3758/J XXV. GP

Eingelangt am 20.02.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Bruno Rossmann, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Finanzen

betreffend Mehrwertsteuerbetrug im innergemeinschaftlichen Versandhandel

BEGRÜNDUNG

 

Für den innergemeinschaftlichen Versandhandel sieht das EU-Recht Sonderregelungen (Art 33 MwStSyst-RL) vor. Deren Ziel besteht wegen der unterschiedlichen Steuersätze darin, Wettbewerbsverzerrungen zwischen den Mitgliedstaaten zu vermeiden.

Werden Waren in anderen EU-Mitgliedstaaten bei Unternehmen bestellt, und von diesen etwa an die Wohnadresse geliefert, dann erfolgt gemäß der Sonderregelung die Versteuerung grundsätzlich im Ursprungsland. Übersteigen diese Umsätze in ein bestimmtes anderes EU-Land  aber eine gewisse Schwelle, dann sind die Umsätze dieses Unternehmens in diesem anderen Mitgliedstaat zu versteuern (Bestimmungslandprinzip). Die Schwelle (=Lieferschwelle) wurde von den Mitgliedstaaten individuell festgelegt und beträgt für Österreich seit 1.1.2011 35.000 Euro (zuvor 100.000 Euro). Die Regelung wird nicht angewendet werden, wenn der/die AbnehmerIn den Gegenstand abholt.

Von der Versandhandelsregelung ausgenommen sind neue Fahrzeuge und verbrauchsteuerpflichtige Waren (Mineralöle, Alkohol, alkoholische Getränke, Tabakwaren, Energieerzeugnisse). Diese sind grundsätzlich immer im Bestimmungsland zu besteuern, für sie gilt also keine Lieferschwelle.

Der/Die UnternehmerIn ist in diesem Fall verpflichtet, sich in diesem anderen Land steuerlich erfassen zu lassen, eine Rechnung mit gesondertem Ausweis der Umsatzsteuer zu legen und die Umsatzsteuer an das für nicht ansässige UnternehmerInnen zuständige Finanzamt – das ist in Österreich Graz-Stadt – abzuführen. Der Ausweis der Umsatzsteuer dient nicht dem Vorsteuerabzug, sondern gibt dem/der AbnehmerIn bekannt, dass die Lieferung mit inländischer Umsatzsteuer belastet ist.


Im Kurier vom 15.1.2015 wird auf Umsätze ausländischer Versandhändler in Höhe von 2,4 Mrd Euro netto hingewiesen, wovon 480 Mio Euro an Umsatzsteuer abgeführt würden. Der Kurier berief sich dabei auf Angaben der Finanz. Gleichzeitig wird im Kurier auf eine Studie der KMU-Forschung Austria über den Internet-Einzelhandel in Österreich hingewiesen. Demnach liegen die Umsätze aus dem innergemeinschaftlichen Versandhandel im Jahr 2013 über 3 Mrd Euro. Der Kurier geht daher davon aus, dass die Abfuhren aus der Umsatzsteuer um zumindest 120 Mio Euro höher sein müssten. Das BMF spricht von einer „Ungenauigkeit der Schätzung“ und begründet die höheren Schätzungen mit der Lieferschwelle, denn Versandhändler müssten sich ja erst über der Schwelle von 35.000 Euro registrieren lassen. Für Roman Seeliger von der Bundessparte Handel in der Wirtschaftskammer „bestehe der Verdacht, dass es manche Händler mit Steuerpflicht nicht allzu ernst nehmen. Man muss sich schon fragen, wie sonst großzügige Konsumentenrabatte finanzierbar wären.“ (Kurier, 15.1.2015)

Die entscheidende Frage ist daher, ob die gesetzliche Regelung ausreicht, um Steuerhinterziehung auszuschließen. Der Versandhandel ist aufgrund der bestehenden Rechtslage derzeit nicht kontrollierbar. Es ist daher nicht sichergestellt, dass die in den Rechnungen ausgewiesene Umsatzsteuer tatsächlich in voller Höhe an das Finanzamt Graz-Stadt abgeführt wird. Von zentraler Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Versandhandel keine Zusammenfassende Meldung (ZM) an das zuständige Finanzamt einzureichen hat, weil das in der Mehrwertsteuer-RL nicht vorgesehen ist (Siehe dazu: http://formulare.bmf.gv.at/service/formulare/inter-Steuern/pdfd/9999/U13a.pdf).

Die Verordnung über die Zusammenarbeit der Verwaltungsbehörden und die Betrugsbekämpfung auf dem Gebiet der Mehrwertsteuer (VO (EU) Nr. 904/2010 des Rates) sieht für den Versandhandel oberhalb der Lieferschwelle zwar einen Informationsaustausch (automatisch oder spontan) vor, allerdings kommen die ausländischen Finanzbehörden diesen Verpflichtungen nicht nach – mit Ausnahme der Rechtshilfe bei Strafverfahren. Die österreichischen Finanzbehörden sind somit auf den good will angewiesen. Die Zusammenarbeit mit ausländischen Steuerverwaltungen ist traditionell schwach. Sie scheitert neben Sprachbarrieren vor allem an mangelhaftem Interesse zur Kooperation: Gegenüber Steuerbehörden anderer Staaten bestehen häufig subtile Vorurteile. Die Finanzbehörden beschreiten daher auch andere Wege, etwa über Daten von Paketzustellern.

Trotz dieser Versuche  lässt sich die Schlussfolgerung ziehen, dass der innergemeinschaftliche (ig) Versandhandel durch die österreichischen Finanzbehörden nicht kontrollierbar ist.  Diese Schlussfolgerung wird unterstützt durch den Rechnungshof. Er kommt bereits im Jahr 2009 in seinem Prüfbericht[1] zu dem Ergebnis, dass die ordnungsgemäße Besteuerung des Versandhandels in der Praxis kaum möglich ist. (TZ 22)

Weiters gelangt er zur Auffassung, dass „das Finanzamt bei der Veranlagung ausländischer Versandhändler, die mit ihren Warenlieferungen aus dem EU–Ausland an private Abnehmer im Inland umsatzsteuerpflichtig sind, darauf angewiesen ist, dass diese freiwillig ihren abgabenrechtlichen Verpflichtungen nachkommen. Systematische Maßnahmen zum Vollzug der Versandhandelsregelung werden derzeit nicht getroffen, sind allerdings in der Praxis kaum möglich.“ 

Der RH empfahl daher dem BMF und dem Finanzamt Graz-Stadt, für eine systematische Betrugsbekämpfung im Bereich der Umsatzsteuer bei ausländischen Unternehmern folgende Maßnahmen zu setzen: [...] Zusammenarbeit mit den Internetspezialisten der Zollverwaltung, um durch Internet–Recherche und Beobachtung des Online-Markts ausländische Versandhändler zu identifizieren und deren steuerliche Erfassung sicher zu stellen; Verstärkung der internationalen Amtshilfe (Erhöhung der Anzahl der Amtshilfeersuchen).

Im Bericht wird weiters festgehalten: „Die Europäische Kommission empfahl in ihrem Bericht über die Verwaltungszusammenarbeit bei der Bekämpfung des Mehrwertsteuerbetrugs, die internationale Zusammenarbeit und Vernetzung durch einen umfassenderen Informationsaustausch, die Aufstockung des dafür zuständigen Personals und die Beseitigung der noch bestehenden rechtlichen Hindernisse (Datenschutzvorschriften) zu verstärken.“

Das Scheitern ist aber - wie oben ausgeführt wurde - auf die fehlenden Einreichungen der ZM zurückzuführen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Wie hoch schätzen Sie für die Jahre 2010, 2011, 2012, 2013 und 2014 jeweils das Volumen des ig Versandhandels? (Bitte um getrennte Aufstellung der jeweiligen Jahre)

2.    Auf welcher Datengrundlage beruhen diese Schätzungen?

3.    Wurden Plausibilitätsüberprüfungen für die Daten durchgeführt?

4.    Wenn ja, welche?


 

5.    Wie hoch sind die jeweils daraus resultierenden Einnahmen an Umsatzsteuer für das jeweilige Jahr? (Bitte um jährliche Aufstellung für die Jahre 2010 bis inkl. 2014)

 

6.    Halten Sie die Schätzungen über das Volumen des ig Versandhandels und der daraus resultierenden Einnahmen an Umsatzsteuer für das Jahr 2013 durch die Studie der KMU-Forschung Austria für plausibel?

 

7.    Wenn nein, warum nicht?

 

8.    Wie hoch schätzen Sie den durch Mehrwertsteuerbetrug verursachten Ausfall an Umsatzsteuer im ig Versandhandel für die Jahre 2010 bis inklusive 2014 (Jahre jeweils getrennt anführen)?

 

9.    Ist der innergemeinschaftliche Versandhandel durch die österreichischen Finanzbehörden kontrollierbar?

 

10. Wenn ja, wie und welche Kontrollmaßnahmen werden in der Praxis tatsächlich getroffen?

 

11. Kommt der ZM zur Bekämpfung allfälligen Mehrwertsteuerbetrugs im ig Versandhandel eine zentrale Rolle zu?

 

12. Wenn nein, warum nicht?

 

13. Wenn ja, welche Schritte und konkreten Aktionen haben Sie und ihre VorgängerInnen seit der Kritik durch den Rechnungshof  im Jahr 2009 auf europäischer Ebene zur Veränderung der Mehrwertsteuer-RL gesetzt?

 

14. Welche konkreten nächsten Schritte planen Sie auf nationaler Ebene?

 

15. Welche konkreten Schritte haben Sie in jüngster Vergangenheit bzw werden Sie auf europäischer Ebene setzen, um die Verpflichtung zur Einreichung der ZM in der Mehrwertsteuer-RL zu verankern?

 

16. Haben Sie bereits BündnispartnerInnen, die das dieses Anliegen unterstützen?

 

17. Wenn ja, welche?

 

18. Wenn nein, wann werden Sie in dieser Hinsicht aktiv werden?

 

19. Welche weiteren Schritte bzw Maßnahmen zur Verhinderung des Mehrwertsteuerbetrugs beim ig Versandhandel wurden seit der Kritik durch den Rechnungshof im Jahr 2009 gesetzt bzw werden in absehbarer Zeit gesetzt werden?


20. Werden durch das BMF bzw das Finanzamt Graz-Stadt regelmäßig Plausibilitätskontrollen über die Umsatzsteuereingänge aus dem ig Versandhandel durchgeführt?

 

21. Wenn ja welche und wie erfolgen diese?

 

22.  Welche Erfahrungen haben die österreichischen Finanzbehörden beim automatischen Informationsaustausch auf Basis der EU-Verordnung aus dem Jahr 2010 seither vor dem Hintergrund, dass dieser offensichtlich schlecht funktioniert, gemacht?

 

23. Wann sind aus welchen Ländern Meldungen im Rahmen des automatischen Informationsaustauschs eingelangt? (Bitte um jährliche Aufstellung nach Ländern)

 

24. Wurde die Plausibilität dieser Meldungen überprüft?

 

25. Wenn ja, wie?

 

26. Wurden durch die österreichischen Finanzbehörden spontane Anfragen gemäß Art 15 der EU-Verordnung gemacht?

 

27. Wurden spontane Anfragen an Luxemburg gerichtet?

 

28. An welche weiteren Mitgliedstaaten ergingen solche Anfragen?

 

29. Konnten dadurch Steuerbetrugsfälle aufgedeckt werden?

 

30. Wenn ja, wie viele und zu welchen Mehreinnahmen haben diese geführt? (Bitte um jährliche Aufstellung für die Jahre 2010 bis inklusive 2014)

 

31. Wenn nein, warum wurden keine spontanen Anfragen an andere Mitgliedstaaten gestellt?

 

32. Haben umgekehrt die österreichischen Finanzbehörden sich am automatischen Informationsaustausch beteiligt?

 

33. Wenn ja, mit welchen Mitgliedstaaten?

 

34. Wenn nicht, warum nicht?

 

35. Wurden von anderen Mitgliedstaaten spontane Anfragen an Österreichs Finanzbehörden gerichtet?

 

36. Wenn ja, wurden diese beantwortet?


 

37. Wie viele Personen beschäftigen sich beim Finanzamt Graz-Stadt mit dem ig Versandhandel? (Bitte um jährliche Aufstellung für die Jahre 2010 bis inkl. 2014)

 

38. Wie viele Arbeitsstunden haben diese Personen in den Jahren 2010 bis inklusive 2014 im Bereich des ig Versandhandels aufgewendet? (Bitte um jährliche Aufstellung)



[1] http://www.rechnungshof.gv.at/fileadmin/downloads/2009/berichte/teilberichte/bund/bund_2009_13/bund_2009_13_2.pdf#4