Abweichende persönliche Stellungnahme

gemäß § 42 Abs. 5 GOG

der Abgeordneten Georg Willi und Dr. Harald Walser

zum Bericht des Verkehrsausschusses (1420 der Beilagen) über die Regierungsvorlage (1347 der Beilagen): Bundesgesetz, mit dem das Bundesstraßengesetz 1971 geändert wird

Derzeit wird die Wirtschaftlichkeit von Baumaßnahmen bei Bundesstraßen (Autobahnen und Schnellstraßen) im Trassenfestlegungsverfahren privatwirtschaftlich und behördlich geprüft. Im Sinne einer Verfahrensbeschleunigung soll nun die Wirtschaftlichkeitsprüfung im Trassenfestlegungsverfahren entfallen, die betriebswirtschaftliche Prüfung soll die ASFINAG vornehmen, die volkswirtschaftliche Gesamtschau das BMVIT.

Die Novelle bringt auch eine Verordnungsermächtigung für den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie, der Bestimmungen über betriebs- und baubedingte Immissionen von Bundesstraßenbauvorhaben erlassen kann, sowie Neuregelungen zur Umsetzung von Lärmschutzmaßnahmen.

Zudem wird eine Brücke geschlagen, um den geplanten Bau der S 18 Bodensee-Schnellstraße zu erleichtern - eine überholte Trassenverordnung von 1997 für einen ganz anderen, längst gescheiterten Verlauf soll aufrechterhalten werden.

Die Grünen können dieser Novelle in zweierlei Hinsicht keinesfalls zustimmen:

1. Die Vorgangsweise bei der S 18, namentlich Ziffer 8, ist abzulehnen. Es kann nicht sein, dass Trassenverordnungen von seit vielen Jahren überholten Projekten einfach so trotzdem fortgeschrieben werden, um die Durchsetzbarkeit eines neuen Projekts zu erleichtern.

Hier wird so getan, als wäre bei der S 18 alles in der Zielkurve, obwohl unter anderem die geplante bauliche Realisierung durch das Ried auch bautechnisch ungelöst ist, von den verkehrstechnischen und finanziellen Herausforderungen noch ganz zu schweigen. Wenngleich derzeit bei diesem Projekt vor allem die ASFINAG wenig kompetent agiert, ist eine Milliarde für einen Tunnel, der droht schon während des Baus im Sumpf zu versinken, wohl auch für den Verkehrsminister und die Regierungsfraktionen mit Sprengkraft verbunden. Wir appellieren im Sinne der zahlreichen Wortmeldungen des Ministers für Verkehrsverlagerung und ökologische Verkehrspolitik dringend für ein Überdenken des Projekts S 18, namentlich eine seriösere und vollständigere Prüfung von Alternativen, auch jenseits des Straßenbaus.

Wie leider üblich hatte auch das SUP-Verfahren (SP-V/Strategische Prüfung Verkehr), das an dieser Stelle die Notbremse hätte ziehen müssen, Farce-Charakter. Einmal mehr ist von kritischen Stellungnahmen, incl. derjenigen der Grünen, nichts Nennenswertes im Ergebnis.

2. Die zentrale Kritik betrifft aber den Rest der Vorlage:

Das Bundesstraßengesetz strotzt im Bereich Genehmigungsverfahren bereits derzeit vor Schieflagen und Privilegien zugunsten der Bundesstraßenverwaltung.

Beispielsweise: Eigentümer ist zugleich Genehmigungsbehörde, Entlastungsprivileg im UVP-Gesetz, besondere Immissionsschutzvorschrift in Gestalt der Bundesstraßen-Lärmimmissionsschutzverordnung (BStLÄrmIV), eigenes nicht öffentlich frei zugängliches Normensystem (RVS), garantiertes Fortbetriebsrecht auch bei Entscheidungen des Verwaltungsgerichtshofs, …

Nicht wenige dieser Privilegien sind verfassungswidrig bzw verfassungsrechtlich bedenklich.

Statt mit diesen Missständen im Sinne zeitgemäßer, transparenter, grundrechtskonformer Zustände aufzuräumen, will die vorliegende Novelle jedoch diese Privilegien noch weiter auszuweiten und die Schlagseite weiter zugunsten der Asfinag und zum Nachteil der Umwelt und des Schutzgutes Mensch (= Gesundheit der Nachbarn) verschieben.

Es wird insbesondere der schon bei der BStLärmIV verfolgte fragwürdige Ansatz fortgeführt, eine sehr subjektive "Rechtssicherheit" auch entgegen der wiederholten Judikatur der Höchstgerichte schaffen zu wollen. Die Tatsache, dass die BStLärmIV bereits dem Verfassungsgerichtshof zur Aufhebung vorgelegt wurde, wird ignoriert! Stattdessen will man so weiterwursteln bzw. mit der vorliegenden Gesetzesnovelle auch bereits für eine Aufhebung der BStLärmIV vorsorgen. Die eine grob verfassungswidrige Regelung soll also rechtzeitig vor Aufhebung gezielt durch eine neuerliche abgesichert werden bis zur nächsten Aufhebung, das ist indiskutabel und hat mit der regierungsseitig postulierten "Rechtssicherheit" nichts zu tun!

Die neu vorgeschlagenen Regelungen sind wieder teilweise verfassungswidrig und widersprechen dem Sachlichkeits- wie dem Bestimmtheitsgebot.

-       Insbesondere gilt dies für das auch aus Umwelt- und Gesundheitssicht abzulehnende sog. "Zustimmungssurrogat" bei objektseitigen Lärmschutzmaßnahmen (neuer §7a Abs 7), mit dem die Fiktion eines Immissionsschutzes geschaffen werden soll, wo keiner ist. Es ist zudem schlicht unwahr, dass solche Surrogate "in der Praxis gebräuchlich" seien, wie in der Vorlage behauptet. Auch der Verweis auf eine ähnliche Regelung im Luftfahrtgesetz geht ins Leere, denn Straße und Luftfahrt sind hinsichtlich der Optionen für aktiven Lärmschutz nicht vergleichbar, eine gleichartige Regelung ist allein schon deshalb nicht gerechtfertigt, weil unsachlich und daher verfassungswidrig.

-       Eine Anpassung von weiteren als verfassungswidrig einzustufenden Bestimmungen der geltenden Fassung des Bundesstraßengesetzes erfolgt nicht (§ 32b - Ausschluss aufschiebender Wirkung von Bescheidbeschwerden im Widerspruch zum Verwaltungsgerichtsverfahrensgesetz, obwohl dies nur bei bestimmten Voraussetzungen zulässig wäre, die hier nicht erfüllt sind - somit verfassungswidrig).

-       Auch die beabsichtigte Verordnung ist nicht ausreichend bestimmt: Im Gegensatz zum Verweis in der im §7 Abs7 des Entwurfes festgelegten Verordnungsermächtigung werden Methoden und Tiefe der Wirtschaftlichkeitsprüfung (auch) im Verordnungsentwurf nicht normiert.

Die Gelegenheit einer einheitlichen übersichtlichen Regelung wurde in der Vorlage und im zugehörigen Verordnungsentwurf verabsäumt. Es gibt Verweise auf andere Dienstanweisungen sowie die per Dienstanweisung für verbindlich erklärte, öffentlich nicht zugängliche Richtlinie RVS 02.01.22. Neben der nicht gegebenen Nachvollziehbarkeit ist dies verfassungswidrig. Gemäß der Rechtsprechung des VfGH (V312/08) sind Verwaltungsakte normativen Gehalts (per Verordnung) kundzumachen. Und auch der Rechnungshof weist in seiner Stellungnahme zum nicht nur diesbezüglich unverändert gebliebenen Entwurf der ggst. Vorlage auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hin (VfSlg. 18.886/2009), wonach der Verweis einer Norm lediglich auf eine im Erlasswege festgelegte Rechtslage, zu deren Auffinden geradezu "archivarischer Fleiß" notwendig ist, dem Art. 18 B-VG widerspricht.

Zum "Drüberstreuen" fehlt die erforderliche Herstellung der Aarhus-Compliance und damit die seit Jahren fällige Anpassung an die Anforderungen des europäischen und internationalen Rechts (Aarhus-Konvention) in Sachen Beteiligungsrechte der BürgerInnen im Entwurf, obwohl das BStG auch laut ständiger Rechtsprechung des VWGH klar eine Umweltschutzvorschrift ist und diese Anpassung daher unausweichlich ist.

Daneben ist auch der generelle Zugang der Vorlage zum Thema Wirtschaftlichkeit von Straßenprojekten auf Sand gebaut:

Die zur Wirtschaftlichkeitsbewertung herangezogenen Nutzen-Kosten Analysen sind mit grundlegenden methodischen Problemen verbunden - während die Kostenseite eines Vorhabens trotz Unwägbarkeiten eine relativ höhere Bestimmbarkeit aufweist, besteht der dominierende Faktor auf der Nutzenseite aus dem Vorhaben zugerechneten Zeitkostenersparnissen - also aus Verkehrsuntersuchungen ermittelte Zeitersparnisse, die im Anschluss monetär bewertet werden. Die aufgrund mehrfach gegebener Unsicherheiten resultierenden Spielräume aus den Verkehrsmodellen und bei der Bewertung sind ausreichend, um das Nutzen/Kosten-Verhältnis nahezu beliebig hochzurechnen. Diese Zeitersparnisse sind zudem Fiktion, weil es gemäß anerkannter Verkehrssystemtheorie im System keine Zeitersparnisse gibt, sondern die im System verbrachte Zeit konstant ist (wird die Systemgeschwindigkeit erhöht, wird im System über weitere Strecken gefahren).

Vor diesem Hintergrund werden nun dennoch in internen Prozessen, ohne Nachweis der Qualifikation, Berechnungen vorgenommen. Die zugrunde gelegte Methodik ist nicht veröffentlicht. Betriebswirtschaftliche Kalkulationen der ASFINAG sind völlig intransparent und daher nicht nachvollziehbar.

Was als "unverhältnismäßiger wirtschaftlicher Aufwand" betrachtet werden kann, ist weder in der BStLärm IV noch in den ggst. Entwürfen definiert und bleibt somit der Willkür überlassen.

Anstatt nun aber an einer Beseitigung dieser Defizite zu arbeiten, soll die Wirtschaftlichkeitsprüfung aus dem Bereich des §4 Verfahrens - bei allen Schwächen immerhin ein Verwaltungsverfahren - in einen nicht definierten und vor allem für die in ihren Rechten berührten (Immissionsschutz von Nachbarn, Einhaltung von Umweltschutzvorschriften) noch unzugänglicheren Ablauf verschoben werden.

Wie diese Winkelzüge zu einer von den Autoren der Vorlage behaupteten größeren Rechtssicherheit führen könnten, ist nicht nachvollziehbar. Im Gegenteil steht die Vorlage für den hartnäckigen, rechtsstaatlich aber zum Scheitern verurteilten Versuch von BMVIT und ASFINAG, den Bau von Autobahnen und Schnellstraßen durch Fortsetzung und Ausweitung der verfassungsrechtlichen Privilegierung gegenüber BürgerInnen und Gesundheits- wie Umwelterfordernissen noch ein wenig so ähnlich wie in vergangenen Jahrzehnten weiterbetreiben zu können.

Derlei wird nicht nur inhaltlich, sondern auch bezüglich der verfolgten Methode von den Grünen nachdrücklich abgelehnt.