5802/J XXV. GP

Eingelangt am 06.07.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Albert Steinhauser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Justiz

betreffend anti-androgene Behandlung

BEGRÜNDUNG

 

Die Wochenzeitung "Falter" berichtete in der Nummer 27/2015 vom 01.07.2015:

 

Bericht: Florian Klenk

„Völlig inakzeptabel“

Werden Häftlinge in Stein durch unzulässigen Druck zur chemischen Kastration gedrängt? Ein streng geheimer Bericht des Europarats erhebt diesen und weitere schwere Vorwürfe

Alle paar Jahre taucht in Österreich eine gefürchtete Kontrolltruppe des Europarats auf: das Komitee zur Verhütung von Folter (CPT). Ein Team von Juristen, Ärzten und Psychiatern verschafft sich Zutritt zu den sensibelsten Ecken der Republik, zu Psychiatriegefängnissen, Haftanstalten, Polizeizellen.

In den letzten 20 Jahren entdeckte das CPT immer wieder erstaunliche Zustände. Mal waren es Wasserkübel in Wachzimmern, in die die Ermittler die Köpfe Beschuldigter tauchten. Mal "archaische Käfige" oder geschmiedete Eisenboxen, in die Gefangene zur Strafe gesteckt worden waren.

Vergangenen September inspizierten die Kontrollore erneut Österreich. Ihr Bericht wurde dem Bundeskanzleramt übergeben, er ist streng geheim und liegt dem Falter vor. Erst im Herbst soll er öffentlich werden.

Die gute Nachricht: Die Kontrollore lobten viele Verbesserungen (vor allem das Schubhaftzentrum Vordernberg). Justizministerium und Stadt Wien werden aber hart kritisiert. Häftlinge in der Justizanstalt Stein müssten sich - ohne ausreichende ärztliche Aufklärung - chemisch kastrieren lassen, um an Vollzugslockerungen zu kommen, so der Vorwurf. Im Otto-Wagner-Spital der Baumgartner Höhe, so rügt das CPT, sei den Inspektoren zunächst der Zugang verweigert worden, ehe sie zu jenen Patienten vorgelassen wurden, die über entwürdigende Fixierungen berichteten.

Die Kritik im Detail: Nach einem Besuch in Stein (hier verfaulten vergangenes Jahr die Füße eines Insassen) zeigt sich das CPT von den strukturellen Mängeln schockiert. Es bestehe nach wie vor ein inakzeptabler Mangel an Ärzten (ein Psychiater mit bloß neun Wochenstunden für 700 Insassen). Psychisch erkrankte Patienten würden ab halb drei Uhr nachmittags, an Wochenenden sogar ab zwölf Uhr mittags bis zum nächsten Tag einfach weggesperrt. Dies sei inakzeptabel.

Neben diesen prekären Systemmängeln, die noch immer nicht behoben sind, kritisieren die CPT-Experten die Therapie mit Antiandrogenen, also die "chemische Kastration" von Sexualstraftätern. Sie werde unter psychischem Druck angewandt. Die Insassen, so das CPT, würden zudem über die Konsequenzen der chemischen Kastrationen nicht ausreichend aufgeklärt: "Nach Gesprächen mit mehreren Sexualstraftätern und der Lektüre ihrer Krankenakten ist offenkundig geworden, dass einige Insassen von einem Psychiater in den Zellen aufgesucht und mit einer überraschenden Umstellung der Therapie konfrontiert worden sind." Würden sie sich chemisch kastrieren lassen, so das Angebot, dann könnten sie mit Freigängen oder Lockerungen im Vollzug rechnen. "Einigen Insassen sei laut deren Angaben erzählt worden, dass eine außenstehende Behörde diese Änderung der Therapie angeordnet habe."

Conclusio des CPT-Teams: "Nach den uns vorliegenden Informationen bestehen große Zweifel, ob wirklich alle Insassen eine freie und informierte Zustimmung zu dieser Therapie geben konnten." Die Nebenwirkungen der Libido-Blocker sind beachtlich. Die Patienten verspüren keine sexuellen Erregungen mehr, das Medikament kann die Knochen schädigen, die Fettleibigkeit nimmt zu. Das CPT resümiert: "Es ist ein Grundsatzprinzip, dass anti-androgene Behandlung nur nach einer genauen psychiatrischen und medizinischen Anamnese vorgenommen werden darf - und nur auf völlig freiwilliger Basis."

Auch der Krankenanstaltenverbund der Stadt Wien (KAV) muss sich Kritik anhören. Das CPT kritisiert zunächst Schikanen und Behinderungen durch den KAV, der die Inspektoren partout nicht vorlassen wollte und gewünschte Listen der unfreiwillig angehaltenen Patienten nicht herausrückte. Gespräche mit Patienten seien nur unter Auflagen ("Zustimmung der Ärzte") erlaubt worden, was für das Kontrollteam "völlig inakzeptabel" gewesen sei. Die Stadt Wien - also die zuständige SPÖ-Stadträtin Sonja Wehsely -, so die Forderung, sollte künftig "geeignete Maßnahmen" setzen, damit der Zugang der Kontrollore nicht mehr behindert werde.

Die Gängelung der Kontrollore konnte die Kritik an Missständen nicht verhindern. Das CPT rügt, dass "eine Anzahl von Reformvorschlägen aus den letzten Besuchen nicht umgesetzt wurde". So entspreche die Fixierung von tobenden Patienten noch immer nicht den internationalen Standards. Es gebe zwar Videoüberwachungen, aber keine vorgeschriebenen Sitzwachen. Patienten in Netzbetten würden zudem neben anderen Kranken untergebracht: "Viele Betroffene empfanden dies als peinlich und erlebten sich als hilfslos." Sogar ein Jugendlicher sei in einem Erwachsenenzimmer im Netzbett fixiert angetroffen worden. Andere Patienten klagten, sie seien angegurtet im Netzbett gelegen und nackt ausgezogen worden.


Das Justizministerium weist die Kritik des CPT an den chemischen Kastrationen in einer Stellungnahme entschieden zurück: Drei Insassen würden derzeit mit Antiandrogenen behandelt, so Sektionschef Michael Schwanda, "sie wurden aber eingehend über die Wirkung und etwaige Folgen von einer Psychiaterin belehrt und haben dieser Behandlungsform schriftlich ohne Druckausübung zugestimmt. Diese Behandlungsform wurde weiters mit externen Fachleuten abgesprochen." Einen psychischen Druck habe es nie gegeben, auch seien nie Vollzugslockerungen in Aussicht gestellt worden.

Die Sicherheit der Allgemeinheit sei das höchste Ziel.

Auch die Stadt Wien teilt die Kritik des CPT nicht. Ein Sprecher des Krankenanstaltenverbundes entgegnet, die Mitglieder der Delegation des CPT hätten die Stationen des Otto-Wagner-Spitals "größtenteils ohne Begleitung besuchen" dürfen. Dass Patienten nackt im Netzbett liegen, könne nicht ausgeschlossen werden, denn manche würden sich selbst entkleiden. Jugendliche würden nur "in seltenen Fällen" auf der Baumgartner Höhe liegen. Mit 1. Juli würden Netzbetten in psychiatrischen Abteilungen im KAV nicht mehr zum Einsatz kommen. Wiens Gesundheitsstadträtin Sonja Wehsely verspricht dennoch, alle in dem Bericht enthaltenen Vorwürfe zu überprüfen. "Wien steht zu seiner offenen Psychiatrie und arbeitet an der Weiterentwicklung einer modernen psychiatrischen Versorgung."

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Seit wann werden anti-androgene Behandlung („chemische Kastrationen“) im österreichischen Straf- und Maßnahmenvollzug durchgeführt?

2)    Wie viele Insassen sind seither einer solchen Behandlung unterzogen worden?

3)    Wie viele der betroffenen Insassen sind/waren im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs 1 StGB untergebracht?

4)    Wie viele der betroffenen Insassen sind/waren im Maßnahmenvollzug gemäß § 21 Abs 2 StGB untergebracht?

5)    Sind/waren auch Insassen im Regelvollzug von dieser Behandlung betroffen?

6)    Wenn ja, wie viele?

7)    An welchen Justizanstalten wurden/werden anti-androgene Behandlung durchgeführt?

8)    An welchen Sonderkrankenanstalten wurden/werden anti-androgene Behandlung durchgeführt?

9)    Wie viele anti-androgene Behandlungen wurden in den Jahren 2005 bis 2015 jeweils an Häftlingen begonnen?


10) Stimmt es, dass derzeit drei Insassen mit Antiandrogenen behandelt werden?

11) Wer regt eine anti-androgene Behandlung an einem Insassen an?

12) Wer ist unmittelbar für die Durchführung einer anti-androgene Behandlung zuständig und verantwortlich?

13) Wird bei jeder anti-androgene Behandlung im Vorfeld eine genaue psychiatrische und medizinische Anamnese durchgeführt?

14) Wenn ja, wer führt diese durch?

15) Wenn nein, warum nicht?

16) Inwiefern wird die Behandlungsform im Vorfeld mit externen Fachleuten abgesprochen?

17) Wie erfolgt die ärztliche Aufklärung im Fall einer beabsichtigten anti-androgene Behandlung?

18) Erfolgt die Aufklärung schriftlich?

19) Welche Punkte müssen bei der ärztlichen Aufklärung im Fall einer beabsichtigten anti-androgene Behandlung jedenfalls behandelt werden?

20) Wie erfolgt die Dokumentation über die ärztliche Aufklärung im Fall einer beabsichtigten anti-androgene Behandlung?

21) Sind Sie den Vorwürfen, eine außenstehende Behörde hätte die Behandlung angeordnet, nachgegangen?

22) Wenn ja, was ist das Ergebnis?

23) Könne Sie ausschließen, dass auf Insassen psychischer Druck ausgeübt wurde, eine anti-androgene Behandlung an sich durchführen zu lassen?

24) Wie soll sichergestellt werden, dass kein psychischer Druck auf Insassen ausgeübt wird?

25) Welche Vollzugslockerungen werden Insassen gewährt, die sich einer anti-androgenen Behandlung unterziehen?

26) Wurden einzelnen Insassen auch vor der Durchführung von anti-androgenen Behandlungen bereits Vollzugslockerungen (iSv Durchbrechung der Abschließung der Strafgefangenen von der Außenwelt) gewährt?

27) Bedarf es einer schriftlichen Einwilligung des Betroffenen in eine anti-androgene Behandlung?

28) Welche Wirkstoffe kommen bei einer anti-androgene Behandlung zum Einsatz?

29) Mit welchen Nebenwirkungen kann eine anti-androgene Behandlung verbunden sein?


30) Gibt es Fälle in denen eine anti-androgene Behandlung abgebrochen werden musste?

31) Wenn ja, warum?

32) Gibt es einen internen Erlass betreffend anti-androgener Behandlungen?

33) Wenn ja, wie lautet er?