3565/J XXV. GP

Eingelangt am 26.01.2015
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Lintl,

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres

betreffend „Sicherheitsoffensive für Österreich: Integrationspolitik, Integrationskonzepte und Willkommensbehörden“

 

Zuwanderung und Integration sind Faktoren, deren Einfluss auf die wirtschaftliche, kulturelle und gesellschaftlich-demographische Entwicklung unseres Landes in den letzten Jahrzehnten dramatisch an Bedeutung gewonnen hat. Zwar werden von unterschiedlichsten Einrichtungen immer wieder Vor- bzw.- Nachteile sowie Erfolge und Defizite von Zuwanderung und Integration beschrieben, ein allgemein verbindlicher Datenkonsens existiert jedoch nicht. Der Nationale Aktionsplan für Integration (NAP.I) beschreibt eine Reihe von Integrationsmaßnahmen und Integrationsindikatoren, die in Deutschland vor allem in Nordrhein-Westfalen (NRW 2005), Berlin (2006), Niedersachsen (2008) und Hessen(2009) zur Anwendung kommen und schlägt eine adaptierte Übernahme dieser Methodik für Österreich vor.

In Nordrhein-Westfalen ist jeder vierte Bürger Ausländer oder hat einen Migrationshintergrund, in Städten wie Köln und Düsseldorf sogar jeder dritte. 17% der ausländischen Jungen gehen ohne Schulabschluss ab, jeder vierte Ausländer ist ohne Arbeit.

„Die Kriminalität bestimmter Gruppen ist überdurchschnittlich. Die Gewalt gegen Polizisten in Nordrhein-Westfalen hat nach Angaben der Gewerkschaft der Polizei (GdP) im vergangenen Jahr (2013) um 500 Fälle auf 7092 deutlich zugenommen. Die Zahl der beleidigten, bespuckten, getretenen oder geschlagenen Polizisten ist erneut gestiegen, von 10.831 auf fast 12.000. Mehr als 1800 Polizisten wurden dabei verletzt, sechs von ihnen schwer. Alle 50 Minuten wird in Nordrhein-Westfalen ein Polizist Opfer eines Angriffs. Der Großteil der Angriffe findet bei Routineeinsätzen wie Festnahmen, Personen- und Verkehrskontrollen, Einsätzen wegen Ruhestörung und bei Demonstrationen und Fußballspielen statt.“[1]

Die in Nordrhein-Westfalen angewendeten Integrationsmaßnahmen haben ganz offensichtlich nicht gegriffen. Auch nach zehn Jahren verzweifelter Integrationsversuche, ist es der Landesregierung von NRW bis dato nicht gelungen, nachhaltige Integrationserfolge zu verzeichnen. Der Bezirksbürgermeisters von Berlin- Neukölln, Heinz Buschkowsky (SPD), etwa sieht zahlreiche Integrationsmaßnahmen als gescheitert an und wirft den Akteuren der Integrationspolitik Versagen vor[2]. Verantwortlich macht Buschkowsky dafür die Political Correctness, die sagt, nur nicht über dieses reden, weil es ist islamophob, es ist ja rassistisch. Diese Haltung ist aber nichts anderes als ein Alibi zum Abtauchen, nichts tun, den Dingen ihren Lauf lassen. Aber nichts ist in Ordnung! Wir brauchen vielmehr eine intervenierende Gesellschaft, die aktiv auf die Menschen zugeht und sie integriert.[3]"

Ganz offensichtlich haben auch in Berlin die vorgenommenen Integrationsmaßnahmen bis dato nichts gefruchtet. Die Auswirkungen ungeordneter Zuwanderungs- und hilfloser Integrationspolitik machen sich in nahezu allen politischen Bereichen äußerst negativ bemerkbar. Das gilt auch für Österreich. Noch ist die Situation in unserem nicht mit jener in Deutschland vergleichbar, aber die korrekte Deutung der Indikatoren zeichnet kein positives Bild für die Zukunft.

Das österreichische Bildungssystem ächzt unter der Last an Schülern mit Migrationshintergrund, die aufgrund ihrer Defizite in der Zweitsprache Deutsch und nicht zuletzt auch aufgrund einer unzureichenden Beherrschung ihrer Erstsprache nicht jenen Bildungsweg gehen können, zu dem sie ihr intellektuelles Vermögen eigentlich befähigen würde. So verlassen 13% der fremdsprachigen Hauptschulkinder das Schulsystem ohne Pflichtschulabschluss.[4] Darüber hinaus stammt fast ein Drittel der Sonderschüler aus Familien mit nichtdeutscher Muttersprache. Im jährlichen erscheinenden Integrationsbericht wird dies folgendermaßen erklärt:

„Die Wahl des Schultyps geht in vielen Fällen mit den Deutschkenntnissen der Schulkinder aus Migrantenfamilien einher. Schüler/-innen, die zum Zeitpunkt der Schuleinschreibung im Alltag kein Deutsch sprechen, sind daher oft gezwungen, ihre Ausbildung statt in einer Volksschule an einer Sonderschule zu beginnen.“ (Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2014)

In der Folge sind schlecht ausgebildete Personen mit Migrationshintergrund besonders von Arbeitslosigkeit betroffen. Auf die daraus resultierende Problematik wurde bereits 2007 durch das AMS-Wien aufmerksam gemacht.

„Vor dem Hintergrund des sich abzeichnenden Facharbeitermangels und des zu beobachtenden Bildungsverhaltens (MigrantInnen sind stark überrepräsentiert in Hauptschulen und polytechnischen Schulen, die normalerweise in die Lehre führen), wird außerdem ersichtlich, dass der/die klassische FacharbeiterIn der Zukunft MigrantIn ist, d. h. es besteht ein vitales Interesse der Wirtschaft die berufliche Qualifikation und in der Folge die Integration von Jugendlichen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt zu verbessern.“[5]

Seit dem Erscheinen der Studie sind sieben Jahre vergangen, in denen keine Verbesserung des damaligen Status Quo erreicht werden konnte. Im Gegenteil der Anteil der arbeitslosen Jugendlichen mit Migrationshintergrund liegt noch immer deutlich höher als jener ohne und 15% der Jugendlichen mit Migrationshintergrund waren 2013 weder erwerbstätig noch in Aus- oder Weiterbildung (NEET – Not in Education, Employment and Training). Bei Jugendlichen ohne Migrationshintergrund traf dies für 5% zu.[6]

Der österreichische Arbeitsmarkt verzeichnet heute den höchsten Stand an Arbeitslosigkeit in seiner Geschichte. Die Freizügigkeit der Arbeitskräfte aus den neuen EU-Ländern brachte einerseits für die österreichische Wirtschaft viele Vorteile, andererseits bleiben aber vor allem schlecht ausgebildete und ältere ausländische Arbeitnehmer auf der Strecke. Vor allem türkische Zuwanderer und Angehörige anderer Drittstaaten sind mit einer Quote von rund 14% bzw. rund 16% doppelt so häufig von Arbeitslosigkeit betroffen wie Österreicher. Staatsangehörige aus dem ehemaligen Jugoslawien haben eine Arbeitslosenquote von rund 11%, wogegen die Arbeitslosigkeit der Angehörigen von EU und EWR-Staaten sowie der Schweiz mit rund 7% nur geringfügig höher ist als die der Österreicher.[7]

„Ende Dezember 2014 waren bei den regionalen Geschäftsstellen des AMS 106.756 arbeitslose ausländische Personen gemeldet, das waren 16.507 Personen bzw. 18,3% mehr als im Vergleichsmonat des Vorjahres. Bei den InländerInnen fiel der relative Anstieg der Arbeitslosigkeit deutlich geringer aus (+5,9% bzw. +15.888)“ (AMS Arbeitsmarktlage Dezember 2014)

Menschen mit Migrationshintergrund nehmen vergleichsweise in geringerem Ausmaß am Erwerbsleben teil, als solche ohne Migrationshintergrund:

„Personen mit Migrationshintergrund stehen in geringerem Maße als Österreicher/-innen im Erwerbsleben. So lag die Erwerbstätigenquote von 15- bis 64-jährigen Personen mit Migrationshintergrund im Jahr 2013 bei 65%, jene der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund dagegen bei 74%. Dieser Unterschied ist wesentlich auf die niedrigere weibliche Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen (58% gegenüber 70%) zurückzuführen, zeigte sich in geringerem Ausmaß aber auch bei den Männern (73% gegenüber 78%).“ (Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2014)

Darüber hinaus ist gegenüber 2013 ein Rückgang der Erwerbsquote der Bevölkerung mit Migrationshintergrund um ein Prozentpunkt festzustellen. Dass Zuwanderer deutlich häufiger arbeitslos als Österreicher sind, stellt auch der Integrationsbericht fest:

„Bei einer Gesamtarbeitslosenquote (nationale Definition) von 7,6% im Jahr 2013 (+0,6 Prozentpunkte im Vergleich zu 2012) war die Arbeitslosigkeit der Ausländer/-innen mit 10,7% deutlich höher als jene der österreichischen Staatsangehörigen (7,0%). Türkinnen und Türken sowie Angehörige sonstiger Drittstaaten waren gut doppelt so häufig arbeitslos (15,4% bzw. 17,2%) wie Österreicher/-innen. Die Arbeitslosigkeit der Angehörigen von EU- und EWR-Staaten sowie der Schweiz (7,7%) war aber nur geringfügig höher als die der Österreicher/-innen.“ (Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2014)

Weiters gibt es häufige gesundheitsbedingte Einschränkungen bei Erwerbstätigen mit Migrationshintergrund, präventive Gesundheitsleitungen werden in nur geringerem Ausmaß in Anspruch genommen und trotz Krankenversicherung werden notwendige Arztbesuche hintangestellt.

„Obwohl in Österreich lediglich 1 bis 2% der Bevölkerung keine Krankenversicherung haben, werden notwendige Arzt- und Zahnarztbesuche in weit größerem Ausmaß nicht in Anspruch genommen. Drittstaatsangehörige gingen im Zeitraum 2009 bis 2011 trotz bestehender Gesundheitsprobleme rund doppelt so oft nicht zum Arzt oder Zahnarzt wie Personen österreichischer Staatsangehörigkeit.“ (Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2013)

Der oft und gerne angeführte Aspekt, dass die Zuwanderung nach Österreich auf die Finanzierbarkeit des Pensionssystems positive Auswirkungen hätte, ist nur unter bestimmten Bedingungen aufrecht zu erhalten. Die Pensionskommission stellt in ihrer Langfristprognose[8] fest, dass trotz Zuwanderung der Druck auf die Finanzierbarkeit des Pensionssystems nicht abnehmen werde. Nicht zuletzt wegen des Umstandes, dass die Zuwanderer bis 2060 ihrerseits Pensionsansprüche erwerben. Das Problem verschiebt sichzeitlich  nur nach hinten.

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres nachstehende

Anfrage:

1)     Der NAP.I. nimmt den methodischen Ansatz aus Berlin bzw. Nordrheinwestfalen quasi als „Best practice“- Modell an, ohne die tatsächlichen Effekte bzw. die Wirksamkeit der angewandten Integrationsmaßnahmen in Berlin bzw. NRW zu beleuchten. Wurden bzw. werden von Ihnen bzw. von Seiten Ihres Ressorts konkrete Analysen der Effektivität der angewandten Methoden und Maßnahmen zur Integration in Deutschland vorgenommen?

a)     Wenn ja, zu welchen Ergebnissen sind Sie gekommen und in welcher Form sind diese in Integrationsmaßnahmen für Österreich eingeflossen?

b)     Wenn nein, warum nicht?

2)     Der Bezirksbürgermeister von Berlin- Neukölln, Heinz Buschkowsky, sieht zahlreiche Integrationsmaßnahmen in Deutschland als gescheitert an. Welche Fehler, die offensichtlich in Deutschland gemacht wurden, gilt es für Österreich aus Ihrer Sicht unbedingt zu vermeiden, um Integration bei uns gelingen zu lassen?

3)     Der unabhängige Expertenrat für Integration hat 2014 mehrere Maßnahmen[9] zur Verbesserung der Integration von Migranten vorgeschlagen wie etwa die Einrichtung eines so genannten Integrationsportals, die Nutzung von Botschaften und Auslandsinstitutionen als „Willkommensbehörden“, ein Gesetz für alle Bildungs-und Berufsbereiche zur Anerkennung von im Ausland erworbenen Qualifikationen, die Verbesserung der Sprachförderung, die Integration von EU-Bürgern etc. Welche von diesen Vorschlägen wollen Sie konkret bis wann umsetzten?

4)     Das österreichische Bildungssystem steht an der Kippe zum Scheitern. Von den jährlich abgehenden Pflichtschülern können etwa 25% nicht sinnerfassend lesen, sind quasi Analphabeten. Rund 30% der Bevölkerung mit Migrationshintergrund haben lediglich Pflichtschulabschluss[10], im Vergleich zu 16% der Gesamtbevölkerung. Welche Maßnahmen haben Sie als Integrationsminister bis dato eingeleitet, um diesem Trend entgegenzuwirken und welche weiteren Möglichkeiten sehen für Ihr Ressort?

5)     Gibt es in diesem Zusammenhang eine Zusammenarbeit mit dem Bildungsministerium?

a)     Wie gestaltet sich diese Kooperation konkret?

b)     Wie hoch waren die dafür eingesetzten finanziellen Mittel von Seiten Ihres Ressorts?

c)     Welche Ergebnisse konnten bisher erbracht werden?

d)     Welche weiteren Maßnahmen haben diese Ergebnisse veranlasst?

6)     Der Expertenrat für Integration schlägt vor, dass „Botschaften und Auslandsinstitutionen zu Willkommensbehörden [werden]: Bestehende Auslandsstrukturen mit Österreich-Bezug sollen für den Integrationsprozess stärker genutzt werden. Insbesondere gilt es, die Botschaften als eine Visitenkarte Österreichs zu verstehen und sie zu einer Willkommensbehörde Österreichs im Ausland und somit zur ersten Integrationsstelle für MigrantInnen weiterzuentwickeln.“ Können Sie den damit verbundenen erweiterten Aufgabenbereich der österreichischen Auslandsvertretungen konkret beschreiben?

a)     In welchen Ländern sollen solche österreichischen „Willkommensbehörden“ eingerichtet werden?

b)     Welcher Zeithorizont ist für die Erweiterung der Auslandsvertretungen zu „Willkommensbehörden“ vorgesehen?

c)     Sind für diese zusätzlichen Aufgaben zusätzliche Finanzmittel vorgesehen?

d)     Werden die Auslandsvertretungen in diesem Zusammenhang zusätzlich hoheitsrechtliche Aufgaben erhalten?

7)     Welche weiterführenden konkreten Maßnahmen sind von Ihnen vorgesehen, um die hohe Rate arbeitsloser Jugendlicher mit Migrationshintergrund in Österreich zu senken?

a)     Welche diesbezüglichen Maßnahmen wurden bisher von Ihnen eingeleitet?

b)     Mit welchen Ressorts bzw. Gebietskörperschaften arbeiten Sie diesbezüglich zusammen?

c)     Welche konkreten Projekte wurden in Zusammenarbeit mit anderen Ressorts bzw. Gebietskörperschaften bis dato in diesem Zusammenhang etabliert?

d)     Wie hoch sind die finanziellen Mittel von Seiten Ihres Ressorts, die dafür vorgesehen sind?

e)     Können Sie den diesbezüglichen finanziellen Aufwand der anderen Ressorts bzw. Gebietskörperschaften nennen?

8)     Nimmt Ihr Ressort an europäischen Initiativen teil, die ihren Fokus auf die Absenkung der Arbeitslosenquote von Jugendlichen mit Migrationshintergrund gerichtet haben?

a)     Wenn ja, welche Initiativen sind das konkret?

i)      Welchen finanziellen Beitrag leistet Österreich dazu?

ii)     Welche Ergebnisse brachten allfällige Evaluierungen bisher?

b)     Wenn nein, warum nicht?

9)     Sehen Sie vor dem Hintergrund der Pariser Anschläge besonderen Handlungsbedarf für die österreichische Integrationspolitik?

a)     Wenn ja, welche Handlungen wollen Sie setzten bzw. zu welchen Vorgehensweisen werden Sie Ihre Regierungskollegen anregen?

b)     Wenn nein, warum nicht?

 



[1] „Wo Beamte Zielscheiben in Uniform sind“ Die Welt vom 15.4.2014

[2] Heinz Buschkowsky „Neukölln ist überall“ (Berlin 2012)

[3] „Migranten in die Pflicht nehmen“; Deutschlandfunk 8.12.2014

[4] Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2013

[5] Analyse der KundInnengruppe Jugendliche mit Migrationshintergrund am Wiener AMS (Wien 2007)

[6] Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2014

[7] Statistik Austria

[8] Bericht über die langfristige Entwicklung der gesetzlichen Pensionsversicherung für den Zeitraum 2013 bis 2060 (Wien November 2014)

[9] Integrationsbericht 2014-Integrationsthemen im Fokus (Vorlage BMEIA Zsfg)

[10] Statistik Austria; Bildungsstand der 25-64jährigen Bevölkerung in Österreich nach Migrationshintergrund (2013)