2/2a/Median_gross_hourly_earnings_and_low-wage_earners%2C_2014_V3.pngAus sozialpolitischer Sicht schwächen Niedriglöhne das soziale Sicherungssystem durch niedrige Beiträge und haben Armut in der Pension zur Folge. Aus wirtschaftspolitischer Sicht bringt es Einbußen an Kaufkraft und Konsum. Geringe Löhne haben sehr viel mit atypischen Beschäftigungsverhältnissen wie Teilzeit oder befristeten Arbeitsverträgen sowie mit dem Entstehen neuer Berufsfelder (etwa neue Berufsfelder in der Arbeit mit neuen Technologien, die oft spät oder gar nicht von Kollektivverträgen erfasst werden) zu tun. Auffällig ist auch, dass Frauen besonders häufig von Niedriglöhnen betroffen sind.

14,8% der ArbeitnehmerInnen (ca. 530.000 Menschen) in Österreich verdienen für gute Arbeit weniger als 2/3 des mittleren Bruttostundenlohns.

 

Im Vergleich dazu ist dieser Niedriglohnanteil in vergleichbaren Ländern wie in Belgien (3,8% 3,8% der ArbeitnehmerInnen), in Finnland (5,3%) oder in Schweden (2,6%) wesentlich geringer. Auch Frankreich liegt mit 8,8% weit unter dem österreichischen Wert.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Im Dezember 2016 veröffentlichte Eurostat Daten zum Ausmaß der NiedriglohnbezieherInnen in der EU. Die Daten beziehen sich auf Bruttoeinkommen von Oktober 2014 und zeigen, dass der mittlere Stundenlohn in Österreich gemessen an der Kaufkraft – durchaus überraschend – nur an zehnter Stelle von 28 EU-Ländern liegt. Der mittlere Stundenlohn in Österreich gemessen an der Kaufkraft liegt unter jenem etwa von Belgien, Dänemark, Deutschland, Irland, Frankreich, Luxembourg, den Niederlanden, Finnland, Schweden und dem Vereinigten Königreich.

Das ist überraschend, zumal Österreich – gemessen am Bruttoinlandsprodukt pro Kopf in Kaufkraftstandards – das dritt- oder viertreichste Land der EU ist.

 

Ein zentrales Schutzgefüge gegen niedrige Einkommen sollen Kollektivverträge sein. Aber auch 2017 gibt es Einstiegsgehälter in den Kollektivverträgen von 1.200 Euro Brutto/Monat bei Vollzeitarbeit. Das Bestreben der Gewerkschaften, Mindestgehälter in den Kollektivverträgen anzuheben, wird gerade in teilzeit- und frauendominierten Branchen von den Vertragspartnern blockiert. Somit schützen Kollektivverträge alleine also nicht vor einem nicht existenzsichernden Einkommen. Dazu kommt, dass nicht alle Branchen von Kollektivverträgen gleich gut erfasst bzw. abgedeckt sind. Die Forderungen nach Lohnuntergrenzen für Vollzeiterwerbstätigkeit gibt es seit Jahrzehnten, doch die jeweilige Realisierung kommt immer um Jahre zu spät, dass bereits eine neue Höhe notwendig wäre, um Vollzeitarbeit von der Armutsgefährdung zu befreien.

 

Die Höhe wird immer neu bemessen, weil sie sich u.a. am Medianeinkommen des Vorjahres orientiert - genau gesagt liegt dieser Wert bei 2/3 des Brutto-Medianlohns (das ist jener Wert wo die Hälfte der Einkommen darunter, und die andere Hälfte der Einkommen darüber liegt). Die Niedriglohnschwelle wird nach dem Konzept der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) berechnet. Diese Berechnung hat sich als Standardberechnung von Eurostat, Statistik Austria und etwa dem wifo durchgesetzt. Für das Jahr 2017 wird die Niedriglohnschwelle (erhöht um die Lohnentwicklung seit 2015 – den sogenannten Tariflohnindex) somit im Bereich zwischen € 9,90 und € 10,20 brutto pro Stunde zu liegen kommen. Das sind etwa € 1.750,- brutto (oder € 1.341,- netto) pro Monat. Dieser Stundenlohn gilt dann für alle Beschäftigten unabhängig davon, ob sie teilzeit- oder vollzeitbeschäftigt sind.

 

Eine gesetzlich festgelegte Lohnuntergrenze schränkt die Kollektivvertragsfreiheit der Kollektivvertragspartner nicht ein, sofern entscheidende Parameter berücksichtigt werden: Dazu zählt etwa die gesetzlich festgelegte jährliche Valorisierung des gesetzlichen Mindestlohns auf Basis der Entwicklung des Tariflohnindex (also der Kollektivverträge). Ziel ist es, eine branchenunabhängige Lohnuntergrenze festzulegen, um gesellschaftlich nicht gewünschte Verwerfungen zu unterbinden. Dies ist eine sozialpolitische Maßnahme zur Bekämpfung von Armut und Armutsgefährdung. Einen Eingriff in die KV-Systematik abgesehen von den Mindestniveaus lehnen wir Grüne ab.

 

Eine gesetzliche Lohnuntergrenze trägt dazu bei versäumte Entwicklungen der Lohnpolitik nachzuholen, löst aber allein nicht alle Probleme. Es wird in der Folge auch notwendig sein, Rahmenbedingungen in Bereichen zu schaffen, die derzeit in der Praxis von Kollektivverträgen bisweilen gar nicht oder nur unzureichend erfasst werden. Dazu wird es notwendig sein, etwa das Instrument des Bundeseinigungsamtes aufzuwerten, um Lücken in der Abdeckung durch Kollektivverträge zu schließen.

 

 

In formeller Hinsicht wird die Zuweisung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales vorgeschlagen.