6089/J XXV. GP

Eingelangt am 09.07.2015
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

Anfrage

der Abg. Dr. Erwin Rasinger

Kolleginnen und Kollegen

an die Bundesministerin für Gesundheit

betreffend Mystery shopping bespitzelt niedergelassene ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen und Patientinnen

„Mystery shopping“ durch staatliche Organe ist in Lehre und Rechtsprechung zu polizeilichen Ermittlungen im Rahmen der Strafprozessordnung ein als „agent provocateur“ oder „Lockspitzel“ bekannter Begriff. Der Einsatz solcher Methoden ist grundsätzlich umstritten und wird - von gesetzlich eng begrenzten Ausnahmen abgesehen - überwiegend abgelehnt (vgl. bspw. die §§ 5 und 130ff. StPO). Insbesondere dürfen staatliche Organe nicht zu Bestimmungstätern werden, also zu einem strafbaren Verhalten anstiften. Einer breiten Öffentlichkeit wurde diese Art der verdeckten Ermittlungen eher unrühmlich im Zusammenhang mit den Tierschützer-Prozessen bekannt.

Im Gesetzentwurf des Gesundheitsministeriums zur Änderungen des ASVG in 692 d.B., der dem NR als Regierungsvorlage zugeleitet und am 8. Juli vom NR im Rahmen des Gesamtpakets zur Steuerreform beschlossen wurde, sind im Zusammenhang mit dem sog. „Mystery shopping“ bei Kontrollen der VertragspartnerInnen (ÄrztInnen, PsychotherapeutInnen usw.) weitreichende Bestimmungen in § 31 Abs. 5 Z. 12, §§ 32a und 32b sowie in § 338 Abs. 5 vorgesehen, die am 1.  Jänner 2016 in Kraft treten sollen. Ausdrücklich ist in den vom BMG verfassten Erläuterungen festgehalten, dass es „zweckmäßig sein kann, wenn die Prüforgane unrichtige Angaben machen“.

Die Gesundheitsministerin hat kritische Medienberichte in diesem Zusammenhang öffentlich, etwa im Kurier am 24. Juni nach dem Ministerrat am 23. Juni 2015 (vgl. APA 341 vom 23.06.2015) sinngemäß so kommentiert, dass sie die Bestimmungen über das „Mystery shopping“ jederzeit streichen würde, aber die ÖVP sei ja leider dagegen.

Die Gesundheitsministerin wiederholte diesen Vorschlag, die Bestimmungen über das „Mystery shopping“ zu streichen, gegenüber dem Parlament im Gesundheitsausschuss am 30. Juni 2015.

Aus Sicht der unterzeichneten Abgeordneten ist es mit den christlich-jüdisch und durch die Aufklärung geprägten europäischen Grundwerten unvereinbar, wenn staatliche Organe gesetzlich zum Belügen der Bürger ermächtigt werden.

Die Unterzeichneten Abgeordneten stellen daher folgende

Anfrage:

1.      Warum haben Sie es abgelehnt, im Gesetz festzuhalten dass ÄrztInnen und

PsychotherapeutInnen von Prüforganen der Krankenkassen nicht belogen werden dürfen?

2.      Reicht nach Ihrer Ansicht die „Zweckmäßigkeit von unrichtigen Angaben“, wie in den Erläuterungen Ihres Gesetzentwurfs ausgeführt, um staatlichen Organen das Belügen von Bürgern zu erlauben?

3.      Wenn ja, ist Lügen durch staatliche Organe im Vollziehungsbereich des Gesundheitsministeriums oder im Bereich der Krankenkassen aus Sicht des Gesundheitsministeriums generell nur eine Frage der „Zweckmäßigkeit“?

4.      Wenn nein, wie ist eine solche Auffassung mit den Grund- und Menschenrechten und den vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte entwickelten Kriterien eines fairen Verfahrens vereinbar, etwa dem „nemo tenetur“?

5.      Warum haben Sie sogar die Anhörung der betroffenen Interessenvertretungen vor Erlassung der im Gesetz vorgesehenen Richtlinien des Hauptverbandes abgelehnt?

6.      Warum haben Sie eine Verordnungsermächtigung abgelehnt, die jedenfalls eine Begutachtung erlaubt und den betroffenen Vertragspartnern eine Rechtsschutzmöglichkeit eingeräumt hätte?

7.      Warum wurde die Streichung des „Mystery shopping“ aus dem Gesetzentwurf entgegen Ihren Aussagen in der Öffentlichkeit und gegenüber dem Parlament abgelehnt?

8.      Seit wann ist dem BMG bekannt, dass Prüforgane der Krankenkassen „Mystery shopping“ betreiben?

9.      Ist Ihnen der Artikel im Kurier vom 25. Jänner 2015 bekannt, der von einem Verfahren berichtet, in dem ein unabhängiges Gericht die von den Prüforganen der Krankenkassen angewendeten Methoden als rechtsstaatlich bedenklich kritisiert und die betroffene Ärztin freigesprochen hat?

10.   In welcher Weise hat das Gesundheitsministerium als dazu verpflichtete Aufsichtsbehörde in diesem Fall und insgesamt sichergestellt, dass das „Mystery shopping“ nicht in einer den Grundprinzipien des Rechtsstaats zuwider laufenden Weise abläuft?

11.   Welche Krankenkassen haben bereits in der Vergangenheit „Mystery shopping“ betrieben, wenn ja seit wann und auf welcher genauen Rechtsgrundlage?

12.   Liegen diesen Aktivitäten Beschlüsse der Selbstverwaltung zugrunde und auf der Grundlage welcher genauen Informationen wurden diese Beschlüsse wann gefasst?

13.   Welche genauen Informationen lagen dem Aufsichtsorgan des Gesundheitsministeriums in den Selbstverwaltungskörpern vor, als entschieden wurde, gegen diese Beschlüsse keinen Einspruch zu erheben?

14.   In wie vielen Fällen und gegenüber welchen Gruppen von Vertragspartnern wurde „Mystery shopping“ durch Prüforgane der Krankenkassen bisher durchgeführt?

15.   Welche Methoden wurden dabei wie oft angewendet?

a.       unrichtige Angaben gegenüber Arzt oder Therapeut

-   zum Gesundheitszustand?

-   zu anderen Tatsachen und zu welchen?

b.       Anstiftung zu einer Straftat ?

c.       Bild- oder Ton-Aufnahme- oder Übertragungsgeräte?

d.       unrichtige Identitäten vorgetäuscht?

e.       andere Methoden, wenn ja, welche?

16.   Wurde in den Krankenkassen jeweils der Betriebsrat befasst, wenn den Bediensteten die Durchführung von „Mystery shopping“ angeordnet wurde, weil eine solche Anordnung dazu führen kann, dass das Prüforgan strafrechtlich als Bestimmungstäter zur Verantwortung gezogen werden kann?

17.  Wie ist die strafrechtliche und die dienstrechtliche Verantwortlichkeit der Organe der Krankenkassen zu beurteilen, die ihren Mitarbeitern ohne gesetzliche Grundlage den dienstlichen Auftrag erteilen, zu einer Straftat anzustiften?

18.   Wer in den Krankenkassen ist generell und wer im Einzelfall befugt, „Mystery shopping“ anzuordnen und über die einzusetzenden Methoden zu bestimmen oder entscheidet das Prüforgan eigenmächtig und „situationselastisch“?

19.   Wie lauten die internen Regelungen der Krankenkassen, aus welchen Gründen, bei welcher Verdachtslage und mit welchen Methoden „Mystery shopping“ durchgeführt werden darf und wer hat diese Regelungen erlassen?

20.   Wurden diese Regeln im Sinne der Transparenz und der Rechtssicherheit veröffentlicht, wenn ja, wo, und wenn nein, warum läuft ein rechtsstaatliches Verfahren nach geheimen Regeln ab?

21.   Wie viele Prüforgane der einzelnen Krankenkassen sind mit „Mystery shopping“ befasst, wie sind sie in der DO.A eingereiht und welche besonderen Ausbildungen und Schulungen wurden dazu durchgeführt?

22.   Gibt es dazu Schulungsunterlagen und wie lauten diese?

23.   Wie hoch sind die Kosten dieser Mitarbeiter?

24.   In welcher Weise werden durchgeführte „Mystery shopping“-Aktivitäten der Krankenkassen dokumentiert?

25.   In wie vielen Fällen wurde „Mystery shopping“ mit und in wie vielen Fällen ohne eine konkreten Anfangsverdacht durchgeführt?

26.   In wie vielen Fällen hat „Mystery shopping“ einen Anfangsverdacht nicht erhärtet und in wie vielen Fällen fanden sich keine konkreten Verdachtsmomente?

27.   Wurde bei einzelnen Vertragspartnern „Mystery shopping“ mehrfach durchgeführt, und wenn ja, warum, wie oft und mit welchem Ergebnis?

28.   Wurden alle Vertragspartner nach dem „Mystery shopping“, unabhängig vom Ergebnis, darüber in geeigneter Weise informiert, und wenn nein, in wie vielen Fällen und aus welchen Gründen ist dies nicht erfolgt?

29.   Welche Summen wurden infolge „Mystery shopping“ seit Anfang 2014 tatsächlich von den Vertragspartnern hereingebracht?

30.   Wieviele Verträge mit Vertragspartnern wurden infolge eines durch „Mystery shopping“ erwiesenen Verdachts beendet?

31.   Wurde „Mystery shopping“ auch schon zur Kontrolle von Vertragspartnern, die Mitglieder von gesetzgebenden Körperschaften oder Mitglieder von Organen der Interessenvertretungen der Ärzte oder Therapeuten sind, durchgeführt?

32.   Wenn ja, wie oft?

33.   Lag dem jeweils ein strafrechtlich relevanter Verdacht, z.B. auf Abrechnungsbetrug oder unrichtige Krankenstandsbestätigung, zugrunde oder wurde ohne jeden Verdacht vorgegangen?

34.   Ist „Mystery shopping“ auch gegenüber Vertragspartnern, die Mitglieder einer gesetzgebenden Körperschaft sind, künftig geplant oder nach den neuen gesetzlichen Bestimmungen zulässig?

35.   Wer in den Krankenkassen ist befugt, „Mystery shopping“ gegenüber Mitgliedern von gesetzgebenden Körperschaften anzuordnen?

36.   Wenn es Ermittlungen zu strafrechtlich relevanten Verdachtsmomenten durch die Gebietskrankenkassen gegen Abgeordnete gab oder künftig geben kann: wie wurde oder wie wird sichergestellt, dass ohne die nach dem Immunitätsrecht erforderliche Zustimmung der gesetzgebenden Körperschaft keine Ermittlungen gegen Abgeordnete geführt werden dürfen?