15/BI XXV. GP

Neuverteilung gem. § 21 Abs. 1a GOG-NR am 29.10.2013

Eingebracht am 03.10.2012 als 50/BI XXIV. GP
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Bürgerinitiative

Parlamentsdirektion

PARLAMENTARISCHE BÜRGERINITIATIVE

betreffend die Wiedergutmachung

des Unrechts in der Fürsorge- und Heimerziehung

Seitens der Einbringerlnnen wird das Vorliegen einer Bundeskompetenz in

folgender Hinsicht angenommen:

Da die Unrechtshandlungen, um die es in der vorliegenden Initiative geht, vielfach in Form von strafbaren Körperverletzungen oder Gesundheitsschädigungen erfolgten, betrifft deren Wiedergutmachung die Rechtsmaterie des Verbrechensopergesetzes (VOG). Es wird angestrebt, dieses Gesetz und das ABGB um einige Regelungen zu ergänzen, die der speziellen Opfersituation von Kindern und Jugendlichen in Erziehungseinrichtungen besser gerecht werden. Dazu ist nur der Bundesgesetzgeber in der Lage.

ANLIEGEN:

Der Nationalrat wird ersucht,

die gesetzlichen Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass das Unrecht, das Kindern und Jugendlichen in Fürsorge- und Erziehungsheimen angetan wurde, soweit wie möglich wieder gutgemacht wird, indem rückwirkend festgelegt wird,

1.       1. dass Verdienstausfälle im Sinne des VOG nicht erst ab Antragstellung
        sondern schon ab ihrer Entstehung zu ersetzen sind;

2.        2. dass Schmerzensgeldansprüche nach dem ABGB für Kinder und Jugendliche in    
        Fürsorge- und Erziehungsheimen nicht ohne besonderen Hinweis verjähren;

3.        3. dass zum Verdienstausfall im Sinne des VOG auch unbezahlte Arbeitseinsätze 
        während des Heimaufenthalts und der Ausfall von Versicherungszeiten zählen.

4.        4. dass für Kinder und Jugendliche in Fürsorge- und Erziehungsheimen als  
        entschädigungauslösende Handlung im Sinne des VOG jede rechtswidrige und
        vorsätzliche Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung unabhängig von
        ihrer Strafbarkeit gilt.

Dr. Karl-Renner-Ring

1017 Wien

 

Begründung:

 

Es ist inzwischen allgemein bekannt, dass in vielen Fürsorge- und Erziehungsheimen Österreichs bis in die 1980er Jahre ein kriminelles Schreckensregiment herrschte. Körperliche Gewalt, sexuelle Misshandlungen, Zwangsarbeit und unmenschliche Demütigungen waren an der Tagesordnung. Zehntausende von Kindern und Jugendlichen erlitten dadurch körperliche und seelische Schäden, die sie für den Rest ihres Lebens zeichnen: Schwer traumatisiert und persönlichkeitsgestört, selbstmordgefährdet und gesundheitlich geschwächt landeten viele in Frühinvalidität, nicht wenige in Kriminalität und die weiblichen Zöglinge nicht selten in der Prostitution.

Die Gesellschaft haftet für diesen Seelenmord, der sich jahrzehntelang in ihrer Mitte ereignen konnte, weil sie die Abwertung und Ausgrenzung von Heimkindern (die meist aus der Unterschicht stammten) billigte und damit ihre Misshandlung hinter den Mauern von Fürsorge- und Erziehungsheimen möglich machte.

Staat und Gesellschaft sind deshalb nicht nur zur Aufklärung der in der Fürsorge-
und Heimerziehung begangenen Verbrechen verpflichtet, sondern auch zur Entschädigung der Opfer. Diese Entschädigung für mehr oder weniger zerstörte Leben lässt sich nicht an „Runden Tischen" aushandeln und in Form von Pauschalbeträgen festlegen, die dann für alle gelten sollen und entsprechend niedrig ausfallen - Deutschland ist hierfür ein unrühmliches Beispiel. Stattdessen müssen die Einzelschicksale entschädigt werden. Dies ist im Rahmen des Verbrechensopfergesetzes und des Allgemeinen Bürgerlichen Gesetzbuches möglich, indem einige Spezialregelungen für Insassen von Fürsorge- und Erziehungsheimen eingefügt werden. Entsprechende Gesetzesvorschläge und deren Erläuterungen befinden sich im Anhang. Dabei geht es in erster Linie um den Inhalt der vorgeschlagenen Änderungen und nicht so sehr um die Art und Weise ihrer gesetzestechnischen Umsetzung. Sollte der Nationalrat die notwendigen Änderungen nicht in das VOG und das ABGB integrieren wollen, wäre ein eigenes Heimkinderentschädigungsgesetz erforderlich.



Anhang

1.  Gesetzesvorschläge zur Wiedergutmachung des Unrechts in der Fürsorge- und Heimerziehung

I.

In § 10 (1) VOG sind nach dem 2. Satz folgende Sätze anzufügen:

Diese Fristen laufen nicht für ehemalige Insassen in Fürsorge- und Erziehungsheimen, solange sie nicht auf die Möglichkeit von Entschädigungsansprüchen nach diesem Gesetz hingewiesen wurden.

II.

In § 1494 ABGB sind am Ende folgende Sätze anzufügen:

Gegenüber Insassen eines Fürsorge- und Erziehungsheimes kann die Verjährungsfrist auch bei Vorhandensein eines gesetzlichen Vertreters und nach Eintritt der Volljährigkeit nicht anfangen, soweit es um die Geltendmachung von Schmerzensgeld gemäß § 1325 ABGB geht und solange der Träger der Einrichtung die geschädigte Person nicht auf mögliche Ansprüche aufmerksam gemacht hat. Dies gilt auch für Ansprüche die vor Inkrafttreten dieser Vorschrift entstanden sind.

III.

In § 3 VOG ist ein Absatz 3 folgenden Inhalts einzufügen:

(3)    Bei ehemaligen Insassen von Fürsorge- und Erziehungsheimen ist Hilfe für Verdienstausfall auch in Höhe des Betrages zu leisten, der ihnen durch die Nichtentlohnung von gewerbsmäßiger Arbeit für das Heim oder die Einbehaltung des Lohnes von dritter Seite entgangen ist. Soweit es sich um sozialversicherungspflichtige Arbeiten handelte, ist auch der Ausfall von Versicherungszeiten zu ersetzen.

IV.

In § 1 VOG ist ein Absatz 9 mit folgendem Wortlaut einzufügen:

Für Minderjährige, die in Fürsorge- und Erziehungsheimen untergebracht sind, entsteht der Anspruch auf Hilfe unabhängig von der Strafbarkeit der Körperverletzung oder Gesundheitsschädigung.

V.

In Art. II - Übergangsbestimmungen - ist festzulegen, dass die vorgenannten Änderungen des VOG auch dann anzuwenden sind, wenn die darin geregelten Sachverhalte bereits vor Inkrafttreten des Verbrechensopfergesetzes eingetreten sind.


 

2.  Erläuterungen

zu I.

Gegenwärtig können die im VOG bei Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen vorgesehenen Entschädigungsleistungen gem. § 10 (1) Satz 1 und 2 nur dann von Anfang an gewährt werden, wenn der Geschädigte dies binnen 6 Monaten (für Verdienstausfall und Pflegezulage) bzw. binnen 2 Jahren (für andere Leistungen) nach der Schädigung beantragt. Anderenfalls sind die Entschädigungsleistungen erst ab Antragstellung zu gewähren.

Für erwachsene Verbrechensopfer sind diese Fristen kein Problem: Die an ihnen begangenen Verbrechen kommen normalerweise zur Anzeige und die Polizei bzw. das Strafgericht belehren die Verbrechensopfer gem. § 14 VOG über die nach diesem Gesetz vorgesehenen Entschädigungsmöglichkeiten. Anders ist es in der Regel bei Insassen von Fürsorge- und Erziehungsheimen: Die ihnen zugefügten Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen führen normalerweise nicht zu einem Ermittlungsverfahren und deshalb auch zu keinerlei Hinweis auf Entschädigungsmöglichkeiten, die im Übrigen nicht von den Opfern selbst sondern von den gesetzlichen Vertretern geltend gemacht werden müssten. Nach der Entlassung aus der Fürsorge- oder Heimerziehung sind die Opfer vielfach nicht in der Lage, ihre rechtlichen Möglichkeiten nach dem VOG wahrzunehmen. Abgesehen davon, dass sie mangels öffentlicher Hinweise auf die darin enthaltenen Entschädigungsmöglichkeiten keine Ahnung davon haben, sind sie meist auch nicht in der Lage über das ihnen widerfahrene Unrecht zu sprechen, insbesondere wenn es um sexuelle Gewalt geht. Traumabedingte Verdrängungen, Scham, Schuldgefühle und die Erfahrung, dass man ihnen nicht glaubt, verschließen ihnen den Mund (vgl. bspw. Horst Schreiber, Im Namen der Ordnung, S. 245 ff.). Wenn sie dann nach Jahren mit Hilfe psychotherapeutischer Behandlung oder anwaltlicher Beratung den Entschluss fassen, den Schaden geltend zu machen, den sie durch ihre Misshandlung in der Fürsorge- oder Heimerziehung erlitten haben, müssen sie erleben, dass sie für die Jahre, in denen sie als Traumatisierte und Invaliden dahinvegetierten, nichts mehr bekommen, weil die Fristen abgelaufen sind. Um dies zu vermeiden soll in § 10 Abs. 1 VOG nach dem 2. Satz eingefügt werden, dass die Fristen solange nicht laufen, solange die ehemaligen Heiminsassen nicht auf die Möglichkeit von Entschädigungsansprüchen nach dem VOG hingewiesen wurden.

zu II.

Fristenprobleme gibt es auch bei den Schmerzensgeldansprüchen ehemaliger Heimkinder.

Das VOG sieht in § 6a für die Opfer schwerer Körperverletzungen eine „Pauschalentschädigung für Schmerzensgeld“ vor, die normalerweise lediglich
1 000 € und bei Körperverletzung mit schweren Dauerfolgen 5 000 € beträgt. Abgesehen davon, dass diese als Sozialentschädigung gedachten Beträge als Schmerzensgeld völlig unangemessen sind, werden sie auch nur ausgezahlt, wenn die Körperverletzungen nach dem 31. Mai 2009 begangen wurden.


Schmerzensgeldansprüche im eigentlichen Sinne ergeben sich aus § 1325 ABGB. Für die Opfer körperlicher- und seelischer Grausamkeiten in Fürsorge- und

Erziehungsheimen scheitern diese Ansprüche jedoch vielfach an Verjährungsfristen. Wie schon erwähnt, bringen es ehemalige Heimkinder oft Jahre und Jahrzehnte lang nicht fertig, über ihr Leid zu sprechen, geschweige denn hierwegen Schadensersatzklage gegen die Heimträger einzureichen, Um ihnen dies für die Vergangenheit und die Zukunft zu ermöglichen, wird an die Verjährungshemmung des § 1494 ABGB angeknüpft. Die Verjährungsfrist soll solange nicht ablaufen, wie die Insassen einer Fürsorge- und Erziehungseinrichtung nicht auf ihre Ansprüche hingewiesen wurden. Diese Regelung trägt einerseits der Unfähigkeit vieler Heimkinder, ihre Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen, Rechnung und gibt andererseits den Trägern der Einrichtungen die Möglichkeit, sich durch die vorgesehenen Hinweise vor zeitlich unbegrenzten Forderungen zu schützen.

zu III.

Insassen von Fürsorge- und Erziehungsheimen mussten vielfach für das eigene Haus Arbeiten durchführen, die normalerweise gewerbsmäßig ausgeübt werden, z. B. Reinigungsarbeiten, Arbeiten in der Waschküche, Arbeiten in der Landwirtschaft. Außerdem arbeiteten die Kinder z. T. im Haus, z. T. außer Haus für Dritte, ohne dass sie den dafür bezahlten Lohn erhielten. Er wurde meist von der jeweiligen Einrichtung zurückbehalten. Zwar hätten die Betroffenen auch nach dem allgemeinen Zivilrecht gegen den jeweiligen Heimträger Ansprüche auf die unterschlagenen Gelder. Sie müssten diese Ansprüche jedoch im Falle der Weigerung der Träger unmittelbar bei Gericht einklagen und hätten hierbei die volle Beweislast. Außerdem wären die Ansprüche in vielen Fällen bereits verjährt. Deshalb empfiehlt es sich, die finanzielle Wiedergutmachung für unbezahlte Zwangsarbeit in das Opferentschädigungsverfahren nach dem VOG zu integrieren und festzulegen, dass als Verdienstausfall sowohl der Lohn für gewerbsmäßige Arbeiten für das eigene Haus als auch der von dritter Seite bezahlte , aber vom Heimträger zurückbehaltene Lohn, zu erstatten ist, und dass bei sozialversicherungspflichtigen Arbeiten auch Ausfallzeiten der Sozialversicherung auszugleichen sind.

zu IV.

Da die Körperverletzungen und Gesundheitsschädigungen, die Kinder und Jugendliche in Fürsorge- und Erziehungsheimen erleiden, nicht immer eindeutig als strafbare Handlungen zu qualifizieren sind, aber dennoch schwere seelische Schäden herbeiführen, die sich schließlich auch körperlich auswirken (z. B. bestimmte Formen von Strafen und Arbeitseinsätzen), muss der Hilfeleistungsanspruch für Heimkinder von der Strafbarkeit der Schädigungen abgekoppelt werden.

zu V.

Will man den Heimkindern Wiedergutmachung leisten, müssen die vorgeschlagenen Änderungen nicht nur für die Zukunft, sondern auch für die Vergangenheit gelten. Dies ist in den Übergangsbestimmungen festzulegen.

Parlamentarische Bürgerinitiative betreffend

die Wiedergutmachung des Unrechts in der Fürsorge- und Heimerziehung

   Erstunterzeichner/in

Name

Anschrift

  Geb. Datum

Datum der Unterzeichnung

Eingetragen in die Wählerevidenz der Gemeinde

Claudia Kaufmann

 

 

 

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Unterschrift