4447/J XXV. GP

Eingelangt am 30.03.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

des Abgeordneten Mag. Hauser

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

 

betreffend Natura 2000-Nachnominierungen in Tirol/Osttirol (Lebensraumtyp 3230 „Alpine Flüsse mit Ufergehölzen von Myricaria Germanica“)

 

Die aufklärungswürdigen Vorgänge rund um die Nachnominierung weiterer Natura 2000-Gebiete in Osttirol sorgen für großen Unmut in der Bevölkerung, bei den betroffenen Grundeigentümern sowie zahlreichen Gemeinden, vertreten durch ihre Gemeinderäte und Bürgermeister.

 

Der Planungsverband 34 (Iselregion in Osttirol) hat als Raumordnungsorgan im Juli 2013 beim europaweit anerkannten Experten Priv.-Doz. Dr. Gregory Egger (Umweltbüro GmbH) die erste parzellenscharfe Erhebung und Bewertung des mit Schreiben des früheren EU-Umweltkommissars Janez Potocnik vom 30. Mai 2013 u.a. eingemahnten Lebensraumtyps 3230 vorgenommen.

 

Die Kompetenzlage in Österreich ist dazu etwas unübersichtlich: Während das EU-Mahnschreiben an den damaligen Bundesminister für Europa, Integration und Äußeres, Dr. Michael Spindelegger ergangen ist, liegt die fachliche Zuständigkeit trotz fehlender Naturschutzrahmengesetzgebung des Bundes wohl beim Lebensministerium und ist letztendlich wohl das Bundeskanzleramt für die Koordination in allen EU-Vertragsverletzungsverfahren gegenüber der Republik Österreich zuständig. Die Kompetenz für einen Gebietsvorschlag liegt bei der jeweiligen Landesregierung des betroffenen Bundeslandes.

 

Im September 2014 wurde das einzig vorliegende, wissenschaftlich-fachliche Gutachten durch Priv.-Doz. Dr. Egger um einen naturkundefachlichen Ausweisungsvorschlag erweitert, welcher nach einer Vorbegutachtung in der Generaldirektion Umwelt in Brüssel im Oktober 2014 (Referatsleiter Stefan Leiner) dazu geeignet erscheint, alle europarechtlichen Kriterien im Sinne vorliegender EuGH-Entscheidungen zu erfüllen („Severn-Urteil“ zu C-371/98 und Schlussanträge des Generalanwaltes dazu mit Randnr. 41).

 

Priv.-Doz. Dr. Egger hat dabei auch erstmals alle österreichweit bereits nominierten Schutzgebiete sowie nachzunominierenden Gebiete auf der Nationalen Liste flächenmäßig bilanziert (Tiroler Lechtal, Dorfertal im Nationalpark Hohe Tauern/Tirol sowie Obere Drau und Gail in Kärnten).


Mit den bisherigen Unterschutzstellungen ist die Republik Österreich demnach ihrer Ausweisungspflicht beim Lebensraumtyp 3230 in der „Nationalen Rechnung“ einem Ausweisungsgrad von 49 % (relativer Flächenanteil) nachgekommen, beim Schutzgut „Deutsche Tamariske“ mit einem Ausweisungsgrad von 41 %.

 

Mit der von der Umweltbüro GmbH im September 2014 zur Ausweisung vorgeschlagenen Nachnominierung käme die Republik Österreich beim LRT 3230 auf einen Prozentsatz von 92 % (relativer Flächenanteil) sowie von 86 % beim Schutzgut „Deutsche Tamariske“.

 

Mit diesem wissenschaftlich-fachlichen Ausweisungsvorschlag würde die Republik Österreich somit nachweislich ihren Verpflichtungen im Zusammenhang mit Artikel 4 der FFH-RL nachkommen und alle weiteren europarechtlichen Kriterien erfüllen. Der jeweilige Flächenanteil beim LRT 3230 sowie beim Schutzgut „Deutsche Tamariske“ würde damit jeweils mehr als verdoppelt!

 

Das Gutachten kommt zu folgendem Schluss:

„Mit der Nominierung dieses Gebietsvorschlags kann davon ausgegangen werden, dass Österreich und insbesondere das Land Tirol damit ihre Verantwortung im Zusammenhang mit Artikel 4 der FFH-RL für das Schutzgut 3230 „Alpine Flüsse mit Ufergehölzen von Myricaria Germanica“ erfüllen und der Ermahnung zur vorgeschlagenen Nachnominierung des ‚Öffentlichen Wasserguts der Isel und ihrer Zubringer‘ ausreichend nachkommen.“

 

Die beiden vorerwähnten Gutachten sind auf der Homepage der Gemeinde St. Jakob in Defereggen (www.stjakob.at) vollinhaltlich abrufbar.

 

Entgegen des EU-Mahnschreibens vom 30. Mai 2013 sowie allen bisherigen wissenschaftlich-fachlichen Erhebungen und Bewertungen des LRT 3230 sowie des Schutzgutes „Deutsche Tamariske“ in Österreich legte aber dann – zur großen Überraschung und Bestürzung der Iseltaler Bevölkerung – die Tiroler Landesregierung mit Beschluss vom 03. März 2015 (über Antrag von LH-Stv.in Mag.a Ingrid Felipe Saint Hilaire) einen Verordnungsentwurf zur Begutachtung auf, mit welchem einerseits ein Naturschutzgebiet „Osttiroler Gletscherflüsse Isel, Schwarzach und Kalserbach“ verordnet werden und dieses gleichzeitig als Basis für die Natura 2000-Nachnominierung dienen soll.

 

Dieser Ausweisungsvorschlag weist schwere fachliche Mängel auf und ist nicht dazu geeignet, die Verpflichtungen des Nationalstaates Österreich in Zusammenhang mit der Schaffung eines kohärenten Natura 2000-Netzwerkes in der EU nachzukommen: Abgesehen davon, dass „Gletscherflüsse“ keine Schutzkategorie und keinen Schutzzweck nach dem Tiroler Naturschutzgesetz 2005 darstellen und solche von der EU auch nie eingemahnt worden sind, erfüllt dieser Vorschlag weder die einschlägigen europarechtlichen Kriterien (C-371/98 und Schlussanträge des Generalanwaltes dazu mit Randnr. 41), noch andere Vorgaben der Europäischen Union.

 

Einerseits werden auf einer Flusslänge von fast 35 km zwischen Prägraten am Großvenediger und Matrei in Osttirol/Huben Flächen des Öffentlichen Wassergutes und Privatflächen ausgewiesen, auf welchen sich nicht einmal 1 % (!) des gesamten wissenschaftlich festgestellten Osttiroler Tamariskenbestandes befinden („ungerechtfertigte Gebietsausweisungen“ im Sinne mit der EuGH-Vorabentscheidung zu C-301/12). Auch an der Schwarzach in der Gemeinde St. Jakob in Defereggen ist es zu ungerechtfertigten Nominierungen gekommen, weshalb der Gemeinderat sich bereits zweimal einstimmig dagegen ausgesprochen hat!

 

Andererseits werden große Flächen des Öffentlichen Wassergutes am Kalserbach weitestgehend ausgespart, obwohl sich dort 45 % (!) des Osttiroler Tamariskenbestandes befinden und diese noch dazu wertvollste Kernhabitate für alle Unterlieger an Isel und Drau darstellen (siehe dazu Planbeilage I).

 

Am Kalserbach wird bereits ein zweites Wasserkraftwerk geplant und laufen das Land Tirol und damit die Republik Österreich als Nationalstaat Gefahr, erneut eine nicht ausreichende Nachnominierung vorzunehmen (EuGH-Entscheidung zu C-371/98 und Schlussanträge des Generalanwaltes dazu mit Randnr. 41 – „wirtschaftlichen Gründen darf bei einem Ausweisungsvorschlag nicht Rechnung getragen werden…“), womit ein neues Vertragsverletzungsverfahren droht. Darüber hinaus besteht Gefahr, aus der allgemeinen Treuepflicht und Umsetzungspflicht (EuGH-Entscheidung in der Rechtssache C-244/05) mit Haftungs- und Schadenersatzforderungen konfrontiert zu werden:

Folgen die Bundesländer (und damit letztendlich die Republik Österreich) dieser Rechtsprechung nicht, so könnten enorme wirtschaftliche Konsequenzen die Folge sein und entsprechende Haftungsfolgen oder Schadenersatzforderungen eintreten!

 

Laut Mitteilung von LH-Stv. ÖR Josef Geisler wird die Tiroler Landesregierung beim Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft die Verordnung eines wasserwirtschaftlichen Rahmenplanes auch für den Bezirk Lienz (Osttirol) beantragen, worin auch das verfahrensgegenständliche, zweite Wasserkraftwerk am Kalserbach enthalten sein soll.

 

Laut letztem EU-Mahnschreiben sollten die noch ausstehenden Natura 2000-Nachnominierungen seitens der Republik Österreich in zwei Tranchen erfolgen.

Erste Tranche: September 2014.

Zweite Tranche: September 2015.

 

Obwohl betreffend des Nachnominierungsbedarfs beim LRT 3230 und beim Schutzgut „Deutsche Tamariske“ bereits seit dem biogeographischen Bewertungsseminar für die alpine Region in Brüssel im Oktober 2001 Klarheit über den bestehenden Nachnominierungsbedarf besteht und die Generaldirektion Environment der Europäischen Kommission dazu am 17. und 18. März 2015 neuerlich ein eigenes biogeographisches Bewertungsseminar in Wien abgehalten hat, hat es die Tiroler Landesregierung offensichtlich verabsäumt, ihre Nachnominierungsvorschläge von einer breiten, eigens dafür einberufenen Expertenrunde rechtzeitig prüfen zu lassen. Dazu hat EU-Chefverhandler Dr. Frank Vassen den betroffenen Osttiroler Gemeinden mit Email vom 20.03.2015 folgendes mitgeteilt: „Das Seminar hat Dienstag und Mittwoch dieser Woche stattgefunden. Da hinsichtlich der Isel und ihrer Zubringer noch kein Gebietsvorschlag eingebracht worden ist, wurde diesbezüglich lediglich festgehalten, dass der Nachnominierungsbedarf weiterhin besteht. Ein weiteres Seminar wird voraussichtlich im Frühjahr 2016 stattfinden, also nach der für die Nachnominierung aller FFH-Gebiete zw. KOM und Österreich vereinbarten Meldefrist.“


Wir werden die vorerwähnten Sachverhalte auch dem Rechnungshof (Präsident Dr. Josef Moser) übermitteln, welcher sich bereits mehrfach auch mit der Frage von Natura 2000-Nachnominierungen in der Republik Österreich befasst hat.

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft folgende

 

Anfrage:

 

1.     Dürfen in Osttirol, letztendlich von der Republik Österreich, Gebiete nominiert werden, wo – wissenschaftlich-fachlich festgestellt – kein LRT 3230 und kein Schutzgut „Deutsche Tamariske“ vorkommen?

2.     Wenn ja, warum?

3.     Wenn nein, warum nicht?

4.     Werden in Osttirol aus fachlicher Sicht des Lebensministeriums auf Grundflächen des in Ihrer Zuständigkeit liegenden Öffentlichen Wassergutes ungerechtfertigte Falschausweisungen oder nicht ausreichende Ausweisungen vorgenommen?

5.     Wenn ja, welche Möglichkeiten zur Rücknahme einer fachlich nicht gerechtfertigten Nominierung bzw. Ergänzung einer nicht ausreichenden Nominierung sehen Sie für die Republik Österreich?

6.     Warum wurden die eingemahnten Tiroler Nachnominierungsvorschläge nicht rechtzeitig beim dafür eigens angebotenen biogeographischen Bewertungsseminar der Generaldirektion Umwelt seitens der Republik Österreich zur fachlichen Vorprüfung vorgelegt, wenn dies jetzt innerhalb der vorgegebenen Nachmeldefrist nicht mehr möglich ist?

7.     Welche Konsequenzen ergeben sich daraus?

8.     Liegen dem Lebensministerium wissenschaftliche Unterlagen für Natura 2000-Ausweisungsvorschläge in Osttirol zu einer fachlichen Bewertung aus Sicht des dafür zuständigen Lebensministeriums vor?

9.     Liegt dem Lebensministerium schon ein Antrag auf Verordnung eines wasserwirtschaftlichen Rahmenplanes für Osttirol (nach Vorbild des Tiroler Oberlandes) vor oder gibt es erst Vorgespräche dazu?

10.  Werden Sie in diesem wasserwirtschaftlichen Rahmenplan dafür sorgen, dass der allgemeinen Treuepflicht und Umsetzungspflicht der Republik Österreich in Bezug auf Natura 2000 (verfahrensgegenständliches zweites Wasserkraftwerk am Kalserbach mitten im Tamariskengebiet) rechtskonform nachgekommen werden kann?

11.  Wenn ja, wann?

12.  Wenn nein, warum nicht?