6237/J XXV. GP

Eingelangt am 23.07.2015
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

der Abgeordneten Weigerstorfer,

Kolleginnen und Kollegen

An die Bundesministerin für Gesundheit

betreffend „Qualzucht – Status Quo und Maßnahmen“

 

Aus fachlicher Hinsicht wird immer dann von Qualzucht gesprochen, wenn die Lebensqualität von gezüchteten Tieren durch dadurch einhergehende körperliche Veränderungen stark herabgesetzt wird.

 

Das sind längst nicht mehr ausschließlich die von der hauptsächlich zweiten Tierhaltungsverordnung umfassten (Haus-) Tiere welche durch Kreuzung und Selektion über Jahrhunderte an die Vorlieben ihrer Besitzer  angepasst wurden sondern insbesondere die industriell verwendeten Nutztiere.

 

In einer Studie von Prof. Dr. agr. Habil. Bernhard Hörnig (Hochschule Eberswalde) aus dem Jahr 2013 stellt dieser fest, dass sich der Gesundheitszustand landwirtschaftlicher Nutztiere „durch starken Kostendruck und Hochleistungszüchtungen deutlich verschlechtert“ hat. Zusammenfassen heißt es wörtlich:

„In der Landwirtschaft besteht seit Jahrzehnten ein starker Kostendruck. Die Erzeugerpreise stagnierten oder fielen sogar. Aus wirtschaftlichen Gründen wurden daher die Leistungen der Nutztiere kontinuierlich gesteigert. Die Tiere wurden auf einseitige Höchstleistungen gezüchtet (Milch-, Fleisch- oder Legeleistung). Da nicht mehrere dieser Maximalleistungen an einem Tier möglich sind, wurden getrennte Rassen bzw. Kreuzungen gezüchtet (Milch- und Fleischrassen bei Rindern, Vater- und Mutterrasse bei Schweinen, Lege- und Masthybriden bei Hühnern).

Die zunehmenden Leistungen belasten den Organismus der Tiere immer mehr. Leistungsbedingte Gesundheitsstörungen sind häufig festzustellen. Zu den wichtigsten gehören bei Milchkühen Fruchtbarkeitsstörungen, Euter- und Klauenentzündungen, bei Sauen Fruchtbarkeitsstörungen und Lahmheit, bei schnell wachsenden Mastschweinen und Mastgeflügel (Hähnchen, Puten) Herz-Kreislaufprobleme und Beinschäden (z.B. Gelenkerkrankungen). Die Zucht auf übergroße Brust-muskulatur bewirkt, dass Hähnchen und Puten nicht mehr normal laufen können.

Zudem sind starke Verhaltenseinschränkungen festzustellen. So bewegen sich Hähnchen und Puten im Verlaufe der Mast immer weniger und liegen meistens auf der feuchten Einstreu, was Hautentzündungen begünstigt. Ferner sind Hähnchen kaum noch in der Lage, erhöhte Sitzstangen anzufliegen oder Ausläufe zu nutzen. Puten werden aufgrund der Größenunterschiede zwischen den Geschlechtern künstlich besamt, weil sonst eine erhöhte Verletzungsgefahr für die kleineren Hennen besteht. Darüber hinaus hat die Hochleistungszucht zu einer starken Abnahme der Biodiversität geführt, sowohl durch einen Rückgang alter Rassen mit niedrigeren Leistungen, als auch einem Anstieg der Inzucht innerhalb der Hochleistungsrassen.


Die genannten Gesundheits- und Verhaltensprobleme sind oft tierschutzrelevant im Sinne des Tierschutzgesetzes. So sind akute Entzündungen oft mit Schmerzen verbunden und bei Verhaltensstörungen wird von Leiden bei den Tieren ausgegangen. Studien zeigen, dass ca. 55 – 90 % der Masthühner und Puten oft schmerzhafte Gelenkerkrankungen aufweisen. Ebenso hoch stellen sich entsprechende Gelenkveränderungen bei Mastschweinen dar. Das jugendliche Skelett kann den enormen Fleischzuwachs der Masttiere nicht ausreichend tragen.

Ein weiterer Effekt der Hochleistungszucht ist die immer kürzere Lebensspanne der Zuchttiere. Legehennen werden fast immer nur ein Jahr genutzt. Die hohe Legeleistung begünstigen Entzündungen der Legeorgane und der hohe Kalziumbedarf für die Eierschalen Osteoporose. Die Nutzungsdauer der Milchkühe hat sich in den letzten 40 Jahren etwa halbiert, die Kühe bekommen im Schnitt nur noch ca. 2,5 Kälber. Mehr als ein Drittel einer Kuhherde geht jedes Jahr zum Schlachthof, die meisten Kühe, weil sie trotz tierärztlicher Behandlung nicht mehr gesund werden. Zuchtsauen werden im Durchschnitt keine drei Jahre mehr alt, zu den wichtigsten Gründen für die Schlachtung gehören Fruchtbarkeitsprobleme, welche mit der hohen Anzahl Ferkel im Jahr zusammenhängen.

Insgesamt hat sich das Leben der Nutztiere in den letzten Jahrzehnten nicht verbessert. Die kontinuierlich wachsenden Tierbestände führten zu einer Intensivierung bei den Haltungsbedingungen (z.B. einstreulose Haltung vieler Tiere auf engem Raum) mit entsprechenden Tierschutzproblemen. Die ständig steigenden Leistungsanforderungen belasten die Tiergesundheit und das Tierwohl in immer stärkerem Maße.“[1]

 

Weiters machte der Niedersächsische Landwirtschaftsminister bei stern TV Anfang 2014 deutlich, dass es „Tendenzen in der Putenhaltung gibt, die in Richtung Qualzucht gehen. Es handelt sich bei den Leiden der Tiere längst nicht mehr um Einzelfälle. In der Putenzucht habe man jahrelang auf die Vergrößerung von Brustfleisch und in Richtung billiges Fleischwachstum gezüchtet und damit das Wohl der Tiere aus den Augen verloren.“

Aufgrund der Turbomast von nur 20 Wochen, in denen diese ihr Geburtsgewicht um das 420-fache vervielfachen, sind die Tiere nicht lebensfähig und müssen sofort nach dem Ende der Mast geschlachtet werden. Etwa 8 % der Tiere überleben die Mast gar nicht. Die Spurensuche von stern TV hat ergeben, dass nahezu alle Puten in Europa aus dem englischen Zuchtbetrieb Aviagen stammen und zur Sorte BUT 6 gehören.[2]

 

Wie der VGT Mitte Juni dieses Jahres in einer Pressekonferenz mitteilte, gehören die Puten in österreichischen Masthallen ebenso besonders schnell wachsende Rassen mit riesengroßer Brust aus Kanada oder eben auch aus England an. In der Folge haben 40 % der Tiere Wunden an den Füssen und 30 % sogenannte Brustblasen, das sind Schwielen an der Haut vom vielen Liegen. 80 – 90 % erleiden schmerzhafte Nekrosen am tiefen Brustmuskel und 60 – 100 % eine Beinschwäche durch eine Fehlstellung im Hüftgelenk.[3]

 

Im Tierschutzgesetz (TSchG) des § 5 Abs. 1 ist eine Qualzucht verboten, jedoch wird dieser Paragraph bei Nutztieren nicht angewendet, hier wird leider ein großes Vollzugsdefizit sichtbar.

 

Verbot der Tierquälerei

§ 5. (1) Es ist verboten, einem Tier ungerechtfertigt Schmerzen, Leiden oder Schäden zuzufügen oder es in schwere Angst zu versetzen.

(2) Gegen Abs. 1 verstößt insbesondere, wer

 

1.    Züchtungen vornimmt, bei denen vorhersehbar ist, dass sie für das Tier oder dessen Nachkommen mit Schmerzen, Leiden, Schäden oder Angst verbunden sind (Qualzüchtungen), sodass in deren Folge im Zusammenhang mit genetischen Anomalien insbesondere eines oder mehrere der folgenden klinischen Symptome bei den Nachkommen nicht nur vorübergehend mit wesentlichen Auswirkungen auf ihre Gesundheit auftreten oder physiologische Lebensläufe wesentlich beeinträchtigen oder eine erhöhte Verletzungsgefahr bedingen:

 

a)    Atemnot,

b)    Bewegungsanomalien,

c)    Lahmheiten,

d)    Entzündungen der Haut,

e)    Haarlosigkeit,

f)     Entzündungen der Lidbindehaut und/oder der Hornhaut,

g)    Blindheit,

h)    Exophtalmus,

i)      Taubheit,

j)      Neurologische Symptome,

k)    Fehlbildungen des Gebisses,

l)      Missbildungen der Schädeldecke,

m)  Körperformen bei denen mit großer Wahrscheinlichkeit angenommen werden muss, dass natürliche Geburten nicht möglich sind, oder Tiere mit Qualzuchtmerkmalen importiert, erwirbt, vermittelt, weitergibt oder ausstellt;

 

2.    Die Aggressivität und Kampfbereitschaft von Tieren durch einseitige Zuchtauswahl oder durch andere Maßnahmen erhöht; (…)

 

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an die Frau Bundesminister für Gesundheit nachstehende

 

 

Anfrage

 

1)    Wie lautet Ihre Ressortmeinung zu dem Thema Qualzucht bezüglich der Tier, die von der zweiten Tierhaltungsverordnung umfasst sind?

2)    Gibt es hier aktuelle Initiativen Ihres Ressorts? Wenn ja, welche? Und bitte um Untergliederung nach Tierart.

3)    Wie lautet Ihre Ressortmeinung zu dem Thema Qualzucht bezüglich der Tiere, die von der ersten Tierhaltungsverordnung umfasst sind?

4)    Gibt es hier aktuelle Initiativen Ihres Ressorts? Wenn ja, welche? Und bitte um Untergliederung nach Tierart.

5)    Statt Tierzucht nur an wirtschaftlichen Kriterien auszurichten, muss die Zucht auf Gesundheit und Langlebigkeit wieder mehr an Bedeutung gewinnen. Welche Maßnahmen beabsichtigen Sie hier zu setzen?

6)    Wie hat sich nach Kenntnis Ihres Ressorts die Nutzungsdauer von Milchkühen seit 1970 entwickelt (bitte nach Jahren aufschlüsseln), und welche Schlüsse ziehen Sie hieraus?

7)    Bei welchen Nutztierarten bzw. -rassen oder Herkunft ist nach Auffassung Ihres Ressorts die aus Tierschutzsicht mögliche Leistungsgrenze überschritten? Bitte um Gliederung nach einzelnen Rassen.

8)    Teilt Ihr Ressort die Forderungen nach einer Begrenzung der Leistungskapazität von Nutztieren wie z. B. einer Mindestmastdauer, einer maximalen Zunahmerate, wie dies z.B. in der EU-Öko-Verordnung für Mastgeflügel bereits umgesetzt ist, oder einer maximalen Milchleistung?

a)    Wenn nein, unter welchen Umständen würde die Bundesregierung dies in Erwägung ziehen?

9)    Landwirte, die auf maximale Leistung verzichten wollen, haben in begrenzen Umfang Alternativen bei der Auswahl ihrer Zuchttiere. Werden die niedrigeren Leistungen hier honoriert oder halten Sie das für sinnvoll?

10) Um den Verbraucher die Zuchtproblematik bewusst zu machen, wäre eine Kennzeichnung von gemästeten Fleisch sinnvoll. Gibt es dahingehend Überlegungen in Ihrem Ressort?

a)    Wenn ja, welche?

b)    Wenn nein, warum nicht?

11) Liegen Ihrem Ressort Studien über die gesundheitlichen Auswirkungen bei regelmäßigen Verzehr von Mastfleisch vor?

a)     Wenn ja, bitte um Dokumentierung.

b)     Wenn nein, können Sie gesundheitliche Schäden beim Menschen ausschließen?

12) Plant Ihr Ressort eine bessere Personalausstattung des Veterinäramtes, um den praktischen Vollzug des Tierschutzgesetzes besser umsetzen zu können? 

13) Eine auf Nachhaltigkeit und Biodiversität ausgerichtete Zucht sollte gefördert werden.

a)    Sein Ihnen dahingehende Förderungen bekannt?

b)    Planen Sie Maßnahmen für Förderungen in diesem Bereich? Wenn ja, welche?

 



[1]  Quelle: http://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/themen_az/agrar/Qualzucht_bei_Nutztieren.pdf

[2]  Quelle: http://www.presseportal.de/pm/6514/2715710

[3]  Quelle: http://vgt.at/presse/konferenz/20150617puten2/index.php