230/J XXV. GP

Eingelangt am 11.12.2013
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Anfrage

der Abgeordneten Peter Pilz, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Inneres

betreffend Lockspitzel bei der Polizei

BEGRÜNDUNG

 

Am 16. Oktober 2013 berichtete die Wochenzeitung Falter über einen Fall, in dem eine V-Person der Polizei versuchte, einen jungen Mann zur Beschaffung einer großen Menge Kokain anzustiften. Nachdem kein Kokain aufgetrieben werden konnte, versuchte der Mann der V-Person einen verpackten Ziegelstein als Kokain zu verkaufen, wofür er letztlich wegen Betrugs verurteilt wurde.

Dieser Fall wirft Fragen nach der üblichen Vorgehensweise von Polizei und Justiz im Zusammenhang mit Lockspitzeln auf.

Grundsätzlich besteht in der Strafprozessordnung, welche auch für die Kriminalpolizei gilt, ein Verbot Personen zur Begehung von Straftaten zu verleiten. § 5 Abs 3 StPO lautet:

Beschuldigte oder andere Personen zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer Straftat zu verleiten oder durch heimlich bestellte Personen zu einem Geständnis zu verlocken, ist unzulässig.

Vor dieser Fassung, welche seit 1.1.2008 in Geltung steht, regelte § 25 StPO die Problematik und lautete:

Es ist den Sicherheitsorganen sowie allen öffentlichen Beamten und Vertragsbediensteten bei strengster Ahndung untersagt, auf die Gewinnung von Verdachtsgründen oder auf die Überführung eines Verdächtigen dadurch hinzuwirken, daß er zur Unternehmung, Fortsetzung oder Vollendung einer strafbaren Handlung verleitet oder durch insgeheim bestellte Personen zu Geständnissen verlockt wird, die dem Gerichte hinterbracht werden sollen.


Während sich die alte Fassung sprachlich eindeutig an die Sicherheitsorgane und öffentlichen Beamten richtete und diesen „strengste Ahndung“ androhte, spricht § 5 Abs 3 StPO nF nur noch von einer allgemeinen „Unzulässigkeit“, ohne jedoch klare Sanktionen oder Rechtsfolgen daran zu knüpfen.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat wiederholt ausgesprochen, dass durch die Ausübung von Einfluss und die Anstiftung zu einer Straftat, die sonst nicht begangen worden wäre, das Menschenrecht auf ein faires Verfahren verletzt wird. So sprach er etwa in der Beschwerdesache Ramanauskas gegen Litauen, Urteil vom 5.2.2008, Bsw. 74420/01, aus:

Das öffentliche Interesse kann allerdings die Verwendung von Beweismitteln nicht rechtfertigen, die als Ergebnis polizeilicher Anstiftung erlangt wurden. Eine polizeiliche Anstiftung liegt dann vor, wenn die beteiligten Polizisten – seien es Mitglieder der Sicherheitsbehörden oder Personen, die aufgrund von deren Anweisungen handeln – sich nicht darauf beschränken, strafbare Aktivitäten auf rein passive Weise zu ermitteln, sondern Einfluss ausüben und dadurch zur Begehung einer Straftat anstiften, die ansonsten nicht begangen worden wäre, um Beweise zu erlangen und eine Strafverfolgung einzuleiten.

Die österreichische Rechtspraxis dagegen nimmt im Fall einer Anstiftung durch Lockspitzel in der Regel nicht eine Unzulässigkeit der erlangten Beweismittel oder einen Strafausschließungsgrund an, sondern wertet dies lediglich als Milderungsgrund.

Umso wichtiger wäre es, dass das Verbot des § 5 StPO lückenlos befolgt und Zuwiderhandlungen durch angemessene Konsequenzen seitens der Dienstbehörde geahndet werden.

Tatsächlich besteht jedoch offenbar eine gängige Praxis, vor allem im Suchtmittelbereich, durch vorgetäuschtes Kaufinteresse zur Begehung von Straftaten zu verleiten. Eine mögliche Grundlage findet sich dafür in § 132 StPO, der in bestimmten Fällen ein sonst strafbares Scheingeschäft (etwa Ankauf von Drogen) auf Anordnung des Staatsanwalts zulässt, dies freilich nur, soweit damit ein bereits begangenes Verbrechen aufgeklärt oder daraus herrührende Gegenstände sichergestellt werden sollen. Für den hiesigen Fall erscheinen diese Voraussetzungen nicht gegeben, da von einem vorherigen Verbrechen, das aufgeklärt hätte werden müssen, nichts bekannt ist.

Wenn auch in der Literatur eine verbotene Tatprovokation nach § 5 StPO nicht angenommen wird, wenn „eine zur Tat geneigte Person“ angesprochen oder die „offen erkennbare Bereitschaft zur Begehung von Straftaten“ ausgenützt wird, so stellt sich schon die Frage, wie in der Praxis diese Neigung zur Tat ex ante festgestellt werden soll. Gerade im hier vorliegenden Fall, wo der Beschuldigte ja gar keinen Zugang zu Kokain in großer Menge hatte, weshalb er behelfsweise den Betrug mit einem Ziegelstein anstrebte, zeigen sich starke Zweifel an der vorhandenen „Tatneigung“.


Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

 

 

ANFRAGE

 

1)    In wie vielen Ermittlungsverfahren der Sicherheitsbehörden wurden in den Jahren 2010, 2011 und 2012 jeweils Lockspitzel eingesetzt?

2)    In wie vielen dieser Fälle handelte es sich dabei jeweils um V-Personen, also Informanten, die nicht Angehörige der Polizei oder der Justiz sind? 

3)    In wie vielen dieser Fälle handelte es sich dabei jeweils um verdeckte Ermittler, also verdeckt agierende PolizeibeamtInnen? 

4)    In wie vielen Fällen wurden in den Jahren 2010, 2011 und 2012 jeweils Scheingeschäfte gem. § 132 StPO von den Staatsanwaltschaften nach § 133 StPO angeordnet?

5)    Durch welche Maßnahmen wird seitens der Sicherheitsbehörden sichergestellt, dass es zu keinen verbotenen Tatprovokationen nach § 5 StPO durch Organe der Kriminalpolizei kommt?

6)    Bestehen für diesen Themenbereich Erlässe, Dienstanweisungen oder dergleichen und wie lauten diese?

7)    Wie erfolgt in der Praxis die Grenzziehung zwischen einer verbotenen Tatprovokation nach § 5 StPO und noch zulässigen Handlungsweisen der Ermittlungsbehörden?

8)    Wurde im gegenständlichen Fall ein Scheingeschäft gem. § 132 iVm § 133 Abs 1 StPO von der Staatsanwaltschaft angeordnet?

9)    Falls nein: auf welcher Rechtsgrundlage erfolgte dann die Anstiftung zum Ankauf von Kokain, die letztlich in einen versuchten Betrug mündete?

10)  Welche Konsequenzen sind für Verstöße gegen § 5 StPO vorgesehen, etwa strafrechtlicher oder disziplinarrechtlicher Natur?

11) Wurde im gegenständlichen Fall ein Straf- und / oder Disziplinarverfahren gegen die Exekutivbeamtin als Führerin der unmittelbar agierenden V-Person eingeleitet?

12) Falls ja: wie ist der Stand des Verfahrens?

13) Falls nein: wieso nicht?