7453/J XXV. GP

Eingelangt am 14.12.2015
Dieser Text wurde elektronisch übermittelt. Abweichungen vom Original sind möglich.

ANFRAGE

 

des Abgeordneten Dipl.-Ing. Gerhard Deimek

und weiterer Abgeordneter

an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie

betreffend systematische Sicherheitsprobleme bei den ÖBB und der Unfall am Semmering

 

 

Der jüngste Unfall auf der Semmering-Strecke war ebenso tragisch wie systematisch. Schon im Juni des Jahres 2010 kam es zu einem ähnlichen Unfall, wie das Medium „vol.at“ im Artikel „Schweres Zugunglück in Außerbraz“ berichtet: Ein nicht ordnungsgemäßer Zug (aus einer „Vertrauensübergabe“) mit einer Länge von 548 Metern und 770 Tonnen Gewicht kam aufgrund eines Defektes in der Bremsanlage ins Rutschen. Das Gespann aus Lokomotive und mehreren Waggons donnerte auf eine Kurve und einen dahinterliegenden Wohnblock zu. Schließlich stürzte der Zug mit einer Geschwindigkeit von 125 Kilometern pro Stunde in einen Graben. Der Fahrzeugführer überlebte mit knapper Not und war infolge seines Erlebnisses nicht mehr arbeitsfähig. Daraufhin musste dieser die Österreichischen Bundesbahnen auf Schadenersatz klagen, denn die ÖBB wollten dieser berechtigten Forderung nicht nachkommen.

 

Der renommierte Enthüllungsjournalist Hans Weiss berichtet im „Schwarzbuch ÖBB – Unser Geld am Abstellgleis“ von weiteren Missständen im Bereich des technischen Services (TS). Auf Seite 178 findet sich nachfolgende Passage: „Eine Analyse von Lokführer-Meldungen zeigt erschreckende Zustände bei den ÖBB-Werkstätten auf. Es geht um notwendige Reparaturen an Fahrzeugen, um die Sicherheit für die Reisenden zu gewährleisten und Verspätungen gering zu halten. Im Mai 2013 bemängeln mehr als ein Dutzend Lokführer, dass in Auftrag gegebene Reparaturen nicht durchgeführt wurden. Wiederholt drücken Lokführer auch ihre Sorge aus, dass dadurch die Sicherheit der Reisenden gefährdet ist.“ Auf der folgenden Seite verweist Weiss auf Meldungen von Lokführern vom 6. Mai 2013 um 19.30 Uhr und 12. Mai 2013 um12.30 Uhr hin – um nur zwei Beispiele exemplarisch herauszugreifen. Beide Züge hatten Probleme im Bereich der Bremse. Ersterer hätte entsprechend der allgemeinen Betriebsanweisung nicht mehr gefahren werden dürfen. Die zweite Meldung befasst sich mit dem Wagen 2290336, dessen Bremsen seit dem 8. Jänner 2013 nicht funktionsfähig waren.

 

Im Jahr 2014 deckte der „Kurier“ auf, dass bei 34 Railjets falsche Achsen eingebaut waren, die nicht für den Hochgeschwindigkeitsbereich zugelassen sind. Die Achsen waren ursprünglich für Doppelstockwaggons vorgesehen gewesen, ähnelten jenen des Typs Railjet aber äußerlich. Über die unterschiedliche Beschaffenheit waren die zuständigen Mechaniker nicht informiert, weshalb es zu den Verwechslungen kommen konnte.

 

Der aktuelle Unfall am Semmering scheint also System zu haben. Zum Hergang seien schriftliche Insiderinformationen zitiert – Rechtschreibfehler werden aus den Originalen übernommen:

 

Quelle 1: Zug 42322 fährt bergwärts und es kommt zu einer Zugtrennung. Daraufhin wird der Zug zwangsgebremst und kommt zum Stillstand (auch der abgerissene Zugteil). Beinahe im Blockabstand fährt Containerganzzug 43601 ebenfalls den Berg hoch und kommt aufgrund des vor ihn liegen gebliebenen 42322 zum Stillstand. Es wird beschlossen den Zug 43601 mit einem Hilfstriebfahrzeug aus Gloggnitz zurück zu ziehen um ihn am Gegengleis vorbei zu lassen. Daher macht sich die 1144 282 als Nebenfahrt 98599 von Breitenstein auf den Weg um Zug 43601 in den nächsten Bahnhof zurück zu ziehen. Während die 1144 bergwärts fährt, entrollt aus bisher ungeklärter Ursache der Zug 43601 und macht sich auf den Weg ins Tal. Schließlich prallt Zug 43601 im Pollereswandtunnel frontal auf die zu Hilfe kommende 1144 ... Der Triebfahrzeugführer der 1144 282 wird wie durch ein Wunder nicht schwer verletzt und kann rasch von der Rettung geborgen werden (es geht ihm den Umständen entsprechend). Der Triebfahrzeugführer vom Zug 43601 wird vom Kriseninterventionsteam betreut. Der Tunnel ist komplett mit Güterwagen und Containern zu und man kommt auch nicht zu Fuß an der Unglücksstelle vorbei. Die Bergung muss also von beiden Seiten separat erfolgen. Der Oberbau, Tunneldecke, Tunnelwand sowie die Fahrleitung muss komplett erneuert werden. Man kann von großen Glück sprechen, dass es hier keine Toten oder eine Vielzahl an verletzten Personen gibt. Wäre statt der 1144 zb ein Talent oder ein Railjet zu dem Zeitpunkt dort gewesen, hätte diese Kollision in einer Katastrophe geendet.“

 

Quelle 2: 42322 war zu schwer (aus einer Vertrauensübernahme), Zugtrennung an Wagen 1.

1144 282 kam von Mürzzuschlag als Vorspann, fuhr nach LEL Befehl als Hilfs-tfz ab Semmering am Zug vorbei und kam dann von hinten. Zug 43601 war leer da Retourfahrt von SK nach SLO. Tfzf hatte wahrscheinlich Fahrzeitüberschreitung und war nach eigener Aussage eingeschlafen. Er wachte durch Ruck auf und glaubte er wäre angehängt. (anscheinend Bremsversagen durch Wartungsmangel)“

 

Quelle 3: „Tfzf 43601 hat nicht geschlafen sondern beim Bergabfahren laufend die Sifa betätigt! Fraglich ist auch das in Fahrt bringen eines gebremsten Zuges entgegen der Rollrichtung.“

Ein Lokführer, der das Totmannsystem betätigt, kann nicht schlafen. Ein möglicher Hinweis auf menschlichen Eingriff unter noch ungeklärten Umständen.

 

Die historischen Vorfälle als auch die in chronologischer Reihenfolge aufgetauchten internen Dokumente zeigen zweierlei systematische Mängel auf. Der erste Mangel liegt im Bereich der Technik, wo angefangen von offenbar zu geringem Personalstand bei TS über den Ausbildungs- und Informationsstand der Werkstättenmitarbeiter sich die Fehler und Missstände signifikant häufen. Der zweite gravierende Mangel besteht im Bereich der Ausbildung der Triebfahrzeugführer. Deren Aufgabenfeld wurde beständig ausgeweitet, während gleichzeitig die Ausbildung damit nicht schrittgehalten hat. Beispielsweise werden Zugtrennungen im steilen Gelände nicht geübt.

 

 

 

In diesem Zusammenhang richten die unterfertigten Abgeordneten an den Bundesminister für Verkehr, Innovation und Technologie folgende

 

 

ANFRAGE

 

1.     Weshalb war Zug 42322 trotz Vertrauensübergabe überladen, weshalb es schließlich zur Zugtrennung kam?

2.     Wird konkret angedacht – angesichts der Ereignisse von Außerbraz und am Semmering – die Vertrauensübergabe in ihrer derzeitigen Form abzuschaffen?

3.     Wenn ja, innerhalb welchen Zeitraums?

4.     Wenn nein, weshalb soll an diesem offensichtlich höchst risikoreichen Abwicklungsmodus festgehalten werden?

5.     Weshalb wurde nach dem Unfall von Außerbraz an der Vertrauensübergabe festgehalten?

6.     Welche Stelle ist dafür verantwortlich?

7.     Weshalb wird die Beladung von Zügen offenkundig nicht kontrolliert?

8.     Welche Maßnahmen werden Sie setzen, um derartige Überladungen in Zukunft zu verhindern?

9.     Wie können Sie sich erklären, dass es systematische Wartungsmängel im Bereich der Bremssysteme gibt?

10.  Bei wie vielen Unfällen waren derartige Mängel in den vergangenen fünf Jahren unfallursächlich?

11.  Wie kann ausgeschlossen werden, dass Ausbildungsmängel in einem kausalen Zusammenhang zum jüngsten Unfall am Semmering stehen?

12.  Wie kann ausgeschlossen werden, dass Ermüdungserscheinungen besonders in der Schichtzeit des Lokführers vom Abend bis Mittag des Folgetages in einem kausalen Zusammenhang zum Unfall stehen?

13.  Wie viele Unfälle in den vergangenen fünf Jahren passierten in dieser Schichtzeit des Lokführers?

14.  Wie kann unter derartigen Umständen maximale Fahrgast- und Verkehrssicherheit gewährleistet werden?

15.  Werden Sie auf personelle Änderungen auf Managementebene der verantwortlichen Bereiche drängen?

16.  Wenn ja, welche Stellen sollen neu besetzt werden?

17.  Wenn nein, weshalb decken Sie die Gefährdung von Menschenleben und langjähriges wie systematisches Versagen?

18.  Haben Sie bereits eine Stellungnahme von Christian Kern eingeholt?

19.  Wenn ja, wann und welchen Inhalt hatte diese?

20.  Wenn nein, soll er sich nicht verantworten müssen, um seine parteipolitischen Ambitionen nicht zu konterkarieren?