6087/J XXV. GP

Eingelangt am 09.07.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

 

der Abgeordneten Matthias Strolz, Gerald Loacker, Kollegin und Kollegen

an die Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek

betreffend Bedürfnisse von Familien mit chronisch kranken Kindern

 

Vorbemerkung

Die Bürgerinitiative "Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder" (60/BI) macht auf die Schnittstellenproblematik von Problemen für Familien mit chronisch kranken Kindern aufmerksam. Die betroffenen Kinder und deren Eltern stehen oft vor großen Problemen, da viele der Wege, die die Gesetze vorsehen, oft nicht mit der Lebenswelt der Familien in Einklang stehen. Daher ergehen parlamentarische Anfragen an das Bundesministerium für Gesundheit (BMG) und das Bundesministerium für Bildung und Frauen (BMBF).

In den Stellungnahmen des BMG (60/SBI) und des BMBF (61/SBI) entsteht der Eindruck, dass zwar auf die relevanten Gesetzestexte eingegangen wird, aber der Blick nicht auf die praktische Lebenswelt chronisch kranker Kinder in Schulen gerichtet wird. Darüber hinaus kommen beide Ministerien durchaus zu ganz unterschiedlichen, sogar einander widersprechenden Schlussfolgerungen, und auf wichtige, von der Bürgerinitiative genannte Probleme (Vorgehen und Zuständigkeit bei Verweigerung der Verabreichung durch Lehrpersonal) und Anregungen (CFHC, BBGlStG), oder auf die Fragen nach der Ausbildung oder Unterstützung von Lehrpersonal, wird nicht eingegangen.

Offen bleibt die Frage: Was macht das jeweilige Bundesministerium konkret zur Verbesserung der Situation und wie geht es auf die vielen bei der Volksanwaltschaft gemeldeten Fälle ein? (Siehe auch die Stellungnahme der Volksanwaltschaft (52/SBI)). Wissenschaftliche Untersuchungen gehen von 4-5 Kindern pro Schulklasse aus, die von einer chronischen Erkrankung betroffen sind. Dazu ist zum Beispiel in jeder österreichischen Schule statistisch mit zumindest einem epileptischen Kind zu rechnen. Insgesamt sind 197.000 Schülerinnen und Schüler von einer chronischen behandlungsbedürftigen Erkrankung betroffen.

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

Ergänzend zu den bisherigen parlamentarischen Anfragen und Stellungnahmen, die seit 2014 zum Thema „Chronisch kranke Schulkinder“ in beiden Ministerien vorliegen, ergeben sich einige Rückfragen wegen der unterschiedlichen Auslegung derselben Gesetzestexte.

1.    Sind die Übernahme von Tätigkeiten durch Lehrer_innen –  beispielsweise helfende Tätigkeiten, pflegerische Tätigkeiten, medizinische Tätigkeiten, Tätigkeiten im Rahmen der Ersten Hilfe  –  den Lehrpersonen mitsamt ihrer rechtlichen Auslegung und den Konsequenzen bekannt?

2.    Herrscht im Ministerium für Bildung und Frauen (BMBF) Klarheit über die Anwendung der Amtshaftung bei bestimmten unterstützenden Tätigkeiten von Lehrpersonen?

a.    Ist diese Einschätzung im Anlassfall auch vor einem Gericht haltbar? M

b.    Muss jeder Fall vor einem ordentlichen Gericht ausgetragen werden?

3.    Wäre es sinnvoll die Amtshaftung anders zu formulieren, um gerichtliche Streitfälle zu vermeiden?

a.    Falls ja, wünscht das BMBF von jedem Einzelfall (Streitfall) unterrichtet zu werden, um eine Umformulierung vornehmen zu können?

4.    Ist Erste Hilfe seitens der Schulbehörde definiert – gibt es eine Grundlage, auf welchem Level, in welchem Ausmaß, welche Tätigkeiten/Hilfestellungen des Schulpersonals gemeint sind? (§ 95 StGB)

5.    Wie sorgt das BMBF dafür, dass alle Lehrpersonen im öffentlichen Bereich flächendeckend aktuelle Erste-Hilfe-Kenntnisse, etwa auf dem Niveau von Führerscheinbesitzern, besitzen (16h), wie es der Erwartungshaltung der Bevölkerung entspricht?

6.    Wie werden Fälle von unterlassener bzw. nicht fachgerechter Erster Hilfe durch Lehrpersonen, die sich aus §82 und §92 StGB ergeben und bei denen Schaden bei einem Kind entstanden ist, durch das BMBF behandelt?

a.    Werden diese Lehrpersonen zur Anzeige gebracht?

b.    Welche Rolle spielt hier das Amtshaftungsgesetz?

7.    In der Stellungnahme wird die Plattform Elterngesundheit (PEG) als Beispiel dafür erwähnt, wie die Kommunikation zwischen der Schule und den Eltern unterstützt werden soll. Diese PEG hat zwar allgemein gesundheitsförderliche Aktivitäten zum Inhalt und in ihren Zielsetzungen, es findet sich jedoch kein einziger Hinweis auf chronisch kranke Kinder. Daher stellen wir die Frage: Welche konkreten Aktivitäten haben zwischen BMBF und PEG bereits stattgefunden, die zur Verbesserung der Situation der chronisch kranken Schulkinder beitragen?

8.    Wurde der Effekt, den die Broschüre „Das chronisch kranke Kind im Schulsport“ in den jeweiligen Schulen bewirkt hat, jemals evaluiert?

a.    Wenn ja, bitte um die Bekanntgabe der Ergebnisse.

b.    Wenn nein, ist eine solche Evaluierung geplant?

9.    Da es keine gesetzliche Verpflichtung zur Übernahme der Delegation gibt, kann die Übernahme von ärztlichen Tätigkeiten aus dem § 50a Ärztegesetz abgelehnt werden. Für den Fall, dass es hier zu einer Ablehnung kommt: Wie stellt sich hier in Ihren Augen der weitere Prozess dar?

a.    Wer übernimmt dafür die Verantwortung?

b.    Wer führt diese für das Kind unter Umständen lebenswichtigen Tätigkeiten dann aus?

c.    Welcher Arzt muss die Unterweisung zur Übertragung durchführen, der/die behandelnde Arzt/Ärztin, der/die Schularzt/-ärztin oder der/die Hausarzt/-ärztin?

d.    Wer verabreicht die notwendigen Medikamente im Laufe des Schullalltags, wenn die Klassenlehrer eine Verabreichung ablehnen?

10. Auch die Darstellung der Situation in Sonderschulen (in einer Stellungnahme betont das BMG, dass Sonderschulen mögliche Ausnahmen darstellen) bedarf eine Klärung zwischen den beiden Ministerien. Ist das BMBF auch der Meinung, dass Sonderschulen eine Sonderstellung ausmachen?

a.    Wie ist damit umzugehen, wenn § 50a nicht zur Anwendung kommen kann?

11. In der Stellungnahme des BMG vom 23.1.15  wird erwähnt, dass jegliche medizinische Betreuung der Schüler_innen durch Schulärzt_innen erbracht werden muss, sollten diese anwesend sein. Wer erbringt diese Leistungen, falls diese nicht anwesend sind? (Im Großteil der Schulzeit eines Kindes ist der/die Schularzt/-ärztin nicht anwesend.)

12. Es ist wissenschaftlich belegt, dass der Bildungsverlauf chronisch kranker Kinder nicht ihrer Begabung entspricht, wozu das unzureichend ausgestattete Bildungswesen beiträgt. Es besteht also zusätzlich eine soziale Diskriminierung der Kinder, die sich auf ihre Entwicklung auswirkt. Welche Maßnahmen hat das BMBF geplant, um dieser Diskriminierung entgegenzuwirken?

13. Gibt es zwischen den beiden Ressorts (BMG und BMBF) konkrete Gespräche über den Einsatz von Gesundheitsberufen in Schulen?

a.    Wird in der kommenden Reform der Gesundheitsberufe die Zuständigkeit für Schulkinder konkret berücksichtigt?

b.    Welche Perspektive kann für die betroffenen Kinder und ihre Familien im Schulalltag benannt werden?

14. Die Initiator_innen der Bürgerinitiative "Gleiche Rechte für chronisch kranke Kinder" haben zahlreiche Beispiele für die Probleme von Eltern chronisch kranker Kinder gesammelt, die hier auszugsweise genannt werden sollen:
Nach einer Anmeldung eines Kindes in einem Kindergarten wird ein Platz schriftlich zugesagt, nach Bekanntgabe der Diagnose Epilepsie (oder einer anderen Erkrankung) durch die Eltern war dieser Platz mit dem Hinweis auf mangelnde Ausstattung verloren.
Eltern von diabetischen Kindern müssen häufig eine Odyssee von Anmeldeversuchen in mehreren Schulen hinter sich bringen, bevor sich eine Schule bereit erklärt, ein erkranktes Kind aufzunehmen. Der Schulbesuch eines diabetischen Volksschulkindes wurde durch eine schriftliche Mitteilung der Lehrerin an die Eltern, dass sie das diabetische Kind – entgegen ihrer anfänglichen Zusage – doch nicht betreuen könne, unterbrochen. Dies erforderte eine mehrstündige Anwesenheit der Mutter – die dadurch ihren Beruf aufgeben musste. Als sie diese zusätzliche Aufgabe in der Schule nicht mehr wahrnehmen konnte und ihr Kind daheim ließ, kam es zur Strafandrohung seitens der Schule wegen unerlaubten Fernbleibens.
Diese und ähnliche Beispiele gibt es in großer Zahl. Die Verantwortung übernimmt nicht die Schule oder der Schulerhalter, sondern sie wird den Eltern zu 100% übertragen. Wie sich in der Praxis zeigt, müssen vorwiegend Frauen diverse Assistenzleistungen erbringen, damit ihr Kind medizinisch-pflegerisch im Kindergarten bzw. in der Schule versorgt ist und der Unterrichtsverpflichtung nachkommen kann. Das führt zu großen Problemen in den Erwerbsbiographien der Frauen und daraus folgen Abschläge bei Pensionsleistungen. Wie beurteilen Sie diese genannten Fälle?

15. Welche Schritte plant BMBF, um eine sichere und vom guten Willen einzelner Lehrpersonen unabhängige institutionelle Versorgung der betroffenen Kinder sicherzustellen?

16. Es gibt Erkrankungen wie z.B. die kindliche Migräne, die eine Bedarfsmedikation notwendig machen – wie verfährt man damit im Schulbereich, wenn das Kind noch nicht ausreichend selbstverantwortlich damit umgehen kann oder Unterstützung bei Schulveranstaltungen benötigt?

17. Ist das BMBF bereits der Frage nachgegangen, wie viele chronisch kranke Kinder in welchen Regionen/Schulen welchen Unterstützungsbedarf haben?

18. Wurde ein wissenschaftliches Institut oder eine wissenschaftlich arbeitende Institution jemals damit beauftragt, diesen Sachverhalt aufzuklären?

a.    Wenn nein, ist eine solche Abklärung geplant?