792 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXV. GP

 

Bericht

des Verfassungsausschusses

über den Antrag 1295/A der Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesverfassungsgesetz über die Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden

Die Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Dr. Reinhold Lopatka, Dr. Eva Glawischnig-Piesczek, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 1. September 2015 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Allgemeines:

Österreich ist seit Ende des vergangenen Jahres mit einer stark steigenden Anzahl von Asylwerbern konfrontiert. Während im Jahr 2014 in Österreich insgesamt 28 027 Personen um Asyl angesucht haben, wurde diese Zahl bereits in der ersten Hälfte des Jahres 2015 mit 28 311 Anträgen überschritten. Dies bedeutet ein Plus von 211% gegenüber dem Vorjahreszeitraum. Die Zahl dieser Anträge ist auch weiterhin steigend: Haben im ersten Halbjahr 2014 monatlich zwischen 1 200 und 1 700 Personen Asyl beantragt, sind die Zahlen zum Ende des Jahres 2014 auf mehr als 4 000 gestiegen. Nach einem leichten Rückgang im Februar und März wurden im Mai dieses Jahres schon mehr als 6 000 und im Juni 7 538 Anträge gestellt.

Mit dem vorliegenden Antrag soll eine bundesverfassungsgesetzliche Grundlage für eine menschenwürdige, gleichmäßige, gerechte, solidarische Unterbringung und Aufteilung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden geschaffen werden.

Das vorgeschlagene Bundesverfassungsgesetz sieht vor, dass die Gemeinden die erforderliche Anzahl von Plätzen für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden zur Verfügung zu stellen haben.

Der Bund soll die Möglichkeit haben, die Unterbringung hilfs- und schutzbedürftiger Fremder ersatzweise vorzunehmen und Grundstücke, die in seinem Eigentum oder diesem zur Verfügung stehen, für die Unterbringung hilfs- und schutzbedürftiger Fremder zu nutzen. Die Nutzung solcher Grundstücke bedarf keiner Bewilligung, Genehmigung oder Anzeige, wenn dem überwiegende Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Umweltschutzes nicht entgegenstehen. Voraussetzung ist weiters, dass in einem Land und in einem politischen Bezirk dieses Landes nicht ausreichend Plätze zur Verfügung gestellt werden.

Dieses Bundesverfassungsgesetz soll dem momentanen Engpass bei der Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden entgegenwirken und – entsprechend dem vorübergehenden Charakter der Belastung der Unterbringungseinrichtungen – mit Ende des Jahres 2018 außer Kraft treten.

Zu Art. 1:

Der vorgeschlagene Art. 1 gibt zunächst die Zielvorstellungen dieses Bundesverfassungsgesetzes wieder. Es soll eine menschenwürdige, gleichmäßige, gerechte, solidarische Unterbringung von „hilfs- und schutzbedürftigen Fremden“ gewährleistet werden. Durch die Verwendung dieses Begriffs sollen Asylwerber, Asylberechtigte, subsidiär Schutzberechtigte, Vertriebene und andere aus rechtlichen oder faktischen Gründen nicht abschiebbare Menschen in einem typologischen Sinne erfasst werden.

Die Unterbringung umfasst angemessenen Wohnraum, einen Schlafplatz und ausreichende Sanitäranlagen, darf weder gesundheits- noch umweltgefährdend sein und soll nach Möglichkeit von gemeinnützigen humanitären oder kirchlichen Einrichtungen oder Institutionen der freien Wohlfahrtspflege besorgt werden. Die Einschränkung, wonach eine Unterbringung durch solche Einrichtungen nur „nach Möglichkeit“ erfolgen soll, soll es insbesondere zulassen, auf unionsrechtliche Vorgaben Bedacht zu nehmen.

Zu Art. 2:

Der vorgeschlagene Art. 2 legt zunächst einen Gemeinderichtwert fest: Die Gemeinden sollen im Bedarfsfall die erforderliche Anzahl von Plätzen für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden bereithalten. Diese Anzahl soll jedenfalls 1,5% der Wohnbevölkerung betragen. Ob ein Bedarf gegeben ist, soll die Bundesregierung durch Verordnung feststellen. Der Gemeinderichtwert ist für alle Gemeinden gleich hoch. Plätze für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden in Betreuungseinrichtungen des Bundes werden auf die Erfüllung der Verpflichtung der Gemeinde angerechnet.

Ergibt eine zeitnahe Prognose, die auf Basis der zu erwartenden Zahl der Antragsteller zu erstellen ist, dass der Gemeinderichtwert nicht mehr hoch genug sein wird, um hilfs- und schutzbedürftige Fremde unterzubringen, kann der Gemeinderichtwert durch Verordnung der Bundesregierung erhöht werden. Für den Fall eines zu erwartenden Rückgangs der Zahl der Antragsteller kann der Gemeinderichtwert durch Verordnung der Bundesregierung auch gesenkt werden.

Da es – gerade für kleine Gemeinden – unzweckmäßig sein kann, dass jede Gemeinde Plätze für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden bereitzuhalten hat, sieht der vorgeschlagene Abs. 3 vor, dass Gemeinden eines politischen Bezirkes zur Erfüllung ihrer Verpflichtung, Plätze für die Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden bereitzuhalten, Vereinbarungen über die Unterbringung und Aufteilung der hilfs- und schutzbedürftigen Fremden treffen können.

Zu Art. 3:

Der vorgeschlagene Art. 3 sieht eine punktuelle Durchbrechung der bundesstaatlichen Kompetenzverteilung vor, wenn ein Land nicht die Verpflichtungen nach der Grundversorgungsvereinbarung – Art. 15a B VG erfüllt.

Wird in einem politischen Bezirk eines solchen Landes der Bezirksrichtwert (er entspricht dem Gemeinderichtwert) für die Bereithaltung von Plätzen nicht erfüllt und ist es erforderlich, hilfs- und schutzbedürftige Fremde auf einem Grundstück des Bundes unterzubringen, kann der Bund einzelne Grundstücke zur Unterbringung nutzen. Vorrangig sind Grundstücke in Gemeinden zu nutzen, die den Gemeinderichtwert nicht erfüllen; weiters soll es darauf ankommen, ob die Gemeinde mehr oder weniger als 2 000 Einwohner hat. Von diesen Voraussetzungen kann jedoch abgewichen werden, wenn sich im politischen Bezirk ein gleichwertiges Grundstück befindet, dessen Nutzung den Zielen dieses Bundesverfassungsgesetzes besser entspricht.

Wenn dem überwiegende Interessen der Sicherheit, der Gesundheit und des Umweltschutzes nicht entgegenstehen, kann der Bundesminister für Inneres eine vorläufige Nutzung von Grundstücken mit Bescheid anordnen. Dieser Bescheid kann ohne vorheriges Verfahren erlassen werden, jedoch wird in der Regel eine vorherige Kontaktaufnahme mit der Gemeinde zweckmäßig sein. Dieser Bescheid ersetzt Bewilligungen, Genehmigungen oder Anzeigen nach bundes- oder landesrechtlichen Vorschriften. Adressat dieses Bescheides ist ausschließlich der Grundstückseigentümer. Die Nutzung von Grundstücken, die zwar nicht im Eigentum des Bundes, diesem aber zur Verfügung stehen, setzt also voraus, dass der Bund zuvor mit dem Grundstückseigentümer eine Vereinbarung über die Nutzung getroffen hat.

Für den Fall, dass der Bundesminister für Inneres eine vorläufige Nutzung anordnet, hat die Bezirksverwaltungsbehörde von Amts wegen – wie dies in einem konzentrierten Verfahren der Fall ist – zu prüfen, ob die Nutzung den bundes- und landesrechtlichen Vorschriften entspricht. Die Einhaltung des Bau- und Raumordnungsrechts soll nicht geprüft werden, wohl aber hinsichtlich der Bestimmungen betreffend den Brandschutz. Festigkeit, Brandschutz, Hygiene, Nutzungssicherheit und Umweltverträglichkeit sollen nämlich Voraussetzung für die Nutzung des Grundstücks sein. Ist der Schutz dieser Rechtsgüter nicht im erforderlichen Ausmaß gewährleistet, hat die Bezirksverwaltungsbehörde dies dem Bundesminister für Inneres in einer Stellungnahme mitzuteilen. In dieser Stellungnahme sind auch die zum Schutz dieser Rechtsgüter erforderlichen Maßnahmen zu benennen.

Nach Einlangen der Stellungnahme gemäß Abs. 5 hat der Bundesminister für Inneres jene Maßnahmen zu ergreifen, die – im Hinblick auf den Verwendungszweck und die voraussichtliche Nutzungsdauer – Festigkeit, Brandschutz, Hygiene, Nutzungssicherheit und Umweltverträglichkeit im unerlässlichen Ausmaß gewährleisten, und diese Maßnahmen mit dem Bescheid über die Nutzung des Grundstücks festzulegen. Adressat dieses Bescheides ist ebenfalls ausschließlich der Grundstückseigentümer.

Erfüllt das Land seine Verpflichtungen auf Grund der Grundversorgungsvereinbarung – Art. 15a B VG zu einem späteren Zeitpunkt und erfüllt der Bezirk den Bezirksrichtwert, sollen Grundstücke, deren Nutzung bescheidmäßig angeordnet wurde, nach Möglichkeit nicht mehr genutzt werden.

Zu Art. 4:

Der vorgeschlagene Art. 4 sieht vor, dass der Kostenhöchstsatz gemäß Art. 9 Z 1 der Grundversorgungsvereinbarung gemäß Art. 15a B VG zwischen dem Bund und den Ländern sowie einer entsprechenden Nachfolgebestimmung ab 1. Oktober 2015 mindestens € 20,50 und ab 1. Jänner 2016 mindestens € 21,-- zu betragen hat.

Zu den Art. 5 und 6:

Es handelt sich um die üblichen Schlussbestimmungen. Da dieses Bundesgesetz dem momentanen Engpass bei Unterbringung von hilfs- und schutzbedürftigen Fremden entgegenwirken soll, ist vorgesehen, dass dieses mit Ende des Jahres 2018 wieder außer Kraft tritt.

Das Außerkrafttreten dieses Bundesverfassungsgesetzes lässt die Rechtswirkungen der Bescheide, die auf Grund dieses Bundesverfassungsgesetzes erlassen worden sind, unberührt.“

 

Der Verfassungsausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 16. September 2015 in Verhandlung genommen. Der Ausschuss hat einstimmig beschlossen, Sektionschef Dr. Gerhard Hesse, BKA-VD, den Präsidenten des Gemeindebundes Helmut Mödlhammer, Univ.-Prof. Dr. Andreas Hauer, Institut für Verwaltungsrecht und –lehre, JK Universität Linz, Mag. Angela Brandstätter, Caritas Österreich, Abteilung für Flüchtlings- und Migrationsfragen sowie vom Amt der Kärntner Landesregierung, Landesrat Gerhard Köfer als Auskunftspersonen den Beratungen beizuziehen. Ferner wurde einstimmig beschlossen, die Anhörung der Expertin und der Experten öffentlich durchzuführen.

 

Im Anschluss an die Ausführungen der Berichterstatterin Abgeordneten Angela Lueger legten die Expertin und die Experten ihre Positionen dar. An der Debatte beteiligten sich die Abgeordneten Mag. Andreas Schieder, Johann Singer, Mag. Harald Stefan, Dr. Nikolaus Scherak, Mag. Alev Korun, Ing. Waltraud Dietrich, Mag. Wolfgang Gerstl und Mag. Gernot Darmann sowie der Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien Dr. Josef Ostermayer sowie die Bundesministerin für Inneres Mag. Johanna Mikl-Leitner.

 

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf mit Stimmenmehrheit (dafür: S, V, G, N, dagegen: F, T) beschlossen.

 

Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Verfassungsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2015 09 16

                                  Angela Lueger                                                               Dr. Peter Wittmann

                                 Berichterstatterin                                                                          Obmann