1310 der Beilagen zu den Stenographischen Protokollen des Nationalrates XXV. GP

 

Bericht

des Gesundheitsausschusses

über den Antrag 1863/A der Abgeordneten Erwin Spindelberger, Dr. Erwin Rasinger, Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Dr. Eva Mückstein, Kolleginnen und Kollegen betreffend ein Bundesgesetz, mit dem das Apothekengesetz geändert wird

Die Abgeordneten Erwin Spindelberger, Dr. Erwin Rasinger, Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein, Dr. Eva Mückstein, Kolleginnen und Kollegen haben den gegenständlichen Initiativantrag am 12. Oktober 2016 im Nationalrat eingebracht und wie folgt begründet:

„Der EuGH hat mit seinem Beschluss vom 30. Juni 2016, Rs. C-634/15, Sokoll-Seebacher, in Präzisierung seines vorangegangenen Urteils festgestellt, dass es den nationalen Behörden im Rahmen des Bedarfsprüfungsverfahrens in jedem Einzelfall möglich sein muss, zu prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse ein Abgehen von der Grenze der 5.500 weiterhin zu versorgenden Personen im Sinne der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung gebieten. Daher ist § 10 Abs. 6a des Apothekengesetzes entsprechend zu adaptieren.

Infolge des EuGH-Urteils vom 13. Februar 2014, C-367/12 ,Sokoll-Seebacher‘, war durch die Apothekengesetz-Novelle BGBl. I Nr. 30/2016 in § 10 ein neuer Abs. 6a eingefügt worden. Demnach ist die Zahl der von der Betriebsstätte einer oder mehrerer der umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken aus weiterhin zu versorgenden Personen gemäß § 10 Abs. 2 Z 3 zu unterschreiten, wenn es ,in ländlichen und abgelegenen Regionen‘ auf Grund besonderer örtlicher Verhältnisse im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung unter Berücksichtigung des Versorgungsangebots durch bestehende Apotheken einschließlich Filialapotheken und ärztlichen Hausapotheken dringend erforderlich ist.

Nun ist der EuGH in seinem Beschluss vom 30. Juni 2016, C-634/15 ,Sokoll-Seebacher II – Naderhirn‘, zu dem Ergebnis gelangt, dass diese Novelle nicht ausreicht und die Anwendung einer ,starren Grenze‘ der Zahl der von den umliegenden bestehenden öffentlichen Apotheken ,weiterhin zu versorgenden Personen‘ bei der Bedarfsprüfung für eine neue öffentliche Apotheke weiterhin in Widerspruch zu Art. 49 AEUV steht. Dies deshalb, weil diese starre Grenze die kohärente und systematische Erreichung des mit der Bedarfsprüfung angestrebten Hauptziels – nämlich eine sichere und qualitativ hochwertige Versorgung der Bevölkerung mit Arzneimitteln – nicht gewährleistet. Die zuständigen nationalen Behörden haben auch nach der Novelle BGBl. I 30/2016 keine hinreichende Möglichkeit, von dieser Grenze abzuweichen, um örtliche Besonderheiten, d.h. im Endeffekt Besonderheiten der verschiedenen konkreten Situationen, wobei jede einzelne zu prüfen ist, zu berücksichtigen (EuGH 13. Februar 2014, C-367/12 Sokoll-Seebacher, Rn. 51; EuGH 30. Juni 2016, C-634/15 Sokoll-Seebacher II – Naderhirn, Rn. 34). Durch die Bezugnahme auf ländliche und abgelegene Regionen sowie auf Menschen mit eingeschränkter Mobilität im Urteil vom 13. Februar 2014 wollte der EuGH die Tragweite seiner Beurteilung der Kohärenz nicht auf diese Art von Regionen und auf diese Kategorie von Personen begrenzen (EuGH 30. Juni 2016, C-634/15, Rn. 32).

Im Hinblick auf den Beschluss des EuGH vom 30. Juni 2016 ist die im bisher geltenden § 10 Abs. 6a vorgenommene Einschränkung dieser Bestimmung auf ländliche und abgelegene Regionen unionsrechtswidrig.

In Umsetzung der EuGH-Entscheidungen wird § 10 Abs. 6a nunmehr dahin geändert, dass es der Behörde ganz generell möglich ist, das in § 10 Abs. 2 Z 3 normierte Mindestversorgungspotential von 5.500 von der bestehenden öffentlichen Apotheke weiterhin zu versorgenden Personen zu unterschreiten, wenn aufgrund besonderer örtlicher Verhältnisse die Neuerrichtung einer öffentlichen Apotheke im Interesse einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung der Bevölkerung geboten ist. Es ist demnach von der Behörde im Einzelfall zu prüfen, ob besondere örtliche Verhältnisse vorliegen, die ein Unterschreiten der Grenze von 5.500 zu versorgenden Personen rechtfertigen.

Im Lichte der zitierten Entscheidungen des EuGH vom 13. Februar 2014 und vom 30. Juni 2016 ist vor allem zu prüfen, ob der Wohnbevölkerung im Versorgungsgebiet der beantragten neuen Apotheke die Dienstleistungen einer Apotheke in einer vernünftigen Erreichbarkeit zur Verfügung stehen und daher ein angemessener Zugang zu Apothekendienstleistungen sichergestellt ist.

Besondere örtliche Verhältnisse können beispielsweise in ländlichen und abgelegenen Regionen außerhalb der Versorgungsgebiete bestehender Apotheken, insbesondere für Menschen mit eingeschränkter Mobilität, vorliegen (EuGH 13. Februar 2014, C-367/12, Rn. 50), wobei der Europäische Gerichtshof diese beiden Fallgruppen ausdrücklich nur exemplarisch anführt (vgl. EuGH 30. Juni 2016, C-634/15, Rn. 32). Bei der Beurteilung des Vorliegens besonderer örtlicher Verhältnisse, die eine Anwendung des § 10 Abs. 6a rechtfertigen, ist neben der Versorgung durch bestehende öffentliche Apotheken auch das Versorgungsangebot durch Filialapotheken und ärztliche Hausapotheken zu berücksichtigen.

Besondere örtliche Verhältnisse können aber beispielsweise auch dann vorliegen, wenn die neu zu errichtende öffentliche Apotheke in einem sich nachhaltig und stetig entwickelnden Siedlungsgebiet liegt, sich im näheren Umkreis größere medizinische Einrichtungen oder ein Krankenhaus mit mehreren Anstaltsambulatorien befinden, oder wenn es um die Versorgung an bedeutenden und stark frequentierten Verkehrsknotenpunkten, wie etwa an Flughäfen oder Hauptbahnhöfen geht.

Indikator für die Notwendigkeit einer verbesserten Arzneimittelversorgung der Bevölkerung ist insbesondere eine sonst nicht ausreichend rasche oder unzumutbare Erreichbarkeit unter Berücksichtigung der konkreten örtlichen Gegebenheiten und Verkehrsverhältnisse, die einer ordnungsgemäßen Arzneimittelversorgung entgegenstehen.

Um der Rechtsprechung des EuGH zu entsprechen, hat die Behörde jedenfalls in jedem einzelnen Fall zu prüfen, ob allenfalls besondere örtliche Verhältnisse im oben genannten Sinn vorliegen und ihre Entscheidung entsprechend zu begründen. Dazu ist festzuhalten, dass die angeführten Beispiele nur als solche zu verstehen sind, und die notwendige Einzelfallprüfung der besonderen örtlichen Verhältnisse auch andere Besonderheiten ergeben kann. Dabei können auch Überlegungen zu einer Abwägung zwischen dem Ausmaß des Vorteils einer neuen Apotheke und den aus der Neuerrichtung resultierenden Nachteilen für die Bevölkerung in den Versorgungsgebieten der bestehenden Apotheken eine Rolle spielen. Im Lichte der Rechtsprechung des EuGH geht es nämlich immer um eine Verbesserung der Arzneimittelversorgung der Bevölkerung, wovon nicht gesprochen werden kann, wenn infolge der Neuerrichtung die von einer bestehenden Apotheke aus zu versorgende Personenzahl so erheblich reduziert wird, dass ein wirtschaftlicher Weiterbestand nicht möglich ist und bisher gut versorgte Personen ihren Zugang zur Arzneimittelversorgung verlieren.“

 

Der Gesundheitsausschuss hat den gegenständlichen Initiativantrag in seiner Sitzung am 19. Oktober 2016 in Verhandlung genommen.

Gemäß § 40 Abs. 1 GOG-NR beschloss der Ausschuss einstimmig, Vertreter des Bundesministeriums für Gesundheit und Frauen als Auskunftspersonen beizuziehen.

An der Debatte beteiligten sich außer der Berichterstatterin Abgeordneten Martina Diesner-Wais die Abgeordnete Dr. Eva Mückstein sowie Sektionschef Hon.-Prof. Dr. Gerhard Aigner und die Ausschussobfrau Abgeordnete Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein.

 

Bei der Abstimmung wurde der Gesetzentwurf einstimmig beschlossen.


Als Ergebnis seiner Beratungen stellt der Gesundheitsausschuss somit den Antrag, der Nationalrat wolle dem angeschlossenen Gesetzentwurf die verfassungsmäßige Zustimmung erteilen.

Wien, 2016 10 19

                           Martina Diesner-Wais                                         Dr. Dagmar Belakowitsch-Jenewein

                                 Berichterstatterin                                                                           Obfrau