6812/J XXV. GP

Eingelangt am 15.10.2015
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ANFRAGE

des Abgeordneten Mag. Roman Haider

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

betreffend Mindestsicherung in Österreich

 

Die Presse vom 11.10.2015 berichtet:

 

„[…] Wird jemand in Österreich als Flüchtling anerkannt, hat er automatisch Anspruch auf die bedarfsorientierte Mindestsicherung. Sie ist in jedem Bundesland verschieden hoch. In Oberösterreich etwa erhält eine Person pro Monat 903 Euro Mindestsicherung, in Wien sind es derzeit 828 Euro.

Das Problem der hohen Sozialausgaben nur unter dem Eindruck der Flüchtlingsnot zu sehen ist aber zu kurz gegriffen. Schon heute beziehen knapp neun von 100 Wienern eine Mindestsicherung. Insgesamt waren es 2013 mehr als 150.000 Wienerinnen und Wiener. Und die Zahl steigt jedes Jahr dramatisch an. 2010 gab es in der Hauptstadt noch 106.000 Bezieher einer Mindestsicherung.

Wie kommt es zu dieser veritablen sozialen Verelendung in der Stadt? Warum steigt die Zahl der Sozialhilfeempfänger? Ein Blick in den Wiener Sozialbericht 2015 lässt zwei Gründe erkennen. Zum einen gibt es tatsächlich viele Menschen, die weniger als das sogenannte Existenzminimum verdienen. Teilzeitbeschäftigte Alleinerzieherinnen etwa. Ihnen wird die Differenz zwischen Einkommen und Mindestsicherung ergänzt. Die sogenannten Aufstocker machen knapp zwei Drittel der Sozialhilfeempfänger aus. Sie sind es auch, die am schnellsten wieder aus eigener Kraft auf die Beine kommen.

Viel schwieriger wird die Lage schon bei jenen, die keiner Beschäftigung nachgehen und ausschließlich von der Mindestsicherung leben. Ihre Zahl steigt in Wien pro Jahr um mehr als zehn Prozent. Man kann es verfestigte Armut nennen. Oder auch soziale Zeitbombe. So bezogen 2013 etwa 18.000 15- bis 25-Jährige in Wien Mindestsicherung. Fast die Hälfte davon schafft von der Schulbank nahtlos den Übergang ins soziale Versorgungssystem. Ohne auch nur einmal beim Arbeitsmarktservice anzuklopfen. Das Problem ist den Experten und Politikern bekannt. Auch dass die „Kooperation zwischen AMS und Stadt verbessert werden“ kann, ist laut Sozialbericht kein Geheimnis.

 

Denn in der Praxis kommt es nicht selten vor, dass Sanktionen des AMS aufgrund mangelnder Kommunikation von der Stadt Wien torpediert werden. Wenn etwa einem Arbeitslosen aufgrund mehrmaliger Verfehlungen ein Teil seines Arbeitslosengeldes gesperrt wird, holt er sich einen Teil des Geldes einfach in Form der Mindestsicherung beim Magistrat zurück.

Die Kunden der Fonds Soziales Wien werden von Jahr zu Jahr jünger. War der durchschnittliche Sozialhilfeempfänger im Jahr 2001 noch 35,4Jahre alt, so lag das Durchschnittsalter 2013 bei 30,7 Jahren. Mittlerweile dürfte die 30er-Grenze unterschritten worden sein. Spätestens mit der Aufnahme kinderreicher Flüchtlingsfamilien wird der Altersschnitt weiter sinken. 2013 waren in Wien etwa 41.800 Kinder unter 15 Jahren in der Mindestsicherung.

Bankgeheimnis für Arme. Wer in Österreich die Mindestsicherung in Anspruch nimmt, muss natürlich seine Vermögenswerte offenlegen. Schließlich müssen etwa Ersparnisse über einem Freibetrag von 4139 Euro aufgebraucht sein, bevor eine Mindestsicherung gewährt wird. Allerdings kann keine Behörde in Österreich überprüfen, ob Spareinlagen vorhanden sind. Im Zuge der jüngsten Steuerreform wurde zwar das im Verfassungsrang befindliche Bankgeheimnis mit den Stimmen der Regierungsparteien SPÖ und ÖVP sowie der Grünen de facto abgeschafft. Allerdings nur für potenzielle Steuerhinterzieher, sprich Unternehmer. Die Steuerbehörden können nachschauen, das Sozialamt hingegen nicht. Während etwa in Deutschland jeder Hartz-IV-Empfänger auf Herz und Nieren auf seine Vermögensverhältnisse abgeklopft wird, können in Österreich die Angaben der Antragsteller in der Praxis nicht kontrolliert werden.

Vergleich Deutschland/Österreich. Apropos Hartz IV: Der sogenannte Regelsatz liegt bei 399 Euro pro Monat. Mit diesem Geld müssen Hartz-IV-Empfänger den laufenden Bedarf für Nahrung, Kleidung, Körperpflege und andere Bedürfnisse des täglichen Lebens decken (nicht Wohn- und Heizkosten). In Wien bekommt ein Ehepaar mit zwei Kindern in der Mindestsicherung 1688,76 Euro pro Monat. Damit beträgt der Jahresbezug allein aus diesem Titel mehr als 20.000 Euro. Nicht enthalten ist dabei der Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag, das sind weitere 58,40 Euro pro Kind und Monat. Hinzu kommt die Kinderbeihilfe. Ab 1. Jänner wird sie je nach Alter des Kindes zwischen 111,80 und 162 Euro monatlich betragen.

Bei zwei Kindern im Alter von zehn und zwölf Jahren wird also jährlich Kinderbeihilfe von 4800 Euro überwiesen. Bezieher einer Mindestsicherung können auch den Alleinverdienerabsetzbetrag von 669 Euro in Anspruch nehmen. Am Ende kommt man auf ein jährliches Haushaltseinkommen von fast 26.000 Euro netto. Und da sind soziale Sondermaßnahmen der Stadt Wien wie der Familienzuschuss oder die Energiestützungsaktion nicht inkludiert.

Mag sein, dass dieses Rechenbeispiel die Frage der rätselhaften Zunahme von Sozialhilfeempfängern in Wien nur zum Teil beantwortet. Laut Statistik Austria lag das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Österreich 2014 bei 34.638 Euro netto pro Jahr. Etwa 90.000 Familien mit zwei Kindern müssen mit weniger Geld auskommen, 40.000 Familien mit zwei Kindern in Österreich beziehen weniger als 21.147 Euro netto pro Jahr – trotz Arbeitseinkommen."

 

 

In diesem Zusammenhang stellen die unterfertigenden Abgeordneten, an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz nachfolgende

 

Anfrage

 

1.    Wie hat sich die Anzahl an Mindestsicherungsbeziehern in den Jahren 2005-2015 österreichweit entwickelt? (Ersucht wird um eine Aufschlüsselung nach Jahren und Bundesländern)

 

2.    Worauf führen Sie als Finanzminister den jährlichen Anstieg an Mindestsicherungsbeziehern zurück?

 

3.    Was kann dagegen unternommen werden?

 

4.    Wie hat sich die Anzahl an Mindestsicherungsempfängern je nach Altersgruppen (15-25-jährige, 25-50jährige) je nach Bundesland in den Jahren 2005-2015 entwickelt?

 

5.    Wie stehen Sie als Finanzminister zu der Aussage, dass ein nicht unbeachtlicher Teil der jungen Mindestsicherungsbezieher nahtlos von der Schulbank in das Versorgungssystem wechselt, ohne jemals beim Arbeitsmarktservice vorstellig zu werden?

 

6.    Was kann gegen diesen Trend unternommen werden?

 

7.    Laut Sozialbericht sollte die Kooperation zwischen dem AMS und der Stadt Wien verbessert werden, da es nicht selten vorkommt, dass Sanktionen des AMS aufgrund mangelnder Kommunikation von der Stadt Wien torpediert werden. Wie kann eine derartige Verbesserung gemäß Ihres Ministeriums aussehen?

 

8.    Wie sieht eine diesbezügliche Kooperation in den anderen Bundesländern aus?

 

9.    Wenn einem Arbeitslosen aufgrund mehrmaliger Verfehlungen ein Teil seines Arbeitslosengeldes gesperrt wird, holt er sich, laut Artikel, einen Teil des Geldes einfach in Form der Mindestsicherung beim Magistrat zurück. Wie stehen Sie als Finanzminister zu diesem Vorgehen?

 

10. Werden Sie seitens Ihres Ministeriums bezüglich dieses Vorgehens Maßnahmen ergreifen?

 

11. Wenn ja welche werden das sein? Wenn nein, warum nicht?

 

12. Der durchschnittliche Sozialhilfeempfänger wird gemäß dem Artikel von Jahr zu Jahr jünger, durch die Aufnahme kinderreicher Flüchtlingsfamilien wird dieser Altersschnitt weiter sinken. Wie stellen Sie sich seitens Ihres Ministeriums eine weitere Finanzierung des Mindestsicherungssystems in Österreich in den nächsten Jahren vor?

 

13. Die Vermögensoffenlegung die für die Gewährung der Mindestsicherung Voraussetzung ist (Ersparnisse über einem Freibetrag von 4139 Euro müssen aufgebraucht sein) kann von keiner Behörde überprüft werden, ganz im Gegenteil zu den Hartz IV Empfängern in Deutschland, wo jeder Antragsteller auf Herz und Nieren bezüglich seiner Vermögensverhältnisse abgeklopft wird. Werden Sie sich seitens Ihres Ministeriums für eine verbesserte Kontrolle der Angaben von Mindestsicherungsantragstellern, nach dem Vorbild Deutschlands, in Österreich einsetzen?

 

14. Wenn ja, welche Maßnahmen werden Sie diesbezüglich seitens Ihres Ministeriums ergreifen? Wenn nein, warum nicht?

 

15. In Wien bekommt ein Ehepaar mit zwei Kindern in der Mindestsicherung 1688,76 Euro pro Monat. Damit beträgt der Jahresbezug allein aus diesem Titel mehr als 20.000 Euro. Nicht enthalten ist dabei der Anspruch auf den Kinderabsetzbetrag oder die Kinderbeihilfe. Wird sich an der Höhe/Zusammensetzung dieser Beträge in den kommenden Jahren gemäß Ihres Ministeriums etwas ändern?

 

16. Wenn ja, welche Veränderungen sind diesbezüglich seitens Ihres Ministeriums zu erwarten? Wenn nein warum nicht?

 

17. Laut Statistik Austria lag das durchschnittliche Haushaltseinkommen in Österreich 2014 bei 34.638 Euro netto pro Jahr. Etwa 90.000 Familien mit zwei Kindern müssen mit weniger Geld auskommen, 40.000 Familien mit zwei Kindern in Österreich beziehen weniger als 21.147 Euro netto pro Jahr – trotz Arbeitseinkommen. Erachten Sie die Höhe der Mindestsicherung (zuzüglich Kinderabsetzbetrag, Kinderbeihilfe, Energiestützungsaktionen, Familienzuschüsse etc.) angesichts dieser Statistik als gerechtfertigt?

 

18. Wenn ja, warum? Wenn nein, warum nicht, und was wird sich diesbezüglich in den nächsten Jahren ändern?