2056/J XXV. GP

Eingelangt am 09.07.2014
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Anfrage

 

der Abgeordneten Weigerstorfer,

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und öffentlichen Dienst

betreffend „TiSA

 

Während das umstrittene Freihandelsabkommen „TTIP“ in der Öffentlichkeit scharf kritisiert und diskutiert wird und mittlerweile, trotz Geheimhaltung, zahlreiche Informationen vorliegen, laufen seit 2012 viel aus geheimere Verhandlungen zu einem anderen globalen Abkommen. Das „Trade in Services Agreement“ (zu Deutsch: „Abkommen zum Handel mit Dienstleistungen“ oder kurz „TiSA“) wird derzeit zwischen den USA, den 28 EU-Mitgliedsstaaten sowie 21 weiteren Staaten verhandelt (u.a. Kanada, Schweiz, Türkei). Die 21 WTO- Mitgliedsstaaten nennen sich „really good friends of services“ (wirklich gute Freunde der Dienstleistungen, kurz „RGF“).

 

Kolportiert wird, dass die RGF bereits Anfang 2012 mit inoffiziellen und geheimen Verhandlungen begonnen haben. Zu dem Zeitpunkt hatte die Europäische Kommission noch nicht mal ein Mandat der Mitgliedsstaaten! Das von der Kommission vorgelegte Mandat wurde später von den jeweiligen EU-Handelsministerinnen ohne Änderungen akzeptiert. Obwohl die Kommission dazu verpflichtet ist, eine Folgenabschätzung zu machen, bevor sie Verhandlungen aufnimmt, hat sie bislang keine vorgelegt, zumindest nicht zugänglich.

 

Nicht beteiligt an den Verhandlungen sind die BRICS-Staaten, die sich von dem Abkommen in der beabsichtigten Form nur Nachteile erwarten. Offenbar ist den USA dieses Abkommen auch wichtiger als „TTIP“, wie aus einem Schreiben der EU-Kommission hervorgeht. In den Vereinigten Staaten erbringt der Service-Sektor 75 Prozent der Wirtschaftsleistung und sichert 80 Prozent der Arbeitsplätze in der Privatwirtschaft. In der Europäischen Union (EU) umfasst der Bereich fast 75 Prozent des Bruttoinlandsprodukts und der Beschäftigung.

Déjà vu: Wie auch bei „TTIP“ waren bei der Erarbeitung der Forderungen und Positionen weder nationale Parlamente noch das Europäische Parlament beteiligt, Großkonzerne und diverse Lobbyisten jedoch schon. Die TISA-Verhandlungen laufen außerhalb des offiziellen WTO-Rahmens und geheim ab. Auch die Verhandlungstexte werden nicht öffentlich gemacht, die USA bestehen darauf, die Inhalte selbst nach Abschluss noch fünf Jahre geheim zu halten.

 

„TiSA“ umfasst den grenzüberschreitenden Austausch von Dienstleistungen, angestrebt wird eine weitgehende Deregulierung des Dienstleistungssektors. Die konkreten Inhalte von TISA sind weitgehend unbekannt, was bis dato bekannt bzw. geleakt wurde, lässt jedoch die Alarmglocken läuten und mahnt zur Vorsicht.

 

Derzeit wird angenommen, dass hoheitliche Aufgaben wie Polizei, Justiz, Strafvollzug und Verteidigung, die weder auf kommerzieller Basis, noch im Wettbewerb erbracht werden, von den beiden Abkommen TTIP und TISA ausgenommen werden. Nicht jedoch anderen Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. Dadurch kommt nicht nur die von kommunalen Unternehmen erbrachte Trinkwasserversorgung wieder in den Fokus des Privatisierungsdrucks, sondern auch praktisch alle Dienstleistungen in den Bereichen Gesundheit und Bildung, Energieversorgung und Finanzsektor. Es wird aber ausdrücklich im Vertragsentwurf festgehalten, dass die Bereiche jederzeit ausgeweitet werden können.

 

Ein Ende Juni 2014 geleaktes TiSA-Dokument betreffend den Finanzsektor zeigt, dass die vorgesehenen Bestimmungen weitgehend den Forderungen der Finanzindustrie entsprechen. So möchten die USA eine weitestgehend uneingeschränkte Übermittlung von Kontodaten aus anderen Ländern ermöglichen-nach dem NSA-Skandal ein weiterer Angriff auf unseren Datenschutz. Dieser war zwar in „TTIP“ explizit ausgeschlossen, nicht aber in „TiSA“. Für Staaten bedeutet dies, dass sie auch unter dem Druck stehen, potenziell gefährliche Versicherungsprodukte zuzulassen. Wenn Maßnahmen ergriffen werden, um eine weitere Krise zu verhindern oder auf sie zu reagieren, könnten Klagen ins Haus stehen.

 

Bekannt ist, dass „TiSA“ noch drastischere Einschränkungen mit sich brächte als der GATS-Vertrag. Beim GATS gibt es zumindest Ausnahmeregelungen und Schutzklauseln für Bereiche, die von besonders hohem öffentlichen Interesse sind. Diese Regelungen sollen bei TISA entfallen. Die Stillhaltevereinbarung etwa schreibt den erreichten Status der Liberalisierung in allen Sektoren fest. Ein Zurückfallen hinter dieses Niveau ist nicht mehr möglich. Der Ratchet-Mechanismus wiederum würde jeden weiteren Liberalisierungsschritt zu einer vollendeten Tatsache machen, die auch in Zukunft nicht mehr rückgängig gemacht werden kann.

 

Außerhalb der WTO-Handelsordnung finden sich international relevante  Arbeitsbestimmungen in den so genannten Kernkonventionen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO). Sie betreffen unter anderem das Verbot von Zwangs- und Sklavenarbeit, das Recht auf Vereinigung und kollektive Lohnverhandlungen, die Gleichheit der Entschädigung von Mann und Frau und die Einschränkung der Kinderarbeit. Da „TiSA“ außerhalb des WTO-Rahmens verhandelt wird, werden diese Konventionen (aufgrund der immensen Reichweite des Abkommens) zahnlos. Moderner Sklaverei und internationaler Leiharbeit werden Tür und Tor geöffnet. Es drohen Regelungen, wonach sich ausländische Beschäftige in allen Vertragsländern nur für die Dauer einer Arbeit aufhalten dürfen und nach erledigter Arbeit in ihre Heimatländer zurückkehren müssen- Billiglohndumping garantiert, denn die Arbeitsbedingungen könnten die des Herkunftslandes sein. Das Herkunftslandprinzip hat sich bereits im Rahmen des EU-Binnenmarktes »bewährt«, um Beschäftigte um niedrigste Löhne konkurrieren zu lassen.

 

Auch private Unternehmen aus „TiSA“-Vertragsländern (ebenso wie „TTIP“-) können zukünftig Subventionen für Dienstleistungen vom Staat erhalten, was durch die Beantwortung einer „Kleinen Anfrage“ im deutschen Bundestag vom 19.06.2014 bestätigt wurde. Lokale, mittelständische Unternehmen würden gegenüber internationalen Konzernen ins Hintertreffen geraten. „TiSA“ folgt dem Ansatz einer Negativliste für die “Inländerbehandlung” (diskriminierungsfreie Behandlung ausländischer Unternehmen). Ausländische Anbieter werden den nationalen gleichgestellt, wenn die Bereiche nicht explizit ausgenommen werden. Dies tangiert eben auch den Bereich Beihilfen/Subventionierungen. Der “Marktzugang” hingegen wird über eine Positivliste geregelt.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und öffentlichen Dienst folgende

 

Anfrage

 

1.         Wann wurden Sie erstmals in „TiSA“-Verhandlungen einbezogen?

2.         Wie viele Verhandlungsrunden gab es bis dato und wann haben diese jeweils stattgefunden?

a)     Wer hat dort jeweils österreichische Interessen vertreten? (Bitte um namentliche Aufzählung)

3.         Wer hat wann die österreichische Position zu „TiSA“ erarbeitet bzw. beschlossen?


4.         Seit wann gibt es das offizielle Verhandlungsmandat der EU für „TiSA“?

a)     Liegt Ihnen dieses Dokument vor?

b)     Wie genau ist die Bezeichnung bzw. Titel des Dokuments?

c)     Wurde das von der Kommission vorgelegte Mandat verändert?

5.         Welche Bereiche ist die EU laut ihrer Anfangsofferte bereit zu öffnen?

a)     Gibt es diesbezügliche Bedenken Ihrerseits?

6.         Können Sie bestätigen, dass es Bestrebungen zur Geheimhaltung von fünf Jahren gibt?

a)     Wenn ja, befürworten Sie dies?

b)     Wenn ja, woher kam die Initiative?

c)     Wenn nein, worauf Berufen Sie sich?

7.         Weshalb wird außerhalb des WTO-Rahmens verhandelt und welche Auswirkungen hinsichtlich internationaler Arbeitsbestimmungen sind zu erwarten?

8.         Wie erklären Sie, dass zu „TiSA“ weitaus weniger Informationen öffentlich vorliegen, als zu „TTIP“?

9.         Wie und wann wurden die nationalen Parlamente erstmals in die Verhandlungen eingebunden?

10.      Wie verläuft der Ratifizierungsprozess nach erfolgreichem Verhandlungsprozess?

11.      Wie ist der weitere konkrete Zeitplan zum Verhandlungs- und Ratifizierungsprozess zu „TiSA“?

12.      Ist „TiSA“ ein gemischtes Abkommen, das eine Zustimmung der einzelnen EU-Mitgliedsstaaten vorsieht? Für Fragen des Handels mit Dienstleistungen ist ja ausschließlich die EU laut Lissabon-Vertrag zuständig.

a)     Falls dies (noch) nicht bekannt ist, wann wird dies voraussichtlich der Fall sein bzw. wovon ist dies abhängig?

b)     Wenn nein, können Sie ausschließen, dass weder die nationalen, noch das Europäische Parlament mit der Ratifizierung befasst werden?

13.      Befürworten Sie eine Veröffentlichung der Verhandlungstexte?

a)     Wenn nein, warum nicht?

b)     Wenn ja, welche Schritte haben Sie dafür gesetzt?

c)     Wie beurteilen Sie, dass zB. die Schweiz ihre Anfangsofferte veröffentlicht hat?

14.      Ist Ihnen das „TiSA“-Kapitel über Finanzdienstleistungen bekannt?

a)     Wenn ja, wie bewerten Sie dieses?

b)     Befürworten Sie weitere Deregulierungen von Finanzdienstleistungen?

c)     Wenn nein, warum nicht?

15.      Welche EU-Mitgliedsstaaten sind Ihrer Kenntnis nach „TiSA“-kritisch?

16.      Wurde der Verfassungsdienst des Bundeskanzleramts zu „TiSA“ konsultiert? Wurden ihm „TiSA“-Dokumente vorgelegt?

a)     Wenn ja, wann, welche Dokumente und mit welchem Ergebnis? (Bitte um namentliche Bekanntgabe des bzw. der Bearbeiter)

b)     Wenn nein, warum nicht?

c)     Haben Sie vor, eine rechtliche Expertise zu „TiSA“ einzuholen? Wenn ja, wann?