6657/J XXV. GP
Eingelangt am 06.10.2015
Dieser Text ist elektronisch textinterpretiert. Abweichungen vom Original sind
möglich.
DRINGLICHE ANFRAGE
der Abgeordneten Eva Glawischnig-Piesczek, Harald Walser, Freundinnen und Freunde
an die Bundesministerin für Bildung und Frauen
betreffend Bildungsreform 2015 – großer Wurf oder nächster Flop?
BEGRÜNDUNG
Wir müssen die besten sein, wir wollen die europa- und weltweit beste Bildung bieten." (Wolfgang Schüssel zusammen mit Elisabeth Gehrer, 27.10.1997)[1]
„61 Reformmaßnahmen im Bildungsbereich sorgen für beste Bildung und beste Chancen unserer Kinder.“ (Claudia Schmied, 4.7.2013)
„Mein Ziel ist ganz klar die beste Bildung für alle" (Bildungsministerin Heinisch-Hosek, 17.4.2015)[2]
„Unser klares ÖVP-Ziel lautet: Die beste Bildung für jedes Kind!“ (ÖVP-Generalsekretär Gernot Blümel, 2.5.2015) [3]
„Die beste Bildung für jedes Kind, kein Prekariat mehr. Dafür brauchen wir die besten Kindergärten, die besten Schulen. Das muss unser aller Ziel sein.“ (Harald Mahrer, 6.10.2014)[4]
unsere Kinder verwirklichen zu wollen, hat sich bisher aber als nicht einmal ansatzweise eingelöstes Versprechen entpuppt. Die inflationäre Verwendung dieses Superlativs durch alle politischen Akteure und Akteurinnen zeigt bestenfalls den Reformbedarf auf, wirkt jedoch angesichts der vielen Baustellen im Bildungsbereich zunehmend wie eine populistische Leerformel.
Die Ansprüche der Bundesregierung gründen sich auf die bestehende Gesetzeslage. Die Schule hat laut §2 Schulorganisationsgesetz „die Jugend mit dem für das Leben und den künftigen Beruf erforderlichen Wissen und Können auszustatten und zum selbsttätigen Bildungserwerb zu erziehen“. Und auch die Bundesverfassung nimmt in Artikel 14, Abs. 5a Bezug auf das Bildungssystem: „Demokratie, Humanität, Solidarität, Friede und Gerechtigkeit sowie Offenheit und Toleranz gegenüber den Menschen sind Grundwerte der Schule, auf deren Grundlage sie der gesamten Bevölkerung, unabhängig von Herkunft, sozialer Lage und finanziellem Hintergrund, unter steter Sicherung und Weiterentwicklung bestmöglicher Qualität ein höchstmögliches Bildungsniveau sichert.“
Diesem Anspruch wird das österreichische Bildungssystem jedoch nicht gerecht. Internationale Vergleichsstudien bescheinigen Österreichs Bildungssystem seit Jahren bestenfalls durchschnittliche, meist sogar unterdurchschnittliche Leistungen. Die Industriellenvereinigung hält dazu fest: „Österreich leistet sich eines der teuersten Bildungssysteme dieser Welt. Doch die hohen Ausgaben bringen keine bessere Bildungsqualität. Und an wichtigen Kompetenzen fehlt es. Obwohl Österreich mit jährlichen Ausgaben von 13.116 US-Dollar pro Kopf von der Volksschule bis zur Hochschule wesentlich mehr ausgibt als der OECD-Durchschnitt, sind wir in punkto Bildungsqualität weit vom internationalen Spitzenfeld entfernt. Das Geld kommt zu wenig bei den Schülerinnen und Schülern in den Klassenzimmern an.“
Das intransparente System der Bildungsverwaltung, die zwischen Bund und Ländern aufgeteilt ist, ist ein unzählige Millionen verschlingendes Bürokratiemonster. Hinzu kommen zwischen diversen Ministerien aufgeteilte Kompetenzen, die durchgängige Regelungen und den dringend notwendigen Informationsfluss, wie ein sinnvolles Übergangsmanagement zwischen den bestehenden Bildungsschnittstellen – etwa vom Kindergarten zur Volksschule – fast undurchführbar machen.
Daniel Schraad-Tischler, Projektleiter einer im letzten Jahr präsentierten Bertelsmann-Studie, kritisiert „die frühe Selektion der Kinder im mehrgliedrigen Schulsystem“. Außerdem brauche Österreich mehr UniversitätsabsolventInnen als derzeit. Die Performance des Bildungssystems sei angesichts des Mitteleinsatzes bescheiden, denn Österreich komme nur auf Platz 29 aller 41 untersuchten Länder. Nach wie vor, so der Bertelsmann-Experte, spiele in Österreich die soziale Herkunft bei den Bildungschancen eine zu große Rolle. Mängel gebe es auch bei der frühkindlichen Bildung.[5]
Die Bundesregierung ist vor zwei Jahren angetreten, um diese Situation zu verbessern. Im September letzten Jahres wurde die Einrichtung einer „Bildungsreformkommission“ beschlossen, die „rasch ihre Arbeit aufnehmen und laufend beratend tätig sein“ sollte.[6] Tatsächlich trat die Reformkommission erst vier Monate später zum ersten Mal zusammen und verkündete als wichtigstes Ergebnis das harmonische Miteinander: „’Man hat niemanden schreien gehört und der Boden hat nicht gebebt’, sagte der Staatssekretär Harald Mahrer (ÖVP)“.[7] Eine für die Bildungsreformkommission eingesetzte „Expert/innengruppe Schulverwaltung“ stellt den Reformbedarf fest: „Die völlig geänderten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen machen eine umfassende Neugestaltung unseres Bildungssystems dringend erforderlich. (...) Mit punktuellen Einzelmaßnahmen alleine wird man in Zukunft keine besseren Ergebnisse erzielen.“[8]
Das von der ExpertInnenkommission erarbeitete Grundlagenpapier „Freiraum für Österreichs Schulen“ empfiehlt eine wesentliche Ausweitung der Schulautonomie, weniger bürokratischen Aufwand, eine bessere Ressourcensteuerung und ein besseres Controlling. Bemerkenswert ist die Formulierung: „Ein generelles Andenken einer Reduzierung der ‚Schnittstellen“ (Übergangszeiten) im gesamten Schulsystem. Denkbar wäre es, eine Schnittstelle bei 14 anzusetzen.“[9] Dies kommt einer – wenn auch vorsichtig formulierten – Forderung nach Einführung der gemeinsamen Schule der 10- bis 14-Jährigen gleich.
Vorarlberg ist diesbezüglich schon einen Schritt weiter. Dort hat eine unabhängige ExpertInnengruppe ihre Schlussfolgerungen aus der bislang umfassendsten Befragung von LehrerInnen, Eltern und SchülerInnen zur Gemeinsamen Schule präsentiert und die Empfehlung ausgesprochen, das Schulsystem im gesamte Bundesland zu einer Modellregion Gemeinsame Schule umzuwandeln: „Für das Bundesland Vorarlberg wird mittelfristig landesweit die Einrichtung einer gemeinsamen Schule von der 5. bis zur 8. Schulstufe auf Basis von Individualisierung bzw. Personalisierung und innerer Differenzierung empfohlen. Unabdingbare Voraussetzung für das Gelingen sind Lehrpersonen, die bereit sind, pädagogische Konzepte umzusetzen, die alle Schüler/innen entsprechend ihren Fähigkeiten und Interessen gleichermaßen fördern und auch fordern.“[10]
Gleichzeitig wird aber auch darauf hingewiesen, dass es massiver legistischer und inhaltlicher Vorbereitungen sowohl auf Bundes- als auch auf Landesebene bedarf. Dazu gehören bundesgesetzliche Änderungen genauso wie die Umsetzung einer Pädagogik in den Schulen der Sekundarstufe I, die die individuellen Talente und Fähigkeiten der Schüler/innen berücksichtigt und unterstützt sowie die gemeinsame Qualifizierung der Lehrpersonen in der neuen Pädagog/innenbildung sowie in Fort- und Weiterbildung insbesondere in den Bereichen diagnostische Kompetenz und Individualisierung bzw. Personalisierung auf Basis innerer Differenzierung. Auch die Ausgestaltung der Schulautonomie, gleichzeitig Zielvereinbarungen mit den Schulen und der Aufbau eines Rückmeldesystems zum Stand der Zielerreichung, die Vorbereitung geleiteter Übergänge, die Intensivierung der Elternzusammenarbeit und die Neudefinition der Schulsprengel werden genannt.
Die Reformkommission hat sich „inhaltliche Verbesserungen und in weiterer Folge eine Strukturreform“ zum Ziel gesetzt, so die Bundesministerin für Bildung und Frauen Gabriele Heinisch-Hosek: „Wichtig ist, dass wir das Schulsystem effizienter und effektiver machen, damit die Schülerinnen und Schüler die beste Bildung erhalten.“ Die Ergebnisse der Kommission sollen nun am 17. November präsentiert werden. Aus den Verhandlungen der ExpertInnengruppe zur Schulverwaltungsreform sickert durch, dass es zu keiner Vereinheitlichung und Zusammenführung der Schulverwaltung kommen wird. Enttäuschend für die Landeshauptleute könnte eine Berechnung sein, wonach die Verwaltung der LehrerInnen durch die Länder deutlich teurer wäre als eine zentrale Verwaltung durch den Bund. Untermauert wird dies durch einen aktuellen Bericht des Rechnungshofes,[11] der bei der Verwaltung von Lehrpersonal besondere Ineffizienz ortet. Es zeigt sich wieder einmal, dass die Partikularinteressen von Bund und Ländern, Gewerkschaften und Gemeinden, Parteipolitik und jenen, denen es nur um Besitzstandswahrung geht, zu weit auseinanderliegen. Die völlig unterschiedlichen Vorstellungen wurden auch am Austritt der beiden Landeshauptmänner Erwin Pröll und Hans Niessel ersichtlich. Offensichtlich war die eingangs gefeierte Harmonie in der Reformgruppe nach nur wenigen Sitzungen bereits wieder am Ende. Es ist daher zu befürchten, dass die als großer Wurf angekündigte Reform wieder zu einem Reförmchen verkommt und so auch weiterhin alles beim (teuren) Alten bleibt.
Inzwischen steuert das österreichische Bildungssystem aber auf ein dramatisches Finanzierungsproblem zu. Schon für das laufende Jahr ist das Budget 2015 massiv zu niedrig dotiert. Der „Kurier“ berichtet: „Seit Längerem ist bekannt, dass ihr Ressort deutlich zu wenig Geld hat – in diesem Jahr rund 340 Millionen, im kommenden Jahr schon über eine halbe Milliarde Euro.“[12]
Gleichzeitig kommen neue Herausforderungen auf unser Bildungssystem zu. Die demografischen Veränderungen und SchülerInnenströme machen die Finanzierung des Bildungswesens über den Weg des Finanzausgleichs immer schwieriger. Zu starr und schwerfällig reagiert das System auf Herausforderungen wie z.B. durch die Kinder und Jugendlichen unter den Flüchtlingen, die jetzt eingeschult werden müssen und in Kindergärten und Kollegs Zugang zu Bildung bekommen sollen. Aber allein schon die Dynamik der wachsenden Ballungsräume führt zu einem chronischen Lehrkräftemangel in Städten, während in ländlichen Gemeinden Schulen nur durch Überschreitung der Stellenpläne erhalten werden können.
Während sich also Bund und Länder gegenseitig die Schuld am Stillstand zuschieben, statt endlich eine Entscheidung zu fällen und eine neue, gerechte und flexible Schulverwaltung zu gestalten, leiden die Schülerinnen und Schüler, deren Unterrichtsbedingungen sich stetig verschlechtern. Aber auch für Eltern und Lehrkräfte ist die Situation nur schwer erträglich. Wenn die Schule weiterhin nach dem Gießkannenprinzip des Finanzausgleichs finanziert wird, wird es weder die dringend benötigte sozialindexbasierte Mittelzuteilung für alle Bildungseinrichtungen geben noch die gewünschte personelle Autonomie oder die dringend notwendige Flexibilitätsreserve für besondere Herausforderungen. Stattdessen bleibt es bei parteipolitischem Proporz, verkrusteten Strukturen, Parteibuchwirtschaft und Intransparenz.
Während Österreich also noch an den „Basics“ einer Schulreform bastelt, geht das vielzitierte Finnland bereits an den nächsten weitreichenden Umbau seines Schulsystems und plant eine völlige Neustrukturierung der Unterrichtsgestaltung. Bemerkenswert ist dabei, dass die Reformschritte in einem für Österreich undenkbar schnellen Tempo umgesetzt werden, obwohl die Veränderungen mit der Auflösung des bisherigen Fächerunterrichts einen tiefen Einschnitt in den Unterrichtsalltag nach sich ziehen werden. Zudem wurden jene befragt, die von der Reform betroffen sein werden, nämlich auch die SchülerInnen: „Ihren Satz, dass die Schüler im Mittelpunkt der Schule stehen soll, nehmen die Bildungsplaner in Helsinki sehr ernst. Auch die aktuelle Schulreform ist nicht an den Schreibtischen eines Ministeriums entstanden, sondern in intensiven Gesprächen mit den Beteiligten. 60.000 Schüler wurden befragt. Sie waren zwar zufrieden mit dem System, wollten aber mehr aktive Teilnahme.“[13]
Diese demokratische Einbindung von den am Schulleben Beteiligten ist in Österreich unmöglich bzw. unerwünscht. Schon alleine daran ist ein fundamentales Defizit an den derzeitigen Diskussionen zur Bildungsreform erkennbar: Partei- und partikuläre Machtinteressen scheinen gegenüber den Interessen und Bedürfnissen von SchülerInnen, Eltern und Lehrenden Vorrang zu haben. Das Josefinische Prinzip der Reformen von oben ist aber schon im 18. Jahrhundert gescheitert. Dennoch wird nun über ein Bildungssystem entschieden, das für unsere Zukunft von fundamentaler Bedeutung sein wird. Wenn die Bundesregierung heute nicht konsequente Schritte zu einer Gesamtreform einleitet, werden die kommenden Generationen dafür die Rechnung zu bezahlen haben.
Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende
DRINGLICHE ANFRAGE
Schulreform:
Falls ja: Wie
lautetet dieses Ergebnis?
Falls nein: Wie ist der derzeitige Stand der Diskussionen?
Budget:
Aktuelle Fragen:
In formeller Hinsicht wird die dringliche Behandlung gemäß § 93 Abs.2 GOG verlangt.
[1] http://paedpsych.jk.uni-linz.ac.at/PAEDPSYCH/NETSCHULE/NetSchuleEinleitung.html
[2] https://www.bmbf.gv.at/ministerium/vp/2015/20150417.html
[3] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150502_OTS0029/bluemel-baustellen-beheben-statt-schoenreden-und-verantwortung-abschieben
[4] http://kurier.at/politik/inland/schule-streitgespraech-zwischen-gabriele-heinisch-hosek-und-harald-mahrer-haben-keine-magischen-bankomaten/89.423.638
[5] „Die Presse“ vom 8. April 2014
[6] http://wirtschaftsblatt.at/home/nachrichten/oesterreich/3876188/Regierungsklausur_6PunkteProgramm-zur-Bildung-beschlossen
[7] http://diepresse.com/home/bildung/schule/4644819/Bildungsreform_Staendiges-Herumdoktern-soll-ein-Ende-haben
[8] Freiraum für Österreichs Schulen, März 2015
[9] ebda., 27
[10] http://haraldwalser.at/wp-content/uploads/Schule-10-bis-14-Kurzfassung-mit-Empfehlungen.pdf
[11] http://www.rechnungshof.gv.at/aktuelles/ansicht/detail/berichtsvorlage-lehrerpersonalverwaltung-landesschulraete-insolvenz-entgelt-fonds-und-truppenuebu.html
[12] http://kurier.at/politik/inland/heinisch-hosek-und-das-bildungsbudget-ministerin-in-der-zwickmuehle/124.892.344
[13] http://www.spiegel.de/schulspiegel/wissen/schule-in-finnland-reform-fuer-weniger-faecher-a-1027561.html
[14] http://www.ots.at/presseaussendung/OTS_20150909_OTS0225/heinisch-hosek-gemeinsame-ganztaegige-schule-ist-schule-der-zukunft
https://derstandard.at/jetzt/livebericht/2000022714813/1000039215/wien-wahl-haeupl-im-chat-wien-wird-mit-zahl-an-asylanten-leicht-fertigwerden
[15] http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/I/I_00324/index.shtml