1273/J XXV. GP

Eingelangt am 08.04.2014
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt

BEGRÜNDUNG

 

Die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt kommt nicht aus den negativen Schlagzeilen. Die Verfahren gegen TierschützerInnen, gegen Ed Moschitz vom ORF-Report oder zuletzt gegen die Votivkirchenflüchtlinge wegen des Verdachts der Schlepperei sorgten für öffentliches Aufsehen und massiver Kritik an der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Tatsächlich ist die Häufung an Vorfällen in sensiblen Verfahren auffällig.

 

TierschützerInnen

Bei den Verfahren gegen TierschützerInnen nach § 278a StGB hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt das Verfahren an sich gezogen, obwohl die meisten angeblich begangenen Taten im Zuständigkeitsbereich des Landesgerichtssprengels Wien passiert sein sollen. Im Ermittlungsverfahren kam es dann zum Einsatz massivster Überwachungsmethoden. Außerdem wurde eine verdeckte Ermittlerin bei den TierschützerInnen eingeschleust, wobei die Zulässigkeit dieses Einsatzes vom Sicherheitspolizeigesetzt abgleitet wurde, obwohl die Verbrechensaufklärung ausschließlich nach den Bestimmungen der Strafprozessordnung zu führen ist. Das hat dazu geführt, dass die entlastenden Ergebnisse der verdeckten Ermittlung nicht entsprechend in das Verfahren eingeflossen sind und die Anklage gegen die TierschützerInnen wegen des Verbrechens der kriminellen Organisation bis zuletzt aufrecht erhalten wurde. Der an sich zur Objektivität verpflichteten Staatsanwaltschaft wurde daher vorgeworfen, entlastende Beweisergebnisse nicht einbezogen zu haben. Im Gegenteil habe sie mit allen Mitteln versucht, aus dem sonst recht dürftigen Tatsachensubstrat eine höchst umstrittene Anklage wegen Bildung einer kriminellen Organisation zu zimmern, um an der Tierrechtsbewegung ein Exempel zu statuieren.

Nachdem die TierschützerInnen vom Gericht schlussendlich allesamt freigesprochen wurden, machte ein Wiener Neustädter Staatsanwalt negativ auf sich aufmerksam, indem er in Richtung der feiernden TierrechtsaktivistInnen eine Schießgeste nachstellte. Der betroffene Staatsanwalt wurde deshalb in weiterer Folge disziplinarrechtlich verurteilt.

 

Ed Moschitz

Im Verfahren nach dem Verbotsgesetz betreffend einer FPÖ-Wahlkampfveranstaltung ermittelte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt unter anderem gegen den ORF-Redakteur Ed Moschitz wegen der Anstiftung zur Widerbetätigung und Beweismittelfälschung. Dabei beschlagnahmte die Staatsanwaltschaft in aufsehend erregend schneller Weise vom ORF die betreffenden Ton- und Bildaufzeichnungen, ohne auf das Redaktionsgeheimnis Rücksicht zu nehmen. Erst mit Hilfe einer Nichtigkeitsbeschwerde zur Wahrung des Gesetzes und einer richtungsweisenden Entscheidung des OGH konnte der Schutz des Redaktionsgeheimnisses sichergestellt werden.

 

Schlepperprozess „Votivkirchenflüchtlinge“

In der Hauptverhandlung betreffend den Vorwurf der Schlepperei gegenüber acht Votivkirchenflüchtlingen vor dem Landesgericht Wiener Neustadt kritisierte die Richterin die Anklage der Staatsanwaltschaft und die von den Strafverfolgungsbehörden zusammengetragenen aktenkundigen Beweise. Der Akt gehöre überarbeiten. Den VerteidigerInnen empfahl sie, Enthaftungsanträge für die Flüchtlinge zu stellen. Die verantwortliche Wiener Neustädter Staatsanwaltschaft kam dem zuvor, indem sie selbst die Enthaftung von sechs Angeklagten, die seit acht Monaten in U-Haft saßen, beantragte. Weiters wurden vorgeworfen, dass es massive Mängel an den Übersetzungen der Einvernahmen der Beschuldigten geben würde. Dazu kommt, dass auch in diesem Verfahren die örtliche Zuständigkeit an einem seidenen Faden hängen dürfte, da auch hier die meisten vorgeworfenen Tathandlungen im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wien passiert sein sollen. Die Verhandlung wurde für die Enthaftung unterbrochen - und dann auf den 6. Mai vertagt.

Trotz des Umstands, dass der Prozess seit Wochen im Zentrum der justizpolitischen Berichterstattung stand und insofern aufgrund des besonderen öffentlichen Interesses von einer Berichtspflicht der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt an die Oberbehörde auszugehen war, gibt das Bundesministerium für Justiz an, bis dato keinen entsprechenden Bericht erhalten zu haben. Das ist ungewöhnlich und ein klares Versäumnis der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Am Umstand des öffentlichen Interesses am Verfahren kann es keine Zweifel geben, zumal sich selbst die Innenministerin dazu geäußert hat und Flüchtlinge, die an der aufsehenerregenden Votivkirchenbesetzung beteiligt waren, beschuldigt sind. Nicht auszuschließen ist, dass es in diesem politisch brisanten Verfahren daher tatsächlich zu informellen Kontakten zwischen der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt und dem Justizministerium gekommen ist, was mit großem Misstrauen zu bewerten wäre.

 

Personalprobleme

Zusätzlich dürfte die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt von Personalproblemen geplagt sein. 154 Prozent arbeite man in der Wiener Neustädter Anklagebehörde im Schnitt. Dabei geht man bei 100 Prozent Auslastung von einer 40-Stunden-Woche aus. 3.411 Verfahren fielen 2013 in den Verantwortungsbereich der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt. Gemessen an der Anzahl der StaatsanwältInnen, hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt somit pro Kopf die meisten Fälle aller österreichischen Staatsanwaltschaften zu bewältigen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Wer waren die jeweiligen SachbearbeiterInnen bei der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in den Verfahren betreffend TierschützerInnen, Ed Moschitz und „Votivkirchen-Schlepper“?

2.    Welche Kontakte zwischen BMI und BMJ gab es in Zusammenhang mit dem Verfahren gegen die „Votivkirche-Schleppereiangeklagten“?

3.    Wann und zu welchem Zweck fanden diese Kontakte jeweils statt?

4.    Gab es insbesondere unmittelbar vor oder nach der Festnahme Kontakte zwischen Beamten des BMI und BMJ beziehungsweise zwischen den jeweiligen Ministerbüros?

5.    Wurde der Akt „Votivkirchen-Schlepperei“ von der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt berichtet?

6.    Falls ja, wann und wie oft?

7.    Wer waren die Sachbearbeiter bei der OStA-Wien und im BMJ? Wann und wie oft war das Büro des Justizministers in der Sache befasst?

8.    Falls der Akt nicht berichtet wurde, wie ist dieser Umstand mit § 8 StAG vereinbar, zumal der Fall seit Monaten in den Medien war, politisch brisant ist und ihn die Innenministerin mehrfach kommentiert hatte.

9.    Hat die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt stattdessen in nicht schriftlicher Form an die OStA Wien und/oder das BMJ berichterstattet, um die Oberbehörden über den Verfahrenstand im „Votivkirchen-Schlepperei-Verfahren“ am Laufenden zu halten?

10. Wenn ja, wieso erfolgte keine schriftliche Berichterstattung?

11. Wenn nein, warum haben die OStA-Wien und das BMJ als Weisungsgeber nicht auf Grund der Medienberichte den Akt der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt früher eingesehen bzw Berichte abverlangt? Das Verfahren war medial von Beginn weg (Sommer 2013) kritisiert worden, sodass spätestens auf Grund dieser Berichte die übergeordneten Behörden hätten tätig werden müssen. Warum wurde das Fehlen des Haftgrunds von der Staatsanwaltschaft nicht früher erkannt?

12. Welche Ergebnisse der Hauptverhandlung im „Votivkirche-Schlepperei-Verfahren“ haben die Haltungsänderung der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt bewirkt?

13. Gab es vor der Rückziehung des Haftantrages durch die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Kontakte zu OStA oder BMJ?

14. Wenn ja, zwischen welchen Personen?

15. Sind diese Kontakte aktenmäßig dokumentiert?

16. Wenn ja, in welcher Weise?

17. Wie erklären Sie sich, dass die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt nach dem TierschützerInnenverfahren mit dem „Votivkirchen-Schlepperei-Verfahren“ wiederum ein Verfahren an sich gezogen hat, das doch offensichtlich seinen Schwerpunkt in Wien hatte?

18. Welche Maßnahmen plant das BMJ um künftig zu verhindern, dass die Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt Verfahren an sich zieht, in denen die eigentlich hauptzuständigen örtlichen Staatsanwaltschaften offenbar keinen Handlungsbedarf sehen?

19. Welche Fehleranalysen wurden innerhalb der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt nach den Verfahren betreffend Tierschützer und Ed Moschitz angestellt?

20. Inwieweit sind die OStA-Wien und das BMJ diesbezüglich tätig geworden?

21. Wie erklären Sie sich die hohe Arbeitsbelastung an der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt?

22. Entspricht die Belastung einer überdurchschnittlich hohen Kriminalitätsrate im Sprengel der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt?

23. Falls nein, wurden vom BMJ als Weisungsspitze Maßnahmen angeregt, die Verfolgungsintensität der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt an die Maßstäbe anderer Staatsanwaltschaften anzupassen?

24. Welche Fortbildungsveranstaltungen haben die einzelnen StaatsanwältInnen der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in den letzten zehn Jahren besucht (Aufstellung nach Namen der StaatsanwältInnen)?

25. Wie viele Fortbildungstage ergeben sich pro Kopf im Jahr?

26. Welche Fortbildungsveranstaltungen haben die SachbearbeiterInnen der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in den Verfahren Tierschützer, Ed Moschitz und „Votivkirchen-Schlepperei“ in den letzten zehn Jahren besucht?

27. Welche Reaktion plant das BMJ in Hinblick auf die mehrfach kritisierte Handlungsweise der Staatsanwaltschaft Wiener Neustadt in den letzten Jahren?

28. Gibt es diesbezüglich Besprechungen, runde Tische, Analysen, Schulungen oder Veränderungen in der Behördenorganisation?

29. Wenn ja, wann und mit welchen Beteiligten?

30. Welche Aus- und Fortbildungsveranstaltungen wurden seitens der OStA Wien in den letzten 5 Jahren organisiert?