36/J XXV. GP

Eingelangt am 20.11.2013
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

 

der Abgeordneten Angelika Mlinar, Freundinnen und Freunde an den Bundeskanzler betreffend Amtssprachenregelung

 

Die Gemeinde St. Kanzian / Škocjan hat ihren Bürgerinnen und Bürgern die Amtssprache Slowenisch verwehrt. Nunmehr hat der Verwaltungsgerichtshof (VwGH) nach einem über 10 Jahre dauernden Verfahren erkannt (Zl. 2013/16/0161), dass die Gemeinde St. Kanzian / Škocjan das in Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages, BGBl. Nr. 152/1955, gewährleistete subjektive öffentliche Recht (vgl. das Erkenntnis des VfGH vom 28. Juni 1983, B 499/82, VfSlg 9.744) auf die Amtssprache Slowenisch verletzt hat. Im Beschwerdefall, der seinen Anfang im Jahr 2003 nahm, hätte die Gemeinde St. Kanzian / Škocjan nach dem Spruch des VwGH das in Ausführung zu Art. 7 des Staatsvertrages, BGBl. Nr. 152/1955, ergangene Volksgruppengesetz, BGBl. Nr. 396/1976 (VoGrG) und die Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 307/1977, noch in der Fassung vor der mit Ablauf des 26. Juli 2011 in Kraft getretenen Änderung durch das Bundesgesetz BGBl. I Nr. 46/2011, also in der Fassung der Aufhebung durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 2000, V 91/99, VSlg 15.970, anwenden müssen. Der VwGH führt dazu aus:

„Gemäß § 2 Abs. 2 Z 3 der Verordnung der Bundesregierung BGBl. Nr. 307/1977 in der Fassung der Aufhebung durch das Erkenntnis des Verfassungsgerichtshofes vom 4. Oktober 2000, V 91/99, VSlg 15.970, ist die slowenische Sprache zusätzlich zur deutschen Sprache als Amtssprache vor den Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen im politischen Bezirk Völkermarkt zugelassen. Der Verfassungsgerichtshof hat im erwähnten Erkenntnis vom 4. Oktober 2000 ausgesprochen, dass nach der Aufhebung des Wortes "Sittersdorf" in § 2 Abs. 2 Z 3 der Verordnung BGBl. Nr. 307/1977 im Hinblick auf die Formulierung "im politischen Bezirk Völkermarkt" vorgesehen sei, dass in diesem Bezirk vor Gemeindebehörden und Gemeindedienststellen die Zulassung des Slowenischen zusätzlich zum Deutschen als Amtssprache in Betracht komme. Die davon betroffenen Gemeinden seien freilich (wenn man von den in Abs. 1 Genannten absieht) nicht explizit festgelegt. Sie ergäben sich vielmehr - implizit - auf Grund des in diesem Umfang (wieder) unmittelbar anwendbaren Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien.


Damit ist aber im Beschwerdefall auf die Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes hinzuweisen, wonach der Beurteilung, ob ein Verwaltungsbezirk ein solcher mit gemischter Bevölkerung im Sinn des Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien und in Art. 7 Z 3 zweiter Satz des Staatsvertrages ist, ein einheitliches Verständnis zugrunde zu legen ist (vgl. das Erkenntnis vom 12. Dezember 2005, V 64/05, VfSlg. 17.722). Bei der Feststellung, was ein Gebiet mit gemischter Bevölkerung ist, ist auf einschlägige statistische Erhebungen (nämlich betreffend die Zahl österreichischer Staatsbürger mit slowenischer Umgangssprache oder der slowenisch Sprechenden an der Wohnbevölkerung insgesamt) abzustellen, wie sie sich im Rahmen der Volkszählungen ergeben (vgl. die Erkenntnisse des VfGH vom 18. Juni 2008, V 329/08, VfSlg 18.478, und vom 25. Februar 2011, V 124/10 u.a., VSlg Nr. 19.313).

Der Verfassungsgerichtshof hat im erwähnten Erkenntnis vom 25. Februar 2011 klargestellt, dass der Begriff des Verwaltungsbezirkes nach Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien sich an gemeindebezogenen Siedlungsschwerpunkten orientiert, während demgegenüber der Begriff des Verwaltungsbezirkes im Sinn des Art. 7 Z 3 zweiter Satz des Staatsvertrages ein Verständnis beizulegen ist, dass sich an den ortschaftsbezogenen Siedlungsschwerpunkten der betreffenden Volksgruppe orientiert. ….

Die Pflicht der Abgabenbehörde zur Erlassung der in Rede stehenden Abgabenbescheide auch in slowenischer Sprache hängt somit davon ab, ob der Beschwerdeführer in einer Gemeinde iSd Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien wohnhaft war, unabhängig davon in welcher Ortschaft dieser Gemeinde der Wohnsitz lag.

Die vom Verfassungsgerichtshof als maßgeblich angesehene Anteil österreichischer Staatsbürger mit slowenischer Umgangssprache oder des Anteils der slowenisch Sprechenden an der gesamten Wohnbevölkerung in der betreffenden Gemeinde ist ein Sachverhalt, zu dessen Feststellung der Verfassungsgerichtshof auf die Ergebnisse der Volkszählungen abstellt. …

Nach dem in der Rechtsprechung des Verfassungsgerichtshofes (vgl. etwa das erwähnte Erkenntnis vom 4. Oktober 2000, VfSlg 15.970, die Erkenntnisse vom 13. Dezember 2001, G 213/01, VfSlg. 16.404, und vom 26. Juni 2006, V 20/06, VfSlg. 17.895, sowie das erwähnte Erkenntnis vom 25. Februar 2011, VfSlg 19.313) als Kriterium maßgebenden Minderheitenprozentsatz erweist sich die mitbeteiligte Gemeinde im Zeitraum der Erlassung der in Rede stehenden Abgabenbescheide als Gemeinde mit gemischter Bevölkerung iSd Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien. Daraus ergab sich die Pflicht der Abgabenbehörde der mitbeteiligten Gemeinde, § 16 VoGrG anzuwenden.“

Der VfGH hat Art. 7 Abs. 3 des Staatsvertrages von Wien in dem Sinne interpretiert, dass  der 10%-Minderheitenprozentsatz als Kriterium für Amtssprache und zweisprachige Topographie Ziel und Zweck dieser Bestimmung entspreche. Somit hat er diese Bestimmung  in dem Sinne ausgelegt, dass daraus für Österreich eine völkerrechtliche Verpflichtung  folge, das 10%-Kriterium anzuwenden. Ein innerstaatliches Gesetz - einfaches Gesetz oder Verfassungsgesetz - kann aber die völkerrechtliche Verpflichtung nicht ändern, weil diese Angelegenheit der einseitigen Verfügungsgewalt entzogen ist.


Abgesehen von den anderen problematischen – weil im Widerspruch zur ständigen Rechtsprechung des VfGH stehenden – Ansätzen der VoGrG-Novelle 2011, BGBl. I Nr. 46/2011, ist nunmehr durch den VwGH Zl. 2013/16/0161 festgehalten, dass

·        nach der Rechtsprechung des VfGH der Begriff des Amtssprachen-Verwaltungsbezirkes nach Art. 7 Z 3 erster Satz des Staatsvertrages von Wien an gemeindebezogenen Siedlungsschwerpunkten festzumachen ist;

·        die VoGrG-Novelle 2011, BGBl. I Nr. 46/2011, im Widerspruch zu dieser Rechtsprechung die Amtssprachen-Verwaltungsbezirke für zwei Gemeinden (St. Kanzian / Škocjan und Eberndorf / Dobrla vas) mit Verfassungsbestimmung auf ortschaftsbezogene Siedlungsschwerpunkte einengt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten stellen daher an den Bundeskanzler folgende

 

ANFRAGE

 

1.      Warum hat die Regierungsvorlage 1220 d. B. XIV. GP zur Änderung des Volksgruppengesetzes die Amtssprache Slowenisch für die beiden Gemeinden St. Kanzian / Škocjan und Eberndorf / Dobrla vas entgegen der oben zitierten Rechtsprechung des VfGH auf ortschaftsbezogene Siedlungsschwerpunkte eingeengt?

 

2.      Sehen Sie im Erkenntnis des VwGH Zl. 2013/16/0161 einen Anlass für die Bundesregierung, eine Reparatur der Amtssprachenregelung im Volksgruppengesetzes im Sinne einer im Lichte der höchstgerichtlichen Rechtsprechung völkerrechtskonformen innerstaatlichen Durchführung des Art. 7 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl. Nr. 152/1955, vorzubereiten?

 

3.      Wenn nein, wie rechtfertigen Sie die für die Gemeinden St. Kanzian / Škocjan und Eberndorf / Dobrla vas mit Verfassungsbestimmung getroffene diskriminierende Amtssprachenregelung?

 

4.      Wie erklären Sie den Gegensatz, dass der auf Art. 7 Abs. 2 des Staatsvertrages betreffend die Wiederherstellung eines unabhängigen und demokratischen Österreich, BGBl. Nr. 152/1955, basierende zweisprachige Unterricht im gesamten Siedlungsgebiet der slowenischen Volksgruppe in Kärnten vom für Unterricht zuständigen Ministerium und den Schulbehörden forciert wird, andererseits die Amtssprache Slowenisch mit Verfassungsbestimmung auf 16 Gemeinden eingeschränkt wird?


5.      Sieht die Bundesregierung angesichts des fortschreitenden Assimilationsprozesses eine Notwendigkeit / ein Bedürfnis für eine Verbesserung des Minderheitenschutzes und will sie den im Österreich-Konvent unterbreiteten Vorschlägen nähertreten?