5280/J XXV. GP

Eingelangt am 03.06.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Georg Willi, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend Tote und Schwerverletzte bei den Steiermärkischen Landesbahnen – auch ein Versagen der Verbandsverantwortlichkeit?

 

Am 6. Mai 2015 kollidierten in Übelbach in der Nähe von Graz auf einem eingleisigen Streckenabschnitt zwei Züge der Steiermärkischen Landesbahnen. Beim Frontalzusammenstoß der beiden Züge wurde einer der beiden Lokführer getötet, von den mehreren teilweise schwer verletzten Personen verstarb eine weitere am Folgetag.

Während gleich nach dem Unfallereignis vor allem Schuldzuweisungen der Geschäftsführung an die MitarbeiterInnen zu vernehmen waren („tragischer Fehler des Lokführers“), werden mittlerweile auch massive Vorwürfe gegen die Geschäftsführung der Landesbahnen laut. Die Gewerkschaft vida hat die Steiermärkischen Landesbahnen vor wenigen Tagen bereits wegen des „Verdachts der fahrlässigen Gemeingefährdung“ und wegen „massiver organisatorischer und sicherheitstechnischer Mängel“ (Kurier 21.05.2015) bei der Staatsanwaltschaft Graz angezeigt.

 

Erst vor wenigen Jahren, am 9. November 2010, wurde auf einem Anschlussbahngleis der Steiermärkischen Landesbahnen in Albersdorf ein Verschubarbeiter getötet, als eine Verschubgarnitur ungebremst auf einen Prellbock auffuhr. Auch hier wurde anfangs seitens des Eisenbahnunternehmens ein Fehlverhalten des beteiligten Lokführers angeprangert, während in weiterer Folge auch organisatorische Sicherheitsmängel bei den Landesbahnen zum Thema wurden. Im April 2011 erstattete das Verkehrsministerium schließlich gegen den Geschäftsführer der Steiermärkischen Landesbahnen wegen verschiedener Organisationsmängel und Unterlassungen eine Reihe von Strafanzeigen. Die diesbezüglichen Strafverfahren schleppten sich dem Vernehmen nach in den vergangenen Jahren durch mehrere Instanzen und sind angeblich noch immer nicht abgeschlossen.

 

Das Arbeitsprogramm der Österreichischen Bundesregierung 2013 bis 2018 („Erfolgreich.Österreich“) verspricht im Kapitel „06 Sicherheit und Rechtsstaat“ unter dem verheißungsvollen Titel „StGB 2015“ unter anderem auch eine Erhöhung der Effektivität des Verbandsverantwortlichkeits-Gesetzes (VbVG).

 

Bereits eine Evaluierungsstudie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie aus dem Jahr 2011 (Fuchs/Kreissl/Pilgram/Stangl: Generalpräventive Wirksamkeit, Praxis und Anwendungsprobleme des Verbandsverantwortlichkeitsgesetzes – VbVG; die nachfolgend unter Anführungszeichen gestellten Textpassagen sind Zitate aus dieser Studie) hat eine eher „zurückhaltende Anwendung“ des VbVG in der gerichtlichen Praxis erkannt (vgl. Executive Summary der Studie).

Ebenso wurde festgestellt, dass „das erweiterte Ermessen der Staatsanwaltschaft nach § 18 VbVG seinen Niederschlag in einer überdurchschnittlich hohen Quote an Verfahrenseinstellungen findet, sofern es um juristische Personen als Beschuldigte geht“. Die StaatsanwältInnen verweisen in diesem Zusammenhang laut Studie auf den „höheren Aufwand und die geringe Erfolgsaussicht eines Verbandsverfahrens“, auf die „begrenzten Ressourcen der Behörde“ sowie auf „fehlende praktische Erfahrung, Spezialisierung und Routine“.

Daraus darf abgeleitet werden, dass die im Regierungsprogramm angedachte Steigerung der Effektivität des VbVG wohl überfällig ist.

 

Gerade auch die Untersuchung des Organisationsverschuldens bei Bahnunfällen wird von den StaatsanwältInnen in der Studie als „schwierig und voraussetzungsvoll“ erlebt und „erscheinen die Erfolgsaussichten der Mobilisierung des VbVG in solchen Fällen im Verhältnis zum tatsächlichen und gefühlten Verfahrensaufwand eher bescheiden“ (vgl. Abschnitt „Qualitative Analyse und Fallgeschichten“ der Studie).

Die in weiterer Folge angeführten Fallbeispiele belegen dies leider eindrucksvoll. In einem der (anonymen) Interviews formuliert ein Staatsanwalt die „Zurückhaltung“ bei der Anwendung des VbVG ganz unverblümt: „So lange uns jemand nicht von hinten ins G´nack haut und sagt, das müsst ihr aber anschauen, haben wir eine gewisse Aversion.“

 

Es stellt sich die Frage, ob bei einer konsequenten Gestaltung und Umsetzung des Verbandsverantwortlichkeits-Gesetzes (ohne die oben angeführte, möglicherweise von oben geförderte „Aversion“ der Staatsanwaltschaft) ein tragisches Unfallereignis wie jenes vom 6. Mai 2015 in Übelbach nicht hätte vermieden werden können. Ein konsequentes Vorgehen nach dem VbVG bereits nach dem Unfallereignis am 9. November 2010 – anstelle langjährig verschleppter Einzelverfahren – hätte möglicherweise bereits vor Jahren eine Verbesserung der „massiven organisatorischen und sicherheitstechnischen Mängel“ bewirken können. So führt auch die angeführte Studie das Argument an, dass „jene Firmen, die einmal gezahlt haben, wissen, so geht es nicht weiter“.

Es ist daher zu hinterfragen, weshalb nicht bereits nach dem Unfallereignis am 9. November 2010 nachdrücklich nach den Bestimmungen des VbVG vorgegangen wurde.

 

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Im Frühling 2014 wurde die Evaluierungsstudie des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie (2011) über das Verbandsverantwortlichkeits-Gesetz (VbVG) im Parlament behandelt.

Welche Konsequenzen haben Sie aus den ernüchternden Erkenntnissen dieser Studie gezogen, damit die strafrechtliche Verfolgung von Verbänden nicht auch weiterhin ein (Zitat) „Fremdkörper im Rahmen der strafrechtlichen Verfolgung“ bleibt?

 

2)    In der Studie wird auch wiederholt angesprochen, dass die Staatsanwaltschaften hinsichtlich des VbVG nicht ausreichend informiert wären bzw. sich nicht ausreichend informieren würden.

Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um dies zu verbessern?

 

3)    In der Studie wird auch angesprochen, dass die „Konfliktfähigkeit“ der Verbände und deren spezialisierte Rechtsabteilungen die Staatsanwaltschaft in der Auseinandersetzung teilweise überfordern.

Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um dies zu verbessern?

 

4)    In der Studie wird auch angesprochen, dass der Ermessensspielraum des § 18 VbVG von der Staatsanwaltschaft vielfach dazu genützt werde, das VbVG gleich gar nicht anzuwenden („§ 18 ist die rechtliche Grundlage dafür, dass ich mir keine Gedanken über das VbVG mache.“).

Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um einen derartigen „Zugang“ zum VbVG mit dem § 18 VbVG als Nichtanwendungs- oder Ausstiegsformel zu verbessern?

 

5)    Schließlich stellt die Studie noch fest, dass für die Staatsanwälte auch „von oben“ (Vorgesetzte, Oberstaatsanwaltschaft) keinerlei Signale erkennbar wären, das VbVG breiter anzuwenden. Ein Angebot über Schulungen, Handbücher oder Informationsbroschüren wäre bei den Staatsanwälten weitgehend unbekannt. Es erfordere unverhältnismäßigen persönlichen Einsatz, sich eine entsprechende Orientierung zu erarbeiten.

Welche Maßnahmen haben Sie getroffen, um dies zu verbessern?

 

6)    Gerade im Bereich der Bahnunfälle wäre durch die klaren organisationsrechtlichen Vorgaben des Eisenbahngesetzes (vgl. § 19 Abs. 1, 2 und 3 EisbG) und des Arbeitnehmerschutzgesetzes (vgl. § 3 Abs. 1, 4 und 6 ASchG) eine breitere Wahrnehmung auch des VbVG zielführend und sinnvoll.

Welche Maßnahmen, einschließlich einer bereits von mehreren Seiten angeregten Verknüpfung des VbVG mit dem Verwaltungsstrafrecht, sind hier vorgesehen?

 

7)    Nach dem Unfallereignis bei den Steiermärkischen Landesbahnen am 9. November 2010 soll gegen die Steiermärkischen Landesbahnen auch ein Ermittlungsverfahren nach den Bestimmungen des VbVG eingeleitet worden sein. Aus dem Bereich der Staatsanwaltschaft wurde dazu seinerzeit kolportiert, dieses Strafverfahren gegen die Steiermärkischen Landesbahnen wäre „auf Weisung von oben“ eingestellt worden.

a)    Wurde nach dem Unfallereignis bei den Steiermärkischen Landesbahnen am 9. November 2010 auch nach dem VbVG ermittelt?

b)    Falls ja – aus welchen Gründen wurde das Ermittlungsverfahren nach dem VbVG eingestellt?

c)    Können Sie ausschließen, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Steiermärkischen Landesbahnen auf Weisung der seinerzeitigen steiermärkischen Justizministerin Dr. Beatrix Karl eingestellt wurde?

d)    Können Sie ausschließen, dass das Ermittlungsverfahren gegen die Steiermärkischen Landesbahnen auf sonstige Veranlassung oder Intervention der seinerzeitigen steiermärkischen Justizministerin Dr. Beatrix Karl eingestellt wurde?

e)    Werden nach dem nunmehrigen neuerlichen Bahnunfall am 6. Mai 2015 mit Todesfolge gegen die Steiermärkischen Landesbahnen auch Ermittlungen nach dem VbVG aufgenommen bzw. durchgeführt?