3575/J XXV. GP

Eingelangt am 28.01.2015
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Anfrage

der Abgeordneten Dr. Lintl,

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres

betreffend „Sicherheitsoffensive für Österreich: Entwicklungshilfe, Flüchtlingsfrage und Migrationsproblematik“

 

Medienberichten zu Folge bringen Flüchtlinge und Migranten zwischen € 5.000 bis € 9.000[1] für ihre Verbringung nach Europa auf. Die Flüchtlingsrouten sind bekannt und unterliegen der besonderen Beobachtung durch die jeweiligen staatlichen Behörden. Das macht die illegale Einwanderung zu einem einträglichen Geschäft für Kriminelle. Vor allem die Central Mediterranean Route gestaltet sich für Flüchtlinge besonders teuer und vor allem gefährlich. Die Organisation für Migration (OIM) schätzt, dass seit dem Jahr 2000 weltweit insgesamt etwa 40.000 Flüchtlinge den Versuch in ein anderes Land zu kommen, mit ihrem Leben bezahlt haben. Auf so genannten Geisterschiffen und mittels einfacher Boote sollen alleine letztes Jahr 150.000 Menschen nach Italien und in Folge weiter nach Europa gelangt sein[2]. In den Medien werden konkrete Motive, Hintergründe zur Finanzierung und Ablauf der Verbringung von Flüchtlingen selten weiter ausholend erläutert. Bei genauerer Betrachtung stellt sich allerdings die Aufbringung von Finanzmitteln, Motivation und Verbringung von Flüchtlingen aus bestimmten Regionen durchaus differenzierter dar, als allgemein angenommen. Gegenüber der Frankfurter Allgemeinen Zeitung äußerte sich etwa der Leiter eines Flüchtlingslagers auf Malta folgendermaßen:

„Diese Arrangements [Verbringung nach Europa] beruhen auf Gegenseitigkeit. Die Schmuggler brauchen das Geld, die Flüchtlinge wollen übers Meer.“ Zwar gebe es kriminelle Banden, die vor allem aus Nigeria Frauen verschleppten, um sie in Europa zur Prostitution zu zwingen. Doch die Mehrheit der Bootsflüchtlinge habe andere Motive. Die Überbetonung krimineller Geschäfte, die sich in offiziellen Berichten der EU finde, führt er auch darauf zurück, dass offizielle Vertreter internationaler Organisationen übertriebene Geschichten zu hören bekämen: „Die Leute reden ganz anders, wenn sie wissen, da kommt einer von der EU.“[3]

Der Artikel der FAZ zitiert Ergebnisse einer Studie der UNO, die ein neues Licht auf die Motivation von Flüchtlingen und Asylsuchenden werfen:

„Ein Bericht des UN-Büros für Drogen und Kriminalität, der vor einiger Zeit die Rolle krimineller Organisationen beim Schmuggel vornehmlich westafrikanischer Migranten nach Europa untersuchte, kam zu ähnlichen Schlussfolgerungen wie Bugri: Es gebe nur wenig Hinweise darauf, dass organisierte Kriminalität eine zentrale Rolle spiele. Offenbar liegt das auch daran, dass viele Migranten keiner völlig verzweifelten Lage entfliehen. Die Flucht sei eine bewusste Entscheidung. Viele hätten eine höhere Schulbildung, besäßen teilweise sogar Immobilien. Die verkauften sie in vielen Fällen, um den Weg nach Europa zu finanzieren, wo sie sich bessere ökonomische Bedingungen erhofften.“[4]

Der Artikel beschreibt auch das koordinierte Vorgehen der Flüchtlinge, die offensichtlich von ihren Dorfgemeinschaften in der Mittelaufbringung unterstützt werden:

„Die Reise durch die Sahara finanzieren viele nach Angaben der UN-Forscher entweder mit eigenen Ersparnissen oder durch Gelegenheitsarbeit. Sich nach Europa durchzuschlagen ist ein sozial akzeptiertes Mittel, seine persönliche Situation oder die der Familie zu verbessern: In manchen Ländern ist es nach Recherchen der Forscher sogar üblich, dass Dorfgemeinschaften Fonds einrichten, um die Reise ihrer Mitglieder zu finanzieren. Belegt sind solche Arrangements zum Beispiel im Senegal. Kontakt zu Schleppern nehmen viele Migranten demnach erst gegen Ende ihrer Reise auf, um die Passage über das Meer zu organisieren.“[5]

Laut dem o.a. Artikel zeigt sich die „schlepperlose“ Migration nach Europa als hauptsächlich westafrikanisches Phänomen, auf anderen Routen seien jedoch sehr wohl organisierte Schlepperbanden tätig. Insgesamt sollen Schlepperbanden laut UN-Angaben auf Routen in Afrika und Europa sowie zwischen Latein- und Nordamerika etwa sieben Milliarden Dollar im Jahr lukrieren, wobei der Leiter des in Wien ansässigen UNO-Büros zur Drogenkontrolle und Verbrechensverhütung (UNODC), Juri Fedotow, betont, dass die weltweiten Einnahmen im Schleppergeschäft bedeutend höher lägen.[6]

Die Maßnahmen der von der stetig ansteigenden Flüchtlings- und Migrationsbewegung betroffenen Staaten - wie eben auch Österreich - erschöpfen sich in erster Linie in der Bekämpfung der Schlepperkriminalität. Dies lässt den Schluss zu, dass viel mehr die Bekämpfung der Symptome auf der Agenda stehen, denn die Bekämpfung der tatsächlichen Ursachen der Flüchtlingswelle Richtung Europa.

Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier betonte letztes Jahr, dass außenpolitisches Krisenmanagement dazu beitragen müsse, Flüchtlingsströmen vorzubeugen oder sie zumindest zu reduzieren.[7] Eine von ihm in Auftrag gegebene Studie des Berlin-Instituts für Bevölkerung und Entwicklung[8] kommt u.a. zu folgendem Ergebnis:

„Die Länder der EU sollten sich ihrer entwicklungspolitischen und humanitären Verantwortung stellen, um Krisen und Flüchtlingsströmen präventiv zu begegnen. Neben humanitärer Soforthilfe zählen zu den wichtigsten entwicklungspolitischen Maßnahmen die Verbesserung der Gesundheits- und Bildungssysteme, der Abbau von Handelsschranken und die freie Entwicklung des Privatsektors. Im Zentrum der Bemühungen sollte die Schaffung von Arbeitsplätzen für die wachsende Zahl junger Menschen stehen.“[9]

Bis dato erreichten die europäischen Initiativen, die eine Verbesserung der sozioökonomischen Verhältnisse in den Ursprungsländern zum Ziel hatten bzw. haben, keine signifikante Eindämmung der Flüchtlingsströme Richtung Europa. Die europäische Entwicklungshilfe verteilt zwar gewaltige Summen (2012 € 55 Milliarden), 60% der weltweiten Entwicklungshilfe stammt aus der Europäischen Union und ihren Mitgliedstaaten. Die Ergebnisse sind unter Berücksichtigung der Eindämmung von Flüchtlingsströmen jedoch mehr als bescheiden.

Österreich ist in Relation zu seiner Größe im Spitzenfeld bei der Aufnahme von Flüchtlingen, die Entwicklungszusammenarbeit hingegen stagniert in finanzieller Hinsicht seit Jahren und hat keine spezifische Ausrichtung auf Migrationsbewegungen und Flüchtlingsproblematiken. Die österreichische Entwicklungshilfe scheint mehr eine Pflichtübung zu sein, als dass sie einem den Erfordernissen entsprechend klarem Konzept zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen folgt.

 

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres nachstehende

Anfrage:

1)     Sind Ihnen bzw. Ihrem Ressort detaillierte Motivlagen und konkrete Gründe für die starken Migrationsbewegungen Richtung Europa bekannt?

a)     Wenn ja, auf welche Expertisen bzw. Informationen stützen Sie sich und welchen Handlungsbedarf leiten Sie daraus für Ihren Verantwortungsbereich ab?

i)      Welche konkreten regionalspezifischen Motivlagen und Gründe für Migration und Flucht halten Sie dabei für besonders relevant?

b)     Wenn nein, werden Sie Studien bzw. Expertisen in Auftrag geben, die geeignet sind, ein detailliertes Bild über Hintergründe und Motivlage der Migration Richtung Europa bzw. Österreich zu zeichnen?

2)     Sehen Sie eine proaktive Außenpolitik, die geeignet ist, in den Ursprungsländern eine Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen herbeizuführen, um als Instrument der Eindämmung von Krisen und Flüchtlingsströmen zu fungieren, als prioritär an?

a)     Wenn ja, welche konkreten Maßnahmen, Projekte und internationalen Kontakte haben Sie bis dato diesbezüglich etabliert?

i)      Welche Ergebnisse haben diese Maßnahmen bis dato erbracht?

b)     Wenn nein, warum nicht?

3)     Mit welchen Ländern betreibt Österreich Entwicklungszusammenarbeit, die ihren Fokus auf die Verbesserung der sozioökonomischen Bedingungen in den Zielländern zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen ausrichtet?

a)     Welche Projekte sind das konkret?

b)     Wie hoch sind die jeweiligen Projekte budgetiert?

c)     Auf welche Höhe belaufen sich die Gesamtausgaben der letzten fünf Jahre, die unter dem o.a. Aspekt aufgewendet wurden?

d)     Was ergaben die Evaluierungen der jeweiligen Projekte und in welcher Form fanden deren Ergebnisse Niederschlag in der Ausrichtung Ihrer aktuellen Außenpolitik?

4)     Die österreichische Agentur für Entwicklungszusammenarbeit betreibt in Burkina Faso (einem Schwerpunktland der Entwicklungszusammenarbeit) ein Auslandsbüro. Haben Sie von dieser Außenstelle zu dem in der Einleitung angeführten Zeitungsartikel, dass „offenbar viele Migranten aus Westafrika keiner völlig verzweifelten Lage entfliehen. Die Flucht eine bewusste Entscheidung sei. Viele der Migranten eine höhere Schulbildung hätten und teilweise sogar Immobilien besäßen“ bis dato verwertbare Informationen erhalten?

a)     Wenn ja, bestätigen die Informationen die im Artikel behaupteten Sachverhalte und können Sie daraus einen Handlungsbedarf für Ihr Ressort ableiten?

b)     Wenn nein, warum nicht?

5)     Welche konkreten Informationen hinsichtlich potentieller Flüchtlingsströme und deren Relevanz für Österreich erhalten Sie von Ihren Botschaften in den Ursprungsländern der Flüchtlings- und Migrationsproblematik?

a)     Ist die Informationsübermittlung standardisiert oder erfolgt sie auf Anfrage bzw. Anlass?

6)     Nutzen Sie bzw. Ihr Ressort auch Informationen zu potentiellen Flüchtlingsströmen, die nicht von österreichischen Vertretungen im Ausland kommen?

a)     Wenn ja, welcher konkreter Quellen bedienen Sie sich dabei und welche Informationen erbringen/erbrachten diese Quellen?

b)     Wenn nein, warum nicht?

7)     Welche quantitativen Szenarien werden von Seiten Ihres Ressorts überlegt, die eine Einschätzung über die für Österreich relevanten Flüchtlingsströme der nächsten fünf Jahren Auskunft geben können?

a)     Aus welchen Ursprungsländern sind die größten Flüchtlingsströme zu erwarten? (Auflistung bitte nach Ländern)

b)     Wie ist die Motivlage in diesen Ländern bzw. was sind die Hauptgründe für die zu erwartende Migration? (Auflistung bitte nach Ländern)

8)     Der deutsche Außenminister Frank-Walter Steinmeier sieht Außenpolitik auch als Instrument des Krisenmanagements zur Eindämmung von Flüchtlingsströmen. Teilen Sie diese Ansicht?

a)     Wenn ja, welche diesbezüglich konkreten Vorhaben wollen Sie noch in dieser Legislaturperiode umsetzen und welchem entsprechenden Kontakte gibt es zu den anderen EU-Mitgliedsstaaten?

b)     Wenn nein, warum nicht?

9)     Die Strategieberater Milo Tesselaar schlug im Jänner 2014 in einem Gastkommentar in der Wiener Zeitung[10] mit dem Titel „Sebastian Kurz und ein neuer Wiener Kongress“ die Abhaltung eines „Wiener Kongresses (außerhalb des EU-Routine-Protokolls) mit EU-Staaten, Beitrittskandidaten, Mittelmeerstaaten in Nordafrika und der Afrikanischen Union“ vor, um „über diverse verschwindende Grenzen innerhalb Europas sowie natürliche und ökonomische Grenzen nach außen zu reden: Steuerpolitik (Digitales Zeitalter, globale Konzerne), Außenpolitik (etwa Migration) und Verteidigung (Syrien, Mali)“ zu diskutieren. Wie stehen Sie zu diesem Vorschlag und sehen Sie Chancen, einen solchen Kongress in Wien abzuhalten?

 



[1] Organisierte Schlepperkriminalität; Jahresbericht 2013

[2] Geisterschiffe „neuer Grad der Grausamkeit“ der Schlepper; Salzburger Nachrichten vom 2.1.2015

[3] „Das Geschäft mit dem Menschenschmuggel“ FAZ vom 8.9.2014

[4] Ebda.

[5] Ebda.

[6] „Schlepper verdienen mit Flüchtlingen Milliarden“, orf.at; 6.10.2014

[7] „Mehr als eine Strategie des Zäune-hoch-Ziehens“; FAZ 14.10.2014

[8] Reiner Klingholz/Stephan Sievert: Krise an Europas Südgrenze Welche Faktoren steuern heute und morgen die Migration über das Mittelmeer? Berlin Institut für Bevölkerung und Entwicklung (Oktober 2014)

[9] Ebda. S.5

[10] Wiener Zeitung Nr. 5 vom 08.01.2014