4186/J XXV. GP

Eingelangt am 17.03.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Eva Mückstein, Freundinnen und Freunde an die Bundesministerin für Gesundheit

betreffend Auftragsvergabe der Sozialversicherung im Bereich Psychotherapie

BEGRÜNDUNG

 

Die WGKK beabsichtigt, psychotherapeutische Leistungen an einen privaten Ausbildungsverein für Psychotherapie (ÖAGG-Österreichischer Arbeitskreis für Gruppentherapie und Gruppendynamik) zu vergeben, der zu diesem Zweck eine GmbH errichtet hat (ÖAGG-psychotherapeutische Ambulanz GmbH, Lenaugasse 3, 1080 Wien).

Die ÖAGG-psychotherapeutische Ambulanz GmbH soll eine psychotherapeutische Versorgungsambulanz betreiben, die in Kooperation mit der WGKK angeblich bis zu 5.000 Personen aus dem Rehabilitationsprogramm mit Gruppenpsychotherapie versorgen soll und andererseits mit Lehre und Forschung betraut wird. Bereits im April sollen in der Versorgungsambulanz täglich mehrere psychotherapeutische Gruppen geführt werden.

Unseres Wissens nach finanziert die WGKK die ÖAGG – psychotherapeutische Ambulanz GmbH pauschal. Die ÖAGG – psychotherapeutische Ambulanz GmbH beabsichtigt, PsychotherapeutInnen vertraglich zu binden und mit der Durchführung der Gruppenpsychotherapie zu beauftragen. Die PsychotherapeutInnen werden aber nicht beschäftigt, sondern müssen freiberufliche PsychotherapeutInnen bleiben. Die PsychotherapeutInnen stellen ihre Leistung der ÖAGG-GmbH in Rechnung.

Der EuGH entschied in seinem Urteil am 11. Juni 2009, dass Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber gelten, weil sie durch Mitgliedsbeiträge nach gesetzlichen Regeln finanziert werden. Daher haben gesetzliche Krankenkassen bei der Beschaffung von Bau-, Liefer- und Dienstleistungen das Vergaberecht zu beachten, wenn der Auftragswert die gesetzlich festgelegten EU-Schwellenwerte überschreitet. Aber auch die Auftragsvergabe im Unterschwellenbereich hat nach bestimmten Kriterien zu erfolgen. Die Verhandlungen müssen transparent, fair und objektiv mit geeigneten Bietern geführt werden und es ist unzulässig, Verhandlungen einseitig ohne vorherige Bekanntmachung zu führen.

Die gruppenpsychotherapeutischen Leistungen im Rahmen des Rehabilitationsprogrammes wurden von der WGKK jedenfalls ohne Ausschreibung, ohne Vergleichsangebote und ohne Beteiligung/Einbeziehung anderer Ausbildungseinrichtungen, die ebenfalls zur Gruppenpsychotherapie qualifiziert sind, vergeben. Möglicherweise handelt es sich deshalb bei dieser Auftragsvergabe um eine unzulässige Direktvergabe bzw. ein unzulässiges Verhandlungsverfahren ohne Bekanntmachung mit nur einem Bieter.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Gelten die Krankenkassen und die Pensionsversicherung als öffentliche Auftraggeber und unterliegen sie bei der Vergabe von Dienstleistungen dem Vergaberecht?

Wenn nein, warum nicht?

 

2)    Gelten die Krankenkassen und die Pensionsversicherung als öffentliche Auftraggeber und unterliegen sie bei der Vergabe von Dienstleistungen dem Kartellrecht?

Wenn nein, warum nicht?

 

3)    Welchen Rechtsvorschriften unterliegen die Krankenkassen und die Pensionsversicherungsanstalt bei der Vergabe von Dienstleistungen, die psychotherapeutische Versorgungsleistungen zum Inhalt haben?

 

4)    Welchen Rechtsvorschriften unterliegen die Krankenkassen und die Pensionsversicherungsanstalt bei der Vergabe von Gesundheitsleistungen im Allgemeinen?

 

5)    Sind die Krankenkassen berechtigt, private Vereine mit der Etablierung von Ambulatorien zur Gesundheitsversorgung zu betrauen?

Wenn ja, auf welcher rechtlichen Grundlage?

 

6)    Wie hoch ist der geschätzte Auftragswert pro Jahr für die gegenständlichen zur Vergabe gelangenden psychotherapeutischen Leistungen?

 

7)    Für wie viele Jahre soll dieser Vertrag über psychotherapeutische Leistungen abgeschlossen werden?

 

8)    Enthält die abgeschlossene Vereinbarung noch Vertragsverlängerungs- bzw. Erweiterungsoptionen?

Wenn ja, wie hoch ist der geschätzte Auftragswert dieser Optionen?

 

9)    Sollen weitere Vereinbarungen über psychotherapeutische Leistungen von den Krankenkassen und der Pensionsversicherung abgeschlossen werden?

Wenn ja, welche weiteren Vereinbarungen über psychotherapeutische Leistungen mit welchem geschätzten Auftragswert/Jahr sollen abgeschlossen werden?

 

10) Wenn eine Vereinbarung über psychotherapeutische Leistungen zur Vergabe gelangt bzw. gelangte: Erfolgte die Zuschlagserteilung (Abschluss der Vereinbarung) direkt an die ÖAGG-GmbH, ohne dass andere Gruppenpsychotherapie-Anbieter an diesem Vergabeverfahren beteiligt waren?

Wenn ja, handelt es sich dabei um eine unzulässige Direktvergabe oder ist die WGKK berechtigt, mit einem von ihr gewählten Anbieter von Gruppenpsychotherapie ein eine Vertragsbeziehung zu treten?

Wenn nein, warum nicht?

 

11) Weshalb ist der ÖAGG geeignet diese psychotherapeutischen Leistungen zu erbringen und worin liegt der Grund, dass mit dem ÖAGG verhandelt wurde und mit ihm die Vereinbarung über psychotherapeutische Leistungen abgeschlossen wurde?

 

12) Gab es eine Vergabebekanntmachung und klare Kriterien in einer Ausschreibungsunterlage?

Wenn nein, warum nicht?

 

13) Wie hoch ist der Schwellenwert im Zusammenhang mit dieser Form der Leistungs-/Auftragsvergabe?

 

14) Falls der Auftragswert über dem Schwellenwert liegt, warum hat kein Vergabeverfahren entsprechend den Grundsätzen des freien und lauteren Wettbewerbs und der Gleichbehandlung aller potentiellen Bewerber und Bieter stattgefunden?

 

15) Wird festgestellt, dass die Zuschlagserteilung in dieser Form unzulässig war, welche Konsequenzen beabsichtigt die Gesundheitsministerin als Aufsichtsbehörde für die WGKK bzw. der Sozialminister als Aufsichtsbehörde der Pensionsversicherungsanstalt im Hinblick auf diese Vereinbarung bzw. die Vorgangsweise zum Abschluss einer Vereinbarung über psychotherapeutischen Leistungen zu ziehen?

 

16) Wie wird  garantiert, dass die Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber bei der Auftragsvergabe keine uneingeschränkte Wahlfreiheit haben und willkürliche Vergabeentscheidungen treffen können?

17) Handelt es sich bei der genannten Versorgungsambulanz um einen privaten Versorgungsverein, um eine Vertragseinrichtung der Kassen oder um eine eigene Einrichtung der Krankenkassen? Wenn nichts dergleichen zutrifft, um welche Organisationsform und um welchen rechtlichen Status handelt es sich bei einer solchen Ambulanz?

 

18) Ist der Vertrag/die Vereinbarung zwischen der WGKK und der ÖAGG – psychotherapeutische Ambulanz GmbH öffentlich zugänglich? (Bitte um Beilage des Vertrages/der Vereinbarung zwischen WGKK und ÖAGG)

 

19) Die Rahmenbedingungen für diesen Vertrag wurden nicht mit der im ASVG genannten und per Bescheid des Gesundheitsministeriums anerkannten (freiwilligen) Berufsvertretung, dem ÖBVP (Österreichischer Bundesverband für Psychotherapie) und auch mit sonst keiner zur Qualitätssicherung und Standardentwicklung autorisierten Gruppierung wie z.B. dem Psychotherapiebeirat des Gesundheitsministeriums verhandelt. Die Qualitätskriterien wurden entweder von der WGKK selbst vorgegeben oder vom einzigen Anbieter selbst eingebracht. Wie gewährleisten Sie bei einer solchen Vorgangsweise das Bestbieterprinzip und wie sichern Sie, dass ethische und fachliche Standards eingehalten werden und nicht interessengeleitetes Qualitätsdumping betrieben wird?

 

20) Welchen fachlichen und ethischen Standards sind Bestandteil der Vereinbarung zwischen der WGKK und der ÖAGG-psychotherapeutische Ambulanz GmbH?

 

21) Wie und durch wen erfolgt im Rahmen dieses Projekts die Indikationsstellung zur Psychotherapie, zur Einzel- oder zur Gruppenpsychotherapie?

 

22) Warum wird Gruppenpsychotherapie und nicht Einzelpsychotherapie angeboten, welche nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen bei der überwiegenden Mehrzahl der psychischen Erkrankungen die kosteneffizienteste Heilbehandlung darstellt und somit geboten wäre?

 

23) Ist die Zuerkennung des Reha-Geldes im Rahmen der medizinischen Rehabilitation von der Inanspruchnahme einer Gruppenpsychotherapie abhängig?

 

Wenn ja, wie verhält sich die Mitwirkungspflicht der PatientInnen im Rehabilitationskontext zum Freiwilligkeitsgebot bei der Inanspruchnahme einer psychotherapeutischen Behandlung?

 

24) Falls es sich um Psychotherapien im Rahmen der Mitwirkungspflicht der PatientInnen handelt, sind die behandelnden PsychotherapeutInnen verpflichtet, die Mitwirkung zu beurteilen oder nur zu bestätigen?

 

25) Falls die Mitwirkung der PatientIn einer Bewertung durch die PsychotherapeutIn unterliegt, handelt es sich somit bei dieser Form von Gruppenpsychotherapie  um Psychotherapie im Zwangskontext?

 

26) Dienstleistungserbringer sind freiberufliche PsychotherapeutInnen. Die in der Ambulanz tätigen PsychotherapeutInnen werden nicht angestellt, sondern es werden freiberufliche PsychotherapeutInnen verpflichtet. Die vertraglich gebundenen PsychotherapeutInnen werden lt. Homepage des ÖAGG aber verpflichtet, ein vorgegebenes Honorar zu akzeptieren, bestimmte, fix geregelte Stunden in der Versorgungsambulanz zu verbringen (verlangt wird „Verfügbarkeit von 8 bis 16 Uhr“), um die Gruppenpsychotherapie durchzuführen und an Teambesprechungen und Supervisionen teilzunehmen. Es liegen offensichtlich wesentliche Merkmale eines Arbeitsvertrages vor:

 

-       Eingliederung in den Ambulanzbetrieb (betriebliches Weisungsgefüge, organisatorische Vorschriften, konkret bestimmte Arbeitstage, Zuweisung eines bestimmten Arbeitsplatzes, Unterordnung unter die betriebliche Hierarchie, Nutzung von Betriebsmitteln,…)

-       Partielle Weisungsebundenheit

-       Verpflichtung zur persönlichen Dienstleistung

-       Disziplinäre Verantwortung

-       Kontrollunterworfene

Auch wurden die Vertragsbedingungen für die freiberuflichen PsychotherapeutInnen nicht mit der Berufsvertretung der PsychotherapeutInnen verhandelt, sondern mit dem privaten Ausbildungsverein für Psychotherapie (ÖAGG). Die PsychotherapeutInnen, die diese Leistungen erbringen sollen, haben daher weder den ASVG-rechtlich verbrieften Schutz von freiberuflichen PsychotherapeutInnen, noch ist die Erhebung der Sozialabgaben sichergestellt.

Existieren Rechtsvorschriften, welche die Vergabe von psychotherapeutischen Leistungen an freiberufliche PsychotherapeutInnen durch die Krankenkassen erlauben bzw. diese Vergabe regeln?

27) Entsprechen die oben beschriebenen Beschäftigungsverhältnisse den Kriterien von Werkverträgen?

Wenn ja, auf Basis welcher gesetzlichen Grundlagen?

 

28) Ist sichergestellt, dass Sozialabgaben abgeführt werden?

Wenn ja, wie?

 

29) Welchen arbeitsrechtlichen Schutz und welchen Grundrechtsschutz auf welcher gesetzlichen Basis hätten freiberufliche PsychotherapeutInnen in dieser Konstellation?

30) Falls tatsächlich Freiberuflichkeit gerechtfertigt wäre, wie stellen Sie sicher, dass die Grundrechte freiberuflicher PsychotherapeutInnen nicht eingeschränkt werden?

 

31) Wie wird dem Gleichheitsgrundsatz, dem Grundsatz der Erwerbsfreiheit und dem Grundsatz des freien und fairen Wettbewerbs nachgekommen?

 

32) Welche rechtlichen Möglichkeiten auf welcher gesetzlichen Grundlage haben freiberufliche PsychotherapeutInnen, die ASVG-verbriefte Vertragsbeziehung zwischen der Krankenkasse und den PsychotherapeutInnen in Form von Gesamtverträgen einzufordern oder anders ausgedrückt, wie können sich freiberufliche PsychotherapeutInnen in einer solchen Konstellation vor dem Diktat der Krankenkasse bzw. vor dem Diktat privater Versorgungsvereine bezüglich Honorargestaltung, Erwerbsfreiheit, freier und fairer Wettbewerb und Rahmenbedingungen für die psychotherapeutische Arbeit schützen?

 

33) Ist Ihnen der  Vertrag zwischen der ÖAGG – psychotherapeutischen Ambulanz GmbH und den freiberuflichen PsychotherapeutInnen bekannt und stehen die Bestimmungen dieses Vertrages im Einklang mit den österreichischen Gesetzen?

(Bitte um Beilage des Vertrages zwischen der ÖAGG – psychotherapeutischen Ambulanz GmbH und den freiberuflichen PsychotherapeutInnen)

 

34) Frau Mg. Maria-Anna Pleischl ist Geschäftsführerin im ÖAGG. Bis vor kurzem war sie zugleich Präsidentin des Österreichischen Bundesverbandes für Psychotherapie (ÖBVP). In der Funktion als ÖAGG-Geschäftsführerin hat sie offensichtlich hinter verschlossenen Türen den Vertrag mit der WGKK ausgehandelt. In der Funktion als Präsidentin des ÖBVP hat sie – vermutlich aufgrund einer Vereinbarung mit der WGKK – den ÖBVP-Gremien verschwiegen, dass es derartige Verhandlungen gibt. Nach Bekanntwerden, dass dieser Vertrag zustande kommt, hat Frau Mag. Pleischl ihren Rücktritt als Präsidentin des ÖBVP bekannt gegeben, um im Nachhinein „Unvereinbarkeiten“ zu vermeiden. Daraus ergeben sich Hinweise, dass der Ambulanzvertrag nach dem Prinzip „Freunderlwirtschaft“ und nicht nach vergaberechtlich transparenten Kriterien erfolgte.  Welche Rolle hat Frau Mag. Maria-Anna Pleischl bei den Vertragsverhandlungen bzw. der Leistungsvergabe gespielt?

 

35) Ist es als unvereinbar zu bezeichnen, in diesen beiden Funktionen tätig zu werden und gibt es dafür eine gesetzliche Grundlage oder einen Ethikkodex, der in einem solchen Fall zur Anwendung kommen sollte?

 

36) Kommt dem Gesundheitsministerium in solchen Fragen eine Aufsichtsfunktion zu? Wenn ja, in welcher Form wurde diese ausgeübt?

 

37) Welche Verantwortung kommt in einem solchen Fall der WGKK zu, Leistungen entweder auszuschreiben oder sie – wie im ASVG vorgesehen – mit der bescheidmäßig anerkannten Berufsvertretung zu verhandeln?

 

38) Falls Unregelmäßigkeiten erkannt werden, welche Konsequenzen ergeben sich daraus für Sie als Aufsichtsbehörde bzw. für die WGKK?