737/J XXV. GP

Eingelangt am 24.02.2014
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Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend Suizid eines Häftlings

BEGRÜNDUNG

 

In der Wochenzeitung Falter "Falter" Nr. 08/2014 vom 19.02.2014 wurde folgender Bericht veröffentlicht:

 

„Die Leiche im Keller“

Im Grazer Gefängnis Karlau gilt ein Häftling als selbstmordgefährdet. Die Beamten stecken ihn dennoch in eine Isolationszelle. Dort erhängt er sich

Am siebten November des vergangenen Jahres stiegen zwei Justizwachebeamte in den Keller der Justizanstalt Karlau. In der dort befindlichen "Absonderungszelle B 006", einem archaisch anmutenden Raum aus der Kaiserzeit, lag der 40-jährige Insasse Ronald D. am Boden.

Die Beamten sahen durch das Guckloch. Sie wussten noch nicht, warum der Mann regungslos dalag. Sie wussten nur, dass er die Tage zuvor schwere psychische Probleme hatte.

Als die Beamten den Raum betraten, erkannten sie, dass sich Ronald D. am Heizkörper mit einem Gürtel erhängt hatte: Sie schrien ihn an. Sie schütteten ihm Wasser ins Gesicht. Der Notarzt stellte den Tod fest, ein Beamter fotografierte den Leichnam mit seinem Handy.

Als der Falter im Dezember über den Selbstmord des Insassen berichtete -er saß wegen schweren Raubes -, stellte die Justizverwaltung dessen Freitod als tragisches und unvorhersehbares Unglück dar. Auch der Anstaltsseelsorger und ein Psychologe beteuerten, alles getan zu haben.

Ronald D. war kein einfacher Insasse. Er saß wegen Raubes, und zwei Tage vor seinem Tod hatte er sich so stark betrunken, dass er in eine Krankenzelle gesperrt werden musste. Die Beamten in der Karlau handelten zunächst hochprofessionell und umsichtig. Sie verlegten Ronald D. in einen videoüberwachten Haftraum, beobachteten ihn per Videokamera. Als er im Rausch gegen die Wand donnerte und sich blutig schlug, verlegten sie ihn in einen weiteren videoüberwachten Spitalsraum. Medizinische Umsicht statt Repression lautete die Devise.

Dann aber dürften die reaktionären Kräfte der Anstalt die Oberhand bekommen haben: Obwohl sich Ronald D. bereits beruhigt und bei den Beamten entschuldigt hatte, sperrte ihn die Justizwache in den Keller zur "Absonderung".

Es sollte keine Strafe sein, wurde später beteuert, sondern eine Sicherheitsmaßnahme. Und nein, es gab keine Hinweise, dass Ronald D. suizidgefährdet gewesen sei. Das hätten auch die kriminalpolizeilichen Ermittlungen nach dem Tod "zweifelsfrei" erwiesen. Die Akten wurden damals nicht veröffentlicht.

Der Falter hat eine Verwandte des Insassen ausfindig gemacht, die den Fall näher untersucht wissen will. Mithilfe ihrer Rechtsanwältin Alexia Stuefer, die die Herausgabe wichtiger Dokumente des Falles im Namen der Familie beantragen konnte, drängt die Hinterbliebene nun auf eine ordentliche Untersuchung.

Die Akten zeichnen ein anderes Bild des Falles und der darauffolgenden Ermittlungen. Es scheint, dass die Beamten der Justizanstalt und des Justizministeriums der Öffentlichkeit im Dezember nicht die ganze Wahrheit erzählt haben. Die Hinterbliebenen des Toten sind nach Lektüre der Akten zutiefst erschüttert und erwarten von der Justiz die umgehende Aufklärung der Umstände, die zum Tode geführt haben. Der Verdacht der fahrlässigen Tötung dränge sich förmlich auf, so deren Anwältin.

Da ist zunächst einmal dieser strenge Geruch nach Kameraderie. Die Untersuchung wurde von einem Chefinspektor des Landeskriminalamts, Anton K., vorgenommen, der den Fall in nicht einmal 24 Stunden bereits gelöst haben will. So schrieb er an die Staatsanwaltschaft, dass "nach dem durchgeführten Erhebungsergebnis ein Verschulden seitens der Justiz ausgeschlossen werden" könne.

Rechtsanwältin Stuefer rügt in ihrem Schriftsatz, der Beamte habe "keinen einzigen der beteiligten Beamten zur Sache vernommen, obwohl dies zur Klärung des Sachverhaltes dringend angezeigt" gewesen wäre.

Weiters gibt es den Verdacht, dass ein privates Naheverhältnis zwischen dem verantwortlichen Leiter des Rechtsbüros der Justizanstalt und dem erwähnten Chefinspektor besteht.

In E-Mails, die dem Falter vorliegen, spricht der verantwortliche Leiter des Rechtsbüros den ermittelnden Chefinspektor freundschaftlich mit "Lieber Toni" an. Um auch nur den äußeren Anschein seiner Befangenheit zu vermeiden, hätte Chefinspektor K. in der Causa daher nicht ermitteln dürfen.

Es spricht vieles dafür, dass ein kritischer Blick notwendig gewesen wäre. Denn, so Stuefer, "es ist aktenkundig, dass der Insasse Selbstmordabsichten geäußert hat", ehe er sich "in völliger Isolation selbst getötet hat". Es sei daher "nicht nachvollziehbar, dass sowohl der psychologische als auch der psychiatrische Dienst sowie die Seelsorge geradezu betonen, dass keine akute Suizidgefahr bestanden" habe.

Dem Falter liegt etwa eine Meldung eines Revierinspektors vom 6. November an die für Haftanstalten zuständige Justizvollzugsdirektion vor. Darin heißt es ausdrücklich, dass der Häftling aufgrund von "Selbstmordandrohungen, Androhungen von Gewalttätigkeiten gegen Beamte infolge Alkohols und Medikamentenmissbrauchs" abgesondert worden war.

Weiters ist aus den Personalakten des Insassen ersichtlich, dass der Beamte auch in einem eigenen Suizidpräventionsprogramm als "gelb" gekennzeichnet war. Das einer Ampel nachempfundene Programm dient der vereinfachten Früherkennung suizidgefährdeter Personen und wurde vom renommierten Gerichtspsychiater Patrick Frottier eingeführt, nachdem der Falter über eine Serie von Selbstmorden in der Justizanstalt Stein berichtet hatte. "Gelb" bedeutet, dass ein Gefangener nicht in einer Einzelzelle angehalten werden darf und tagsüber beschäftigt werden soll.

Für Stuefer legen die Umstände des Falles nahe, dass der -aktenkundig -psychisch labile Häftling "sich selbst überlassen" wurde und sich genau jene Gefahr verwirklicht hat, die durch das Suizidpräventionsprogramm verhindert werden sollte.

Der Sprecher der Vollzugsdirektion, Christian Timm, weist die Vorwürfe zurück. Die Justiz habe in diesem Fall "vorbildlich gehandelt" und alles aufgeklärt. Nach dem Todesfall sei zudem verfügt worden, dass Insassen nicht mehr in Kellerzellen untergebracht werden dürfen. Offenbar hat man also auch im BMJ erkannt, dass die Anhaltung in Kellerisolationszellen menschenunwürdig ist.

Am Wort sind nun die Staatsanwaltschaft und Justizminister Wolfgang Brandstetter. Die Anklagebehörde muss jene Beamten ausforschen, die einen Häftling, der als selbstmordgefährdet galt, in die Kellerisolationszelle steckten -und zwar mit seinem Gürtel. Sie müssen nun erklären, wieso diese Maßnahme medizinisch und rechtlich geboten war.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Seit wann waren die Suizidabsichten des Häftlings aktenkundig?

2)    Wie hat man auf die geäußerten Suizidabsichten reagiert?

3)    Wie ist die generelle Vorgehensweise bei Suizidgefährdung bei Häftlingen?

4)    Wann wurde der Häftling in die Absonderungszelle verbracht?

5)    Aus welchen Gründen und auf welcher Grundlage erfolgte die Absonderung im Anlassfall?

6)    Schließt eine Selbstmordgefährdung eine Absonderung im Regelfall aus?

7)    Wenn nein, warum nicht?

8)    Wenn ja, warum erfolgte im betreffenden Fall, trotz der laut Bericht dokumentierten Suizidgefährdung, eine Absonderung?

9)    Warum wurde dem Häftling nicht der Gürtel abgenommen?

10) Wie viele solcher Absonderungszellen gibt es in österreichischen Justizanstalten?

11) Wie unterscheiden sich Absonderungzellen von Einzelhafträumen?

12) Wie unterscheidet sich die betreffende Absonderungszelle von anderen Einzelhafträumen in der Justizanstalt Graz-Karlau?

13) Aus welchen Gründen (Ordnungswidrigkeit, Krankheit, etc…) werden Häftlinge in Absonderungszellen verbracht?

14) Wie lange dürften Häftlinge maximal in Absonderungszellen verbracht werden?

15) Wie erfolgt die Dokumentation über die Verbringung von Häftlingen in Absonderungszellen?

16) Wie viele Insassen befanden sich 2013 wie lange und aus welchem Grund in Absonderung?

17) Welche Schritte wurden konkret gesetzt, um den in der Begründung geschilderten Sachverhalt aufzuklären?

18) Gab es insbesondere dienst- und/oder disziplinarrechtliche Erhebungen?

19) Wenn nein, warum nicht?

20) Wenn ja, gab es dienst- und/oder disziplinarrechtliche Konsequenzen?

21) Wann wurden die strafbehördlichen Ermittlungen im Anlassfall aufgenommen?

22) Wegen des Verdachts der Begehung welcher strafbaren Handlungen wurden die Ermittlungen aufgenommen?

23) Welche Ermittlungsmaßnahmen wurden bisher durchgeführt?

24) Wie viele Beschuldigte gibt es in der Angelegenheit?

25) Wie viele Beschuldigte wurden in der Sache bisher einvernommen?

26) Wie viele Zeugen wurden in der Sache bisher einvernommen?

27) In welchem Stadium befinden sich die Ermittlungen aktuell?

28) Sehen Sie im Naheverhältnis zwischen dem ermittelnden Chefinspektor und dem verantwortlichen Leiter des Rechtsbüros der Justizanstalt Graz-Karlau Gründe, die geeignet sind, die Unvoreingenommenheit und Unparteilichkeit bei den Ermittlungen in Zweifel zu ziehen?

29) Wenn nein, warum nicht?