3603/J XXV. GP

Eingelangt am 30.01.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Ertlschweiger, Msc; Dr. Lintl

Kolleginnen und Kollegen

an den Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres

betreffend „Jugendarbeitslosigkeit, Ausbildung und Integration“

Laut Statistik Austria waren 2013 durchschnittlich 7% der 15- bis 24-Jährigen weder erwerbstätig noch in Aus- oder Weiterbildung (so genannte NEETS = Not in Education, Employment or Training) Jugendliche ohne Migrationshintergrund waren zu 5% betroffen, Jugendliche mit Migrationshintergrund zu 15%. Der Anteil der Jugendlichen ohne Arbeitsmarkt- und Bildungsbeteiligung war in der ersten Zuwanderergeneration höher (17%) als in der zweiten (13%); ebenso war dieser Anteil bei Jugendlichen aus Nicht-EU-Staaten (18%) höher als bei jenen aus EU-Staaten (11%).

Bei genauerer Betrachtung des Ausbildungshintergrundes von Jugendlichen in Österreich zeigt sich für jene mit Migrationshintergrund ein ambivalentes Bild (siehe untenstehende Tabelle). Diese haben sowohl in den niedrigsten als auch in den höchsten Bildungsstufen höhere Anteile als Jugendliche ohne Migrationshintergrund.[1] Im Bereich der Lehre und der berufsbildenden Mittleren Schulen dagegen verzeichnen die 25- 34jährigen mit Migrationshintergrund signifikante Defizite gegenüber der gleichen Altersgruppe ohne Migrationshintergrund. Rund 52% der 25-34jährigen ohne Migrationshintergrund haben eine Lehre bzw. eine BMS absolviert, jedoch nur rund 36% mit Migrationshintergrund aus der gleichen Altersgruppe. Auffällig ist auch, dass in den höchsten Bildungsstufen die Abschlussquoten zwischen Migranten der ersten und der zweiten Generation stark differieren. Liegen die 25-35jährigen Migranten der ersten Generation im AHS und BHS-Bereich mit der gleichen Altersgruppe ohne Migrationshintergrund bei 23% noch nahezu gleich auf, so schneidet die zweite Generation mit 18,5% bereits wesentlich schlechter ab. Noch deutlicher zeigt sich das Abdriften der zweiten Migrantengeneration bei den Universitätsabschlüssen. Lag die erste Generation der 25-34jährigen Migranten mit rund 19% noch einen Prozentpunkt über der gleichen Altersgruppe ohne Migrationshintergrund, so liegt die zweite Generation mit einem Anteil von nur mehr knapp 8% nun deutlich darunter. Die Migrantinnen der zweiten Generation aus der Altersgruppe der 25-34jährigen erleiden dagegen gegenüber ihren Altersgenossinnen aus der ersten Generation geradezu einen Zusammenbruch. Lag die erste Generation der 25-34jährigen Migrantinnen mit einem Anteil von 45,5% im Bereich der höchsten Bildungsabschlüsse (AHS, BHS, Universität) noch annähernd bei jenen ihrer Altersgenossinnen ohne Migrationshintergrund (47,1%), so halbiert sich die zweite Migrantinnengeneration in dieser Alters- und Bildungsgruppe auf 23%.

Der Ausbildungsstand der zweiten Migrantengeneration hat sich demnach gegenüber jener der ersten Generation deutlich verschlechtert und der Trend zeigt nach wie vor nach unten. Der geringe Anteil Jugendlicher mit Migrationshintergrund etwa an der Lehrlingsausbildung wird von Experten vor allem hinsichtlich des Facharbeitermangels als sehr problematisch eingestuft. Im Juni 2013 titelte der Kurier „Jungen Migranten soll Lehre schmackhaft gemacht werden“. Im Text wird konkret auf die Problematik eingegangen:

„Die Statistiken zeigen klar: Jugendarbeitslosigkeit in Österreich ist zunehmend ein Integrationsproblem - speziell in Wien. Dort betrug der Anteil der Arbeitslosen unter 25 Jahre ohne Pflichtschulabschluss im Vorjahr fast 62 Prozent. Dazu kommen jährlich 10.000 Schulabbrecher‚ die weder beim AMS noch in einem Betrieb eine Lehre beginnen.“[2]

Integrationsminister Sebastian Kurz, damals noch Staatssekretär, hat sich dieser Problematik angenommen.

„Jenen „Drop-Outs“ widmet die Politik nun verstärkt ihre Aufmerksamkeit. Integrationsstaatssekretär Sebastian Kurz will mit der Initiative „Zusammen: Österreich - Deine Chance“ Migranten die Lehre näherbringen. Diese sind nämlich bei der Lehrausbildung und in berufsbildenden Mittleren Schulen mit einem Anteil von 34,7 Prozent deutlich unterrepräsentiert. „Migranten ist die Möglichkeit der Lehre noch viel zu wenig bekannt“, glaubt Kurz. Im Rahmen der Initiative touren Lehrlinge aus unterschiedlichen Unternehmen als „Integrationsbotschafter“ durch Schulen, um für die Lehre zu werben. „Junge Menschen sollen mit realistischen Vorbildern in den Arbeitsmarkt geholt werden“, so Kurz.“ [3]

Seit der Etablierung des o.a. Projektes sind eineinhalb Jahre vergangen, laut Webseite werden 300 Integrationsbotschafter in ganz Österreich eingesetzt, um die Ziele des Projektes umzusetzen. Der Trend zum Rückgang der Erwerbstätigenquote bei Personen mit Migrationsintergrund hat sich laut letztem Integrationsbericht weiter fortgesetzt.

„Personen mit Migrationshintergrund stehen in geringerem Maße als Österreicher/-innen im Erwerbsleben. So lag die Erwerbstätigenquote von 15- bis 64-jährigen Personen mit Migrationshintergrund im Jahr 2013 bei 65%, jene der Bevölkerung ohne Migrationshintergrund dagegen bei 74%. Dieser Unterschied ist wesentlich auf die niedrigere weibliche Erwerbsbeteiligung von Migrantinnen (58% gegenüber 70%) zurückzuführen, zeigte sich in geringerem Ausmaß aber auch bei den Männern (73% gegenüber 78%).“ (Migration & Integration. Zahlen. Daten. Indikatoren 2014)

Auch bei der Entwicklung der Arbeitslosenquote weisen die Nicht-Österreicher durchgängig einen über dem Durchschnitt liegenden Anteil auf:

Mit 7,6% wurde im Jahr 2013 ein Höchstwert erreicht. Die Arbeitslosenquote der Frauen lag von 1995 bis 2000 über jener der Männer, von 2001 bis 2013 war es umgekehrt. Die Auf- und Abwärtsbewegungen waren bei beiden Geschlechtern gleichlaufend. Die Arbeitslosenquote der Nicht-ÖsterreicherInnen lag im ausgewiesenen Zeitraum ab 1995 deutlich über dem Durchschnittswert.“ (Statistik Austria)

Im EU-Budget 2014-2020 sollen nach Plan der Kommission mindestens 25% des Kohäsionsfonds bzw. 80 Milliarden in den Europäischen Sozialfonds fließen. Dort soll ein Fixbetrag für Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit zweckgewidmet werden.[4]

Aus den einschlägigen wissenschaftlichen Untersuchungen zur Integration der zweiten Migrantengeneration geht wie o.a. nun klar hervor, dass Jugendliche der zweiten Generation im Vergleich zu den einheimischen Jugendlichen im höheren Bildungssektor deutlich unterrepräsentiert [sind][5]. Neben regionalen Unterschieden beeinflussen vor allem die soziale Herkunft (zum größten Teil aus dem Arbeitermilieu) und die Konzentration ausländischer Jugendlicher in den Schulen die Chancen zur höheren Bildung. Bestimmte ethnische Merkmale, wie Bindung an Traditionen, Sprachgebrauch zu Hause, Rückkehrwunsch der Eltern, und selbst interethnische Kontakte der Schüler, treten dagegen in den Hintergrund.[6]

„Soziale Mobilität war weder für die „Gastarbeitergeneration“ noch für ihre Nachkommen möglich. Sie sind stets in der untersten sozialen Schicht der österreichischen Gesellschaft geblieben. Es fehlen in Österreich positive Rollenvorbilder aus der eigenen Gruppe, also Personen, die sich erfolgreich als Pädagog/innen, Akademiker/innen und Unternehmer/innen in der österreichischen Gesellschaft positioniert haben. Auch das Fehlen einer Mittelschicht aus den zwei größten Gruppen der zweiten Generation macht sich in der Gesellschaft bemerkbar.“ (ÖIF Dossier 18; Sozioökonomische Startbedingungen, wirtschaftliche Integration und Platzierung der zweiten Generation von Menschen mit Migrationshintergrund am Arbeitsmarkt)

Daraus kann man ableiten, dass der misslungene soziale Aufstieg der zweiten Migrantengeneration zum größten Teil auf falsch ausgerichtete bzw. fehlende Integrationsmechanismen zurückzuführen ist. Die negativen Auswirkungen dieser misslungenen Integrationspolitik haben ein gefährliches Potential für den sozialen Frieden in Österreich, besonders wenn internationale Ereignisse wie Krieg und wirtschaftliche Perspektivlosigkeit enorme Flüchtlingsströme Richtung Österreich auslösen.

Ein dazu konträr bemerkenswerter Aspekt bzw. Effekt der Integrationspolitik ist der Geldfluss von Migranten in Österreich bzw. in der EU Richtung ihrer ursprünglichen Herkunftsländer. Trotz der geringeren Erwerbstätigenquote von Personen mit Migrationshintergrund stellen deren Auslandsüberweisungen an ihre Herkunftsländer einen nicht unbeträchtlichen Wirtschaftsfaktor dar. So haben 2012 die in Österreich lebenden erwerbstätigen Migranten € 761 Millionen in ihre Heimatländer überwiesen. Knapp 53% davon gingen in andere EU-Länder, 47% in Drittländer. Im umgekehrten Weg wurden aus EU-Ländern € 573 Mio. nach Österreich transferiert.

„Davon wurden 402 Millionen in andere EU-Länder und 359 Millionen in Drittländer überwiesen. Dies bedeutet eine Steigerung im Vergleich zum Jahr 2011, als die Summe der Heimatüberweisungen 707 Millionen betrug. Damals wurden 378 Millionen in EU-Länder und 329 Millionen in Drittländer transferiert. Auf umgekehrtem Weg wurde aus Ländern der EU Geld nach Österreich transferiert: Während im Jahr 2011 etwa 536 Millionen Euro nach Österreich flossen wurden 2012 etwa 573 Millionen Euro transferiert, ein Anstieg von etwa 37 Millionen. Die meisten Einnahmen an Remittances in Österreich stammen aus Deutschland. (Migration und Wirtschaft; Factsheet 04; Österreichischer Integrationsfonds)

Betrachtet man den Transfersaldo EU-weit, so zeigt sich für die EU-Länder ein klar negativer Saldo: Drei Viertel des von Migranten transferierten Geldes verlässt die EU und geht in Drittstaaten.

 


Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an den Herrn Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres nachstehende

 

Anfrage

1)     Wie ist aus Ihrer Sicht als Integrationsminister der Umstand zu beurteilen, dass Migranten der zweiten Generation vor allem in den höchsten Bildungsstufen nicht mehr mit den Migranten der ersten Generation mithalten können?

2)     Gibt es von Seiten Ihres Ressorts Untersuchungen bzw. wurden/werden solche in Auftrag gegeben, die sich mit den konkreten Ursachen für diese Differenz zwischen erster und zweiter Migrantengeneration auseinandersetzen bzw. auseinandersetzten?

a)     Wenn ja, welche Erkenntnisse konnten bis dato gewonnen werden?

3)     Das von Ihnen ins Leben gerufene Projekt „Zusammen Österreich - Deine Chance“ läuft seit ca. eineinhalb Jahren, 300 „Integrationsbotschafter“ sind in ganz Österreich unterwegs. Welche Erkenntnisse konnten Sie bzw. Ihr Ressort aufgrund dieser Initiative bis dato gewinnen?

a)     In wie vielen Einrichtungen waren/sind die Botschafter unterwegs und welche Einrichtungen sind das konkret?

b)     Wie viele Jugendliche wurden bis dato insgesamt mit dieser Initiative erreicht?

c)     Wie viele davon konnten bis dato nachweislich in einen Lehrberuf integriert werden?

d)     Wie hoch sind die budgetierten Kosten dieser Initiative, die von Ihrem Ressort getragen werden?

e)     Auf welche Höhe belaufen sich die prognostizierten Gesamtkosten der Initiative?

f)      Welche Organisation konnten Sie bis dato für Ihre Initiative gewinnen?

i)      In welche Form beteiligen sich diese Organisationen an der Initiative?

g)     Welche Unternehmen haben sich bis dato an Ihrer Initiative beteiligt?

i)      Wie äußert sich deren Engagement konkret?

h)     Auf welche Höhe belaufen sich die Kostenanteile der jeweiligen Partner Ihrer Initiative?

4)     Welche weiteren Projekte bzw. Initiativen betreibt Ihr Ressort, die geeignet sind, Bildungsnachteile, Jugendarbeitslosigkeit und Integration von Migranten in Österreich positiv zu verändern?

a)     Was sind die konkreten Zielsetzungen bzw. Themenbereiche dieser Projekte?

b)     Welcher Ressourcenaufwand ist damit verbunden?

c)     Wie gestaltet sich die Finanzierung dieser Projekte?

d)     Auf welche Höhe belaufen sich die dafür vorgesehen Budgets?

e)     Unter welcher Budgetpost sind diese Projektkosten veranschlagt?

f)      Werden diese Projekte evaluiert?

g)     Mit welchen Ressorts bzw. öffentlichen oder privaten Einrichtungen gibt es diesbezügliche Kooperationen?

5)     Ist Ihrem Ressort eine aktuelle Umfrage bekannt, die unter den Migranten der zweiten Generation deren persönliche Meinung zu ihrer Situation im Bildungsbereich beleuchtet?

a)     Wenn ja, welche konkreten Ergebnisse erbrachte diese Umfrage bzw. diese Umfragen?

b)     Wenn nein, werden Sie eine solche Umfrage in Auftrag geben?

6)     Ist Ihnen bekannt, wieviel Geld Österreich bis dato aus dem o.a. Fonds für „Initiativen gegen die Jugendarbeitslosigkeit“ lukrieren konnte?

a)     Wieviel davon konnten Sie für Ihre Projekte bzw. Initiativen lukrieren?

b)     Welche konkreten Projekte konnten Sie bis dato mit EU-Mitteln ausstatten?

c)     Wie viele EU-Mittel stehen Ihnen noch bis zum Ende der GP zur Verfügung?

7)     Wurde von Ihnen bzw. von Ihrem Ressort ein übergeordnetes, langfristiges Integrationskonzept unter Berücksichtigung der dafür relevanten Politikfelder ausgearbeitet?

a)     Wenn ja, wie sieht dieses Konzept im Detail aus und welche Stellen waren in die Erarbeitung mit eingebunden?

b)     Wenn nein, warum nicht?

8)     Wissenschaftliche Untersuchungen erläutern, dass ethnische Merkmale, wie Bindung an Traditionen, Sprachgebrauch zu Hause, Rückkehrwunsch der Eltern, und selbst interethnische Kontakte der Schüler Chancen für eine höhere Bildung weniger beeinflussen als soziale Herkunft und Segregation bzw. Konzentration von ausländischen Schülern an den österreichischen Schulen. Welchen konkreten Handlungsbedarf leiten Sie daraus für Ihr Ressort ab?

a)     Haben Sie diesbezüglich zur Nutzung von Synergien eine Zusammenarbeit bzw. einen Austausch mit dem Unterrichtsministerium bzw. mit den Bildungseinrichtungen der Länder etabliert?

i)      Wenn ja, welche Erkenntnisse und Maßnahmen leiten Sie daraus ab?

ii)     Wenn nein, warum nicht?

9)     Welche Relevanz messen Sie für die Integrationsarbeit dem Umstand bei, dass aus Österreich jährlich etwa € 760 Millionen in die Herkunftsländer der Migranten fließen, knapp die Hälfte davon in Nicht-EU-Staaten?

10)  Untersuchungen betreffend die Formen der Heimatüberweisungen zeigen auf, dass „die individuelle Unterstützung der eigenen Familie im Herkunftsland heute nicht mehr die einzige Form von Rücküberweisungsflüssen [darstellt]: Vermehrt treten monetäre Ströme in den Vordergrund, die von Migrantenverbänden aus den Gastländern in ihre Heimatgemeinden fließen.“ (Focus Migration, Kurzdossier Nr.5 2006). Wie ist aus Ihrer Sicht als Integrationsminister dieser Umstand zu werten?

11)  Sind Ihnen Migrantenverbände in Österreich bekannt, die kollektive Rücküberweisungen in Herkunftsländer vornehmen?

a)     Wenn ja, welche Verbände sind das und können Sie die Summen beziffern, die von diesen Verbänden transferiert werden?

12)  Werden von Seiten Ihres Ressorts in Hinblick auf die Rücküberweisungen in Entwicklungsländer auch Überlegungen wie etwa in Deutschland angestellt, diesen Umstand der Entwicklungshilfe anzurechnen?

a)     Wenn ja, wie sehen diese Überlegungen konkret aus?

b)     Wenn nein, warum nicht?

13)  Im Rahmen der Leistungsbeurteilung wird von Pädagogen an österreichischen Schulen immer wieder gerne die Selbsteinschätzung der Schüler abgefragt. Welche Beurteilung würden Sie als amtierender Integrationsminister der österreichischen Integrationspolitik der letzten 20 Jahre nach der Schulnotenskala gegeben?

 



[1] Stadler/ Wiedenhofer-Galik: Bildungs- und Erwerbspartizipation junger Menschen in Österreich unter besonderer Berücksichtigung des Migrationshintergrundes (Statistische Nachrichten 2012)

[2] Kurier vom 20.06.2013

[3] Ebda.

[4] Ebda.

[5] Bildungsbenachteiligung in Österreich und im internationalen Vergleich. KMI Working Paper Series (Kommission für Migrations- und Integrationsforschung hrsg. v. Barbara Herzog-Punzenberger) Working Paper Nr. 10; Österreichische Akademie der Wissenschaften; S.38

[6] Ebda.