1666/J XXV. GP

Eingelangt am 04.06.2014
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Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend strafrechtlicher Milde gegen einbrechenden Justizwachebeamten

BEGRÜNDUNG

 

Die Wochenzeitung der "Falter" erschien am 04.06.2014 in der Nr. 23/2014 folgender Artikel:

 

„Ein Gefängnisinspektor bricht ein und geht heim

Ein ranghoher Justizwachebeamter wird auf frischer Tat ertappt. Die Staatsanwaltschaft klagt ihn nicht an. Der Beamte wusste nämlich zum Tatzeitpunkt nicht, dass Einbruch verboten ist

Thusnelda G. schaut aus ihrem Fenster und sieht einen Mann mit schwarzer Mütze. Er kniet vor der Hintertüre der Krumpendorfer Diskothek Tenne und versucht, sie aufzubrechen. Die Zeugin greift zum Hörer und wählt den Polizeinotruf. Es ist der 14. Jänner dieses Jahres, 0.41 Uhr.

Zwei Beamte der Streife "Krumpendorf Sektor" rücken aus. Sie erwischen die maskierte Gestalt auf frischer Tat, der Mann hält einen Geißfuß, eine Art Brecheisen, in der einen Hand, in der anderen einen Meißel. Neben dem Einbrecher liegen eine Rohrzange und eine Taschenlampe, in einem schwarzen Müllsack finden die Beamten einen schweren Hammer. Der Mann hat sich offenbar gut vorbereitet.

Die Polizisten fesseln den Verdächtigen und nehmen ihn mit aufs Kommissariat. Die Beamten staunen nicht schlecht, als der Gefangene seinen Dienstausweis vorlegt. Am Ende dieser Geschichte werden sie sich noch mehr wundern.

Der mutmaßliche Täter ist nämlich ein hoher Justizwachebeamter. Chefinspektor Gerhard P., 51 Jahre alt, unbescholten, bis vor kurzem stellvertretender Chef der roten Justizwachegewerkschaft FSG, Träger des vom Justizministeriums verliehenen Verdienstzeichens für 30-jährige Treue.


P., das macht die Sache noch ungewöhnlicher, war an jenem Abend im "Inspektionsdienst". Er sollte seine Kollegen im Gefängnis kontrollieren. Stattdessen sitzt er am Wachzimmer. Mit 0,5 Promille Alkohol im Blut.

Alles nimmt zunächst seinen gewöhnlichen Verlauf. Um halb zwei Uhr nachts beginnt das Verhör. "Wie kamen Sie auf die Idee, einen Einbruch zu begehen?", fragt der Kriminalbeamte den Gefängniskommandanten. Der gesteht. Er habe Schulden und familiäre Probleme, er kenne die Tenne und den darin befindlichen 800-Kilo-Tresor schon "seit längerer Zeit". Er sei oft Gast, seine Freundin arbeite dort. "Da meine finanzielle Lage sehr trist ist, dachte ich mir, dass dort sicher auch Geld vorhanden ist. (...)"

Er habe die Tat geplant: "Ich nahm aus der Garage den Geißfuß, die Rohrzange, den Schlägel, den Meißel und die Taschenlampe, legte diese Werkzeuge in einen Müllsack und danach in den Kofferraum meines Mercedes. (...). Ich stellte meinen Pkw ab, nahm den Sack mit den Werkzeugen heraus, zog meine Arbeitshandschuhe an, setzte meine Kappe auf und ging zur Tenne (...) Es war dies meine erste Straftat".

So steht es im Polizeiprotokoll, unterzeichnet von Gerhard P. um 3.10 Uhr. Als er sein Geständnis unterzeichnet, fügt er noch an: "Es tut mir alles unsagbar leid. Ich bin über mein Verhalten sehr deprimiert und möchte freiwillig in die psychiatrische Abteilung des Klinikums Klagenfurt."

Der Chefinspektor wird um 5.15 Uhr enthaftet und wunschgemäß ins Krankenhaus eskortiert. Gerhard P., so vermerkt dort ein Arztprotokoll, sei "weinerlich" und "depressiv". Er könne keine Erklärung für sein Verhalten finden.

Vielleicht muss man an dieser Stelle kurz innehalten. Einbrecher sollten hart bestraft werden, forderten kürzlich Innen-und Justizminister. Einbrecher wie Gerhard P. bekommen vor Gericht wenig Gnade, selbst wenn sie, so wie er, von tragischen Lebensumständen zur Tat getrieben werden.

Vielleicht sollte man in diesem Zusammenhang auch noch einmal an die Praxis der Gerichte erinnern. Ein vorbestrafter 16-jähriger Jugendlicher brach mit seinem 14-jährigen Freund vor ein paar Jahren in einen Merkur ein. Der 14-jährige wurde dabei von einem Polizisten von hinten erschossen. Der 16-jährige fasste wegen dieses und ein paar kleinerer Diebstähle 38 Monate unbedingte Haft aus.

Bei Einbruch ist die Justiz also gnadenlos. Der Wiener Strafrichter Oliver Scheiber berichtete vergangene Woche von einem drogensüchtigen Mann, der ein Jahr ins Gefängnis sollte, weil er ein paar Mal leere Flaschen im Supermarkt gestohlen hatte.

Immer mehr psychisch Kranke vegetieren auch wegen solcher Delikte in Österreichs Gefängnissen dahin. Die Justizwache wirkt überfordert, agiert bisweilen brutal und wird kaum kontrolliert.

Das ist einer der Befunde nach den Falter-Berichten über Verwahrlosungen in der Justizanstalt Stein, über Misshandlungen in Suben oder die Schlampereien mit Therapievideos in der Anstalt Mittersteig.

Wolfgang Brandstetter, der Justizminister, kündigte Reformen an und will die Vollzugsdirektion auflösen. Missbrauch und Verwahrlosung soll der Kampf angesagt werden - die Justizwache, eine Art Staat im Staate, soll stärker unter die Kontrolle von Richtern im Ministerium gestellt werden.

Auch die Geschichte des Klagenfurter Chefinspektors und SPÖ-Gewerkschafters P. ist ein beispielloser Fall, wie es sich Justizwachebeamte richten können, wenn sie selbst belangt werden.

Zurück ins Krumpendorfer Wachzimmer: Die Polizei verhielt sich am Abend der Tat völlig korrekt. Sie meldete den Fall der Staatsanwaltschaft Klagenfurt. Auch diese Behörde agierte vorbildlich. Sie stellt zunächst fest, dass der Beschuldigte "dringend verdächtig" sei, erklärt sich aber für befangen, da zu Chefinspektor P. "wiederholt dienstlicher Kontakt" bestand. Der Akt landet in Graz. Auch das Justizministerium erhält die Anzeige.

Schon am 22. Jänner suspendiert die Disziplinarkommission den Chefinspektor vom Dienst. "Das Ansehen der Justiz" sei durch ihn "massiv gefährdet". Schon sieben Tage später, am 29. Jänner, legt die Oberstaatsanwaltschaft Graz einen Strafantrag vor. Die Sache war klar: Chefinspektor P. drohte eine Haftstrafe, wegen eines Verbrechens.

Dann nimmt der Fall plötzlich eine ungewöhnliche Wendung. Ein paar Wochen später, am 11. März dieses Jahres, legt der Klagen furter Chefinspektor nämlich ein psychiatrisches "Privatgutachten" vor. Verfasst hat es Peter H., Professor für Psychiatrie. Seine Expertise ist bahnbrechend: Der Chefinspektor leide an einer Depression, daher sei "die Tathandlung unentwirrbar mit der Depression im Zusammenhang zu sehen", urteilt der Arzt. Seine Schlussfolgerung: Der Einbruchsdiebstahl sei "nie in seinem Denkerleben" vorgesehen gewesen, "sondern war dies am Tatabend ein spontan einschießender Impuls, dem er nicht widerstehen konnte". Aufgrund "einer Psychose werten Depression mit Impulsdurchbrüchen" sei es "zu den Tathandlungen gekommen". Der Chefinspektor hatte im Augenblick der Tat also nicht erkennen können, dass Einbruch strafbar ist. Er war geistig so beeinträchtigt, dass er nicht willentlich handelte, sondern im Wahn.

Dieses Privatgutachten (es wurde also vom Beamten bezahlt) widerspricht diametral dem Geständnis des Chefinspektors, der ausführlich schilderte, wie er seine Tat plante und sein Werkzeug in den Wagen legte. Wohl auch deshalb ändert der Beamte nun die Aussage. Er habe das Werkzeug gar nicht für den Einbruch ins Auto gelegt, es sei schon "mitgewesen für gelegentliche Freundschaftsdienste". Er sei nach Dienstschluss als Heizungstechniker unterwegs.

Das Landesgericht Klagenfurt, bei dem der Akt landet, bestellt nun einen zweiten Gutachter - diesmal ist es der Klagenfurter Facharzt für Neurologie Walter W., ein von der Justiz oft beschäftigter Sachverständiger in Kärnten.

Er stützt seine Expertise auf das originelle Privatgutachten, und er zitiert auch die Version des Inspektors, dass der Einbruch "nicht geplant" war, sondern "eine Impulshandlung" gewesen sei - ein Einbruch aus Affekt sozusagen.

Die Begründung: Der Chefinspektor habe seinen "Computer eingeschaltet und sein Bankkonto gecheckt. Er hat seine Kontozahlen gesehen, alle nur rot. Er hat sich ins Auto gesetzt und ist gefahren." Im Kofferraum sei nur zufällig das Werkzeug gelegen. Der Chefinspektor habe "nur rot" gesehen. Darüber sei er so verzweifelt gewesen, dass er den Einbruchsversuch beging.

Da die Tat aber "keineswegs geeignet" gewesen sei, "auch nur annähernd die finanzielle Situation maßgeblich zu verbessern", sei von einer "derartigen Bewusstseinseinengung im Sinn einer tiefgreifenden Bewusstseinsstörung auszugehen, dass seine Diskretionsfähigkeit aufgehoben war".

Mit anderen Worten: Weil der Einbruch nur einen Teil der Schulden abgedeckt hätte, müsse er von einem Verrückten begangen worden sein. Herr P., so der Gutachter, hatte eine "derartige Einengung im Denken und Handeln", dass er "nicht mehr in der Lage war, das Strafbare der Tat zu bedenken".

Der Falter hat das Gutachten renommierten Gerichtspsychiatern vorgelegt. Tenor: Die "Sache stinkt zum Himmel". Eine Belastungsreaktion" als Begründung für die Aufhebung der Zurechnungsfähigkeit werde nur in ganz seltenen Ausnahmen akzeptiert, etwa bei Beziehungstaten, wenn sich der Täter in einem affektiven Ausnahmezustand befindet, welcher sich über einen längeren Zeitpunkt nachweislich entwickelt haben muss.

Die Staatsanwaltschaft Graz sieht die Sache anders. Das Gutachten, so ein Sprecher, "sei schlüssig und nachvollziehbar". Es stehe fest, dass der Beamte zur Tatzeit nicht wusste, dass Einbruch nicht strafbar ist.

Am 30. April meldete der Leiter der Anklagebehörde, Thomas Mühlbacher der Oberstaatsanwaltschaft Graz, dass der Strafantrag gegen den Justizwachebeamten zurückgezogen wird. Die Oberbehörde genehmigt das Vorgehen. Kollegen im Gefängnis werden zur angeblichen Depression nicht einvernommen.

Und das Justizministerium? Der Fall wurde zwar der Weisungssektion berichtet - allerdings erst, als die Anklage schon zurückgezogen war, wie Sektionsleiter Christian Pilnacek erklärt.

Immerhin hat die Vollzugsdirektion (jene Abteilung, die für den Strafvollzug zuständig ist) ein Machtwörtchen gesprochen. Sie erstattete eine "Nachtragsanzeige". Der Chefinspektor, so habe das Ermittlungsverfahren ergeben, hatte seine "Nebentätigkeit als Heizungsbauer" nicht gemeldet.

Er ist noch suspendiert. Vergangene Woche wurde der Akt einer Gutachterin in Wien übermittelt. Sie soll klären, ob der Chefinspektor mit 51 Jahren dank seines Einbruchs frühpensioniert wird.“

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Laut zitiertem Artikel wurde die Anzeige neben der Staatsanwaltschaft Graz auch an Ihr Ministerium weitergeleitet. Ist es in Fällen der Befangenheit üblich, dass auch das Justizministerium über den Sachverhalt umgehend informiert wird?


2)    Wenn nein, warum wurde die Anzeige an das Justizministerium weitergeleitet?

3)    Wie oft wurde von der Staatsanwaltschaft Graz vor der Einbringung des Strafantrages an die Oberbehörde berichtet?

4)    Aus welchem Grund wurde von der Staatsanwaltschaft Graz an die Oberbehörde berichtet?

5)    Wurde insbesondere die OStA Graz vom Justizministerium aufgefordert, über die weitere Vorgehensweise im Verfahren zu berichten?

6)    Wie oft wurde von der Staatsanwaltschaft Graz nach der Einbringung des Strafantrages an die Oberbehörde berichtet?

7)    Wann wurde dem Klagenfurter Facharzt für Neurologie Walter W. vom Gericht der Auftrag zur Erstellung eines Gutachtens in der Sache erteilt?

8)    In welchem Umfang erfolgte im Zuge der gerichtlich beauftragten Gutachtenserstellung die Anamnese des Angeklagten?

9)    Mit welchem Datum wurde das Gutachten des Klagenfurter Facharztes für Neurologie Walter W. ausgefertigt?

10) Warum wurden im Verfahren keine Kollegen von Gerhard P. zur angeblichen Depression des Angeklagten befragt?

11) Wurde der OStA Graz das Gutachten des Klagenfurter Facharztes für Neurologie Walter W. vorgelegt?

12) Wenn nein, warum nicht?

13) Wann hat die OStA Graz die beabsichtigte Zurückziehung des Strafantrags genehmigt?

14) Wurde das Justizministerium im Vorfeld über die beabsichtige Zurückziehung des Strafantrages (mündlich) in Kenntnis gesetzt?

15) Wieso wurde dem Justizministerium erst nach der erfolgten Zurückziehung des Strafantrags schriftlich berichtet?

16) Wurden in der Sache Weisungen von der Oberstaatsanwaltschaft oder vom Justizministerium zur Sachbehandlung erteilt?

17) Ist das Diszipilinarverfahren gegen Gerhard P. mittlerweile abgeschlossen?

18) Wenn ja, seit wann und mit welchem Ergebnis?

19) Wenn nein, wann ist mit einem Abschluss des Disziplinarverfahrens zu rechnen?


20) Haben Sie, oder werden Sie das Verfahren einer Überprüfung zukommen lassen, nachdem renommierte Gerichtspsychiater meinen, dass die Sache zum Himmel stinke?

21) Wenn nein, warum nicht?