7710/J XXV. GP

Eingelangt am 27.01.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Dr. Belakowitsch-Jenewein,

und weiterer Abgeordneter 

an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz

betreffend Bedarfsorientierte Mindestsicherung (RH-Bericht Bund 2014/9)

 

Kurzfassung

Die aus drei Teilen (Lebensunterhalt, Wohnbedarf und Krankenhilfe) bestehende Bedarfsorientierte Mindestsicherung wies an sich bereits eine hohe Komplexität und Vielschichtigkeit auf. Sie konnte zudem von verschiedensten Zuwendungen des Bundes, der Länder und Gemeinden begleitet werden und wurde darüber hinaus durch arbeitsmarktpolitische Maßnahmen ergänzt. Die damit verbundenen unterschiedlichen Anlaufstellen und Finanzströme erschwerten die Transparenz und Überschaubarkeit wesentlich.

Das mit der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B–VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung beabsichtigte Ziel, österreichweite Mindestsätze für Lebensunterhalt einzuführen, war grundsätzlich zweckmäßig und stellte einen Beitrag zum Ziel der bundesweiten Harmonisierung der Mindestsicherung dar. Die Vorgabe, wonach sich durch die Mindestsicherung das zuvor bestandene Leistungsniveau nicht verschlechtern dürfte, und die österreichweit unterschiedlichen Wohnkosten wirkten diesem Vorhaben jedoch vollkommen entgegen. Dadurch ergaben sich — gemessen an vier charakteristischen Fallbeispielen aus der Praxis — gegenüber der 15a–Vereinbarung um bis zu 1.250 EUR (Tirol) bzw. rd. 900 EUR (Vorarlberg) höhere monatliche Auszahlungsbeträge. Für Bedarfsgemeinschaften mit hohen Personenzahlen konnten sich Auszahlungsbeträge von mehr als 2.000 EUR je Monat ergeben. Im Jahr 2012 waren ungefähr zwei Drittel der Mindestsicherungsbezieher Österreicher.


Die Einführung der Mindestsicherung führte im Bereich der Krankenhilfe zu einer Entlastung der Länderhaushalte und zu einer Belastung des Bundeshaushalts im Ausmaß von 23,97 Mio. EUR (2011). Auch die vereinbarten Aufzahlungen des Bundes und die begünstigte Anrechnung des Partnereinkommens im Bereich der Notstandshilfe im Gesamtausmaß von 85,25 Mio. EUR (2012) bewirkten eine Entlastung der Sozialbudgets der Länder. Arbeitsmarktpolitische Maßnahmen zur Wiedereingliederung von Mindestsicherungsbeziehern in das Erwerbsleben verursachten Kosten von 125,36 Mio. EUR (2012).

Daraus ergeben sich folgende Empfehlungen des RH:

(1) Auf eine österreichweite Evaluierung der regionalen Projekte zur Wiedereingliederung von Mindestsicherungbeziehern unter Berücksichtigung des Kosten–Nutzen–Verhältnisses wäre hinzuwirken; aus der Evaluierung wären Best–practice–Beispiele zu erarbeiten. Das Ergebnis wäre im „Arbeitskreis für Bedarfsorientierte Mindestsicherung“ zu präsentieren. (TZ 45)

(2) Auf den rechtzeitigen Beginn der Verhandlungen über die zukünftige Gestaltung der Mindestsicherung wäre hinzuwirken. (TZ 3)

 (3) Im Falle einer Novelle der Vereinbarung zwischen dem Bund und den Ländern gemäß Art. 15a B–VG über eine bundesweite Bedarfsorientierte Mindestsicherung (15a–Vereinbarung) wäre darauf hinzuwirken, dass das Weiterbestehen des Verschlechterungsverbots unter Berücksichtigung der Judikatur des Verfassungsgerichtshofs einer kritischen Prüfung unterzogen wird. (TZ 6, 7)

(4) Im Falle einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre auf österreichweit einheitliche, klare und ressourcenschonende Mindestsicherungsverfahren im Bereich des Fremdenrechts hinzuwirken. (TZ 19)

(5) Im Falle einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre auf eine klare Definition des Alleinerziehers hinzuwirken. (TZ 22)

(6) Im Falle einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre auf eine einheitliche Berücksichtigung von Unterhaltsansprüchen gegenüber Kindern hinzuwirken. (TZ 24)

 (7) Für die Handhabung von Unterhaltszahlungen eines Mindestsicherungsbeziehers wären klare und verbindliche Regelungen zu schaffen. (TZ 25)

 (8) Auf eine Harmonisierung bzw. Überführung in ein einziges Versorgungssystem für jene Fälle, in denen längere Notstandshilfe– bzw. Mindestsicherungsbezugsdauern vorlagen, wäre hinzuwirken. (TZ 31)

(9) Im Falle einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre — auch unter Berücksichtigung der in den anderen Bundesländern gemachten Erfahrungen — darauf hinzuwirken, dass die Antragstellung beim AMS einer kritischen Prüfung unterzogen wird. (TZ 36)

 (10) Auf bundesweit einheitliche Vorgaben zur Beurteilung der Arbeitsfähigkeit durch Bezirksverwaltungsbehörden unter Orientierung an den Vorgaben für die Untersuchungseinrichtungen der Pensionsversicherungsanstalt wäre hinzuwirken. (TZ 37)

(11) Im Falle einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre auf eine klare Definition der Zielbegriffe, eine Quantifizierung der Ziele sowie eine Festlegung der Messmethodik hinzuwirken. (TZ 39, 40)

(12) Die Entwicklung der Wiedereingliederung von Mindestsicherungsbeziehern in das Erwerbsleben wäre weiterhin regelmäßig zu beobachten und daraus wären Maßnahmen zur Steuerung und Weiterentwicklung der Mindestsicherung abzuleiten. (TZ 44)

 (13) Im Fall einer Novelle der 15a–Vereinbarung wäre auf eine Konkretisierung von Evaluierungsvorgaben hinzuwirken. (TZ 46, 47)

 (14) Maßnahmen zur Verbesserung der Mindestsicherungsdaten wären unter Beachtung des Kosten–Nutzen–Verhältnisses von Bund und Ländern zu erarbeiten, um vollständige und umfangreiche Datenauswertungen und Wirkungsanalysen vornehmen zu können. (TZ 49)

(15) Auf die Beseitigung von Unklarheiten in der Mindestsicherungsstatistik wäre hinzuwirken. (TZ 53)

 (16) Auf eine Erstellung der Mindestsicherungsstatistik auf Grundlage von nicht aggregierten Länderdaten wäre hinzuwirken und die 15a–Vereinbarung im Rahmen einer Novelle dahingehend anzupassen. (TZ 53)

 (17) Ein pünktlicher und problemloser Datenaustausch im Zuge der Umsetzung der Mindestsicherung wäre sicherzustellen. (TZ 50)

(18) Es wäre dafür zu sorgen, dass DVR–Meldungen (Meldungen der Datenanwendungen an die Datenschutzkommission zur Registrierung im Datenverarbeitungsregister) regelmäßig geprüft und gegebenenfalls angepasst werden. (TZ 51)

 (19) Die IT–Systeme TISO (Tirol) und ISSO2 (Vorarlberg) wären für Auswertungen hinsichtlich Anzahl und Art der Bezieher sowie damit verbundener Finanzvolumina weiterzuentwickeln. (TZ 10)

(20) Insbesondere die Gruppe der 20– bis 39–jährigen Mindestsicherungsbezieher wäre zu analysieren und allfällige Maßnahmen zur Verkleinerung dieser Beziehergruppe wären zu überlegen. (TZ 11)

 (21) Auf eine Beendigung der Kostenersatzverrechnung zwischen den Ländern im Bereich der offenen Mindestsicherung wäre hinzuwirken. (TZ 14)

 (22) Die Datenqualität und Datendokumentation bezüglich der Verfahrensdauern wäre zu verbessern und die Datenbanken wären zukünftig auch als Kontroll– und Controllinginstrument dafür zu verwenden. (TZ 15)

(23) Förderungsverträge mit klaren Aufgabenbeschreibungen wären zu erstellen und die gewährten Förderungssummen anhand von jährlichen Leistungsberichten zu evaluieren. Weiters wäre für eine Leistungskoordination der beauftragten privaten Institutionen zu sorgen. (TZ 17)

 (24) Die Kürzungen von Mindestsicherungen wären lückenlos in den verwendeten IT–Systemen zu erfassen und ihre Anreizwirkung für eine (Wieder)Aufnahme einer Erwerbstätigkeit wäre zu analysieren. (TZ 18)

(25) Die bei der Gewährung von Freibeträgen relevanten Begriffe „vorgerücktes Alter“ und „stark eingeschränkte Erwerbsfähigkeit“ wären zu präzisieren. (TZ 20)

 (26) Die Freibeträge wären ihrer Art und Höhe nach je Fall lückenlos zu erfassen. Zu diesem Zweck sollte das entsprechende Datenfeld als Pflichtfeld gestaltet werden. (TZ 20)

(27) Die Anzahl der freiwillig versicherten Mindestsicherungsbezieher wäre zu dokumentieren und auszuwerten. (TZ 30)

(28) Auf eine rechtskonforme Berechnung des Bundesfinanzierungsbeitrags für die Krankenhilfe wäre hinzuwirken; eine allfällige Rückforderung wäre zu prüfen. (TZ 29)

(29) Die Wirkung der Anrechnungsregelung für Partnereinkommen auf die Notstandshilfe wäre zu quantifizieren. (TZ 32)

(30) Die ab 2014 geplanten stichprobenartigen Kontrollen der Bezirksverwaltungsbehörden betreffend Verwaltung der Mindestsicherung wären durchzuführen. (TZ 16)

(31) Eine gesetzeskonforme Gewährung des Freibetrags für Alleinerzieher wäre sicherzustellen und dabei insbesondere der Gleichbehandlungsgrundsatz zu beachten. (TZ 23)

(32) Der von der Tiroler Landesregierung dem Landtag vorzulegende Sozialbericht wäre im Sinne der gesetzlichen Vorgaben um Aussagen zur Zielerreichung der Mindestsicherung zu erweitern. Dabei wäre eine Berücksichtigung der wesentlichen Ergebnisse des jährlichen Berichts „Einkommen und Armut in Tirol“ zweckmäßig. (TZ 41)

(33) Die tirolweite durchgängige Anwendung des Vier–Augen–Prinzips bei der Anlage der Bankverbindung von Mindestsicherungsbeziehern wäre sicherzustellen. (TZ 52)

 (34) Der Tiroler Mindestsicherungsfonds, der Tiroler Kriegsopfer– und Behindertenfonds sowie das Tiroler Hilfswerk wären einer nochmaligen Evaluierung zu unterziehen und aufzulösen, sofern die Leistungserbringung über andere bestehende Strukturen wie bspw. die Landesverwaltung möglich ist. (TZ 55)

(35) Die Gewährung des Heizkostenzuschusses wäre rechtskonform zu gestalten. (TZ 57)

(36) Die Datenverarbeitung des Tiroler Hilfswerks wäre in die bestehende Datenbank TISO einzugliedern. (TZ 57)

 (37) Bei einer Novelle des Vorarlberger Mindestsicherungsgesetzes wäre zu erwägen, alle inhaltlichen Regelungen zur Mindestsicherung aus der Mindestsicherungsverordnung in das Gesetz aufzunehmen und lediglich die jährliche Mindestsatzhöhe im Verordnungsweg zu regeln. (TZ 4)

 (38) Bei der offenen Mindestsicherung wären Auswertungsmöglichkeiten getrennt nach dem hoheitlichen und privatrechtlichen Bereich zu schaffen. (TZ 12)

(39) Aus den drei Studienergebnissen zum Thema Armut wären Schlussfolgerungen zu ziehen, für die einzelnen Defizitbereiche zeitnah konkret definierte Maßnahmen zu erarbeiten und dabei die Mindestsicherung als ein Instrument der Armutsbekämpfung einzubeziehen. (TZ 42)

 (40) Die aus dem Evaluierungsvorprojekt gewonnenen Erkenntnisse wären in die Evaluierung der 15a–Vereinbarung einfließen zu lassen. (TZ 48)

(41) Die vorgesehenen Maßnahmen zur Verbesserung der Datenqualität im IT–System ISSO2 wären zeitnah umzusetzen. (TZ 49)

(42) Das Vorarlberger Sozialwerk und der Vorarlberger Landeskriegsopferfonds wären zu evaluieren und aufzulösen, sofern die Leistungserbringung über andere bestehende Strukturen wie bspw. die Landesverwaltung möglich ist. (TZ 56)

(43) Die Leistungen des Vorarlberger Landeskriegsopferfonds wären in die bestehende Datenbank ISSO2 einzubinden. (TZ 56, 57)

(44) Kontrollmöglichkeiten für die von Gemeinden verwalteten und vom Land finanzierten Heizkostenzuschüsse wären zu schaffen. (TZ 57)

 (45) Der in Vorarlberg geplante Ausbau der Förderungsaktivitäten für vollunterstützte Mindestsicherungsbezieher wäre umzusetzen. (TZ 34)

 

Die unterzeichneten Abgeordneten stellen daher an den Bundesminister für Arbeit, Soziales und Konsumentenschutz folgende 

 

Anfrage 

1.    Wie stehen Sie als Sozialminister mit Stand 1.Jänner 2016 zu den im RH-Bericht vorgebrachten Kritikpunkten?

2.    Welche der vom Rechnungshof formulierten Empfehlungen wurden aus Sicht des Sozialministeriums bereits umgesetzt?

3.    Welche Empfehlungen werden bis Ende 2016 umgesetzt werden?

4.    Für die Umsetzung welcher Empfehlungen werden bundesgesetzliche Adaptierungen notwendig sein?

5.    Für die Umsetzung welcher Empfehlungen werden 15a-Verträge mit den Ländern notwendig sein?

6.    Für die Umsetzung welcher Empfehlungen werden Beschlüsse der Organe des AMS notwendig sein?