Erläuterungen

I. Allgemeiner Teil

Der vorliegende Entwurf beinhaltet folgende Schwerpunkte:

1.)    Die vollständige Umsetzung der Richtlinie 2013/48/EU über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand in Strafverfahren und in Verfahren zur Vollstreckung des Europäischen Haftbefehls sowie über das Recht auf Benachrichtigung eines Dritten bei Freiheitsentzug und das Recht auf Kommunikation mit Dritten und mit Konsularbehörden während des Freiheitsentzugs (in der Folge: RL Rechtsbeistand), ABl. Nr. L 294 vom 06.11.2013 S. 1;

2.)    Schaffung einer gesetzlichen Grundlage für sitzungspolizeiliche Maßnahmen im Rahmen des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung vor dem Obersten Gerichtshof, der Berufungsverhandlung vor dem jeweiligen Rechtsmittelgericht und der Haftverhandlung im Hauptverfahren;

3.)    Zulässigkeit der Diversion im Erwachsenenstrafrecht, wenn durch die Tat ein Angehöriger des Beschuldigten fahrlässig getötet wurde, aber eine Bestrafung des Beschuldigten im Hinblick auf die bei diesem durch den Tod des Angehörigen verursachte schwere psychische Belastung nicht geboten erscheint;

4.)    Neugestaltung der „Kronzeugenregelung“ nach den §§ 209a und 209b StPO unter Klarstellung des Anwendungsbereichs und des Verfahrensablaufs unter Berücksichtigung bisheriger Erfahrungswerte und den Beratungen einer Expertengruppe sowie Verlängerung der Geltung um weitere fünf Jahre;

5.)    Möglichkeit der Korrektur einer fehlerhaften Entscheidung der Staatsanwaltschaft über die nachträgliche Fortsetzung nach vorläufigem Rücktritt von der Verfolgung (Diversion) durch Einspruch gegen die Anklageschrift bzw. Zurückweisung des Strafantrages;

6.)    Festlegung, dass im Fall einer Zuständigkeit kraft Zusammenhangs dann, wenn gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage ein Hauptverfahren anhängig ist, nicht auf den zeitlich früheren Tatvorwurf, sondern den Zeitpunkt des Vorliegens einer rechtswirksamen Anklage abzustellen ist;

7.)    Klarstellung, dass als ersatzpflichtige Kosten des Strafverfahrens neben den Kosten für die Einlieferung aus dem Ausland (im Rahmen der Erwirkung einer Auslieferung/Übergabe zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung) auch die Kosten einer Überstellung von Strafgefangenen zur weiteren Strafvollstreckung in das In- oder Ausland gelten;

8.)    Klarstellung, dass für den Ausschluss von der Ausübung des Amts als Schöffe oder Geschworener auf eine konkrete Beschuldigung abzustellen ist;

9.)    Umsetzung des Art. 10 RL Rechtsbeistand im EU-JZG durch Gewährleistung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand für das Verfahren im Vollstreckungsstaat und im Ausstellungsstaat eines Europäischen Haftbefehls.

Ad 1.)

Am 30. November 2009 nahm der Rat eine Entschließung über einen Fahrplan zur Stärkung der Verfahrensrechte von Verdächtigen oder Beschuldigten in Strafverfahren an (ABl. Nr. C 295 vom 04.12.2009 S. 1). In dieser „Roadmap“ wird unter anderem als Maßnahme C „Rechtsbeistand und Prozesskostenhilfe“ zur Sicherstellung eines fairen Verfahrens die Gewährleistung des Zugangs zu einem Rechtsbeistand für einen Verdächtigen oder Beschuldigten zum frühesten geeigneten Zeitpunkt in einem Strafverfahren und das Recht auf Prozesskostenhilfe vorgesehen.

Der von der Europäischen Kommission am 8. Juni 2011 vorgelegte Entwurf der RL Rechtsbeistand dient unter anderem der Umsetzung der Maßnahmen C (ohne Verfahrenshilfe, die in der noch in Verhandlung befindlichen Richtlinie über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen ist, sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls geregelt werden soll) der Roadmap. Die am 22. Oktober 2013 angenommene RL Rechtsbeistand sieht gemeinsame Mindestnormen für das Recht auf Rechtsbeistand und das Recht auf Kontaktaufnahme bei der Festnahme innerhalb der Europäischen Union vor. Sie ist gemäß Art. 15 von den Mitgliedstaaten bis zum 27. November 2016 umzusetzen.

Die Umsetzung eines Großteiles der RL Rechtsbeistand ist bereits mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetzes I 2016, BGBl. I Nr. 26/2016 erfolgt. Darin noch nicht enthalten waren jene Bestimmungen, die den Zugang zu einem Rechtsbeistand vor der Befragung durch die Polizei oder Justizbehörden (Art. 3 Abs. 2 lit. a RL Rechtsbeistand) und nach dem Entzug der Freiheit regeln (Art. 3 Abs. 2 lit. c und Abs. 4 2. Satz, 10 Abs. 1 bis 3 RL Rechtsbeistand), weil in diesem Bereich umfangreichere organisatorische Vorkehrungen in Abstimmung mit dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag erforderlich waren, um den unverzüglichen Zugang zu einem Rechtsbeistand effektiv gewährleisten zu können. Aufgrund des engen Zusammenhangs mit der noch in Verhandlung befindlichen Richtlinie über vorläufige Prozesskostenhilfe für Verdächtige oder Beschuldigte, denen die Freiheit entzogen ist, sowie über Prozesskostenhilfe in Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls (im Folgenden: RL Prozesskostenhilfe), bestand die Intention, auch die Beschlussfassung dieser Richtlinie vor näheren Überlegungen zur Umsetzung des Art. 3 Abs. 2 lit. a und c RL Rechtsbeistand abzuwarten. Im Hinblick auf den derzeitigen Stand der Verhandlungen zur RL Prozesskostenhilfe und den Ablauf der Umsetzungsfrist der RL Rechtsbeistand mit 27. November 2016 kann jedoch mit der Vollumsetzung der RL Rechtsbeistand nicht länger zugewartet werden.

Mit dem vorliegenden Entwurf sollen nun auch die noch offenen Bestimmungen der RL Rechtsbeistand umgesetzt werden.

Art. 3 über das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand ist die zentrale Bestimmung der RL Rechtsbeistand. Gemäß Abs. 1 haben die Mitgliedstaaten sicherzustellen, dass Beschuldigten das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand so rechtzeitig und in einer solchen Art und Weise zukommt, dass sie ihre Verteidigungsrechte praktisch und wirksam wahrnehmen können (vgl. §§ 49f, 57 ff StPO). Der Zugang zu einem Rechtsbeistand ist Beschuldigten gemäß Abs. 2 unverzüglich zu gewähren, jedenfalls

a) vor ihrer Befragung durch die Polizei oder Justizbehörden (vgl. §§ 153 Abs. 2, 221 Abs. 2 StPO);

b) ab der Durchführung von Ermittlungs- oder anderen Beweiserhebungshandlungen durch die zuständigen Behörden gemäß Absatz 3 Buchstabe c (s. §§ 49f, 57 ff StPO);

c) unverzüglich nach dem Entzug der Freiheit;

d) wenn der Beschuldigte vor ein Strafgericht geladen wurde, rechtzeitig bevor der Beschuldigte vor diesem Gericht erscheint (s. §§ 153 Abs. 2, 221 Abs. 2 StPO).

Art. 3 Abs. 3 führt das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand näher aus. Demnach hat der Beschuldigte – auch vor der Befragung durch die Polizei oder Justizbehörden (s. § 58 Abs. 1 StPO) – das Recht, mit dem Rechtsbeistand, der ihn vertritt, zusammenzutreffen und mit ihm unter vier Augen zu kommunizieren; der Rechtsbeistand hat das Recht, bei der Befragung anwesend zu sein und an ihr wirksam teilzunehmen. Diese Teilnahme an der Befragung erfolgt gemäß dem nationalen Recht, sofern die wirksame Ausübung und der Wesensgehalt der Verteidigungsrechte gewahrt sind.

Ein Umsetzungsbedarf besteht insoweit, als sicherzustellen ist, dass der Beschuldigte in möglichst kurzer Zeit nach dem Entzug der persönlichen Freiheit tatsächlich den Beistand eines Verteidigers erreichen kann. Darüber hinaus verlangt das durch Art. 3 Abs. 3 garantierte Recht auf Anwesenheit des Verteidigers bei sämtlichen Befragungen auch die Möglichkeit der Teilnahme an der Vernehmung über die Voraussetzungen der Untersuchungshaft (§ 174 Abs. 1 StPO).

Gemäß Art. 10 Abs. 1 bis 3 RL Rechtsbeistand besteht das Recht auf Zugang zu einem Rechtsbeistand nach einer Festnahme aufgrund eines Europäischen Haftbefehls im Vollstreckungsmitgliedstaat unverzüglich ab dem Entzug der Freiheit. Das Recht auf Benennung eines Rechtsbeistands auch im Ausstellungsstaat eines Europäischen Haftbefehls und entsprechende Verständigungspflichten werden in Art. 10 Abs. 4 bis 6 RL Rechtsbeistand geregelt.

Ad. 2.)

Für sitzungspolizeiliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung vor dem OGH, der Berufungsverhandlung vor dem jeweiligen Rechtsmittelgericht und einer Haftverhandlung im Hauptverfahren besteht seit Inkrafttreten der Strafprozessreform durch BGBl. I Nr. 19/2004 eine Gesetzeslücke, die durch Schaffung einer ausdrückliche Grundlage für sitzungspolizeiliche Maßnahmen in diesen Verfahrensstadien geschlossen werden soll.

Ad 3.)

Im Einklang mit dem Bericht der Expertenkommission zur Prüfung der staatlichen Reaktionen auf strafbares Verhalten in Österreich (März 2004) und dem Beschluss der Landeshauptleutekonferenz vom 4. November 2005 soll unter Berücksichtigung der bereits seit 1. Jänner 2008 (Strafprozessreformbegleitgesetz I, BGBl. I Nr. 93/2007) im JGG in Geltung stehenden gleichlautenden Regelung eine diversionelle Maßnahme künftig auch dann zulässig sein, wenn die Tat zwar den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat, es sich bei der getöteten Person jedoch um einen fahrlässig getöteten Angehörigen des Beschuldigten handelte und eine Bestrafung im Hinblick auf die beim Beschuldigten durch den Tod des Angehörigen verursachte schwere psychische Belastung nicht geboten ist.

Diese Änderung soll unter Beibehaltung der durch § 198 Abs. 2 Z 1 und 2 StPO normierten Kriterien nunmehr auch für den Diversionsbereich außerhalb von Jugendstraftaten nachvollzogen werden.

Ad 4.) Die Bestimmungen der §§ 209a und 209b StPO über den Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft („Kronzeugenregelung“) traten mit 1. Jänner 2011 in Kraft und stehen vorerst befristet bis 31. Dezember 2016 in Geltung. Die Einführung der Kronzeugenregelung wurde von der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft, aber auch von internationalen Organisationen positiv bewertet. Eine Evaluierung der bisherigen Praxis der Handhabung der Kronzeugenregelung zeigt ungeachtet ihres Beitrages zur effizienten Aufklärung und Verfolgung v.a. konspirativ begangener Delikte Verbesserungsbedarf auf. Die bisherigen Erfahrungswerte lassen zwar die im Begutachtungsverfahren aufgeworfenen grundrechtlichen Bedenken nicht bestätigen, machen aber doch deutlich, dass eine abschließende Bewertung wegen der geringen Fallzahlen nicht möglich erscheint. Es wird daher iSd Ergebnisse einer von Herrn Bundesminister Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter eingesetzten Expertengruppe vorgeschlagen, die befristete Geltung um weitere fünf Jahre zu verlängern, um die Wirksamkeit der „Kronzeugenregelung“, aber auch mögliche Gefährdungen eines fairen Verfahrens unter Vornahme der von der Expertengruppe empfohlenen Neuregelung auf einer breiteren Grundlage effektiv überprüfen zu können.

Ad 5.)

Nach geltender Rechtslage besteht für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren nach einem vorläufigen Rücktritt fortsetzt, ohne dass eine der Voraussetzungen des § 205 Abs. 2 StPO oder des § 38 Abs. 1 oder 1a SMG vorliegt, keine prozessuale Konsequenz. Der Beschuldigte hat somit keine Möglichkeit, unmittelbar auf Einhaltung der ihm angebotenen (und von ihm akzeptierten) Bedingungen der Diversion zu bestehen; auch das Gericht kann diesen Umstand nicht unmittelbar aufgreifen.

Im Einklang mit der bestehenden Gesetzessystematik soll daher dem Angeklagten ein ausdrücklicher Einspruchsgrund gegen die Anklageschrift (im Schöffen- bzw. Geschworenenverfahren) bzw. dem Gericht ein Grund für die Zurückweisung des Strafantrages (im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes und dem Bezirksgericht) eingeräumt werden.

Ad 6.)

Da § 37 Abs. 3 StPO nicht auf das Zuvorkommen abstellt, kann dies zur verfahrensunökonomischen Konsequenz führen, dass das später (wegen des zeitlich früheren Tatvorwurfs) angerufene Gericht auch das früher (hinsichtlich zeitlich späterer Tatvorwürfe) bereits anhängig gewordene Verfahren selbst dann einzubeziehen hat, wenn in jenem Verfahren bereits Beweise aufgenommen wurden. Aus diesem Grund soll festgelegt werden, dass im Fall einer Zuständigkeit kraft Zusammenhangs dann, wenn gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage ein Hauptverfahren anhängig ist, nicht auf den zeitlich früheren Tatvorwurf, sondern den Zeitpunkt des Vorliegens einer rechtswirksamen Anklage abzustellen ist.

Ad 7.)

Vor dem Hintergrund der Entscheidung des OGH vom 9.12.2015, 15 Os 117/15t, 15 Os 118/15i, soll klargestellt werden, dass als ersatzpflichtige Kosten des Strafverfahrens neben den Kosten für die Einlieferung aus dem Ausland (im Rahmen der Erwirkung einer Auslieferung/Übergabe zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung) auch die Kosten einer Überstellung von Strafgefangenen zur weiteren Strafvollstreckung in das In- oder Ausland gelten.

Ad 8.)

Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl. I Nr. 71/2014, wurde der Beginn des Ermittlungsverfahrens präzisiert und eine Unterscheidung zwischen dem bloßen Verdacht auf Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegenüber einer bestimmten Person und einer auf diesen Verdacht bezogenen konkreten Beschuldigung dieser Person getroffen.

Da der Ausschlussgrund des § 2 Z 4 GSchG in der geltenden Fassung bloß auf die Anhängigkeit eines Strafverfahrens abstellt, hat dies zur Folge, dass seit Inkrafttreten des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2014, BGBl. I Nr. 71/2014, bereits jeder Verdächtige von der Ausübung des Amtes als Schöffe oder Geschworener ausgeschlossen ist. Eine solche unkonkrete und noch zu bestimmende Verdachtslage soll jedoch für einen Ausschluss von der Ausübung des Laienrichteramtes nicht ausreichen, weil ein solcher nur im Fall einer konkreten Beschuldigung gerechtfertigt erscheint.

Ad 9.)

Die RL Rechtsbeistand enthält in Art. 10 Regelungen betreffend das Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Grundsätzlich ist ein Recht auf einen Verteidiger ab dem Zeitpunkt der Festnahme vorgesehen, und zwar in Abs. 1 bis 3 für das das Verfahren im Vollstreckungsstaat und in Abs. 4 bis 6 für das das Verfahren im Ausstellungsstaat.

Die vorgeschlagenen Änderungen des EU-JZG sollen der Umsetzung dieser Bestimmungen dienen.

II. Besonderer Teil

Zu Art. 1 (Änderungen der Strafprozessordnung 1975)

Zu Z 2 (§ 20a Abs. 1 Z 6 StPO):

Mit dem am 2. August 2016 in Kraft getretenen Bundesgesetz, mit dem das Börsegesetz 1989, das Wertpapieraufsichtsgesetz 2007, das Investmentfondsgesetz 2011 und das Übernahmegesetz geändert werden (BGBl. I Nr. 76/2016) erfolgte im BörseG durch die Einführung des neuen Straftatbestands "Marktmanipulation" (§ 48n) und der Änderung des bestehenden Straftatbestands "Insider-Geschäfte und Offenlegungen" (§ 48m) eine teilweise Anhebung des Strafrahmens über die Verbrechensgrenze des § 17 StGB hinaus. Der vorgeschlagene Begriff Straftaten umfasst nunmehr alle Formen gerichtlich strafbarer Handlungen im BörseG.

Zu Z 3 bis 6 (§§ 20a Abs. 4, 25 Abs. 3 und 6, 25a StPO):

In Anknüpfung an Terminologie und Regelungsinhalt des bisherigen § 20a Abs. 4 letzter Satz StPO soll bei gleichzeitigem Entfall der Bezug habenden Regelungen in den §§ 20a Abs. 4, 25 Abs. 3 und 6 StPO in der vorgeschlagenen neuen Bestimmung des § 25a StPO klargestellt werden, dass sowohl im Fall örtlicher als auch sachlicher Unzuständigkeit jedenfalls unaufschiebbare Anordnungen vor der Abtretung durch die jeweils sich für unzuständig erachtende Staatsanwaltschaft zu treffen sind. Eine unzuständige Staatsanwaltschaft hat ferner bei ihr einlangende Anzeigen, Berichte und Rechtshilfeersuchen an die zuständige Staatsanwaltschaft weiterzuleiten; eine „Zurückweisung wegen Unzuständigkeit“ ist nicht möglich (vgl. Nordmeyer in Fuchs/Ratz, WK StPO § 25 Rz 17). Eine gesonderte Regelung für den Zuständigkeitsbereich der WKStA ist somit nicht mehr erforderlich.

Zu Z 8, 10, 20 und 27 (§ 35 Abs. 1, 39 Abs. 1a, 208 Abs. 3 und 367 Abs. 1 StPO):

Die vorgeschlagenen Änderungen dienen der Beseitigung von Redaktionsversehen.

Zu Z 9 (§ 37 Abs. 3 StPO):

Nach dem § 37 Abs. 3 StPO in der geltenden Fassung liegt eine Zuständigkeit kraft Zusammenhangs dann vor, wenn gegen den Angeklagten zum Zeitpunkt der Rechtswirksamkeit der Anklage ein Hauptverfahren (bereits und auch noch immer) anhängig ist. Da § 37 Abs. 3 StPO [- anders als etwa § 26 Abs. 2 zweiter Satz letzter Halbsatz StPO -] nicht auf das Zuvorkommen abstellt, kann dies zur – verfahrensökonomisch nachteiligen – Konsequenz führen, dass das später (wegen des zeitlich früheren Tatvorwurfs) angerufene Gericht auch das früher (hinsichtlich zeitlich späterer Tatvorwürfe) bereits anhängig gewordene Verfahren selbst dann „einzubeziehen“ hat, wenn im „zuvorgekommenen“ Verfahren bereits Beweise aufgenommen wurden. Aus diesem Grund wurde auch bereits in der Literatur die Auffassung vertreten, dass es de lege ferenda in solchen Fällen überlegenswert wäre, auf den Zeitpunkt der Verfahrensanhängigkeit abzustellen (Oshidari in Fuchs/Ratz, WK StPO § 37 Rz 9).

Durch die vorgeschlagene Änderung soll in diesem Sinn festgelegt werden dass es im Falle der Verbindung nicht auf den zeitlich früheren Tatvorwurf, sondern den Zeitpunkt des Vorliegens einer rechtswirksamen Anklage ankommt.

Die Rechtsprechung des OGH zur Frage, ob nur im Fall subjektiver Konnexität bis dahin getrennt geführte Verfahren durch das Gericht verbunden werden dürfen (dies bejahend Fabrizy, StPO12 § 37 Rz 4), ist uneinheitlich. Während 12 Ns 67/08m eine Verfahrensverbindung gemäß § 37 Abs. 3 erster Halbsatz StPO auch im Fall der Mittäterschaft, also zweier unmittelbarer Täter, als zulässig erachtete (ebenso Nimmervoll, Haftrecht 6 [Anm. 27]), wurde zu 15 Ns 38/09w ausgesprochen, dass – im Gegensatz zur alten Rechtslage (§ 56 StPO idF BGBl. Nr. 526/1993) – eine Verbindung von auf verschiedenen Anklagen basierenden Hauptverfahren gegen verschiedene Beteiligte (objektive Konnexität) im Gesetz nicht (mehr) vorgesehen sei (vgl. Oshidari in Fuchs/Ratz, WK StPO § 37 Rz 8).

Im Einklang mit den Erläuterungen zum Strafprozessreformgesetz, BGBl. I Nr. 19/2004, wonach die Regelungen über die Verfahrensverbindung gegenüber früherem Recht (insbesondere § 56 StPO aF) nicht eingeschränkt werden sollen (vgl. EBRV StPRefG 25 BlgNr 22. GP 56 f), soll durch die vorgeschlagene Änderung klargestellt werden, dass nicht nur auf die subjektive, sondern auch die objektive Konnexität abzustellen ist. Eine – der alten Rechtslage entsprechende – zusätzliche Ausdehnung des § 37 Abs. 3 StPO auch auf Fälle (bloß) engen sachlichen Zusammenhangs würde jedoch eine nicht unerhebliche Erweiterung des Anwendungsbereichs und insbesondere in Wirtschaftsstrafsachen nur mehr schwer überschaubare Prozesse (und damit verbundenen Verfahrensverzögerungen) bewirken, weshalb von einer solchen Abstand genommen werden soll.

Zu Z 11 bis 13 (§ 59 Abs. 1 bis 4 StPO):

Die Neufassung des ersten Satzes von § 59 Abs. 1 StPO dient der Klarstellung der Beschuldigtenrechte im Sinne von Art. 3 Abs. 2 und 3 der RL Rechtsbeistand. Demnach ist dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger zu ermöglichen. Dabei kann es sich um einen vom Beschuldigten gewählten Verteidiger handeln, in Ermangelung eines solchen ist dem Beschuldigten die Kontaktaufnahme mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst zu ermöglichen. Nach erfolgter Kontaktaufnahme ist dem Beschuldigten die Bevollmächtigung des Verteidigers zu ermöglichen. Die Beiziehung des Verteidigers erfolgt durch Beratung mit diesem vor der Vernehmung und durch dessen Teilnahme an der Vernehmung im Rahmen des § 164 Abs. 1 StPO.

Gemäß § 164 Abs. 2 StPO in der Fassung des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes I 2016, BGBl. I Nr. 26/2016 (StPRÄG I 2016) ist eine Vernehmung grundsätzlich bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben. Dies gilt auch für festgenommene Beschuldigte mit der Maßgabe, dass damit keine unangemessene Verlängerung der Anhaltung verbunden wäre. Daher ist auf das Eintreffen des bevollmächtigten Verteidigers für einen angemessenen Zeitraum, zu warten, wobei in Ballungsräumen, in denen eine ausreichende Anzahl von Rechtsanwälten tätig ist, in der Regel ein kurzer Zeitraum als angemessen zu beurteilen sein wird. Eine unangemessene Verlängerung der Anhaltung wäre jedenfalls dann gegeben, wenn durch das Zuwarten auf den Verteidiger eine Vernehmung nicht innerhalb der Frist von 48 Stunden vorgenommen werden kann und dadurch die Möglichkeit der unmittelbaren Entlastung und somit auch der Freilassung des Beschuldigten beschnitten würde. In diesen Fällen braucht daher das Eintreffen des Verteidigers nicht abgewartet werden.

Das zur Gewährleistung einer effektiven Verteidigung gebotene angemessene Zuwarten auf das Eintreffen des Verteidigers ist im Übrigen als Ausübung eines gesetzlichen Gebots sowie unter Berücksichtigung des Umstandes, dass es dem Beschuldigten auch freisteht, sich erst in der Vernehmung oder zu deren Beginn (beispielsweise nach der erfolgten Belehrung über das Recht auf Beiziehung auf einen Verteidiger) für die Beiziehung eines Verteidigers zu entscheiden und bis zu dessen Eintreffen das ihm stets zustehende Recht auf Verweigerung der Aussage auszuüben, mit dem Gebot der unverzüglichen Einvernahme gemäß § 172 Abs. 2 StPO jedenfalls vereinbar. So wie schon bisher wird durch das Verstreichen der für die Gewährung der Beschuldigtenrechte notwendigen Zeit wie beispielsweise dem Zuwarten bis zum Eintreffen eines benötigten Dolmetschers die unverzügliche Durchführung der Vernehmung nicht in Frage gestellt (EBRV 1058 BlgNR XXV. GP, 19).

Ein allfälliger Verzicht des Beschuldigten auf die ihm zustehenden Rechte ist gemäß § 50 Abs. 3 StPO idF BGBl. I Nr. 26/2016 schriftlich zu dokumentieren. Dabei ist der Beschuldigte auf die Möglichkeit eines jederzeitigen Widerrufs eines Verzichts hinzuweisen. Im Hinblick auf den jederzeitig möglichen Widerruf des Verzichts auf die Beiziehung eines Verteidigers ist dem Beschuldigten nach seiner Einlieferung durch die Justizanstalt unverzüglich Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit einem Verteidiger seiner Wahl oder mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst sowie zur Bevollmächtigung eines Verteidigers und zur Beratung mit diesem zu geben.

Durch den neu eingefügten § 59 Abs. 4 StPO wird neben der Regelung der Kontaktaufnahme mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst eine ausdrückliche Rechtsgrundlage für den Abschluss einer Vereinbarung zwischen dem Bundesminister für Justiz und dem Österreichischen Rechtsanwaltskammertag über dessen Betrieb geschaffen.

Ein rechtsanwaltlicher Journaldienst wird bereits seit 2008 erfolgreich betrieben; er wurde bisher in über 2.900 Fällen in Anspruch genommen. Er besteht aus einem vom Österreichischen Rechtsanwaltskammertag betriebenen Callcenter, über das rund um die Uhr Bereitschaft versehende Rechtsanwälte erreichbar sind. Diese werden mit einem Pauschalbetrag entlohnt, der eine erste telefonische Beratung abdeckt. Eine über das erste Telefonat hinausgehende weitere Beratung und Vertretung des Beschuldigten erfolgt aufgrund einer Bevollmächtigung und ist daher vom Beschuldigten zu bezahlen. Das Bundesministerium für Justiz deckt die Kosten des laufenden Betriebs inklusive jener anwaltlichen Leistungen ab, deren Entlohnung Beschuldigte schuldig geblieben sind.

Aufgrund der bisher gemachten Erfahrungen mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst soll diese Einrichtung weitergeführt und ausgebaut werden, weil aufgrund der zu erwartenden vermehrten Inanspruchnahme damit zu rechnen ist, dass künftig mehr Verteidiger Journaldienst verrichten werden. Aufgrund der Ausweitung des Teilnahmerechts an Vernehmungen, insbesondere auch an der Vernehmung über die Verhängung der Untersuchungshaft, werden höhere Honorare der in Anspruch genommenen Verteidiger anfallen. Bis zur Beschlussfassung und Umsetzung der noch in Verhandlung befindlichen RL Prozesskostenhilfe wird allerdings an dem Grundsatz, dass nur das erste Gespräch mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst kostenlos ist und darüber hinausgehende Leistungen grundsätzlich vom Beschuldigten zu bezahlen sind, festzuhalten sein, sodass sich die budgetären Auswirkungen in Grenzen halten werden.

Die weiteren Änderungen sollen eine systematische Gliederung des § 59 StPO unter Berücksichtigung der mit dem StPRÄG I 2016 erfolgten Änderungen bewirken.

Zu Z 14 (§ 171 Abs. 4 Z 2 StPO):

Mit Erkenntnis vom 30. Juni 2015 hat der Verfassungsgerichtshof in den Gesetzesprüfungsverfahren G 233/2014 und G 5/2015 die Wortfolge „Kriminalpolizei oder“ in § 106 Abs. 1 StPO idF BGBl. I Nr. 195/2013 als verfassungswidrig aufgehoben. Die Aufhebung trat mit Ablauf des 31. Juli 2016 in Kraft. Selbständige Akte der Kriminalpolizei – also solche, denen keine staatsanwaltschaftliche Anordnung zugrunde liegt und die nicht nachträglich gemäß § 99 Abs. 2 StPO genehmigt werden – sind aufgrund des Erkenntnisses des Verfassungsgerichtshofs nunmehr nicht mehr mittels Einspruch nach § 106 StPO bekämpfbar, sondern unterliegen der alleinigen Kognitionsbefugnis der Landesverwaltungsgerichte. Die damit im Widerspruch stehende Belehrung in § 171 Abs. 4 Z 2 lit. b StPO hat daher zu entfallen.

Zu Z 15 (§ 174 Abs. 1 StPO):

Bereits nach geltendem Recht ist der Beschuldigte über das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers (§ 164 Abs. 2 StPO) sowie darüber zu informieren, dass er berechtigt sei, sich zur Sache zu äußern oder nicht auszusagen und sich zuvor mit einem Verteidiger zu beraten, soweit dieser Kontakt nicht gemäß § 59 Abs. 1 StPO beschränkt werden kann (§ 164 Abs. 1 zweiter Satz StPO). In § 174 Abs. 1 StPO soll nunmehr in Umsetzung des Art. 3 Abs. 3 der RL Rechtsbeistand klargestellt werden, dass sich das Recht des Beschuldigten auf Teilnahme eines Verteidigers auch auf die Vernehmung zu den Voraussetzungen der Untersuchungshaft bezieht. Aus Gründen der Ausgewogenheit soll auch der Staatsanwaltschaft die Teilnahme ermöglicht werden.

Das Gericht wird daher im Hinblick auf die Dringlichkeit der Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft einen bereits bevollmächtigten Verteidiger im kurzen Weg von der Vernehmung zu verständigen haben und, sofern eine Teilnahme gewünscht ist, eine angemessene Zeit zuzuwarten haben. Sofern der Beschuldigte noch keinen Verteidiger bevollmächtigt hat, ist ihm die Gelegenheit zur Kontaktaufnahme mit dem rechtsanwaltlichen Journaldienst oder mit einem Verteidiger seiner Wahl zu ermöglichen.

Gemäß § 164 Abs. 2 StPO idF BGBl. I Nr. 26/2016 ist eine Vernehmung grundsätzlich bis zum Eintreffen des Verteidigers aufzuschieben. Dies gilt auch für die Vernehmung gemäß § 174 Abs. 1 StPO, wobei dieses Zuwarten keine unangemessene Verlängerung der Anhaltung bewirken darf. Daher wird auf das Eintreffen des bevollmächtigten Verteidigers für einen angemessenen Zeitraum zuzuwarten sein, wobei in Ballungsräumen, in denen eine ausreichende Anzahl von Rechtsanwälten tätig ist, in der Regel bloß ein kurzer Zeitraum (Anfahrtsweg von Kanzlei zu Gericht) als angemessen zu beurteilen sein wird. Eine unangemessene Verlängerung der Anhaltung wäre jedenfalls dann gegeben, wenn durch das Zuwarten auf den Verteidiger die Einhaltung der Frist von 48 Stunden zur Entscheidung über die Verhängung der Untersuchungshaft nicht eingehalten werden könnte. In diesen Fällen ist daher das Eintreffen des Verteidigers nicht abzuwarten.

Sofern der Beschuldigte auf sein Recht auf Beiziehung eines Verteidigers verzichtet, ist dieser Verzicht schriftlich im Akt zu dokumentieren (§ 50 Abs. 3 StPO idF BGBl. I Nr. 26/2016) und auf die jederzeitige Möglichkeit des Widerrufs dieses Verzichts hinzuweisen. Nach erfolgtem Verzicht auf dieses Recht kann ohne weiteres Zuwarten mit der Vernehmung gemäß § 174 Abs. 1 StPO begonnen werden.

Das Fragerecht des teilnehmenden Verteidigers ergibt sich aus § 164 Abs. 2 StPO.

Zu Z 16, 25, 26 und 29 (§§ 175 Abs. 5, 287 Abs. 1, 294 Abs. 5 und 471 StPO)

Die Bestimmungen der Sitzungspolizei (§§ 233 bis 237 StPO) gelten nicht nur für die Hauptverhandlung vor dem Schöffen- und Geschworenengericht (§ 302 Abs. 1 StPO), sondern auch im Einzelrichter- und bezirksgerichtlichen Verfahren (§ 488 Abs. 1, § 447 StPO). Für die im Ermittlungsverfahren stattfindende Haftverhandlung (§ 176) wie auch die kontradiktorische Vernehmung (§ 165) gilt betreffend Ordnungsstrafen § 94, demnach sind dort auch die Bestimmungen der § 233 Abs. 3, §§ 235 bis 236a sinngemäß anzuwenden.

Für sitzungspolizeiliche Zwangsmaßnahmen im Rahmen des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung vor dem OGH und der Berufungsverhandlung vor dem jeweiligen Rechtsmittelgericht sowie einer Haftverhandlung im Hauptverfahren besteht jedoch seit Inkrafttreten der Strafprozessreform durch BGBl. I Nr. 19/2004 eine Gesetzeslücke. § 5 Abs. 1 StPO bestimmt nämlich, dass bei der Ausübung von Befugnissen nur soweit in Rechte von Personen eingegriffen werden darf, als dies ausdrücklich gesetzlich vorgesehen ist. Konnte man vor dem Inkrafttreten der Strafprozessreform die Anwendbarkeit der sitzungspolizeilichen Bestimmungen per analogiam auch für Verhandlungen vor dem Rechtsmittelgericht annehmen, so wird das in Bezug auf Zwangsmaßnahmen nunmehr durch diese – als Analogieverbot zu verstehende – Bestimmung verhindert (vgl. OGH vom 27.8.2008, 13 Os 83/08t; Fabrizy, StPO12 § 5 Rz 2; Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 233 Rz 1; siehe auch die Stellungnahme des OGH vom 23. 9. 2009 [1 Präs. 1617–3686/09h] zum Entwurf eines Bundesgesetzes, mit dem die Strafprozessordnung 1975, das Urheberrechtsgesetz, das Markenschutzgesetz 1970, das Patentgesetz 1970, das Auslieferungs- und Rechtshilfegesetz und das Bundesgesetz über die justizielle Zusammenarbeit in Strafsachen mit den Mitgliedstaaten der Europäischen Union geändert werden [18/SN-82/ME XXIV. GP]). Durch die vorgeschlagene Änderung soll eine ausdrückliche Grundlage für sitzungspolizeiliche Maßnahmen im Rahmen des Gerichtstags zur öffentlichen Verhandlung vor dem OGH, der Berufungsverhandlung vor dem jeweiligen Rechtsmittelgericht und der Haftverhandlung im Hauptverfahren geschaffen werden.

Sämtliche Maßnahmen der Sitzungspolizei stellen – ungeachtet ihrer formellen Bezeichnung als Beschlüsse in § 237 Abs. 1 StPO – ihrem allein maßgebenden Wesen nach (vgl. Ratz in Fuchs/Ratz, WK-StPO Vor §§ 280 – 296 a Rz 5) bloß auf den Fortgang des Verfahrens gerichtete, sohin prozessleitende Verfügungen iSd § 35 Abs. 2 StPO dar, die nicht mit Beschwerde (§ 87 Abs. 1 StPO) bekämpfbar sind. Da es sich bei sitzungspolizeilichen Maßnahmen (einschließlich Ordnungsstrafen) nicht um strafrechtliche Sanktionen iSd Art 6 EMRK handelt, bestehen gegen diesen Beschwerdeausschluss auch keine grundrechtlichen Bedenken, denn das Grundrecht auf Rechtsmittel in Strafsachen steht gemäß Art. 2 7. ZPMRK nur in Bezug auf Verurteilungen wegen strafbarer Handlungen zu (Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 237 Rz 7). Dessen ungeachtet ist die Behebung gesetzwidriger Ordnungsstrafen jedoch im Wege einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes möglich (§ 292 letzter Satz StPO; vgl. 16 Os 12/89, 14 Os 70/92, 15 Os 88/94). Gegen eine Ordnungsfreiheitsstrafe (§ 233 Abs. 3 StPO) steht dem Betroffenen Grundrechtsbeschwerde (§ 1 Abs. 1 GRBG) an den OGH zu (RIS-Justiz RS0060991) [Danek/Mann in Fuchs/Ratz, WK-StPO § 237 Rz 7].

Zu Z 17 (§ 189 Abs. 1 StPO):

Mit dem Strafprozessreformgesetz BGBl. I Nr. 19/2004 wurden die §§ 187 und 188 StPO aF mit den erforderlichen strukturellen Anpassungen übernommen; der Staatsanwaltschaft sollte künftig daher auch die Entscheidung darüber zustehen, mit welchen Personen Untersuchungshäftlinge schriftlich und fernmündlich verkehren bzw. von welchen Personen sie Besuche empfangen dürfen (vgl. RV 25 BlgNR 22. GP, 229; wobei die Erläuterungen auf den Gesetzestext in der aktuellen Fassung Bezug nehmen). Nach § 188 Abs. 1 StPO idF vor dem Strafprozessreformgesetz stand die „Entscheidung darüber, mit welchen Personen die Untersuchungshäftlinge verkehren und telefonieren und welche Besuche sie empfangen dürfen, die Überwachung des Briefverkehrs, der Telefongespräche und der Besuche…“ dem Untersuchungsrichter zu.

In diesem Sinne wäre die Bestimmung des § 189 Abs. 1 StPO um die Zuständigkeit der Staatsanwaltschaft für Entscheidungen über den telefonischen Verkehr des angehaltenen Beschuldigten zu ergänzen.

Zu Z 18 (§ 198 Abs. 2 Z 3 StPO):

Bereits die Expertenkommission zur Prüfung der staatlichen Reaktionen auf strafbares Verhalten in Österreich ist in ihrem Bericht (März 2004) mit großer Mehrheit dafür eingetreten, den absoluten gesetzlichen Ausschluss der Diversion bei Todesfolge zu beseitigen. Zwar werde die Diversion in solchen Fällen schon aus Gründen der Generalprävention auf besondere Ausnahmesituationen – wie etwa die leicht fahrlässige Tötung eines nahen Angehörigen bei einem Verkehrsunfall oder durch Vernachlässigung der Aufsicht des eigenen Kindes – beschränkt bleiben müssen, sie sollte aber – anders als nach geltendem Recht – in solchen (in der Praxis ohnedies seltenen) Ausnahmesituationen zulässig sein (Pkt. 2.5.1 des Expertenberichts; ÖJZ 2004/35).

Am 4. November 2005 hat zudem die Landeshauptleutekonferenz – auf Grund der Entschließung des Tiroler Landtages vom 11. Mai 2005 – in Hermagor einstimmig folgenden Beschluss gefasst: „§ 90a StPO (idF vor dem Strafprozessreformgesetz BGBl. I Nr. 19/2004) legt die Voraussetzungen für die Anwendung der Diversion fest. Ausdrücklich ist darin bestimmt, dass Diversion nur zulässig ist, wenn die Tat nicht den Tod eines Menschen zur Folge hatte. Die Landeshauptleutekonferenz unterstützt eine Änderung der Strafprozessordnung, um die Anwendung der Diversion bei Unfällen mit tödlichem Ausgang im familiären Umfeld zu ermöglichen.“

Diesem Ansinnen wurde im Zuge der Strafprozessreform mit BGBl. I Nr. 93/2007 („Strafprozessreformbegleitgesetz I“) im JGG Rechnung getragen, wonach die Diversion auch dann zulässig ist, wenn die Tat zwar den Tod eines Menschen zur Folge gehabt hat, es sich bei der getöteten Person jedoch um einen fahrlässig getöteten Angehörigen des Beschuldigten handelte und eine Bestrafung im Hinblick auf die beim Beschuldigten durch den Tod des Angehörigen verursachte schwere psychische Belastung nicht geboten ist.

Diese Änderung soll nunmehr auch für den Diversionsbereich außerhalb von Jugendstraftaten nachvollzogen werden. So soll – unter Beibehaltung der durch § 198 Abs. 2 Z 1 und 2 StPO normierten Kriterien – eine diversionelle Maßnahme künftig auch dann möglich sein, wenn durch die Tat ein Angehöriger des Beschuldigten fahrlässig getötet wurde, aber eine Bestrafung des Beschuldigten im Hinblick auf die bei diesem durch den Tod des Angehörigen verursachte schwere psychische Belastung nicht geboten erscheint.

Handelt es sich daher um eine Vorsatztat, oder ist der Beschuldigte durch den Tod des Angehörigen gar nicht schwer psychisch belastet (weil beispielsweise trotz Angehörigeneigenschaft kein Naheverhältnis bestanden hat), soll auch weiterhin ein Rücktritt von der Verfolgung ausgeschlossen sein. Liegt zwar eine schwere psychische Belastung durch den Tod des Angehörigen vor, ist die Schuld jedoch als schwer anzusehen, ist ein Rücktritt von der Verfolgung nach § 198 Abs. 2 Z 2 StPO ebenfalls nicht möglich.

Da der Ausnahmesatz auf die fahrlässige Tötung und nicht bloß auf den Tatbestand des § 80 StGB abstellt, unterliegt auch die grob fahrlässige Tötung nach § 81 StGB dem Anwendungsbereich des § 198 Abs. 2 Z 3 StPO. Hier wird jedoch dem Diversionshindernis der schweren Schuld besondere Bedeutung zukommen. Andererseits ist darauf zu verweisen, dass der notwendig vorausgesetzte entsprechend hohe psychische Leidensdruck des Beschuldigten („Täterbetroffenheit“ – § 34 Abs. 1 Z 19 StGB) einen die Schuld iSd § 198 Abs. 2 Z 2 StPO reduzierenden Umstand darstellt (vgl. Schroll in Höpfel/Ratz, WK2 JGG § 7 Rz 19).

Zu Z 7, 19, 21, 22 und 30 (§§ 31 Abs. 6 Z 3, 199, 209a, 209b Abs. 1 und 2, 514 Abs. 35 StPO):

Die Bestimmungen der §§ 209a und 209b StPO über den Rücktritt von der Verfolgung wegen Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft („Kronzeugenregelung“) wurden mit dem Bundesgesetz, mit dem das Strafgesetzbuch, die Strafprozessordnung 1975, das Staatsanwaltschaftsgesetz und das Gerichtsorganisationsgesetz zur Stärkung der strafrechtlichen Kompetenz geändert werden (strafrechtliches Kompetenzpaket, BGBl I Nr. 108/2010) eingeführt. Sie traten mit 1. Jänner 2011 in Kraft und stehen vorerst befristet bis 31. Dezember 2016 in Geltung.

Eine Evaluierung der bisherigen Praxis hat gezeigt, dass die Kronzeugenregelung bisher nur in wenigen Fällen zur Anwendung gelangte. In Verfahren, in denen dies der Fall war, stellte § 209a StPO jedoch ein effizientes Ermittlungswerkzeug zur Bekämpfung v.a. schwer aufklärbarer, konspirativ begangener Delikte dar. Die Einführung der „Kronzeugenregelung“ wurde darüber hinaus auch von internationalen Organisationen positiv bewertet. So wird die Kronzeugenregelung etwa von Transparency International in dem Bericht über den Korruptionswahrnehmungsindex 2015 als eine der zahlreichen Verbesserungen im Bereich Korruptionsprävention und Transparenz hervorgehoben.

Die Evaluierung der bisherigen Praxis zeigt jedoch auch Bedarf nach Verbesserung der Kronzeugenregelung auf. So besteht in der Praxis Unsicherheit darüber, bis zu welchem Zeitpunkt die „Kronzeugenregelung“ nach § 209a StPO angewendet werden darf, insbesondere ob es ein Ausschlusskriterium darstellt, wenn gegen den potentiellen Kronzeugen bereits ermittelt wird. Vor allem die in § 209a Abs. 1 StPO enthaltene Wortfolge „sein Wissen über Tatsachen offenbart, die noch nicht Gegenstand eines gegen ihn geführten Ermittlungsverfahrens sind“ wurde uneinheitlich ausgelegt.

Im Begutachtungsverfahren zum ME, der punktuelle Klarstellungen und Änderungen der bestehenden Regelung vorschlug, traten weitere grundlegende Fragestellungen und Kritikpunkte zu Tage.

Zu deren Klärung hat Herr Bundesminister für Justiz Univ. Prof. Dr. Wolfgang Brandstetter eine hochrangige Expertengruppe eingesetzt und sie mit der Erarbeitung von Vorschlägen für die Überarbeitung des vorliegenden Entwurfs unter Einbeziehung rechtsvergleichender Aspekte beauftragt. Dieser Expertengruppe unter Vorsitz von SC Mag. Christian Pilnacek (Sektion Strafrecht des Bundesministeriums für Justiz) gehörten über Einladung des Bundesministers für Justiz Prof. Dr. Gerhard Dannecker (Universität Heidelberg), Univ.-Prof. DDr. Peter Lewisch, Univ.-Prof. Dr. Susanne Reindl-Krauskopf (beide Universität Wien), Univ.-Prof. Mag. Dr. Alois Birklbauer (Johannes Kepler Universität Linz), Prof. Dr. Ingeborg Zerbes (Universität Bremen), SC Mag. Dr. Mathias Vogl (Bundesministerium für Inneres) und LStA Maga. Carmen Prior (Abteilung Strafverfahrensrecht des Bundesministeriums für Justiz) an. Im Rahmen von insgesamt drei Sitzungen im August und September 2016 erörterte die Expertengruppe zunächst grundsätzliche Fragestellungen, wobei Übereinstimmung erzielt werden konnte, dass der bestehende Bruch mit Traditionen des österreichischen Strafverfahrensrechts durch eine präzisere rechtsstaatliche Ausgestaltung ausgeglichen werden könne, um sie einer weiteren befristeten Geltung mit begleitender Evaluation zuführen zu können. Als eine Schwachstelle der bestehenden Regelung wurde die fehlende Rechtssicherheit für den Kronzeugen festgestellt und ein aktives Herantreten des Kronzeugen an die Staatsanwaltschaft in Verbindung mit der Offenbarung von Wissen über neue Tatsachen und Beweismittel als Zeichen seiner Bereitschaft zur „Umkehr“ gefordert. Darüber hinaus wurde eine Angleichung an § 41a StGB („kleine Kronzeugenregelung“) für sinnvoll erachtet. Die Voraussetzungen, unter denen ein Rücktritt von der Verfolgung auszusprechen ist, sollen in diesem Sinn klarer herausgearbeitet werden und ein potentieller Kronzeuge durch den vorläufigen Rücktritt früher erfahren, ob ihm diese Rechtswohltat gewährt bzw. in Aussicht gestellt wird. Ein auf Grundlage der bisherigen Diskussion vom Bundesministerium für Justiz erstellter Textvorschlag fand in der Sitzung vom 20. September 2016 im Wesentlichen einhellige Zustimmung der Expertengruppe und soll daher Grundlage der Neuregelung bilden.

Zusammengefasst verfolgt die Neuregelung folgende Zielsetzungen:

Die Voraussetzungen, unter denen ein Rücktritt von der Verfolgung auszusprechen ist, sollen klarer herausgearbeitet werden.

Durch den vorläufigen Rücktritt soll der Kronzeuge früher erfahren, ob ihm diese Rechtswohltat gewährt bzw. in Aussicht gestellt wird. Zu diesem Zweck soll in Abs. 1 der Zusammenhang zwischen der Kronzeugentat und der aufzuklärenden Straftat klarer dargestellt werden. Nur Taten von einer gewissen Schwere, nicht irgendeine Tat, soll Kronzeugeneigenschaft begründen können.

In Zusammenschau mit Abs. 3 soll sich dadurch auch klarer ergeben, dass ein führender oder auch nur mitbestimmender Tatbeitrag grundsätzlich zum Ausschluss dieser Rechtswohltat führen soll.

In Abs. 2 soll klargestellt werden, dass der Kronzeugenstatus nicht erreicht werden kann, wenn der Beschuldigte schon konkret zu den Umständen der aufzuklärenden Straftaten vernommen wurde oder gegen ihn wegen solcher Verdachtsmomente Zwang ausgeübt worden ist. Der Rechtssicherheit des Kronzeugen, aber auch der rechtsstaatlichen Kontrolle geschuldet, sind die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle (Verweis auf § 199 StPO und die Wendung „ ... hat das Recht“ in Abs. 1) und das eigenständige Verfahren über den vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung, wenn hinreichender Grund für die Annahme des Vorliegens der Kronzeugeneigenschaft besteht (Abs. 2). Der potentielle Kronzeuge soll dadurch schneller erfahren, ob seine Angaben für eine Prüfung des endgültigen Verfolgungsverzichts ausreichen, und die Staatsanwaltschaft soll in diesem Verfahrensabschnitt konzentriert das Vorliegen der Voraussetzungen prüfen können.

Dem potentiellen Kronzeugen sollen auch zwei Rechtschutzmöglichkeiten zur Verfügung stehen; er soll bei negativer Erledigung durch die Staatsanwaltschaft den Einspruch wegen Verweigerung eines ihm zustehenden Rechts erheben oder aber die Anwendung der Kronzeugenregelung in der Hauptverhandlung verlangen können.

Schließlich soll im Sinne der Beratungen der Expertengruppe auch ein Zusammenhang mit § 41a StGB hergestellt werden: Wenn die Voraussetzungen der Kronzeugenregelung nicht, wohl aber jene des § 41a StGB vorliegen, soll die Staatsanwaltschaft auch erklären, dessen Anwendung vor dem Gericht zu beantragen.

Aus Anlass der Einsetzung der Expertengruppe wurde vom Bundesministerium für Justiz ein Rechtsvergleich zu Kronzeugenregelungen in anderen Mitgliedstaaten der Europäischen Union durchgeführt. Auch Prof. Dr. Gerhard Dannecker ging in seiner schriftlichen Stellungnahme auf rechtsvergleichende Aspekte zum englischen, US-amerikanischen und deutschen Recht ein. Die Ergebnisse des Rechtsvergleichs lassen sich wie folgt zusammenfassen:

Insgesamt konnten Informationen über 19 Mitgliedstaaten eingeholt werden. Davon gibt es in zwei Mitgliedstaaten (Finnland, Malta) keine Form einer Kronzeugenregelung.

In vier Mitgliedstaaten (Belgien, Schweden, Dänemark, Slowenien) besteht in Kronzeugenfällen die Möglichkeit einer Art außerordentlicher Strafmilderung (wobei die Strafe in Belgien zur Gänze entfallen kann).

In den übrigen Mitgliedstaaten sieht das Strafverfahrensrecht eine Kronzeugenregelung vor (Deutschland, Polen, Italien, Rumänien, Ungarn, Portugal, Spanien, Estland, Kroatien, Tschechische Republik, Slowakische Republik, Niederlande, Vereinigtes Königreich; wobei z.T. eine Verurteilung erfolgt und der Kronzeugenstatus lediglich strafmindernd wirkt).

Zum englischen Recht, das in seiner Tradition „von einem hohen Maß an Verfahrensflexibilität geprägt“ sei, führte Prof. Dr. Gerhard Dannecker aus (Dannecker, Stellungnahme, S. 6): „Die Strafminderung für Informanten und Kronzeugen ist im englischen Strafrecht ebenfalls anerkannt und fand lange Zeit so statt, dass es eine informelle Kontaktaufnahme zwischen Ermittlungsbehörden und Gericht im Rahmen der Strafzumessung gab. Auf diesen Mangel an Transparenz hat der englische Gesetzgeber durch die Schaffung eines formalisierten Verfahrens für die Zusammenarbeit mit Kronzeugen und Informanten reagiert. Nunmehr muss der aussagebereite Beschuldigte mit einem autorisierten Vertreter der Anklagebehörde (nicht der Polizei) seine Zusammenarbeit mit den Ermittlungsbehörden schriftlich vereinbaren, um in den Genuss von Strafmilderungen zu kommen. Der Umfang der Strafmilderung steht jedoch weiterhin im Ermessen des Gerichts. Wenn der Beschuldigte die Vereinbarung nach seiner Verurteilung nicht erfüllt, hat das Gericht die Möglichkeit, die Minderung der Strafe nachträglich rückgängig zu machen. Für eine Kooperation des Beschuldigten ohne schriftliche Vereinbarung fällt die Strafmilderung deutlich niedriger aus. Zudem verlangen die Gerichte nunmehr, dass der Beschuldigte grundsätzlich vollumfänglich über seine kriminelle Vergangenheit aussagt; damit soll die Glaubwürdigkeit der Informanten und Kronzeugen gestärkt werden. Auch geht Dannecker auf das in den USA verbreitete Praxis des „plea bargaining“ ein (Dannecker, Stellungnahme, S. 4f): „Das „plea bargaining“, wie es in den USA alltäglich ist, beschreibt einen „Handel“ zwischen potenziellem Kronzeugen und Anklagebehörde. Der Kronzeuge bekennt sich dabei schuldig im Sinne der Anklage, um im Gegenzug vom Staatsanwalt ein Entgegenkommen bezüglich des geforderten Strafmaßes zu erhalten. Eine Hauptverhandlung findet in diesem Fall nicht statt. Das plea bargaining ist auch nicht auf die Bewältigung der Kronzeugenproblematik begrenzt, sondern kommt flächendeckend zur Anwendung. Dass das plea bargaining in den USA relativ unproblematisch einsetzbar ist, liegt auch daran, dass die Staatsanwaltschaft dort nicht durch das Legalitätsprinzip an einen Verfolgungszwang gebunden ist und ein umfassendes Entschließungs- und Auswahlermessen bezüglich der Strafverfolgung hat. Dabei hat das plea bargaining für die Anklagebehörde den entscheidenden Vorteil, nicht in Vorleistung gehen zu müssen und die Belohnung für den Kronzeugen dem Aufklärungsbeitrag entsprechend selbst bemessen zu können. Insofern ist die Ausgangslage in der deutschen Rechtstradition eine andere: Hier gibt das in § 152 StPO verankerte Legalitätsprinzip vor, dass die Staatsanwaltschaft verpflichtet ist, soweit nicht gesetzlich ein anderes bestimmt ist, wegen aller verfolgbaren Straftaten einzuschreiten, sofern zureichende tatsächliche Anhaltspunkte vorliegen. Die das Legalitätsprinzip tragenden Erwägungen sind im Grundgesetz verankert; das Prinzip ist Ausfluss des Rechtsstaatsprinzips in seinen Ausprägungen als Sicherung des Rechtsfriedens und des Rechtsgüterschutzes, sowie des Gleichheitsgrundsatzes nach Art. 3 Abs. 1 GG. Insbesondere Letzterer wäre verletzt, wenn die Strafverfolgungsbehörden nach Gutdünken gegen nur gegen bestimmte Bürger ein Strafverfahren durchführen würden. … Mit Blick auf die Ausführungen zum deutschen Verständnis des Legalitätsprinzips, der damit verbundenen anderen Stellung und Aufgabe der Staatsanwaltschaft in Deutschland und der somit völlig anderen rechtlichen Ausgangslage, ist eine Übertragbarkeit von Rechtsinstrumenten des anglo-amerikanischen Rechts naturgemäß schwierig.

Die Mitglieder der Expertengruppe vertraten kurz zusammengefasst folgende Positionen:

Für Prof. Dr. Gerhard Dannecker kommt der Gedanke der goldenen Brücke zur Legalität dort in jenen Fällen zum Tragen, wo noch keine Ermittlungen gegen die Person geführt werden, also noch nicht die Situation des „do ut des“ zwischen dem Kronzeugen und den Ermittlungsbehörden besteht. Gleichwohl besteht nach seiner Ansicht die Notwendigkeit, gerade im Zusammenhang mit den konspirativen Strukturen der organisierten Kriminalität und des Terrorismus die Kronzeugenregelung auch noch im Ermittlungsverfahren offen zu lassen und Art und Weise (Zeitpunkt, Gewicht und Umfang) des Tatbeitrags im Rahmen des Ermessens im Einzelfall abzuwägen.

Univ.-Prof. Dr. Susanne Reindl-Krauskopf äußerte zwar Bedenken, ob die Kronzeugenregelung mit der österreichischen Rechtstradition friktionsfrei harmonisiert werden könne, sprach sich allerdings bei Bedarf einer solchen Regelung für eine effektive Ausgestaltung, neuerliche Befristung und Evaluierung aus. Die Kronzeugenregelung sollte in Fällen abgeschotteter und konspirativer Kriminalität eingesetzt werden. Entsprechend dem Vorleistungsrisiko des Kronzeugen müssten Anreize geboten werden wie größtmögliche Sicherheit, verlässliche Zusagen und wenige nicht in der Ingerenz des Kronzeugen liegende Möglichkeiten zu einer Fortführung des Verfahrens. Nicht nachvollziehbar sei, dass lediglich der eingetretene Tod einen Ausschlussgrund darstelle, nicht jedoch ein versuchtes Tötungsdelikt sowie der Ausschluss von Sexualdelikten, weil insbesondere bei Kinderpornographie-Ringen, Menschenhandel, Schlepperbanden etc. ebenfalls eine konspirative Komponente vorliege. Besonders wichtig sei auch die Frage des Bestehens eines Rechtsanspruches auf die Zuerkennung des Kronzeugenstatus, weil dessen Fehlen nicht nur Anreizdefizite zur Folge habe, sondern ohne Rechtsmittel im Falle der Nicht-Zuerkennung auch die Überprüfbarkeit mit Blick auf die Gleichförmlichkeit der Anwendung fehle.

Univ.-Prof. Dr. Peter Lewisch qualifizierte die Kronzeugenregelung als begrüßenswertes Instrument, einerseits bereits verwirklichte Straftaten aufzudecken, andererseits durch die Erhöhung der Aufdeckungswahrscheinlichkeit potenzielle Straftäter abzuschrecken. In der Ausgestaltung sei eine mehrstufige Straffreistellung (zunächst Zuerkennung des Status eines Kronzeugen, nach einer Prüfphase endgültige Straffreistellung) zu befürworten. Die diversionelle Ausgestaltung sei nicht unbedingt erforderlich, im Normalfall solle es zu einer echten Straffreistellung des Kronzeugen kommen.

Prof. Dr. Ingeborg Zerbes erachtete eine Kronzeugenregelung als grundsätzlich außerhalb der kontinentaleuropäischen Rechtstradition und deren Werten stehend, allerdings dürfe der Gesetzgeber Ausnahmen von Prinzipien vorsehen; diese bedürften einer besonderen Rechtfertigung, die sich konkret im Anwendungsbereich der Kronzeugenregelung und in den Voraussetzungen der Straffreiheit niederschlägt. Die Rechtfertigung der Kronzeugenregelung liege zusammengefasst zum Einen im vom Gedanken der Prävention getragenen Angebot an den Täter, mit einem kriminellen Umfeld zu brechen. Er solle – vergleichbar zu tätiger Reue – auf einer Art „goldenen Brücke“ in die Legalität gehen können und damit weitere strafbare Handlungen aus diesem Umfeld verhindern. Zum Anderen bestünden chronische Aufklärungsschwierigkeiten insbesondere in bestimmten Kriminalitätsbereichen, insbesondere im Wirtschaftsstrafrecht und der organisierten Kriminalität.Univ.-Prof. Dr. Alois Birklbauer hinterfragte insbesondere die Erfordernisse an die Freiwilligkeit und Rechtzeitigkeit für die Zuerkennung des Kronzeugenstatus und befürwortete eine sprachliche Angleichung an Bestimmungen über Tätige Reue (z.B. § 167 Abs. 2 StGB). Bei Normierung eines gerichtlichen Rechtsschutzes für den (potentiellen) Kronzeugen sprach er sich für eine Abschaffung der Involvierung des Rechtsschutzbeauftragten der Justiz aus.

SC Dr. Mathias Vogl (BM.I) hob hervor, dass es ohne eine Kronzeugenregelung kaum möglich sei, wirtschaftliche Schwerkriminalität bzw. Korruptionsdelikte strukturell zu ermitteln. Bei Verzicht auf Insiderwissen wären in der Vergangenheit Fakten mitunter gar nicht, bloß teilweise oder jedenfalls nur schwer zu klären und zumeist nicht beweisbar gewesen. Solches Wissen sei dringend erforderlich, um in die inneren Strukturen bei schweren Wirtschafts– und Korruptionsdelikten vorzudringen bzw. Zusammenhänge oder Geschäftsvorgänge nachzuverfolgen. Ein „Mehr“ an Rechtssicherheit erhöhe möglicherweise die Bereitschaft den Strafverfolgungsbehörden als Kronzeuge zur Verfügung zu stehen.

Zur vorgeschlagenen Regelung im Detail:

In Abs. 1 soll der Zusammenhang zwischen der Kronzeugentat und der aufzuklärenden Straftat herausgearbeitet werden (siehe insoweit auch das Konzept des § 41a StGB). Es soll nicht – wie nach der derzeitigen Gesetzeslage – irgendeine Tat Kronzeugeneigenschaft begründen können, sondern nur Taten von einer gewissen Schwere (siehe dazu auch Dannecker, Stellungnahme, S. 29, 48). Es muss sich also schon bei der Kronzeugentat um eine der in Z 1 bis 3 genannten Straftaten handeln. Im Unterschied zum ME wurde nunmehr in Z 2 klargestellt, dass unabhängig von einem Opt-in der WKStA die Anwendung der „Kronzeugenregelung“ generell wegen Straftaten möglich ist, welche die Kriterien des § 20b StPO erfüllen. Z 3 wiederum ergänzt den Anwendungsbereich um jenen des § 41a StGB.

Der Kronzeuge muss Wissen offenbaren, das wesentlich dazu beiträgt, die umfassende Aufklärung einer in den Z 1 bis 3 genannten Straftaten über seinen eigenen Tatbeitrag hinaus zu fördern oder eine Person auszuforschen, die an einer solchen Verabredung führend teilgenommen hat oder in einer solchen Vereinigung oder Organisation führend tätig war. Diese Informationen müssen somit neu für die Strafverfolgungsbehörden sein und hinsichtlich des Wertes für die umfassende Aufklärung der Straftat(en) über den eigenen Tatbeitrag des Kronzeugen hinausgehen; an der Aufklärungstat muss daher zumindest ein Dritter beteiligt gewesen sein. Ob der Kronzeuge selbst an dieser Tat beteiligt war oder lediglich ein Zusammenhang mit der Kronzeugentat besteht, soll nicht entscheidend sein. Die alleinige Aufdeckung der eigenen Tat soll jedoch nicht ausreichen.

Nicht zuletzt aufgrund Bedenken des OGH im Begutachtungserfahren und darauf gründender Ablehnung der „Kronzeugenregelung“ als Prozessabsprache soll auch im Gesetzestext deutlich klargestellt werden, dass die Regelung der §§ 209a und 209b StPO gerade nicht auf den Gedanken eines „Deals“ zurückzuführen ist, sondern auf erweiterten Strafzumessungserwägungen beruht, die ein reumütiges Geständnis und die freiwillige Offenbarung von neue Tatsachen oder Beweismitteln als äußeres Zeichen einer Abkehr vom eigenen kriminellen Verhalten bzw. des Umfeldes signalisieren. Es ist nicht die Staatsanwaltschaft, die etwas „anbietet“, sondern es liegt an dem Kronzeugen sein Wissen freiwillig zu offenbaren. Durch das Erfordernis, dass der Täter freiwillig an die Staatsanwaltschaft herantreten muss, soll ebenso wie durch die weiteren in Abs. 2 genannten Kriterien klar zum Ausdruck gebracht werden, dass die vorgeschlagene Regelung gerade nicht „Deals“ der Strafverfolgungsbehörden in Drucksituationen ermöglicht, sondern die Initiative vielmehr beim potentiellen Kronzeugen liegt. Eben aus diesem Grund durchbricht die Regelung auch nicht – wie in der Stellungnahme des OERAK vermeint – Grundprinzipien des österreichischen Strafrechts, sondern gründet auf dem auch die Strafaufhebung der tätigen Reue rechtfertigenden Gedanken der „goldenen Brücke“.

Es sind aber durchaus verschiedene Möglichkeiten des Herantretens an die Staatsanwaltschaft denkbar, etwa durch persönliche Vorsprache, schriftliche Eingabe, aus Anlass einer Ladung zu einer Zeugen-, Verdächtigen oder Beschuldigtenvernehmung oder auch, vorbehaltlich der Fälle des Abs. 2, noch im Zuge einer solchen Vernehmung. Selbstverständlich sollen auch die bislang praktizierten Möglichkeiten wie insbesondere die anonyme Offenbarung von Informationen im BKMS®-Hinweisgebersystem der WKStA (Anm.: die anonyme Identifizierungsnummer ermöglicht die nachträgliche Zuordnung) oder das „Vorsondieren“ durch einen Rechtsanwalt weiter zulässig sein. Festzuhalten ist, dass allfällige Strafaufhebungsgründe (z.B. Tätige Reue nach § 167 StGB) der gegenständlichen Regelung jedenfalls vorgehen.

Durch das Erfordernis des reumütigen Geständnisses iSd § 34 Abs. 1 Z 17 StGB soll sichergestellt werden, dass der potentiellen Kronzeuge nicht nur eine Aussage über seinen Tatbeitrag tätigt, sondern auch eine deutliche innere Abkehr von seinen Taten zum Ausdruck bringt.

Aus der Wortfolge „nach Maßgabe der Abs. 2 und 3“ ergibt sich, dass das Recht auf ein prozessuales Vorgehen nach der vorliegenden Bestimmung nur dann und nur insoweit besteht, als auch die Voraussetzungen der Abs. 2 und 3 geben sind (siehe dazu im Folgenden).

Die Wendung „hat […] das Recht, ein Vorgehen nach den §§ 199, 200 bis 203 und 205 bis 209 zu verlangen“ umschreibt eine zentrale Neuerung gegenüber der geltenden Rechtslage, weil bei Vorliegen aller Voraussetzungen (Abs. 1 bis 3) nunmehr ein Rechtsanspruch auf eine Erledigung nach § 209a StPO bestehen soll; ein Wahlrecht bzw. Anspruch auf Anwendung einer bestimmten Bestimmung (z.B. auf Anordnung gemeinnütziger Leistungen) soll jedoch nicht bestehen. Dem potentiellen Kronzeugen soll nunmehr die Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle der Staatsanwaltschaft und die Möglichkeit der Anwendung der Bestimmung in der Hauptverhandlung offenstehen, naturgemäß allerdings lediglich dann, wenn bereits im Ermittlungsverfahren die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt waren; ein bloßes „überschießendes“ Geständnis in der Hauptverhandlung erfüllt hingegen weder das Erfordernis des aktiven Herantretens noch des wesentlichen Beitrages zur Aufklärung einer in Abs. 1 Z 1 und 3 genannten Straftat sowie insbesondere die in Abs. 2 genannten Ausschlusskriterien. Ist er jedoch im Ermittlungsverfahren der Ansicht, dass die negative Erledigung durch die Staatsanwaltschaft zu Unrecht erfolgt ist, kann er Einspruch wegen Verweigerung eines ihm zustehenden Rechts erheben (§ 106 Abs. 1 Z 1 StPO) oder aber in weiterer Folge die Anwendung der Bestimmung in der Hauptverhandlung verlangen. Darüber hinaus steht ihm durch die Erweiterung des § 199 StPO im Falle einer Verurteilung auch der Nichtigkeitsgrund des § 281 Abs. 1 Z 10a StPO offen.

Die Neuregelung soll auch – entsprechend der einhelligen Forderung der Expertengruppe – den Verfahrensablauf präziser und vorhersehbarer gestalten. Abs. 2 legt die prozessuale Vorgehensweise für die Staatsanwaltschaft für das Vorgehen bei Herantreten eines potentiellen Kronzeugen fest: Tritt eine Person an die Staatsanwaltschaft heran, die reumütig ihren Tatbeitrag gesteht und ihr Wissen offenbart, deren Kenntnis nach ihrer Einschätzung wesentlich zur Förderung der Aufklärung einer in Abs. 1 genannten Straftat oder der Ausforschung einer in diesem Absatz genannten Person beiträgt, so soll die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung der Straftat dieser Person vorläufig zurückzutreten haben, sofern das Vorliegen der Voraussetzungen nach Abs. 1 (und aufgrund der Wendung „nach Maßgabe der Abs. 2 und 3 auch jener Voraussetzungen) nicht von vornherein ausgeschlossen ist und soweit der Täter nicht bereits als Beschuldigter wegen seiner Kenntnisse über in Abs. 1 genannte Taten (also z.B. konkret zu den Umständen der aufzuklärenden Straftaten) vernommen wurde oder gegen ihn wegen solcher Verdachtsmomente Zwang ausgeübt worden ist.

Demnach soll die Staatsanwaltschaft in diesem Verfahrensstadium auf Grund der vorliegenden Aussage eine „Vorprüfung“ durchführen, ob die Anwendung der „Kronzeugenregelung“ überhaupt in Frage kommen kann oder diese nicht ohnehin von vornerein ausgeschlossen ist. Keinesfalls in Frage ist die Anwendung der Bestimmungen der §§ 209a und 209b StPO z.B., wenn der Täter lediglich ein Geständnis über den eigenen Tatbeitrag ablegt, sich die angebotenen Beweismittel schon bei erster Betrachtung als untauglich erweisen, die offenbarten Tatsachen oder Beweismittel den Strafverfolgungsbehörden bereits bekannt sind und daher nicht neu sind oder bereits nach der Aussage des potentiellen Kronzeugen oder den vorliegenden Informationen davon auszugehen ist, dass es sich beim ihm um einen Tatbeteiligten mit führendem oder maßgeblichem Tatbeitrag handelt. Ebenso ist die Anwendung jedenfalls ausgeschlossen, wenn das Anbot eines potentiellen Kronzeugen erst erfolgt, wenn wegen der Aufklärungstat gegen ihn bereits mit Zwang vorgegangen wurde oder er dazu bereits als Beschuldigter vernommen wurde (siehe dazu im Folgenden).

Ob das Vorliegen der Voraussetzungen von vornherein ausgeschlossen ist (Abs. 2 am Ende), wird im Einzelfall zu beurteilen sein. Liegen keine offenkundigen Gründe vor, aus denen die Anwendung der „Kronzeugenregelung“ ausgeschlossen ist, so hat die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung vorläufig zurücktreten. Der potentielle Kronzeuge soll dadurch bereits zu einem frühen Zeitpunkt erfahren, ob seine Angaben für eine Prüfung des endgültigen Verfolgungsverzichts ausreichen können oder eine Anwendung dieser Regelung ohnedies nicht in Frage kommt.

Wie auch bereits bisher in der Praxis geübt, soll die „Kronzeugenregelung“ weiterhin auch auf Personen angewendet werden können, gegen die bereits ermittelt wird. Insbesondere soll der Status als Verdächtiger die Anwendung der Kronzeugenregelung nicht ausschließen. Aber auch der Umstand, dass gegen den potentiellen Kronzeugen bereits aufgrund bestimmter Tatsachen konkret wegen der ihm zur Last liegenden Straftat (Kronzeugentat) ermittelt wird und er somit Beschuldigter ist, soll nicht automatisch einen Ausschluss der „Kronzeugenregelung“ bedeuten, sondern nach den jeweiligen Umständen des Einzelfalls genau geprüft werden. Die Wortfolge in Abs. 2 „wegen seiner Kenntnisse über in Abs. 1 genannte Taten“ bezieht sich auf über den eigenen Tatbeitrag („Kronzeugentat“) hinausgehende Kenntnisse des Täters (Kenntnisse über die „Aufklärungstat“). Es soll daher auch möglich sein, dass eine Person zwar bereits als Beschuldigter vernommen wurde, jedoch über andere Tatsachen oder Straftaten, als jene, die sie jetzt neu offenlegt. Der Beschuldigte darf jedoch noch nicht wegen seiner Kenntnisse über Hintergründe, weitere Tatbeteiligte, etc. der Aufklärungstat vernommen worden sein. In diesem Sinne ist auch die Wortfolge „wegen dieser Taten kein Zwang gegen ihn ausgeübt“ so zu verstehen, dass in Zusammenhang mit der Aufklärungstat noch kein Zwang, wie etwa Hausdurchsuchungen, Sicherstellungen, Auskünfte aus dem Kontenregister oder über Bankkonten und Bankgeschäfte etc., gegen den potentiellen Kronzeugen ausgeübt wurde. Der Anwendung der Kronzeugenregelung soll es aber nicht entgegenstehen, dass mehrere Personen gleichzeitig an die Staatsanwaltschaft herantreten und z.B. gemeinsam neues Wissen offenbaren, weil es nur darauf ankommen kann, dass in Ansehung jeder einzelnen Person die Voraussetzungen erfüllt sind, also ob jeweils noch ein wesentlicher Aufklärungs- oder Ausforschungsbeitrag vorliegt und ob die Tatsachen oder Beweismittel tatsächlich neu sind.

An den vorläufigen Rücktritt nach Abs. 2 soll sich jenes Verfahrensstadium anschließen, in dem die Staatsanwaltschaft konzentriert das Vorliegen der Voraussetzungen prüfen soll. Einerseits ist das tatsächliche Vorliegen der Voraussetzungen der Abs. 1 und 2 zu prüfen, andererseits die in Abs. 3 normierte Präventionsprüfung und Abwägungsentscheidung vorzunehmen: Eine Bestrafung darf unter Berücksichtigung des Gewichts des Beitrags der Informationen zur Aufklärung oder Ausforschung im Verhältnis zu Art und Ausmaß des Tatbeitrages nicht geboten erscheinen, um den Beschuldigten von der Begehung strafbarer Handlungen abzuhalten.

In diese Abwägung sind jedenfalls auch das Gewicht des Aufklärungsbeitrages durch die Offenbarung des Wissens des Kronzeugen, das Verhältnis zwischen der mit seinem Beitrag aufgeklärten Straftat (Aufklärungstat) zu Art und Ausmaß seines eigenen Tatbeitrages und der Zeitpunkt der Zusammenarbeit einzubeziehen. Wiegt die Kronzeugentat etwa deutlich schwerer als die Aufklärungstat oder hat der Täter offensichtlich taktiert und Informationen über Straftaten von Dritten „gesammelt“, um sich von einer Strafbarkeit in Zusammenhang mit der Kronzeugentat „freizukaufen“, wird die Abwägung in aller Regel gegen ihn ausschlagen. Außerdem muss der Aufklärungsbeitrag jedenfalls umso gewichtiger sein, je konkreter die Verdachtsgründe gegen den potentiellen Kronzeugen bereits sind. Vor dem Hintergrund der normierten Abwägungskriterien, die eine differenzierte Beurteilung im Einzelfall erfordern, hält die Expertengruppe einen kategorischen Ausschluss bestimmter Straftaten für nicht geboten. Jedoch wird durch das Kriterium „Art und Ausmaß des eigenen Tatbeitrages“ verdeutlicht, dass die Abwägung bei Vorliegen eines führenden oder maßgeblichen Tatbeitrages oder insbesondere bei unmittelbaren Tätern schwerwiegender Straftaten regelmäßig nicht ein Vorgehens nach § 209a StPO zu rechtfertigen vermag. Ein die Tat maßgeblich bestimmender Einfluss oder eben die führende Rolle in den erfassten Verabredungen, Vereinigungen und Organisationen soll den Kronzeugenstatus ausschließen.

Stellt sich im Rahmen der Prüfung der Staatsanwaltschaft heraus, dass die gesetzlichen Voraussetzungen nicht vorliegen, so hat die Staatsanwaltschaft das Verfahren fortzusetzen und dies dem Beschuldigten mitzuteilen (Abs. 3 letzter Satz). Liegen grundsätzlich die materiellen Voraussetzungen des § 41a StGB vor, so hat sie den Beschuldigten darüber zu informieren, dass sie dessen Anwendung beantragen werde, wobei die tatsächliche Anwendung dieser außerordentlichen Strafmilderung selbstverständlich von den Ergebnissen der Hauptverhandlung abhängt und letztlich dem Gericht obliegt. Das stellt zwar einen gewissen Bruch mit der in § 255 Abs. 1 StPO zum Ausdruck kommenden Tradition des österreichischen Strafverfahrensrechts dar, wird jedoch im Sinne der Ergebnisse der Expertengruppe für diesen Sonderfall als gerechtfertigt angesehen.

Liegen hingegen die Voraussetzungen vor, so hat die Staatsanwaltschaft nach den §§ 200 bis 203 und 205 bis 209 StPO vorzugehen, wobei nunmehr auch ausdrücklich gesetzlich klargestellt werden soll, dass dem Beschuldigten die Erbringung der dort vorgesehenen Leistungen und die weitere Zusammenarbeit bei der Aufklärung aufzutragen ist. Ebenfalls der Rechtssicherheit des Kronzeugen dient die gesetzliche Festlegung, dass in dieser Weise vorzugehen ist, „sobald“ die Prüfung des Vorliegens der Voraussetzungen abgeschlossen ist; ein Schwebezustand aus ermittlungstaktischen Gründen soll damit vermieden werden.

In der Praxis zeigte sich auch die in den Wiederaufnahmegründen nach § 209a Abs. 4 Z 2 StPO enthaltene Wortfolge „keinen Beitrag zur Verurteilung des Täters“ problematisch, weil sie als Erfolgshaftung des Kronzeugen für die Verurteilung des Dritten verstanden werden kann. Umstände, die nicht in der Sphäre des Kronzeugen liegen, sollen ihm jedoch nicht zur Last fallen, sofern er die ihm auferlegte Verpflichtungen erfüllt hat. Zu solchen Umständen würde es etwa zählen, wenn eine Verurteilung wegen Zurechnungsunfähigkeit des Täters oder Verjährung ausscheidet, sich die Staatsanwaltschaft bei Einbringung der Anklage, nicht jedoch das Gericht im Urteil auf die Angaben des Kronzeugen stützt, oder das Gericht das Verfahren diversionell erledigt. Daher wird vorgeschlagen, in Abs. 5 anstelle des mangelnden Beitrags zur Verurteilung des Täters den fehlenden wesentlichen Beitrag im Sinn des Abs. 1 als Wiederaufnahmegrund anzuführen. Bei den übrigen Änderungen handelt es sich um redaktionelle Änderungen. In Z 1 wird soll künftig wie auch in Abs. 3 der Begriff „Zusammenarbeit bei der Aufklärung“ anstelle „Mitwirkung an der Aufklärung“ verwendet werden, um zum Ausdruck bringen, dass diese Zusammenarbeit eine der Bedingung der Anwendungen der „Kronzeugenregelung“ ist, bei deren Verletzung die vorbehaltene Verfolgung wieder aufgenommen werden kann.

Aufgrund des nunmehr eingeführten Rechtsanspruchs und der künftigen gerichtlichen Kontrolle negativer Entscheidungen der Staatsanwaltschaft über die Anwendung des § 209a StPO kann die Kontrolle durch den Rechtsschutzbeauftragten der Justiz im Bereich der Wiederaufnahme der Verfolgung durch die Staatsanwaltschaft nach Abs. 5 (bisher Abs. 4) entfallen. Für den Bereich der Kontrolle der allenfalls unrechtmäßigen Zuerkennung des Kronzeugenstatus soll der Rechtsschutz durch den Rechtsschutzbeauftragten jedoch im bisherigen Umfang unter Konkretisierung der anwendbaren Verfahrensregeln beibehalten werden: Der Rechtsschutzbeauftragte soll in Folge einer Einstellung nach Abs. 4 durch die Staatsanwaltschaft berechtigt sein, die Fortführung des Verfahrens zu beantragen. Von einem gesonderten Fortführungsrecht des Rechtsschutzbeauftragten zum vorläufigen Rücktritt nach Abs. 2 wird jedoch auch weiterhin abgesehen. Auch bisher bestand das Fortführungsrecht erst im Zusammenhang mit der Einstellung des Verfahrens, ein zusätzlicher Verfahrensschritt in diesem frühen Stadium, in dem seitens der Staatsanwaltschaft auch erst eine inhaltliche Vorprüfung stattgefunden hat, würde dem Ziel der Verfahrenspräzision und -straffung entgegenstehen. Wie bereits bisher soll die Staatsanwaltschaft die für die Wiederaufnahme erforderlichen Anordnungen binnen einer Frist von vierzehn Tagen ab Zustellung der das Verfahren beendenden (bereits rechtskräftigen) Entscheidung zu stellen haben. Eine bloße Weiterführung der Ermittlungen, wobei auch ein diesbezüglicher Ermittlungsschritt – der während der Frist überdies noch nicht nach außen gedrungen sein muss – ist dabei ausreichend.

In Konkretisierung der bislang geltenden Rechtslage wird vorgeschlagen, auch das Verfahren für den Fortführungsantrag des Rechtsschutzbeauftragten zu regeln. Die Frist zur Einbringung des Fortführungsantrages durch den Rechtsschutzbeauftragten soll – auch im Sinne einer raschen Rechtssicherheit des Kronzeugen – drei Monate betragen, wobei der Fristenlauf mit dem Einlangen des Aktes beginnt, wenn über sein Verlangen der Ermittlungsakt übersendet wird. Ausdrücklich normiert werden soll überdies die sinngemäße Anwendbarkeit der §§ 195 Abs. 3 und 196 StPO (derzeit geht die Literatur von einer analogen Anwendung dieser Vorschriften aus, vgl. Leitner/Ulrich in Schmölzer/Mühlbacher, StPO (2013) § 209a Rz 57; Schroll in WK-StPO § 209 Rz 97) und damit korrespondierend die entsprechende Anpassung des § 31 Abs. 6 Z 3 StPO.

Die Möglichkeit, künftig eine höhere Anzahl von Tagessätzen zu verhängen, ist dem Umstand geschuldet, dass nunmehr ein Bezug zwischen Kronzeugen- und Aufklärungstat bestehen soll und es sich dabei in der Regel durchwegs um schwerwiegende Straftaten handelt, dem angemessen Rechnung getragen werden können soll.

Der erste Halbsatz in § 209b Abs. 1 StPO verweist auf ein Vorgehen der Bundeswettbewerbsbehörde nach § 11 Abs. 3 WettbG. Bis zum Inkrafttreten des Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetzes 2012 (BGBl. I Nr. 13/2013) war in § 11 Abs. 3 WettbG auch die Möglichkeit der geminderten Geldbuße angeführt. Seit 1.3.2013 ist diese nunmehr in § 11 Abs. 4 WettbG geregelt. Da bei der Änderung des Kartell- und Wettbewerbsrechts-Änderungsgesetzes offenbar nicht beabsichtigt wurde, den ursprünglich intendierten Anwendungsbereich des § 209b StPO einzuschränken, wird vorgeschlagen, den Verweis auf § 11 Abs. 4 WettbG in § 209b Abs. 1 erster Halbsatz StPO einzufügen.

Die im Begutachtungsverfahren geäußerten Bedenken grundsätzlicher Natur machen deutlich, dass die bisherigen Anwendungsfälle nicht ausreichen, um tatsächlich beurteilen zu können, ob die Regelung ihre beabsichtigte Wirkung auf die Aufklärung von gewichtigen Korruptions- und Wirtschaftsstrafsachen ohne Beeinträchtigung grundrechtlich gesicherter Positionen anderer Verfahrensbeteiligter entfaltet. Trotz der positiven Bewertung der Regelung durch die WKStA und im internationalen Umfeld wird daher – nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund der weitgehenden Neugestaltung dieses Rechtsinstruments – vorgeschlagen, vorerst von einer endgültigen Übernahme in den Rechtsbestand Abstand zu nehmen und die Geltung neuerlich zu befristen, um eine Evaluierung der praktischen Anwendung dieser Bestimmungen und ihrer Effizienz im Hinblick auf die vorgeschlagenen Verbesserungen vornehmen zu können. Es wird daher eine Befristung bis 31. Dezember 2021 vorgeschlagen, wobei rechtzeitig auf Basis einer höheren Anzahl entsprechender Verfahren eine aussagekräftige Evaluierung erfolgen soll.

Die Änderung der Voraussetzungen und des Verfahrensablaufes erfordern auch eine klare Regelung über die jeweils anzuwendenden Bestimmungen. Die vorgeschlagenen §§ 209a und 209b StPO sollen auf Verfahren anzuwenden sein, in denen die Offenbarung der Tatsachen nach dem Inkrafttreten erfolgt ist (vgl. § 514 Abs. 35 StPO), bei den übrigen Verfahren sollen jedoch die derzeit geltenden Regelungen weiter anzuwenden sein.

Zu Z 23 und 24 (§§ 212 Z 6, 7 und 8, 215 Abs. 3 und 485 Abs. 1 Z 2 StPO):

Für den Fall, dass die Staatsanwaltschaft ein Verfahren nach einem vorläufigen Rücktritt von der Verfolgung fortsetzt, ohne dass eine der Voraussetzungen des § 205 Abs. 2 StPO oder des § 38 Abs. 1 oder 1a SMG vorliegt, besteht nach geltender Rechtslage keine Möglichkeit der prozessualen Sanierung. Weder hat der Beschuldigte die Möglichkeit, unmittelbar auf Einhaltung der ihm angebotenen (und von ihm akzeptierten) Bedingungen der Diversion zu bestehen, noch kann das Gericht diesen Umstand unmittelbar aufgreifen.

Zur Schließung dieser „Rechtsschutzlücke“ wird im Einklang mit der bestehenden Gesetzessystematik vorgeschlagen, dem Angeklagten im Schöffen- bzw. Geschworenenverfahren einen ausdrücklichen Einspruchsgrund gegen die Anklageschrift und dem Gericht im Verfahren vor dem Einzelrichter des Landesgerichtes bzw. dem Bezirksgericht einen Grund für die Zurückweisung des Strafantrages einzuräumen, wenn die Staatsanwaltschaft das Verfahren zu Unrecht nachträglich gemäß § 205 Abs. 2 oder nach § 38 Abs. 1 oder 1a SMG StPO fortgesetzt hat.

Zu Z 28 (§ 381 Abs. 1 Z 6 StPO):

Die vorgeschlagene Ergänzung des § 381 Abs. 1 Z 6 StPO dient vor dem Hintergrund der Entscheidung des OGH vom 9.12.2015, 15 Os 117/15t, 15 Os 118/15i, der Klarstellung, dass als ersatzpflichtige Kosten des Strafverfahrens neben den Kosten für die Einlieferung aus dem Ausland (im Rahmen der Erwirkung einer Auslieferung/Übergabe zur Strafverfolgung oder Strafvollstreckung) auch die Kosten einer Überstellung von Strafgefangenen zur weiteren Strafvollstreckung in das In- oder Ausland gelten. Durch die Änderung des § 381 Abs. 1 Z 6 StPO soll im Einklang mit der überwiegenden bisherigen Praxis verdeutlicht werden, dass Kosten der Bewachung und Beförderung eines Strafgefangenen im Rahmen seiner Überstellung aus dem bereits laufenden österreichischen in den weiteren ausländischen Strafvollzug oder auch umgekehrt ersatzpflichtige Kosten der Vollstreckung eines Strafurteils darstellen und von den Gerichten zu bestimmen sind.

Zu Z 30 (§ 514 Abs. 35 StPO):

Diese Bestimmung regelt das Inkrafttreten. Die Regelungen betreffend den Einspruch gegen die Anklageschrift bzw. Zurückweisung des Strafantrages wegen zu Unrecht erfolgter nachträglicher Fortsetzung des Strafverfahrens durch die Staatsanwaltschaft kommen in jenen Fällen zur Anwendung, in denen die Anklage nach dem Inkrafttreten der neuen Bestimmungen eingebracht wurde. § 37 Abs. 3 StPO soll in der geänderten Fassung zur Anwendung kommen, wenn nach seinem Inkrafttreten eine Anklage rechtswirksam wird, die eine Verfahrensverbindung nach der genannten Bestimmung erfordert.

Zu Z 31 (§ 516a Abs. 6 StPO):

Durch die genannten Änderungen werden Teile der RL Rechtsbeistand im nationalen Recht umgesetzt.

Zu Art. 2 (Änderung des Geschworenen- und Schöffengesetzes 1990):

Zu Z 1 (§ 2 Z 4):

Mit dem Strafprozessrechtsänderungsgesetz 2014, BGBl. I Nr. 71/2014, wurde der Beginn des Ermittlungsverfahrens präzisiert und eine Unterscheidung zwischen dem bloßen Verdacht auf Begehung einer gerichtlich strafbaren Handlung gegenüber einer bestimmten Person und einer auf diesen Verdacht bezogenen konkreten Beschuldigung dieser Person getroffen. Demnach beginnt das Strafverfahren, sobald Kriminalpolizei oder Staatsanwaltschaft zur Aufklärung eines Anfangsverdachts nach den Bestimmungen des 2. Teils der StPO ermitteln (§ 1 Abs. 2 erster Halbsatz StPO). Als Verdächtiger gilt nunmehr jede Person, gegen die zur Aufklärung eines Anfangsverdachts (§ 1 Abs. 3 StPO) ermittelt wird (§ 48 Abs. 1 Z 1 StPO). In Abgrenzung dazu soll der Begriff des „Beschuldigten“ hingegen nur noch für jene Verdächtigen Anwendung finden, die aufgrund bestimmter Tatsachen konkret verdächtig sind, eine strafbare Handlung begangen zu haben und zur Aufklärung dieses konkreten Verdachts nach dem 8. oder 9. Hauptstück der StPO Beweise aufgenommen oder Ermittlungsmaßnahmen angeordnet oder durchgeführt werden (§ 48 Abs. 1 Z 2 StPO). Durch das Abstellen auf den Begriff „Verdächtiger“ wird – auch gegenüber der Öffentlichkeit – ganz deutlich zum Ausdruck gebracht, dass erst eine vage Verdachtslage besteht, die weiterer Konkretisierung bedarf (vgl. ErlRV 181 der Beilagen XXV. GP 3).

Da der Ausschlussgrund des § 2 Z 4 GSchG in der geltenden Fassung bloß auf die Anhängigkeit eines Strafverfahrens abstellt, hat dies zur Folge, dass seit Inkrafttreten des Strafprozessrechtsänderungsgesetzes 2014, BGBl. I Nr. 71/2014, bereits jeder Verdächtige von der Ausübung des Amtes als Schöffe oder Geschworener ausgeschlossen ist. Eine solche unkonkrete und noch zu bestimmende Verdachtslage soll jedoch für einen Ausschluss von der Ausübung des Laienrichteramtes nicht ausreichen, weil ein solcher nur im Fall einer konkreten Beschuldigung gerechtfertigt erscheint.

Zu Z 2 (§ 20 Abs. 1d):

Die Bestimmung regelt das Inkrafttreten.

Zu Art. 3 (Änderungen des ARHG)

Nach Art. 10 Abs. 1 der RL Rechtsbeistand besteht ein Recht des Betroffenen auf Zugang zu einem Verteidiger bereits ab dem Zeitpunkt der Festnahme aufgrund eines Europäischen Haftbefehls.

Nach geltendem Recht (§ 18 Abs. 2 EU-JZG) sind im Übergabeverfahren diesbezüglich die Bestimmungen des ARHG anzuwenden; nach diesen ist die betroffene Person vor der Entscheidung über die Verhängung der Auslieferungshaft unter anderem darüber zu belehren, dass es ihr freistehe, sich zuvor mit einem Verteidiger zu verständigen (§ 29 Abs. 3 ARHG).

Die oben zu § 59 StPO vorgeschlagene Neuregelung, wonach einem Festgenommenen jedenfalls die Bevollmächtigung eines Verteidigers ermöglicht werden muss, soll (in Umsetzung der RL Rechtsbeistand) auf jede Festnahme im Inland aufgrund eines Europäischen Haftbefehls erstreckt werden.

Da aber kein sachlicher Grund erkennbar ist, warum die gleiche Regelung nicht auch im Anwendungsbereich des ARHG gelten soll, wird vorgeschlagen, in § 29 Abs. 3 ARHG eine Bestimmung aufzunehmen, wonach einer Person, deren Auslieferung begehrt und die im Inland festgenommen wird, die Bevollmächtigung eines Verteidigers ermöglicht werden muss; vorgeschlagen wird, diesen Regelungsinhalt in Form eines Verweises auf § 59 StPO vorzusehen.

Durch die bereits erwähnte geltende Bestimmung in § 18 Abs. 2 EU-JZG gilt diese Regelung auch für Personen, gegen die ein Europäischer Haftbefehl aufrecht ist und die im Inland festgenommen werden, sodass eine gesonderte Bestimmung im EU-JZG entbehrlich ist.

Zu Art. 4 (Änderungen des EU-JZG)

Die RL Rechtsbeistand enthält in Art. 10 Regelungen betreffend das Verfahren zur Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls. Grundsätzlich ist ein Recht auf einen Verteidiger ab dem Zeitpunkt der Festnahme vorgesehen, und zwar in Abs. 1 bis 3 für das das Verfahren im Vollstreckungsstaat und in Abs. 4 bis 6 für das das Verfahren im Ausstellungsstaat.

Die vorgeschlagenen Änderungen des EU-JZG sollen der Umsetzung dieser Bestimmungen dienen. Für den Fall, dass Österreich Ausstellungsstaat ist, soll das Recht auf einen Verteidiger (in Österreich) in § 30a verankert werden. Für den Fall, dass Österreich Vollstreckungsstaat ist (also eine Person aufgrund eines von einem anderen Mitgliedstaat ausgestellten Europäischen Haftbefehls in Österreich angehalten wird), soll einerseits im Wege des Verweises von § 18 Abs. 2 EU-JZG auf das ARHG (konkret auf die vorgeschlagene Ergänzung in § 29 Abs. 3 ARHG) vorgesehen werden, dass das Recht auf einen Verteidiger in Österreich ab dem Zeitpunkt der Festnahme besteht; andererseits soll auch sichergestellt werden, dass der Festgenommene sein Recht auf einen Verteidiger auch im Ausstellungstaat wahrnehmen kann (§ 16a Abs. 1 Z 5 und Abs. 2).

Zu Z 2 (§ 16a Abs. 1 Z 3 und 5 EU-JZG):

1. Die vorgeschlagene Anpassung von § 16a Abs. 1 Z 3 soll klar zwischen dem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers (§ 29 Abs. 3 ARHG, § 59 StPO) einerseits und notwendiger Verteidigung (§ 29 Abs. 4 ARHG, § 61 StPO) andererseits unterscheiden; beides gilt auf Grund des Verweises in § 18 Abs. 2 EU-JZG auch im Übergabeverfahren.

2. Nach Art. 10 Abs. 4 der RL Rechtsbeistand haben Personen, die zum Zweck der Vollstreckung eines Europäischen Haftbefehls festgenommen werden, das Recht auf Beiziehung eines Verteidigers auch im Ausstellungsstaat des Europäischen Haftbefehls, worüber sie unverzüglich in Kenntnis zu setzen sind.

Diese Belehrung soll in § 16a Abs. 1 Z 5 verankert werden; sie wird – ebenso wie jene über die Rechte nach § 16a Z 1 bis 4 – regelmäßig durch die Sicherheitsbehörden zu erfolgen haben, welchen zu diesem Zweck ein entsprechendes Formblatt –nicht nur auf Deutsch sondern auch in gängigen Fremdsprachen – zur Verfügung zu stellen sein wird.

Festzuhalten ist, dass die Rolle des Verteidigers im Ausstellungsstaat entsprechend der RL Rechtsbeistand lediglich darin besteht, den inländischen Verteidiger durch Übermittlung von Informationen und durch Beratung zu unterstützen. Während diese Beschränkung für die umgekehrte Situation nicht übernommen werden soll (unten zu § 30a), scheint ihre Aufnahme hier durchaus sinnvoll, zumal es sich bei der neuen Z 5 um eine Belehrung über ein in einem anderen Mitgliedstaat bestehendes Recht handelt und es durchaus denkbar ist, dass andere Mitgliedstaaten die erwähnte Beschränkung in ihre Gesetze aufnehmen.

Zu Z 3 (§ 16a Abs. 2 EU-JZG):

Diese Bestimmung statuiert in Umsetzung von Art. 10 Abs. 5 der RL Rechtsbeistand die Verpflichtung der inländischen Staatsanwaltschaft, die zuständige Behörde des Ausstellungsstaats umgehend in Kenntnis zu setzen, wenn der Betroffene von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers im Ausstellungsstaat Gebrauch machen will und noch über keinen Verteidiger in diesem Staat verfügt.

Die Behörde des Ausstellungsstaats wird dann die erforderlichen Schritte zu setzen haben, um dem Betroffenen die Wahl eines Rechtsbeistands zu ermöglichen (vgl. die Ausführungen zur korrespondieren Regelung in § 30a Abs. 2).

Zu Z 4 (§ 21 Abs. 2a EU-JZG):

§ 21 Abs. 2a soll in Umsetzung von Art. 10 Abs. 6 der RL Rechtsbeistand klarstellen, dass die Fristen für die Entscheidung über die Übergabe des Betroffenen durch dessen Recht auf Beiziehung eines Rechtsbeistands im Ausstellungsstaat nicht berührt werden. Dieses Recht darf somit nicht zu einer Verlängerung der Dauer der Übergabeverfahren führen.

Zu Z 5 (§ 30a EU-JZG):

Für den Fall, dass ein Europäischer Haftbefehl in Österreich ausgestellt wurde und der Gesuchte in einem anderen Mitgliedstaat festgenommen wird, soll in Umsetzung von Art. 10 Abs. 4 der RL Rechtsbeistand in Abs. 1 das Recht auf einen Verteidiger (in Österreich) in § 30a verankert werden. Das Recht soll ab dem Zeitpunkt der Festnahme in dem anderen Mitgliedstaat zustehen. Angemerkt sei, dass das Recht auf Zugang zu einem Verteidiger im österreichischen Strafprozessrecht grundsätzlich (d.h. ohne besonderen Bezug zu einem Auslieferungsverfahren oder ein Verfahren über einen Europäischer Haftbefehl) ohnehin bereits vorgesehen ist (siehe § 58 StPO).

Abs. 2 stellt die korrespondierende Regelung zu § 16a Abs. 2 dar und dient wie diese der Umsetzung von Art. 10 Abs. 5 der RL Rechtsbeistand. Sie verpflichtet die inländische Staatsanwaltschaft, die die Festnahme mittels eines Europäischen Haftbefehls angeordnet hat, wenn ihr von der zuständigen Behörde des Vollstreckungsstaates mitgeteilt wurde, dass der Betroffene von seinem Recht auf Beiziehung eines Verteidigers (auch) im Inland Gebrauch machen will, dem Genannten umgehend Informationen zukommen zu lassen, um diesem die Ausübung des betreffenden Rechts zu erleichtern. Zu diesem Zweck wird den Staatsanwaltschaften ein Formblatt zur Verfügung gestellt werden, in dem Informationen über die Möglichkeiten zur Bevollmächtigung eines Verteidigers und über die telefonische Kontaktaufnahme mit einem „Verteidiger in Bereitschaft“ (§ 59 Abs. 4 StPO) enthalten sein werden. Dieses Formblatt, das auch in die anderen Amtssprachen der Europäischen Union übersetzt werden wird, soll dem Betroffen übermittelt werden (was auch im Wege der Behörde im Vollstreckungsstaat zulässig sein wird).

Zu Z 6 (§ 140 Abs. 15 EU-JZG) und zu Artikel 5:

Die RL Rechtsbeistand ist mit 27.11.2016 umzusetzen (Artikel 15). Es wird daher – wie zu den Bestimmungen der StPO, die die RL Rechtsbeistand umsetzen – vorgeschlagen, dass die geänderten Bestimmungen zum 1.12.2016 in Kraft treten.