6962/J XXV. GP

Eingelangt am 12.11.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

des Abgeordneten Dr. Andreas F. Karlsböck und weiterer Abgeordneter

an die Bundesministerin für Gesundheit

betreffend „Gratis-Zahnspange entpuppt sich als „Wahlkampf-Schmäh“ oder kieferorthopädischer Kahlschlag im Bereich der Burgenländischen Gebietskrankenkasse

 

„Gratis-Zahnspange entpuppt sich als Wahlkampf-Schmäh“ – lautet eine Überschrift in der Online-Ausgabe des „Kurier“ (letzter Zugriff 31.10.2015).

(http://m.kurier.at/politik/inland/gratis-zahnspange-entpuppt-sich-als-wahlkampf-schmaeh/161.319.472) Dort heißt es:

 

„‚Ich möchte nicht, dass man am Gebiss des Kindes das Einkommen der Eltern ablesen kann.’ So begründete im September 2013 der damalige Gesundheitsminister Alois Stöger seinen Vorstoß für Gratis-Zahnspangen für Kinder und Jugendliche. Es war Wahlkampf. Tatsächlich sind seit 1. Juli 2015 Zahnspangen teilweise kostenlos. Allerdings gibt es für jene, die nicht gratis sind, oft kein Geld mehr: ‚Seit 20 Jahren haben meine Patienten einen Zuschuss für eine abnehmbare Zahnspange bekommen. Seit Juli wird er nicht mehr bewilligt. Es stapeln sich auch bei uns in der Kammer die abgelehnten Anträge’, berichtet Zahnarzt Thomas Horejs, der auch Vizepräsident der Wiener Zahnärztekammer ist.

[...]

Die Krankenkassen übernehmen die Kosten für Zahnregulierungen zur Gänze nur, wenn erhebliche Fehlstellungen vorliegen (Stufen 4 und 5 auf der fünfteiligen ‚IOTN’-Klassifizierung). So steht es im Gesetz. Bei leichteren Fehlstellungen gibt es laut Zahnärzten aber vielfach keine Unterstützung mehr – obwohl im Zuge der Verhandlungen versprochen worden war, dass sich an dieser Praxis nichts ändern werde. Bisher haben Eltern im Schnitt zwischen 200 und 430 Euro im Jahr bekommen – je nachdem, wo der Patient versichert war und ob es sich um eine festsitzende oder eine herausnehmbare Spange gehandelt hat. Nun würden Anträge, die nicht den Stufen 4 oder 5 entsprächen, ‚von der Wiener, der niederösterreichischen und der steirischen Gebietskrankenkasse sowie von der Sozialversicherungsanstalt der Bauern und der Beamtenversicherung großflächig abgelehnt’, schildert Horejs. ‚Im Burgenland wird hingegen weiterhin bewilligt’. Der Zahnarzt vermutet, ‚dass die defizitären Kassen aus wirtschaftlichen Überlegungen am Patienten sparen’. Der Verdacht ist nicht abwegig. Die Kassen bekommen für die Gratis-Zahnspangen 80 Millionen Euro pro Jahr vom Bund. Die übrigen Kosten für Zahnspangen müssen sie selbst tragen. Im Hauptverband der Sozialversicherungsträger, der den Vertrag mit der Zahnärztekammer ausverhandelt hat, hat man ‚bisher keine Beschwerden bekommen’, sagt Vize-Generaldirektor Bernhard Wurzer. So lautet auch die Auskunft im Gesundheitsministerium.

 

Bei der Wiener Gebietskrankenkasse gesteht man aber ein, dass es ‚im Bereich der Antragstellung viele Probleme gibt’. Primarius Michael Angerer nennt mehrere Ursachen dafür: Viele Zahnärzte seien über die neuen Regelungen ‚schlecht informiert’ und würden ‚falsche Einstufungen’ vornehmen. Und es würden ‚zu viele Frühbehandlungen gemacht’. Zahnspangen würden also oft zu früh verordnet. Heißt das, vor dem 1. Juli wurden Zahnspangen gefördert, die unnötig waren? Angerer ausweichend: ‚Bisher hat der Kassenvertrag große Unschärfen zugelassen.’ Und wie erklärt er, dass manche Kassen unverändert zahlen? ‚Ich kann mir das nur so erklären, dass dort nicht in dem Ausmaß wie bei uns Prüfungen stattfinden.’“

 

Der oben zitierte Beitrag steht für das berechtigte Unbehagen, das nach nur einem halben Jahr nach Einführung der von der Bundesregierung euphemistisch angekündigten „Gratiszahnspange für alle“ durch den deutlich eingeschränkten Zugang zu kieferorthopädischen Dienstleistungen und die Mehrkosten für Patienten entstanden ist.

 

Zudem spricht die Bewilligungspraxis der Gebietskrankenkassen einer sozialen Ausgewogenheit Hohn. Neuanträge auf abnehmbare Zahnspangen, wie bisher laut Kassenvertrag üblich, werden seit 1. Juli 2015 äußerst restriktiv behandelt, und eine bescheidmäßige Ausfertigung der Ablehnung wird verweigert, sodass keine Möglichkeit besteht, ein Rechtsmittel zu ergreifen, um gegen sie Einspruch zu erheben. Auf Nachfragen wird nicht reagiert, was zur Folge hat, dass die Eltern junger Patienten verständlicher Weise ungehalten reagieren.

 

Bis zur Einführung der neuen Bestimmungen haben niedergelassene Zahnärzte Abdrücke genommen und abnehmbare Zahnspangen gefertigt. Es gab ein einfaches Bewilligungsformular, das ausgefüllt der Gebietskrankenkasse übermittelt wurde, und im Großen und Ganzen wurden die Ansuchen auch genehmigt. Es gab nur stichprobenartige Kontrollen, und das Procedere verlief trotz Selbstbehalts zum Wohle der Patienten in den meisten Fällen unkompliziert und zufriedenstellend.

 

Vor Einführung der sogenannten Gratis-Zahnspange, als deren Für und Wider noch diskutiert wurde, ging man davon aus, dass das alte System in einfachen Fällen beibehalten würde. Wie schon aus oben zitiertem „Kurier“-Beitrag ersichtlich, wurde das Genehmigungsverfahren für die Behandlung leichterer Fälle, also außerhalb der hoch spezialisierten Kieferorthopäden, die als Spezialisten für die schweren Fälle fungieren, aber bürokratischer, ja geradezu schikanös verkompliziert. Niedergelassene Ärzte müssen Gipsmodelle zur Genehmigung an den Chefarzt weiterreichen und umfangreiche bürokratische Hürden in Kauf nehmen – alles unter dem Vorwand der Qualitätskontrolle –, und die Behandlung wird, wie man hört, nur selten genehmigt.

 

Somit liegt der Verdacht nahe, dass man mit der Einführung der „Zahnspange Neu“ den Zugang zu einfachen Behandlungsformen wie abnehmbaren Zahnspangen, die von niedergelassenen Zahnärzten selbst gefertigt werden, durch restriktive Genehmigungsverfahren erschweren wollte. Tatsächlich wurde die bewährte Behandlung im Rahmen der Selbstbehaltlösung unmöglich gemacht. Stattdessen werden die eingesparten Gelder in die „Zahnspange Neu“ umgeleitet, mit der Folge, dass viele Patienten schlechter gestellt werden und dringend notwendige kieferorthopädische Leistungen nun selbst bezahlen müssen. Denn die hoch qualifizierten Kieferorthopäden können nicht alle leichteren Fälle übernehmen, und den niedergelassenen, erfahrenen Zahnärzten wird die Kostenübernahme durch die Gebietskrankenkasse großteils versagt. Das bedeutet eine Verschlechterung in der Gesundheitsversorgung und einen Rückschritt für Versicherte, vor dem die Freiheitlichen immer gewarnt haben.

 

Nachdem mit dem Projekt „Zahnspange Neu“ auch neue Kategorien zur kieferorthopädischen Behandlungsnotwendigkeit – normiert im Index of Orthodontic Treatment Need (IOTN) – zur Anwendung kommen, ergeben sich neue Probleme: So ist die IOTN-Feststellung nur durch einen „Vertrags-Kieferorthopäden“ feststellbar. De facto werden also alle anderen Kassenzahnärzte zu Kieferorthopädie-Wahlärzten degradiert. Zusätzlich müssen für die „interzeptive“ Behandlung der Zahnfehlstellung Modelle, Fotos extra- und intraoral, Panorama- und eventuell laterales Fernröntgen, Behandlungsplanung inklusive Erfolgsannahme und Dokumentation zum Ende der interzeptiven Behandlung samt deren Ergebnis erfolgen. Diese Behandlungsunterlagen sind einem Antrag auf Kostenübernahme beizulegen – ebenfalls eine massive Verschlechterung gegenüber den bisherigen Gebarungen.

 

Besonders negativ betreffen die neuen Bestimmungen Zahnärzte in ländlichen Regionen, die genötigt sind, zu Kollegen querfeldein zu überweisen und oft die Patienten dadurch ganz verlieren. Des Weiteren werden durch diese eng gestellte Indikation – Vorliegen der Behandlungsnotwendigkeit nach IOTN 4 oder 5 ist jedenfalls Bedingung – die Kosten für Patienten mit Behandlungsnotwendigkeit nach IOTN 2 und 3 nicht mehr übernommen. Diese müssen entweder warten, bis sich die Fehlstellung verschlechtert, um möglicherweise später „Gratis-Zahnspangen“-Patient zu werden, oder selbst bezahlen. Damit erweist sich die soziale Treffsicherheit gerade in einer sozialdemokratisch geprägten Gesundheitslandschaft als katastrophal. Das Ergebnis: 85 Prozent der Patienten bezahlen für 15 Prozent! Diese praktische Verschlechterung wird dann als „Gratis-Zahnspange“ verkauft.

 

Die unterfertigten Abgeordneten richten daher an die Bundesministerin für Gesundheit folgende

 

Anfrage

 

1.      Wie hoch sind die mit der Umstellung auf die „Zahnspange Neu“ verbundenen Mehrkosten für den Bereich der BGKK, jährlich und in absoluten Zahlen?

 

2.      Welche Kosten hat man dort für 2015 budgetiert?

 

3.      Während die „neuen“ Kieferorthopäden aufgrund ihrer Zertifizierung keine Anträge stellen müssen und die Leistungen, die sie für ihre Patienten erbringen, automatisch genehmigt werden, zeigt sich die BGKK bei leichten Fällen misstrauisch. Ist man künftig bereit, die restriktive Bewilligungspraxis für leichte Fälle nach IOTN 1 bis 3 aufzuweichen?

 

4.      Ist in Aussicht genommen, dass diese leichten Fälle wieder beim niedergelassenen Zahnarzt landen?

 

5.      Wie viele Behandlungsfälle nach IOTN 1 bis 3 wurden in den Jahren 2012, 2013 und 2014 von der BGKK bewilligt,

a) gegliedert nach Jahren und

b) relativ in Prozent und in absoluten Zahlen?

 

6.      Wie viele Behandlungsfälle nach IOTN 1 bis 3 werden nach Inkrafttreten der neuen Regel von der BGKK voraussichtlich genehmigt, hochgerechnet auf das Jahr 2015?

 

7.      Wie viele der in den Jahren 2012, 2013 und 2014 von der BGKK bewilligten Behandlungsfälle nach IOTN 1 bis 3 wurden stichprobenartig überprüft,

a) gegliedert nach Jahren,

b) relativ in Prozent der gestellten Ansuchen und

c) in absoluten Zahlen?

 

8.      In wie vielen Fällen hat sich nach einer solchen Überprüfung herausgestellt, dass „falsche Einstufungen“ vorgenommen bzw. Zahnspangen „zu früh“ verordnet wurden, wie von Prim. Angerer/WGKK im „Kurier“-Beitrag angedeutet wurde, und zwar

a) gegliedert nach Jahren,

b) relativ in Prozent der gestellten Ansuchen und

c) in absoluten Zahlen?

 

9.      Worin bestehen die von Prim. Angerer im „Kurier“-Beitrag angesprochenen „großen Unschärfen“, die der „Kassenvertrag [bisher] zugelassen“ habe?

 

10.   Welche Qualifikation müssen die beurteilenden Ärzte in den kieferorthopädischen Bewilligungsstellen der BGKK theoretisch erfüllen?

 

11.   Welche Qualifikationen haben die zur Bewilligung der Ansuchen berufenen Ärzte in den Ambulatorien der BGKK?

 

12.   Müssen die bewilligenden Ärzte der BGKK Fortbildungskurse besuchen?

Wenn ja, welche und wie viele?

Wenn nein, warum nicht?

 

13.   Müssen sie ein Fortbildungsdiplom nachweisen, bei dem eine bestimmte Punkteanzahl erreicht werden muss?

Wenn ja, wie ist dieses Punktesystem gestaltet und wie viele Punkte werden als Minimum gefordert?

Wenn nein, warum nicht?

 

14.   Sind bewilligenden Ärzte der BGKK im Sinne der neuen Bestimmungen akkreditiert?

 

15.   Gibt es in der BGKK eine restriktive Kostenplanung, die auf eine Deckelung der kieferorthopädischen Leistungen hinausläuft?

Wenn ja, warum und in welcher Form erfolgt diese „Deckelung“?

 

16.   Was halten Sie dem Vorwurf entgegen, das Konzept der „Zahnspange Neu“ sei sozial unausgewogen, weil 85 Prozent der Patienten de facto für 15 Prozent bezahlen müssten?

 

17.   Was werden Sie tun, um die soziale Treffsicherheit (künftig) zu erhöhen?