4092/J XXV. GP

Eingelangt am 06.03.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Wolfgang Zinggl, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien

betreffend Förderungswürdigkeit des Zeitgenössischen Circus

BEGRÜNDUNG

 

Zeitgenössischer Circus ist eine hoch differenzierte performative Kunstform, die nichts mehr mit Artisten, Tieren, Attraktionen und zersägten Jungfrauen, sowie Familienbetrieben und dem Tingeln im Wohnwagen zu tun hat. In vielen Ländern Europas, insbesondere in Frankreich, Deutschland, Schweden, Spanien und Belgien, hat sich eine abgestufte Ausbildungslandschaft von der Frühförderung bis zum Universitätsniveau herausgebildet. Es existieren Festivals, Produktionshäuser, einschlägig gebildete Theoretiker und Theoretikerinnen, Kritiker und Kritikerinnen sowie eine aufbereitete Geschichte des Genres, kurzum, ein ausgiebiger Diskurs wie ihn andere Kunstsparten auch kennen.

In Österreich bleibt diese Entwicklung von der Kulturpolitik bisher unbeachtet und der Zeitgenössische Circus vom Kanon der Förderungswürdigkeit größtenteils ausgeschlossen. Ausnahmen bilden vereinzelte lokale und regionale Förderungen. Beispielsweise förderte die Stadt Salzburg 2013 das zeitgenössische Circusfestival „Winterfest“ mit 80.000 EUR, das Land Steiermark unterstützte im selben Jahr die Arbeitsgemeinschaft „La Strada“, die den Cirque Noël in Graz organisierte, mit 290.000 EUR. Zum Vergleich, das französische Kulturministerium subventioniert die Circuskünste jährlich mit ca. 13 Millionen EUR. Aufgrund mangelnder Unterstützung der öffentlichen Hand konnten sich bis heute in Österreich im Bereich Zeitgenössischer Circus weder weiterführende Ausbildungsmöglichkeiten noch eine ausgeprägte Festivallandschaft etablieren.

Förderanfragen an Ihr Ministerium sowie den Künstlersozialversicherungsfonds werden gerne mit folgenden Begründungen abgelehnt: es mangele an künstlerischem Anspruch, es handle sich um die Wiedergabe rein körperlicher beziehungsweise handwerklicher Fertigkeiten oder bloß um reine Unterhaltung mit kommerziellen Absichten – Argumente, die auf den Traditionellen Zirkus durchaus zutreffen.


Dies macht jedoch deutlich, dass der Zeitgenössische Circus immer noch missverstanden wird, denn der Zeitgenössische Circus unterscheidet sich wesentlich vom Traditionellen Zirkus. Im Zeitgenössischen Circus steht gerade ein künstlerischer Anspruch im Zentrum. Folgende Merkmale sind kennzeichnend:

-        Verschmelzung von Disziplinen wie Circus, Tanz, Theater, Musik, Performance Art, Digitale Medien – Entstehung einer Transdisziplin[1]

-        Verzicht auf voneinander unabhängigen Nummern: Stücke bilden eine narrative Kontinuität[2]

-        Entwicklung weg vom Zirkuszelt und der im Zentrum angeordneten Manege, hin zu Stücke, welche auf frontal ausgerichteten Bühnen in Theaterhäusern präsentiert werden[3]

-        Internationale Institutionalisierung und Professionalisierung der Kunstform: Ausbildung auf Universitäts-Niveau (BA of Circus Arts), Zirkus-Produktionszentren, Eingliederung in den Theaterbetrieb, Festivalkultur, Internationale Netzwerke, Stipendien und Preise, akademische und  journalistische Auseinandersetzung, etc.

-        Es besteht häufig eine Zusammenarbeit mit Theater-Dramaturgen, Tanz-Choreographen, Musikern und Circus-Regisseuren, welche den künstlerischen Schaffensprozess der Künstler und Künstlerinnen begleiten.

-        Der zeitgenössische Circus bietet Raum für die kritische und künstlerische Auseinandersetzung mit Geschlechter- und Gesellschaftsverhältnissen[4]

-        Circus und andere Kunstformen können hier de- und rekonstruiert werden[5]

-        Der zeitgenössische Circus folgt einer anderen ökonomischen Logik als der Traditionelle Zirkus und ist daher auf Förderung angewiesen.

Trotz mangelnder Förderungen gibt es vor allem in Wien seit vielen Jahren Bestrebungen engagierter Akteure, das enorme künstlerische und gesellschaftliche Potenzial dieser Kunstform sichtbar zu machen. Für die Ausschöpfung dieses Potenzials besteht akuter Bedarf, die bestehenden Netzwerke und Infrastrukturen im Bereich des Zeitgenössischen Circus‘ zu stärken und lokalen Akteuren mehr Sichtbarkeit zu gewähren. Sie haben in der gegenwärtigen Situation kaum Möglichkeiten, sich in Wien, Österreich und international besser zu vernetzen, und ihre Aktivitäten nachhaltig auszubauen.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Welche Voraussetzungen müssen aus der Sicht des Kunstressorts erfüllt sein, damit die Kunstform des Zeitgenössischen Circus als förderungswürdig anerkannt wird?

2)    Gibt es bereits Bestrebungen, diese Kunstform auch auf Bundesebene anzuerkennen?

3)    Können Circus Festivals aus Mitteln des Kunstressorts gefördert werden?

4)    Können Circus Bühnen aus Mitteln des Kunstressorts gefördert werden?

5)    Können Circus Kompanien aus Mitteln des Kunstressorts gefördert werden?

6)    Können Circus Netzwerke aus Mitteln des Kunstressorts gefördert werden?

7)    Welche der Abteilungen in Ihrem Ministerium ist generell für die Kunstform Zeitgenössischer Circus zuständig?

8)    Ist dieselbe Abteilung für die in den Fragen 3 bis 6 aufgelisteten Einrichtungen des Zeitgenössischen Circus zuständig?

9)    Wenn nicht, welche anderen Abteilungen Ihres Ministeriums sind für die jeweilige Einrichtung zuständig?

10) Fällt die Förderung einer Circusschule noch in den Rahmen der Kunstförderung oder bereits in die Bereiche Bildung oder Jugend?

11) Mit welcher Begründung wird die Förderung von Zeitgenössischem Circus auf Bundesebene abgelehnt?

12) Gibt es in einem der Förderbeiräte einen Vertreter des Zeitgenössischen Circus?



[1] Guy, Jean-Michel (2001): Les arts du cirque en France en 2001. Paris: A.F.A.A., Chroniques de l´A.F.A.A. : 19.

[2] Purovaara, Tomi et al. (2012): An Introduction to Contemporary Circus. Stockholm: STUTS: 113.

[3] Le Gallic, Morgane (2008): Le Goliath, guide des arts de la rue et des arts de la piste, HorsLesMurs.

[4] Rosemberg, Julien (2004): Arts du cirque. Esthétiques et évaluation. Paris: L´Harmattan :36

[5] Ibid.