Erläuterungen

zum Vierten Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen

A. Allgemeiner Teil

Das Vierte Zusatzprotokoll zum Europäischen Auslieferungsabkommen hat gesetzändernden bzw. gesetzesergänzenden Inhalt und bedarf daher der Genehmigung des Nationalrats gemäß Art. 50 Abs. 1 Z 1 B-VG. Es ist nicht erforderlich, eine allfällige unmittelbare Anwendung des Abkommens im innerstaatlichen Rechtsbereich durch einen Beschluss gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 4 B-VG, dass dieser Staatsvertrag durch Erlassung von Gesetzen zu erfüllen ist, auszuschließen. Da durch das Abkommen keine Angelegenheiten des selbständigen Wirkungsbereiches der Länder geregelt werden, bedarf es keiner Zustimmung des Bundesrates gemäß Art. 50 Abs. 2 Z 2 B-VG.

Das Europäische Auslieferungsübereinkommen vom 13. Dezember 1957, ETS Nr. 24, BGBl. Nr. 320/1969, dem alle Mitgliedstaaten des Europarats sowie Israel, Korea und Südafrika angehören, ist für Österreich am 19. August 1969 in Kraft getreten. Österreich hat auch das Zweite Zusatzprotokoll vom 17. März 1978 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen, ETS Nr. 98 (BGBl. Nr. 297/1983), und das Dritte Zusatzprotokoll vom 10.11.2010 zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen, ETS Nr. 109 (BGBl. Nr. steht noch nicht fest), nicht aber das Erste Zusatzprotokoll vom 15. Oktober 1975, ETS Nr. 86, ratifiziert.

Zwecks Vereinfachung und Beschleunigung des Auslieferungsverfahrens zwischen den Mitgliedstaaten des Europarates im Einklang mit den Grundprinzipien des jeweiligen nationalen Rechts wurde im Rahmen des Europarats das Vierte Zusatzprotokoll ausgearbeitet, das am 20.9.2012 (im Rahmen der Justizministerkonferenz des Europarates in Wien) zur Unterzeichnung aufgelegt und von Österreich am selben Tag unterzeichnet wurde.

Das Vierte Zusatzprotokoll (CETS Nr. 212) steht denjenigen Mitgliedstaaten des Europarates, die das Europäische Auslieferungsübereinkommen, BGBl. Nr. 320/1969, ratifiziert oder unterzeichnet haben, zur Unterzeichnung offen. Es wurde bisher von vier Mitgliedstaaten (Albanien, Lettland, Serbien und VK) ratifiziert und ist am 1.6.2014 (nach Hinterlegung der dritten Ratifikationsurkunde) in Kraft getreten.

Es sieht folgende Änderungen bzw. Ergänzungen des Stammübereinkommens vor:

                         - die eingetretene Verjährung nach dem Recht des ersuchten Staats stellt grundsätzlich keinen Ablehnungsgrund mehr dar (mit Vorbehaltsmöglichkeit in bestimmten, ausdrücklich angeführten Fällen);

                         - Festlegung des Geschäftswegs zwischen den Justizministerien;

                         - Frist von grundsätzlich höchstens 90 Tagen zur Entscheidung über ein Ersuchen um Zustimmung zur Verfolgung des Betroffenen wegen weiterer Straftaten, sowie Regelung, welche Verfolgungshandlungen (ohne Freiheitsbeschränkung; diesbezüglich allerdings Erklärungsmöglichkeit auf der Grundlage der Gegenseitigkeit) im ersuchenden Staat ungeachtet der erforderlichen Zustimmung des ersuchten Staats gesetzt werden dürfen;

                         - Frist von grundsätzlich höchstens 90 Tagen zur Entscheidung über ein Ersuchen um Weiterlieferung;

                         - Anführung der einem Durchlieferungsersuchen anzuschließenden Informationen, wobei die Übermittlung der für ein Auslieferungsersuchen erforderlichen Unterlagen nicht mehr erforderlich ist; und

                         - Zulässigkeit der Kommunikation auch per Telefax und E-Mail.

Diese Neuerungen werden den Auslieferungsverkehr im Verhältnis zu jenen Vertragsstaaten erleichtern, die nicht Mitgliedstaaten der Europäischen Union sind.

Die Ratifikation des Vierten Zusatzprotokolls wird auf den Bundeshaushalt keine belastenden Auswirkungen haben.

Auf den auf der Homepage des Europarats abrufbaren erläuternden Bericht zum Vierten Zusatzprotokoll wird ergänzend hingewiesen.

B. Besonderer Teil

Zu Artikel 1:

Durch diese Bestimmung wird Art. 10 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens geändert, wonach die Auslieferung nicht bewilligt wird, wenn die Strafverfolgung oder die Strafvollstreckung nach den Rechtsvorschriften des ersuchenden oder des ersuchten Staats verjährt ist. Nun wird festgelegt, dass zur Beurteilung der Frage der Verjährung grundsätzlich lediglich auf die Rechtsvorschriften des ersuchenden Vertragsstaats abzustellen ist (Abs. 1 und 2).

Abs. 3 räumt jedem Staat die Möglichkeit ein, durch Erklärung eines Vorbehalts Abs. 2 in jenen Fällen nicht anzuwenden (und somit auch nach dem Recht des ersuchten Staats eingetretene Verjährung zu berücksichtigen), in denen es sich um eine strafbare Handlung handelt, hinsichtlich der diesem Staat Gerichtsbarkeit zukommt, sofern dessen innerstaatliche Rechtsvorschriften die Auslieferung für den Fall der eingetretenen Verjährung ausdrücklich untersagen. Eine entsprechende Regelung ist in § 18 ARHG enthalten. Es wird daher vorgeschlagen, dass Österreich von dieser Vorbehaltsmöglichkeit Gebrauch macht.

Abs. 4 stellt klar, dass jede Vertragspartei, die einen Vorbehalt nach Abs. 3 eingelegt hat, zwecks Feststellung der nach ihrem Recht eingetretenen Verjährung alle im ersuchenden Staat eingetretenen Ereignisse zu berücksichtigen hat, die zu einer Unterbrechung oder Hemmung der Verjährung führen.

Ähnliche Regelungen sind in Art. 8 des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU, BGBl. III Nr. 169/2000, und in Art. 4 Z 4 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, in Österreich umgesetzt durch § 10 EU-JZG, enthalten.

Zu Artikel 2:

Abs. 1 sieht in Änderung von Art. 12 Abs. 1 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (wo noch die Übermittlung im diplomatischen Weg vorgesehen ist) vor, dass die Auslieferungsersuchen samt den angeschlossenen Unterlagen grundsätzlich im Wege der Justizministerien zu übermitteln sind.

Abs. 2 führt die einem Auslieferungsersuchen anzuschließenden Unterlagen an. Die einzige Änderung gegenüber Art. 12 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens besteht darin, dass anstelle des Originals oder einer beglaubigten Abschrift des Haftbefehls bzw. Urteils die Übermittlung einer unbeglaubigten Abschrift ausreichend ist (Abs. 2 lit. a).

Abs. 3 statuiert die Nichtanwendbarkeit von Art. 5 des Zweiten Zusatzprotokolls zum Europäischen Auslieferungsübereinkommens, wonach für die Übermittlung der Auslieferungsunterlagen der diplomatische Weg (neben dem justizministeriellen) nicht ausgeschlossen ist, im Verhältnis zwischen den Vertragsparteien des gegenständlichen Zusatzprotokolls.

Zu Artikel 3:

Dieser Artikel sieht gewisse Änderungen von Art. 14 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens betreffend den Grundsatz der Spezialität vor.

Die Neuerungen in Abs. 1, in dem die Ausnahmen vom Spezialitätsschutz enthalten sind, bestehen in der Festlegung einer Frist von grundsätzlich höchstens 90 Tagen für die Entscheidung über das Ersuchen um Zustimmung zur weiteren Strafverfolgung (Abs. 1 lit. a) und in der Verkürzung der erforderlichen Aufenthaltsdauer des Betroffenen im ersuchenden Staat nach erfolgter Auslieferung trotz Möglichkeit der Ausreise auf 30 Tage (statt bisher 45 Tage) (Abs. 1 lit. b).

Abs. 2 führt jene Maßnahmen an, die vom ersuchenden Staat gesetzt werden können, ohne den Grundsatzes der Spezialität zu verletzen. Die Neuerung gegenüber Art. 14 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens liegt in lit. a: Ermittlungsmaßnahmen ohne Beschränkung der persönlichen Freiheit sind zulässig (ähnlich, wenn auch weiter gehend, Art. 10 Abs. 1 lit. b des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie Art. 27 Abs. 3 lit. c des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, in Österreich umgesetzt durch § 31 Abs. 2 Z 3 2. Fall EU-JZG).

Abs. 3 sieht für die Vertragsparteien die Möglichkeit vor, eine Erklärung des Inhalts abzugeben, dass im Verhältnis zu jenen Vertragsstaaten, die dieselbe Erklärung abgegeben haben (Reziprozität oder Gegenseitigkeit), eine Beschränkung der persönlichen Freiheit der ausgelieferten Person wegen anderer vor der Übergabe begangener Handlungen unter den in Abs. 3 lit. a und b näher angeführten Voraussetzungen bereits dann erfolgen kann, wenn ein Ersuchen um Zustimmung nach Abs. 1 lit. a gestellt wurde. Es wird vorgeschlagen, dass Österreich eine entsprechende Erklärung abgibt.

Zu Artikel 4:

Durch diesen Artikel wird Art. 15 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (betreffend die Weiterlieferung) durch einen Abs. 2 des Inhalts ergänzt, wonach über ein Ersuchen um Zustimmung zur Weiterlieferung der ausgelieferten Person an einen dritten Staat innerhalb einer Frist von grundsätzlich höchstens 90 Tagen zu entscheiden ist.

Zu Artikel 5:

Durch diese Bestimmung wird Art. 21 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens (Durchlieferung) modifiziert, wobei auf folgende Änderungen hinzuweisen ist:

Für ein Ersuchen um Durchlieferung ist der Anschluss der in Abs. 2 angeführten Unterlagen ausreichend, die im Wesentlichen jenen nach Art. 16 lit. a des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU bzw. Art. 25 Abs. 1 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl (in Österreich umgesetzt durch § 34 Abs. 1 EU-JZG) entsprechen. Die Übermittlung der in Art. 12 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens erwähnten Unterlagen ist somit entbehrlich.

Die bisher in Art. 21 Abs. 2 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens enthaltene Regelung, wonach die Durchlieferung eigener Staatsangehöriger abgelehnt werden kann, bleibt unverändert, findet sich aber nun in Abs. 4. Österreich wird die Durchlieferung österreichischer Staatsbürger durch das österreichische Hoheitsgebiet jedenfalls ablehnen.

Abs. 3 enthält Regelungen für den Fall einer unvorhergesehenen Zwischenlandung bei Durchlieferung auf dem Luftweg, die im Wesentlichen mit Art. 21 Abs. 4 lit. a des Europäischen Auslieferungsübereinkommens entsprechen.

Nach Abs. 5 kann sich jeder Vertragsstaat das Recht vorbehalten, die Durchlieferung nur unter einigen oder unter allen für die Auslieferung maßgebenden Bedingungen zu bewilligen. Es wird vorgeschlagen, dass Österreich von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.

In Abs. 6 wird klargestellt, dass die Durchlieferung durch ein Gebiet, in dem eine Gefahr für das Leben oder die Freiheit der durchzuliefernden Person wegen ihrer Rasse, Religion, Nationalität oder ihrer politischen Anschauungen besteht, nicht zulässig ist.

Zu Artikel 6:

Diese Bestimmung sieht entsprechend Art. 13 Abs. 3 des Übereinkommens über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der EU sowie Art. 11 Abs. 4 des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl, in Österreich umgesetzt durch § 14 Abs. 3 EU-JZG, vor, dass Ersuchen und sonstige Mitteilungen auch per Telefax oder E-Mail übermittelt werden können. Über entsprechendes Ersuchen der ersuchten Vertragspartei ist jedoch das Original oder eine beglaubigte Abschrift nachzureichen (Abs. 1).

Abs. 2 sieht die Möglichkeit vor, in Bezug auf die Unterlagen nach Art. 12 (Ersuchen um Auslieferung) und 14 Abs. 1 lit. a (Ersuchen um Zustimmung zur weiteren Strafverfolgung) des Europäischen Auslieferungsübereinkommens jedenfalls die Übermittlung der Originale bzw. beglaubigter Abschriften zu verlangen. Es wird vorgeschlagen, dass Österreich von dieser Möglichkeit keinen Gebrauch macht.

Zu Artikel 7 bis 15:

Diese Artikel enthalten die Schlussbestimmungen (Verhältnis zum Europäischen Auslieferungsübereinkommen und anderen internationalen Instrumenten, gütliche Einigung, Unterzeichnung und Inkrafttreten, Beitritt, zeitlicher und räumlicher Geltungsbereich, Erklärungen und Vorbehalte, Kündigung, Notifikationen).

Nach Art. 9 Abs. 2 tritt das Zusatzprotokoll nach Hinterlegung der 3. Ratifikations-, Annahme- oder Genehmigungsurkunde in Kraft (dies ist mit 1.6.2014 erfolgt).

Gemäß Art. 13 Abs. 3 besteht eine Vorbehaltsmöglichkeit nur in Bezug auf Art. 10 Abs. 3 (Verjährung) und 21 Abs. 5 (Durchlieferung) des Übereinkommens in der durch das Protokoll geänderten Fassung sowie in Bezug auf Art. 6 Abs. 3 des Protokolls (Kommunikationswege und –mittel). Auf jeden eingelegten Vorbehalt kann die Gegenseitigkeit angewendet werden.