7906/J XXV. GP

Eingelangt am 27.01.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Alm, Kollegin und Kollegen

an den Bundesminister für Kunst und Kultur, Verfassung und Medien

betreffend der Rolle von Kunst- und Kulturpolitik für die Gesamtgesellschaft

 

1996 kritisierte Rudolf Burger, damals Rektor der Akademie für Angewandte Kunst Wien, allgemein die damalige Einwicklung der Kunstproduktion. Sie transzendiere Kultur immer weniger, befand er. Kunst und Kultur erschienen ihm ökonomisch, politisch und ästhetisch enger liiert denn je. Er führte daher den Begriff „Kulturkunst“ ein. Immer mehr ziehe diese Kulturkunst die ehemals widerständige Kunst in die Banalität der selbsterhaltenden Kontrollgesellschaft hinein. Die kleinbürgerliche Gesinnungsaffirmation der Kultur ersetze verlorengegangene ästhetische Kriterien und kassiere das kritische Potenzial der Kunst. Sie sei nur mehr soziale Besserungsanstalt, handelt Kritik affirmativ in einer Weise ab, in der diese „den Mächtigen“ nicht weh tue und Herrschaftssysteme nicht mehr wirklich hinterfrage [vgl.: Rudolf Burger (1996): „Kultur ist keine Kunst“]:

„Dagegen wird seitens einer Politik, der nichts mehr einfällt, die alle utopischen Potentiale verloren hat, und seitens ihrer journalistischen Entourage, von Kunst und Philosophie, von Phantasie und Denken eine “political correctness” verlangt, derer sie selbst ermangelt und eine Angleichung an ihr eigenes, scheinbar harmloses Mittelmaß: Denken und Kunst haben sich gefälligst an die approbierten Werte einer verflachten Aufklärung zu halten und ihrem sozialtherapeutischen Auftrag nachzukommen” [ebd.]

Nun hat Kultur selbstverständlich auch die Funktion gesellschaftlich integrativ zu wirken und zu normieren, doch auch das könne sie immer weniger leisten:

Kultur soll die Sinnlücken stopfen, die der Modernisierungsprozeß aufreißt; was sie aber nicht stopfen kann, sind die Löcher der Ökonomie. Das gilt nicht nur für Österreich, sondern für alle kapitalistischen Länder, und andere gibt es nicht mehr. Eine Politik, die das Proletariat nicht mehr kennt, oder allenfalls nur als Thema nostalgisch-kultureller Zuneigung, überläßt den als nicht existent verleugneten Proleten rechter Demagogie und wundert sich dann, wenn dessen Wut gegen die sog. "Kultur" sich richtet“ [ebd.]

Wir standen demnach schon vor knapp 20 Jahren vor dem Problem, einer Spaltung der Bevölkerung in jenen Teil, der an Kulturkunst keinen Anschluss mehr halten konnte und sich dem politischen Populismus zugewandt und in einen zweiten Teil der Bevölkerung, der in der Kulturkunst immer weniger Kritik findet. Aus kulturpolitischer Sicht, ist das eine doppelte Niederlage. Denn es wäre einerseits wichtig gewesen, dass das Feld der Kunst sein kritisches Potenzial erhält. Andererseits muss Kultur weiterhin relevante Sinnangebote für breite Teile der Bevölkerung bereitstellen. Diese Aufgabe darf nicht solchen Plattformen und Angeboten überlassen werden, die sich außerhalb des demokratisch erwünschten Rahmens bewegen. Der wachsende Einfluss verschwörungstheoretischer, rassistischer, ausländerfeindlicher, oder religiöser „Sinnangebote“, deutet jedoch darauf hin, dass sich die von Rudolf Burger 1996 beschriebene Entwicklung seither verschärft hat.

Die Ursachen für diesen Wandel, werden heute oft als unerwünschte Effekte herrschender Machtverhältnisse, im Zusammenspiel mit Globalisierung, Vernetzung und Digitalisierung, beschrieben. Der Berliner Philosoph Byung-Chul Han beschreibt Kultur heute als eine Zusammensetzung aus Links und Vernetzungen. „Trans-, Inter-, und Multi-“, seien daher keine treffenden Präfixe mehr für Kulturalität. Er führt den Begriff „Hyper-Kulturalität“ ein, um diese Gegenwart zu beschreiben.

Kulturpolitische Tendenzen der Re-Nationalisierung, Re-Institutionalisierung und Re-Lokalisierung sind vor diesem Hintergrund der falsche Weg in der Kulturpolitik. Genau diese Tendenzen erkennen wir aber derzeit in der Kulturpolitik der Bundesregierung. Wir beobachten eine Erhöhung der Basisabgeltung für die Bundestheater, einer Steuerreform, die nur staatliche Fördernehmer begünstigt und alle anderen belastet, sowie neue repräsentative Institutionen wie das Haus der Geschichte in der historischen Hofburg, neue Literaturpreise, etc.

 

Aus diesem Grund stellen die unterfertigten Abgeordneten nachstehende

Anfrage:

 

1.    Welche Einschätzung der gesellschaftlichen Funktion von Kultur, ist handlungsleitend für Ihr Ressort?

2.    Welche Rolle muss die Kulturpolitik Ihres Ressorts einnehmen, um diese gesellschaftlich erwünschten Funktionen von Kultur zu fördern?

3.    Welche Einschätzung der gesellschaftlichen Funktion von Kunst, ist handlungsleitend für Ihr Ressort?

4.    Welche Rolle muss die Kulturpolitik Ihres Ressorts einnehmen, um diese gesellschaftlich erwünschten Funktionen von Kunst zu fördern?

5.    Wie bewertet Ihr Ressort die Entwicklung des Spannungsfeldes aus Kunst, Kultur und Kulturkunst (nach Rudolf Burger) in den vergangenen Jahren?

6.    Welche Rolle die Kulturpolitik Ihres Ressorts im Zusammenhang mit der Entwicklung des Spannungsfeldes Kunst, Kultur und Kulturkunst (nach Rudolf Burger) in den vergangenen Jahren eingenommen?

7.    Welche Ziele hat sich Ihr Ressort in den kommenden Jahren bezüglich der Förderung des kritischen Potenzials der Kunst gesetzt?

8.    Bei welchen positiven gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, identifiziert Ihr Ressort einen Zusammenhang mit der kulturpolitischen Arbeit Ihres Ressorts?

9.    Bei welchen positiven gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, identifiziert Ihr Ressort einen Zusammenhang mit der kunstpolitischen Arbeit Ihres Ressorts?

10. Bei welchen negativen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, identifiziert Ihr Ressort einen Zusammenhang mit jeweils welchen Versäumnissen der kulturpolitischen Arbeit Ihres Ressorts?

11. Bei welchen negativen gesellschaftlichen Entwicklungen der letzten Jahre, identifiziert Ihr Ressort einen Zusammenhang mit jeweils welchen Versäumnissen der kunstpolitischen Arbeit Ihres Ressorts?

12. Hält Ihr Ressort unsere Gegenwartsgesellschaft für beschreibbar mit den häufig verwendeten Begriffen des „Neoliberalismus“ und der „Kontrollgesellschaft“?

13. Falls Ihr Ressort unsere Gegenwartsgesellschaft für beschreibbar mit den Begriffen des „Neoliberalismus“, bzw. der „Kontrollgesellschaft“ hält, welche Herausforderungen und Aufgaben sieht Ihre Ressort im kunst- und kulturpolitischen Umgang mit diesen Begriffen?

14. Falls Ihr Ressort unsere Gegenwartsgesellschaft für schlecht beschreibbar mit den Begriffen des „Neoliberalismus“, bzw. der „Kontrollgesellschaft“ hält, mit welchen Begrifflichkeiten, beschreibt Ihr Ressort dann die gegenwärtigen kunst- und kulturpolitischen Herausforderungen?

15. Vor welchen kulturellen Herausforderungen steht die Arbeit Ihres Ressort in Folge der Globalisierung, Virtualisierung, Vernetzung, und Digitalisierung der Gesellschaft und welche Maßnahmen leitet Ihr Ressort daraus ab?

16. Wie bewerten Ihr Ressort Maßnahmen kunst- und kulturpolitischer Re-Nationalisierung, Re-Institutionalisierung und Re-Lokalisierung, vor dem Hintergrund der wachsenden Reichweite verschwörungstheoretischer, rassistischer, ausländerfeindlicher, oder religiös-fundamentalistischer „Sinnangebote“ aus dem Internet?

17. Falls Ihr Ressort Re-Nationalisierung, Re-Institutionalisierung und Re-Lokalisierung von Kulturangeboten für begrenzt zukunftsfähig hält, welche Maßnahmen sollen dann dagegen gesetzt werden und mit welchen Mitteln sind diese kunst- und kulturpolitischen Maßnahmen dotiert?

18. Welche gesellschaftlichen Aufgaben prognostizieren Sie der Kunst, bzw. Kulturlandschaft in den nächsten Jahren? Wie weit nimmt die derzeitige Kulturpolitik darauf bereits Rücksicht und welche Anpassungen sind in den kommenden Jahren nötig?