5586/J XXV. GP

Eingelangt am 22.06.2015
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Anfrage

 

der Abgeordneten Beate Meinl-Reisinger, Nikolaus Scherak und Kollegen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend die Disziplinarverfahren gegen Beamte der JA Stein

 

Die APA  und die Tageszeitung Kurier berichteten am 4.6.2015, dass die Disziplinarverfahren gegen die Beamten der Justizanstalt Stein, im Zusammenhang mit dem Skandal um einen Insassen mit massiv hygienisch unterversorgten, entzündeten Füssen, eingestellt wurde. Den Berichten zufolge wurde von "einer Sprecherin des Justizministeriums" auch bekannt gegeben, dass es keine Berufung gegen die Entscheidung des Disziplinarrats vom Justizministerium geben werde.

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

ad DISZIPLINARVERFAHREN:

1.    Warum wurde, obwohl die Justizwachebeamten schon am 10.3.2014 die Gesundheitsbeeinträchtigung an den Beinen des Häftlings entdeckt haben, erst am 25.5.2014 Disziplinar-Anzeige erstattet?

2.    Am 10.6.2014 wurde der Disziplinarkommission von der Dienstbehörde mitgeteilt, dass kein Strafverfahren anhängig sei. Wann wurde Strafanzeige erstattet und von wem?

3.    Wer wurde als Gutachter im Disziplinarverfahren herangezogen?

4.    Aufgrund welcher Erwägungen wurde dieser Gutachter herangezogen?

5.    Wie oft, in den letzten fünf Jahren, wurde dieser Gutachter bereits von der Disziplinarkommission beauftragt?

6.    In der Entscheidung der Disziplinarkommission wird aus dem Gutachten abgeleitet und zitiert, dass „durch die gegenständlichen Vorfälle keine ‚beträchtliche Schädigung seiner Gesundheit oder geistigen Entwicklung‘ eingetreten sei". Mit welcher Begründung geht der Gutachter davon aus, dass kein Zusammenhang zwischen den Vorfällen und dem Zustand des Insassen bestehe?


7.    Wurde zu diesen "Vorfällen" auch ein weiteres Gutachten bestellt oder ein weiterer Gutachter gehört bzw. hinzugezogen?

8.    Wenn ja, gab es divergierende Meinungen anderer Gutachter?

9.    Laut Disziplinarerkenntnis sei Herr Wilhelm S. „regelmäßig psychologisch betreut worden, habe jedoch eine Betreuung grundsätzlich abgelehnt“. Wer hat diese Ablehnungen entgegengenommen?

10. Wurde gegen diese Person ein Disziplinarverfahren eingeleitet?

11. Wenn nein, warum nicht?

12. Warum wurde kein Disziplinarverfahren gegen den Leiter der Justizanstalt, als Letztverantwortlicher für die Abläufe in der JA, eingeleitet?

13. Wurde zum Verhalten von Herrn Wilhelm S. (Zufügung einer massiven Gesundheitsbeeinträchtigung) eine psychologische/psychiatrische Einschätzung eingeholt?

14. Wurden im Disziplinarverfahren die psychologischen bzw. psychiatrischen Betreuer_innen des betroffenen Insassen angehört?

15. Wenn nein, warum nicht?

16. Wenn ja, was haben diese über den psychischen Zustand des Insassen ausgesagt?

17. Wann hatte der Insasse das letzte Mal vor dem 10.3.2014 die Möglichkeit mit einem seiner psychologischen bzw. psychiatrischen Betreuer_innen zu sprechen?

18. Die Untersuchungen der Disziplinarkommission fokussierten sich sehr stark auf die gesundheitliche Beeinträchtigung des Insassen im Zusammenhang mit dem Verhalten der Beamten. Hingegen wurden keine Erhebungen betreffend der psychischen Gesundheit des Insassen durchgeführt. Herr Wilhelm S. ist aber ein Maßnahmenuntergebrachter. In § 66 Abs 1 StVG wird auch explizit auf das Sorge tragen für die geistige Gesundheit der Insassen hingewiesen. Inwiefern wurde der Frage im Disziplinarverfahren nachgegangen, wer gegenüber Herrn Wilhelm S. die Fürsorgepflicht bzgl. seiner geistigen Gesundheit verletzt hat?

19. Wenn dem nicht nachgegangen wurde, warum nicht?

20. Mit welcher Begründung lehnt das Ministerium einen Einspruch gegen die Entscheidung der Disziplinarkommission ab?

21. Wurde bei der Entscheidung gegen eine Berufung auch Justizminister Brandstetter persönlich eingebunden?

22. Wurde bei der Entscheidung gegen eine Berufung eine oder mehrere Personen aus dem Kabinett des Justizministers persönlich eingebunden?

23. Welche Person hat die Letztverantwortung für die Entscheidung für oder gegen eine Berufung in diesem Fall gehabt?

24. Welche Person hat die Letztverantwortung für die Entscheidung für oder gegen eine Berufung im Regelfall?

ad PSYCHIATRISCHE VERFASSUNG VON HERRN S.

1.    Herr S. war in der JA Stein im Maßnahmenvollzug untergebracht, d.h. psychisch krank. Er sagte sinngemäß aus, dass er seinen Zustand absichtlich herbeigeführt habe, um auf die Missstände hinzuweisen. Er habe höllische Qualen gelitten und auch an Selbstmord gedacht. Herr S. hat wie alle Maßnahmenuntergebrachten in Hinblick auf Art 5 EMRK (Recht auf persönliche Freiheit) nach der Rechtsprechung des EGMR das Recht auf Wahrung des Abstandsgebotes, d.h. die Sicherheitsverwahrung ist nur zu rechtfertigen, wenn der Gesetzgeber bei ihrer Konzeption dem besonderen Charakter des in ihr liegenden Eingriffs hinreichend Rechnung und dafür Sorge trägt, dass über den unabdingbaren Entzug der „äußeren“ Freiheit hinaus weitere Belastungen vermieden werden. Dem muss durch einen freiheitsorientierten und therapiegerichteten Vollzug Rechnung getragen werden, der den allein präventiven Charakter der Maßregel sowohl gegenüber dem Untergebrachten als auch gegenüber der Allgemeinheit deutlich macht“. Das Trennungsgebot konkretisiert dass der spezialpräventive Charakter der Maßnahme in der Gestaltung des äußeren Vollzugsrahmens zum Ausdruck kommen und sich deutlich vom regulären Strafvollzug unterscheiden muss. Inwiefern wurde das Abstands- und Trennungsgebot gegenüber Herrn S. gewahrt?

2.    Inwiefern wird das Abstands- und Trennungsgebot gegenüber den derzeit im Maßnahmenvollzug in der JA Stein untergebrachten Personen gewahrt?

3.    Art 5 EMRK verpflichtet nach der Rechtsprechung des EGMR Österreich auch dazu, das Individualisierungsgebot zu wahren, d.h. es bedarf einer individuellen und intensiven Betreuung des Untergebrachten durch ein multidisziplinäres Team qualifizierter Fachkräfte und eines individuell zugeschnittenen Therapieangebots. Inwiefern wurde das Individualisierungsgebot gegenüber Herrn S. gewahrt? Bitte um chronologische Dokumentation der therapeutischen Betreuung von Herrn S.

4.    Inwiefern wird das Individualisierungsgebot gegenüber den derzeit im Maßnahmenvollzug in der JA Stein untergebrachten Personen gewahrt?

5.    Art 5 EMRK verpflichtet nach der Rechtsprechung des EGMR Österreich schließlich dazu, das Motivierungsgebot zu wahren, d.h. die Bereitschaft des Untergebrachten durch gezielte Motivierungsarbeit zu wecken und zu fördern, da die unbestimmte Dauer der Sicherungsverwahrung den Untergebrachten demotivieren und in Lethargie und Passivität führen können. Inwiefern wurde das Motivierungsgebot gegenüber Herrn S. gewahrt?

6.    Laut Disziplinarerkenntnis sei Herr Wilhelm S. „regelmäßig psychologisch betreut worden, habe jedoch eine Betreuung grundsätzlich abgelehnt“. Wer bot Herrn Wilhelm S. die Betreuung an? Bitte um chronologische Dokumentation mit klarer Nennung, ob es sich um psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlungsangebote handelte.

7.    Wurde diese Betreuung schon im Rahmen eines psychotherapeutischen bzw. psychiatrischen Gespräches abgelehnt oder noch bei Anfrage in der Zelle, also grundsätzlich abgelehnt? Bitte um chronologische Dokumentation mit klarer Nennung, ob es sich um psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlungsangebote handelte.

8.    Wann wurde Herr Wilhelm S. psychotherapeutische bzw. psychiatrische Behandlung angeboten und wie oft und wann hat er diese Angebote abgelehnt? Bitte um chronologische Dokumentation mit klarer Nennung, ob es sich um psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlungsangebote handelte.

9.    Inwiefern ist die Behandlung im Fall von Herrn Wilhelm S., dh. das Hinnehmen der Ablehnung der Therapie, mit dem Motivierungsgebot vereinbar?

10. Inwiefern wird das Motivierungsgebot gegenüber den derzeit im Maßnahmenvollzug in der JA Stein untergebrachten Personen gewahrt?


11. War der Insasse aus der Sicht der psychologischen bzw. psychiatrischen Betreuer gefährdet, selbstzerstörerische Handlungen zu tätigen, oder wurde seitens der Betreuer sonst auf besondere Bedürfnisse/Zustände des Insassen aufmerksam gemacht?

12. Wenn ja, wie lautete genau die Einschätzung?

13. Wenn nein, welche Konsequenzen werden aus dieser falschen Einschätzung gezogen?

14. Sieht das BMJ im Falle von Herrn Wilhelm S. eine Diskriminierung vonseiten der Justizanstalt in der Gewährung seines Rechtes auf Gesundheit aufgrund der um Vieles schlechteren Betreuung in der Justizanstalt als in einer psychiatrischen Einrichtung?

15. Wenn nein, warum nicht?

16. Wenn ja, wurden schon Maßnahmen ergriffen, um derartige Fälle in Zukunft zu verhindern?

17. Wenn ja, welche?

ad INFORMATIONSFLUSS IN DER JA STEIN

1.    Die beschuldigten Beamten haben im Disziplinarverfahren ausgesagt, dass "nur eine eingeschränkte Kontrolle des Gesundheitszustands des *** möglich gewesen sei, da sie über diesen nicht informiert gewesen wären und ihnen keine medizinischen Unterlagen zur Verfügung gestanden hätten". Auch andere Kontaktpersonen haben scheinbar keine Informationen über den Zustand des Insassen gehabt. Welche gesetzlichen oder dienstrechtlichen Vorschriften gibt es betreffend des Informationsaustausches zwischen Justizwachebeamten und jenen Personen, die für die Therapie und Betreuung der Insassen verantwortlich sind?

2.    Welche Informationen über den Gesundheitszustand der Insassen werden als für die Beamten relevant erachtet und daher an diese weitergegeben?

3.    Welche Informationen über den Gesundheitszustand der Insassen werden nicht an die Justizwachebeamten weitergegeben? Bitte um Begründung bzw Verweis auf die gesetzliche Grundlage.

4.    Durch welche Regelung und Praxis wird sichergestellt, dass die Beamten über allfällige Gesundheitszustände, die in ihrem Kontakt zu den Häftlingen relevant sind, Bescheid wissen?

AG MASZNAHMENVOLLZUG

1.    Die Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug hat in ihrem Bericht 54 Empfehlungen abgegeben. Welche Maßnahmen wurden zu welchen Empfehlungen schon ergriffen (von Kontaktaufnahme mit den jeweiligen stakeholdern, ersten Übereinkünften, weiteren Plänen etc. bis hin zur Umsetzung von Empfehlungen)? Bitte um Bezugnahme auf die Nummerierung der Empfehlungen.

2.    In welchem Status befinden sich die Verhandlungen mit den Ländern betreffend der Übernahme der Betreuung von Maßnahmen-Patient_innen in den Gesundheitsbereich?

3.    Welche Person(en) im Kabinett ist bzw. sind für die Umsetzung der Empfehlungen der Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug zuständig?

4.    Wie oft hat bzw haben diese Person(en) seit der Veröffentlichung des Berichts der Arbeitsgruppe Maßnahmenvollzug Gespräche mit:

a.    den zuständigen Personen der Länder betreffend der Kooperation der Ressorts Justiz und Gesundheit in Bezug auf die Betreuung von Maßnahmenpatienten geführt?

b.    einem oder mehreren Mitgliedern der Arbeitsgruppe geführt, um die konkrete Umsetzung zu planen?

c.    Verantwortlichen der Ressorts Gesundheit bzw Soziales in den Bundesministerien betreffend zukünftige Kostenübernahmen oder andere Kooperationen geführt?

d.    Verantwortlichen der Justizanstalten betreffend die Reform des Maßnahmenvollzugs geführt?

e.    Experten aus dem Ausland betreffen die Unterbringung von psychisch-kranken Straftätern geführt?

f.      Vertretern der Richterschaft betreffend die Reform des Maßnahmenvollzugs, insbesondere betreffend die Anzahl der Einweisungen und Möglichkeit von Entlassungen, geführt?