5079/J XXV. GP

Eingelangt am 21.05.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Mühlberghuber

und weiterer Abgeordneter

 

an den Bundesminister für Justiz

 

betreffend: Kindesentführungen in Österreich von 2012 bis 2014.

 

Kürzlich sorgte der "Fall Rosalie" für Schlagzeilen in Österreich. Das damals 2jährige Mädchen wurde Anfang November 2014 von ihrer Mutter von einem Ausflug nicht mehr zurückgebracht. Es folgte im Auftrag des Vaters eine internationale Fahndung unter Einbindung von Interpol. Die Frau tauchte zuerst in Wien, dann 4 Monate in Polen unter. Nach ihrer Rückkehr in die Steiermark wurde sie von den Beamten des Landeskriminalamtes festgenommen, ihr droht ein Verfahren wegen Kindesentziehung. Die kleine Rosalie ist jetzt wieder bei ihrem überglücklichen Vater.

 

Eine Geschichte, die durch die Medien ging, allerdings nur die Spitze des Eisberges darstellt. Immer mehr Kinder werden im Laufe von Scheidungs- und Obsorgestreitigkeiten aus dem Land gebracht. Zurück bleibt ein verzweifelter Elternteil, der mit Hilfe von Gerichten, Justizministerium, Anwälten, Detektiven und ausländischen Behörden versucht, sein Kind wieder zurückzubekommen.

 

Die rechtliche Situation bei derartigen Rückführungsanträgen hängt ab vom sogenannten "Entführungsstaat". Für EU-Mitgliedstaaten existiert eine EU-Verordnung (Nr. 2201/2003 vom 27. November 2003), mehr als 70 Staaten sind darüber hinaus dem Haager Übereinkommen über die  zivilrechtlichen Aspekte internationaler Kindesentführung (HKÜ) beigetreten, mit vielen anderen Staaten allerdings gibt es derzeit überhaupt keine speziellen Vereinbarungen.

 

In der Praxis kommt es nach einer Kindesentführung – trotz völkerrechtlicher Fristen – oft zu langjährigen Verfahren, die zu einer Entfremdung des Kindes vom alleingelassenen Elternteil führen.

 

Unklar ist gerade bei einer solch wichtigen Materie die Interpretation der österreichischen Regelungen. So bestimmt § 162/2 ABGB, dass jener Elternteil, der das Kind hauptsächlich in seinem Haushalt betreuen soll, das alleinige Recht hat, den Wohnort des Kindes zu bestimmen. Ein Teil der Juristen, beispielsweise Robert Fucik oder Susanne Beck, ist der Meinung, dass der Domizilelternteil den anderen Elternteil vom Wegzug, einer "wichtigen Angelegenheit" im Sinne des § 189/1 Z 1 ABGB, verständigen muss. Eine Nichtverständigung macht daher die Wohnsitzverbringung ins Ausland bereits widerrechtlich.

 

Andere Juristen (wie Barbara Beclin von der Uni Wien) sehen dies nicht so. Deren Interpretation bezieht sich auf den Wortlaut des § 162/2 ABGB, ein Umzug ohne Verständigung sei daher nicht gesetzwidrig im Sinne des Haager Übereinkommens. Da stellt sich natürlich auch die Frage, wie ausländische Gerichte diese Sachverhalte rechtlich beurteilen, wenn es nicht einmal in Österreich selbst eine eindeutige Rechtsansicht gibt.

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Justiz folgende

 

 

Anfrage

 

1.     Wieviele Kindesentführungen von Österreich ins Ausland gab es in den Jahren 2012-2014 ? (aufgeschlüsselt nach Jahren)

 

2.     In welche Staaten wurden die Kinder entführt? (aufgeschlüsselt nach den Jahren 2012-2014 und nach den "Entführungsstaaten")

 

3.     Wie lautet die Geschlechterverteilung bei den Rückstellungsverfahren in den Jahren 2012-2014 ? (bezogen auf den antragstellenden Elternteil)?

 

4.     Wieviele Rückstellungsverfahren waren mit Stichtag 1.1. 2015 offen ?

 

5.     Gegenüber welchen Staaten bestanden offene Rückstellungsverfahren mit Stichtag 1.1. 2015?

 

6.     Wie lange dauern diese Verfahren bereits (Beginn: Antrag des betroffenen Elternteils beim Bezirksgericht; aufgeschlüsselt nach den einzelnen Staaten und Verfahren)?

 

7.     Wieviele Rückstellungsanträge wurden in den Jahren 2012-2014 von ausländischen Behörden abgelehnt ? Aus welchen Gründen?

 

8.     Wieviele Kindesentführungen NACH Österreich gab es in den Jahren 2012-2014?

 

9.     Aus welchen Staaten wurden diese Kinder entführt (aufgeschlüsselt nach den Jahren 2012-2014 und nach den "Herkunftsstaaten" des antragstellenden Elternteils)?

 

10.  Wie lautet die Geschlechterverteilung bei den Rückstellungsverfahren in den Jahren 2012-2014? (bezogen auf den antragstellenden Elternteil)?

 

11.  Wieviele Rückstellungsverfahren sind mit Stichtag 1.1. 2015 offen?

 

12.  Gegenüber welchen Staaten bestehen offene Rückstellungsverfahren?

 

13.  Wie lange dauern diese Verfahren bereits (Beginn: Antrag des betroffenen Elternteils beim zuständigen ausländischen Gericht; aufgeschlüsselt nach den einzelnen Staaten und Verfahren) ?

 

14.  Wieviele Rückstellungsanträge wurden in den Jahren 2012-2014 von österreichischen Behörden abgelehnt ? Aus welchen Gründen?

 

15.  Wieviele Staaten sind derzeit dem Haager Übereinkommen beigetreten? Welche sind das ?

 

16.  Nach welchem Schema verlaufen Rückstellungen mit Staaten, die nicht Vertragspartner des Haager Übereinkommens sind?

 

17.  Wann spricht man in Österreich zivilrechtlich von einer "Kindesentführung" bzw. wie wird der § 162/2 ABGB von den zuständigen Gerichten, auch im Hinblick auf Gesetzesmaterialien und Gesetzessystematik, ausgelegt? (siehe auch Anfragebegründung)

 

18.  Ist das ausländische Gericht an die österreichische Rechtsansicht gebunden, oder kann dieses den Begriff der "widerrechtlichen Entführung" auch anders interpretieren ?

 

19.  Wer hat die behördlichen Kosten von Kindesrückstellungen zu tragen?

 

20.  Wird nach Rückstellung des Kindes eine Regressforderung gegen den Entführer vorgenommen, in welcher Höhe und nach welchen Gesetzesnormen?

 

21.  Bekommt der betroffene Elternteil vom Staat finanzielle bzw. rechtliche Hilfe, um die Rückführung des Kindes in die Wege zu leiten ?

 

22.  Und wenn ja, welche und nach welchen Gesetzesnormen?

 

23.  Welche Kosten bzw. Aufwendungen kann der betroffene Elternteil gegen den Entführer nach erfolgter Rückführung des Kindes geltend machen?

 

24.  Welches Gericht ist dafür zuständig, und welche Rechtsnormen sind dafür maßgeblich?

 

25.  Wieviele Personen wurden in den Jahren 2012-2014 (jeweils aufgeschlüsselt) wegen § 195 StGB ("Kindesentziehung") verurteilt?

 

26.  Wieviele Personen wurden in den Jahren 2012-2014 (jeweils aufgeschlüsselt) wegen "Kindesentziehung" in das Ausland verurteilt?

 

27.  Wieviele Personen wurden in dieser Zeit wegen § 195/2 StGB (Entziehung unmündiger Personen) verurteilt?

 

28.  Wieviele Personen wurden in dieser Zeit wegen Kindesentziehung unmündiger Personen ins Ausland verurteilt?

 

29.  Welche Staatsbürgerschaft hatten die wegen Kindesentziehung verurteilten Straftäter? (aufgeschlüsselt nach den Jahren 2012-2014)

 

30.  Ist es richtig, dass bei alleiniger Obsorge des "Entführers" oder gemeinsamer Obsorge der Tatbestand der Kindesentziehung nicht erfüllt wird, wenn das Kind ins Ausland verbracht wird?

 

31.  Wenn ja, ist in Zukunft eine Erweiterung des Tatbestandes geplant (beispielsweise in Übereinstimmung mit zivilrechtlichen Bestimmungen bzw. dem Haager Übereinkommen)?