3371/J XXV. GP

Eingelangt am 17.12.2014
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Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte in der Rechtssache E.B. ua gg Österreich (2013)

BEGRÜNDUNG

 

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat Österreich wegen der jahrelangen strafrechtlichen Verfolgung homo- und bisexueller Männer auf Grund des § 209 StGB wiederholt verurteilt, und zwar in folgenden Fällen:

·        L. & V. vs. Austria,  09.01.2003, Appl. 39392/98, 39829/98

·        S.L. vs. Austria, 09.01.2003, Appl. 45330/99

·        Wolfgang Wilfling & Michael Woditschka vs. Austria, 21.10.2004, Appl. 69756/01, 6306/02

·        F.L. vs. Austria, 03.02.2005, Appl. 18297/03

·        Thomas Wolfmeyer vs. Austria, 26.05.2005, Appl. 5263/03

·        H.G. & G.B. vs. Austria, 02.06.2005, Appl. 11084/02, 15306/02

·        R.H. vs. Austria, 19.01.2006, Appl. 7336/03

Besonders kritisiert hat der Gerichtshof die Verweigerung der Aufhebung des § 209 auch noch nach dem Oktober 1995, obwohl damals, durch die Expertenanhörung im Jahre 1995, bereits bekannt war, dass es keinen Grund für das schwule Sondermindestalter gibt (L. & V.: par. 51; S.L.: par. 43).

§ 209 StGB ist mit Ablauf des 13.08.2002 außer Kraft getreten (BGBl I 134/2002, Art. I Z. 19b, Art. IX iVm  Art. 49 Abs. 1 B-VG).

Personen, die auf Grund des § 209 verurteilt und, zum Teil in Anstalten für geistig abnorme Rechtsbrecher, inhaftiert wurden, sind nicht rehabilitiert worden. Ihre Verurteilungen sind nach wie vor aufrecht, oft noch im österreichweiten Strafregister vorgemerkt und die Polizeiakten immer noch vorhanden.

Amnesty International forderte in seinen Jahresberichten wiederholt die Rehabilitierung aller § 209-Opfer.

Per Erlaß wurde die Löschung sämtlicher Vormerkungen nach § 209 im österreichweiten Polizeicomputer EKIS angeordnet (Erlaß der Generaldirektion für die öffentliche Sicherheit vom 10.04.2003, 8181/421-II/BK/1/03) und mit Verordnung die Vernichtung sämtlicher erkennungsdienstlichen Daten (Fingerabdrücke, Fotos, Gendaten etc.) der § 209-Opfer (VO vom 12.08.2003, BGBl II 361/2003).

Zudem verlangen sowohl der Verfassungsgerichtshof als auch der Verwaltungsgerichtshof in ständiger Judikatur, dass nicht nur die elektronisch verarbeiteten sondern auch die manuell verarbeiteten Daten in den Polizeidateien (einschließlich der Protokolle) zu löschen sind bzw waren (VfGH 30.11.2005, B 1158/03; VfGH 15.12.2005,    B 1590/03; VfGH 26.01.2006, B 1581/03; VfGH 26.01.2006, B 764/04; VwGH 19.12.2005, 2005/06/0140 u.v.a.m.).

Jüngst erkannte der EGMR ausdrücklich in der mangelnden Vernichtung der polizeilichen Erhebungskopienakten (deren Originale ohnehin von den Gerichten und Staatsanwaltschaften aufbewahrt werden) nur deshalb keine Verletzung der EMRK, weil alle elektronisch verarbeiteten Daten vollständig gelöscht worden und die manuellen Protokolle (Indexkarten, Protokollbücher) vollständig anonymisiert worden waren, sodass die Papierakten anhand der Protokolle nicht mehr auffindbar sind (F.J. & E.B. v Austria dec. 25.03.2014, par. 14, 18, 32, 73, 76, 78, 79).

Zudem hat der EGMR vor kurzem die fortgesetzte Speicherung von Verurteilungen auf Grund des § 209 StGB im Strafregister als Menschenrechtsverletzung erkannt (E.B. et al v Austria judg. 07.11.2013).

Trotz dieser Verurteilung Österreichs durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (E.B. ua gg Österreich 07.11.2013) vor über einem Jahr (!) wurden die Verurteilungen auf Grund der vormaligen antihomosexuellen Sonderstrafgesetze (§ 209, § 210, § 220, § 221 StGB) noch immer nicht aus dem Strafregister gelöscht und die Opfer immer noch nicht rehabilitiert.

Nach wie vor sind 211 (!) Verurteilungen nach den homophoben Sonderstrafgesetzen (als alleiniges oder führendes Delikt) im Strafregister vorgemerkt, 51 Verurteilungen sogar noch nach dem alten (1971 beseitigten) Totalverbot (§ 129 I b StG) (!) (parlamentarische Anfragebeantwortung 25.07.2014,2789/AB-BR/2014, http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/BR/AB-BR/AB-BR_02789/index.shtml).

Zuletzt hat sich der Oberste Gerichtshof geweigert (OGH 11.09.2014, 14 Os 47/14i), diese Verurteilungen aufzuheben, obwohl der Verfassungsgerichtshof ausgesprochen hatte, dass die Strafregistereintragungen nur durch Aufhebung der zu Grunde liegenden Verurteilungen durch den OGH beseitigt werden können (VfGH 04.10.2006, B 742/06).

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Welche Maßnahmen welchen Inhalts werden Sie wann zur umgehenden Umsetzung des Urteils des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in der Rechtssache E.B. ua gg Österreich (07.11.2013) konkret setzen?

2.    Falls Sie keine Maßnahmen setzen wollen: warum wollen Sie nicht aktiv werden und wie vereinbaren Sie das mit der bindenden Wirkung von Urteilen des Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (Art. 46 EMRK)?

3.    Werden Sie einen Gesetzesvorschlag ausarbeiten, mit dem die Opfer der homophoben Sonderstrafgesetze (§ 209, § 210, § 220, § 221 StGB und deren Vorgänger nach dem StG) umfassend rehabilitiert und entschädigt werden?

4.    Wenn ja, wann?

5.    Wenn nein, warum nicht?