7934/J XXV. GP

Eingelangt am 29.01.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Gabriela Moser, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend Dämmstoffe für die Gebäudesanierung und im Neubau

BEGRÜNDUNG

 

Etwa 40 Prozent der Endenergie wird österreichweit im Gebäude-Bereich für Heizen, Kühlen, Beleuchtung und Elektrogeräte verbraucht. Nur die Raumwärme ist für 13 Prozent des Treibhausgasausstoßes verantwortlich. Gebäude sind daher ein wesentlicher Ansatzpunkt zur Reduktion von Treibhausgasemissionen sowie zur Erreichung der neuen internationalen Klimaschutzziele. Dazu muss der Energieverbrauch drastisch verringert und die verbleibende Energiebereitstellung auf erneuerbare Energien umgestellt werden. Schlecht gedämmte Gebäude verbrauchen nicht nur unnötig viel Energie, sondern verursachen bei den BenutzerInnen auch übermäßig hohe und vermeidbare Heizkosten.

Allerdings wird der Beitrag mancher Dämmstoffe für den Umwelt- und Klimaschutz von KritikerInnen angezweifelt.

Lebensdauer, Graue Energie und Schadanfälligkeit
Erstens wird die teilweise geringe Lebensdauer mancher Dämmstoffe, insbesondere von Wärmedämmstoffverbundsystemen (WDVS), sowie deren Anfälligkeit auf Schäden (z.B. Löcher in der Fassade durch Spechte oder Schimmelbefall) kritisiert. In diesem Zusammenhang geht es einerseits um die (ökologische) Frage nach den energetischen Amortisationszeiten, also ab wann die Energieersparnisse durch die verbesserte Dämmung den Energieaufwand in der Herstellung überwiegen. Andererseits geht es um die Frage, wie hoch die Folgekosten für Reparaturen sowie für neuerliche Investitionen sind.

Verwendung von Bioziden und Flammschutzmittel
Zweitens ist die Verwendung von Bioziden (zur Verhinderung von Algenwuchs) sowie chemischen Flammschutzmitteln, vor allem bei Wärmedämmverbundsystemen (WDVS) auf Polystyrol-Basis, Gegenstand von kontroversen Diskussionen. Da der Dämmstoff Polystyrol selbst leicht entflammbar ist, müssen WDVS chemische Flammschutzadditive zugesetzt werden. In den vergangenen Jahren wurde in großen Teilen das chemische Brandschutzmittel HBCD (Hexabromcyclododecan) verwendet. HBCD verzögert die Entzündung von Kunststoffen und die Ausbreitung von Flammen. Bei vollentwickelten Bränden brennen allerdings auch die Gegenstände, die mit HBCD behandelt sind – dann aber sind die Dämpfe hochtoxisch. HBCD ist ein persistentes und bioakkummulierendes Umweltgift und wurde im Rahmen der REACH-Chemikalienverordnung in die Liste der „Besonders besorgniserregenden Stoffe“ aufgenommen, deren Anwendung schrittweise verboten werden soll. Die Stockholm-Konvention über persistente organische Schadstoffe erließ im Jahr 2013 sogar ein weltweites Verbot für HBCD. Die Verwendung und die Produktion von HBCD für den Einsatz in Dämmstoffen ist gemäß REACH Verordnung seit August 2015 in der EU verboten. Hersteller mussten auf Alternativen, wie das polymere Flammschutzmittel pFR, umsteigen.

Eine große Sorge in Bezug auf Biozide und Flammschutzmittel in WDVS ist die Frage, inwieweit diese Chemikalien durch Regen aus den Fassaden ausgewaschen werden und somit in Böden und Abwasser gelangen. Laut dem Österreichischen Institut für Baubiologie und –ökologie   müssen Biozide, welche Algen und Pilze abtöten sollen, müssen wasserlöslich sein, um durch die Mikroorganismen aufgenommen zu werden und auf diese Weise wirken zu können (OIB (2009)Erweiterung des OI3-Index um die Nutzungsdauer von Baustoffen und Bauteilen. Endbericht). Laut IBO ist „der Schutz  nach 18 Monaten bis zwei Jahren ausgewaschen. Das Algen- und Pilzwachstum wird daher bei anfälligen Fassaden nur verzögert. […] Durch die Auswaschung gelangen die Biozide in die Umwelt“.

In einem Beitrag des Norddeutschen Rundfunks (November 2012) wird eine Untersuchung des deutschen Umweltbundesamts vorgestellt, bei dem die durch Berlin fließenden Flüsse ein Jahr lang auf das Biozid Terbutryn getestet wurden. Terbutryn gemäß EU-Gefahrenstoffkennzeichnung als „umweltgefährlich“ klassifiziert, ist „sehr giftig für Wasserorganismen“ und „kann in Gewässern längerfristig schädliche Wirkungen haben“ (R 50/53). Eine Freisetzung in der Umwelt ist laut Stoffkennzeichnung zu vermeiden, das Produkt und seine Behälter als gefährlicher Abfall zu entsorgen (S 60-61). Verwendung findet Terbutryn beispielsweise als Algizid in Dispersionsfarben. Die Messungen des Umweltbundesamtes ergaben eine Terbutryn-Belastung von 300 Gramm im gesamten Jahr für alle untersuchten Flüsse bei den Messstellen vor Berlin. In der Stadt stieg der Wert deutlich an und erreichte am Ende in Potsdam (beim Verlassen der Stadt) 39 Kilogramm und somit den 130fachen Wert. Laut Bericht ist dieser Befund ein sicheres Indiz dafür, dass Terbutryn aus den Hausfassaden ausgewaschen wird und auf diese Weise mit dem Regenwasser in die Flüsse gespült wird.

Dämmstoffabfälle und sortenreine Trennung
Im Zusammenspiel mit beschränkter Lebensdauer, chemischen Additiven und Art der Verarbeitung (z.B. Verklebung der einzelnen Schichten) ist die Wiederverwertung sowie das Recycling von WDVS eine große Herausforderung. Laut § 3 Z 5 Recycling-Baustoffverordnung werden Dämmstoffe (sofern sie nicht ozonschädlich sind) zusammen mit anderen kleineren Abfallfraktionen wie Kunststoffrohre, Siedlungsabfall oder Verpackungsabfall als „Baustellenabfall“ zusammengefasst. Baustellenabfälle sind demnach ein „nicht gefährlicher Abfall, der bei Bau- und Abbruchtätigkeiten anfällt und kein Hauptbestandteil ist oder im Fall eines Neubaus nicht in relevanter Menge anfällt“. Wärmedämmverbundsystemen sind laut ÖNORM „Störstoffe“ deren Entfernung vor einem allfälligen maschinellen Rückbau zu erfolgen hat. Abfälle die Schad- und Störstoffe enthalten, sind laut § 5 Abs 2 Recycling-Baustoffverordnung „vor Ort voneinander zu trennen und einer ordnungsgemäßen Behandlung zuzuführen“. Es scheint unklar, ob die sortenreine Trennung von Dämmstoffen wie Polystyrol sowie anderer Komponenten von WDVS durch die Baustoff-Recyclingverordnung vorgeschrieben bzw. in der Praxis umgesetzt wird. Etwas unverständlich ist zudem die Klassifizierung von WDVS als „nicht gefährlicher Abfälle“ bzw. „Störstoffe“ (im Gegensatz zu Schadstoffen), obwohl diese teils äußerst problematischen Chemikalien wie HBCD enthalten.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1.    Wie hoch ist die durchschnittliche Lebensdauer der in Österreich eingesetzten Fassaden-Dämmstoffe? Bitte um Aufschlüsselung nach Art des Dämmstoffes und um Erwähnung, ob dies den Herstellangaben oder empirischen Werten entspricht.

2.    Haben Sie Kenntnis von empirischen Untersuchungen über die durchschnittlichen Kosten für Pflege und Reparaturarbeiten an wärmegedämmten Fassaden während der Lebensdauer der eingesetzten Dämmstoffe sowie Vergleichswerte zu Bauwerken ohne Wärmedämmung?

3.    Was sind die häufigsten Schäden an wärmegedämmten Fassaden und welche Kosten verursachen diese Schäden pro Jahr?

4.    Welche Kenntnisse haben Sie über die energetischen Amortisationszeiten von Dämmstoffen? Bitte um Aufschlüsselung nach Art des Dämmstoffes.

5.    Wie hoch war in den Jahren 2013 und 2014 das Aufkommen von Dämmstoffabfällen in Österreich?

6.    Wie wurden die in den Jahren 2013 und 2014 insgesamt angefallenen Dämmstoffabfälle behandelt? Bitte um Aufschlüsselung gemäß § 1 Abs 2 WRG 2002 („Abfallhierarchie“) nach 1) Vorbereitung zur Wiederverwendung, 2) Recycling, 3) sonstige Verwertung zB energetische Verwertung und 4) Beseitigung sowie nach Rohstoffgruppen der Dämmstoffe (mineralisch, synthetisch, organisch/nachwachsend).

7.    Müssen bei Bau- und Abbrucharbeiten WDVS bzw. Dämmstoffe sortenrein getrennt werden?

8.    Wie viel Prozent der in den Jahren 2013 und 2014 angefallenen Dämmstoffabfälle wurden sortenrein getrennt gesammelt?

9.    Wie viel Prozent der in den Jahren 2013 und 2014 getrennt und sortenrein gesammelten Dämmstoffabfälle stammen aus Abbrucharbeiten und wie viel aus der Dämmstoffproduktion?

10. Welche konkreten  Maßnahmen haben Sie getroffen, um die sortenreine Sammlung von Dämmstoffen zu erhöhen?

11. Sind Ihnen Szenarien über die zukünftige Entwicklung des Aufkommens von Dämmstoffabfällen in Österreich bei gleichbleibender sowie gesteigerter Sanierungsrate bis zum Jahr 2050 bekannt?

12. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie getroffen, um die Recycling- und Wiederverwertungsraten von Dämmstoffen zu erhöhen?

13. Welche Untersuchungen über das Verbrennungsverhalten von Dämmstoffen in Abfallbehandlungsanlagen sowie Anlagen zur Mitverbrennung sind ihnen bekannt?

14. Sind WDVS bei Abbrucharbeiten „nicht gefährliche Abfälle“ auch wenn sie HBCD oder andere vergleichbar problematische Chemikalien enthalten?

15. Wenn ja, mit welcher Begründung?

16. Welche besonderen Vorsichtsmaßnahmen müssen bei der Hantierung und Behandlung von HBCD-haltigen Dämmstoffabfällen getroffen werden?

17. Welche sonstigen Vorkehrungen zur Vermeidung von Schadstoff-Emissionen im Zuge der Behandlung von HBCD-haltigen Dämstoffabfällen wurden von Ihnen getroffen?

18. Sind HBCD- haltige Dämmstoffabfälle für die Mitverbrennung, wie etwa in Zementwerken, zugelassen?

19. Welche Kenntnisse haben Sie über die in den Jahren 2013 und 2014 eingesetzten Flammschutzmittel für WDVS und andere Fassadendämmstoffe?
Bitte um Darstellung gegliedert nach

o   Name des Flammschutzmittels

o   Eingesetzte jährliche Mengen der jeweiligen Flammschutzmittel

o   GHS-Kennzeichnung bzw. Hazard Statements

o   Einstufung nach REACH

20. Können Sie ausschließen, dass HBCD-haltige Dämmstoffe  - zum Beispiel durch Import – in Österreich weiterhin verwendet werden?

21. Wie viel HBCD – haltige Dämmstoffe wurden bis zum Verbot in Österreich insgesamt eingesetzt? Wie viel HBCD – haltige Dämmstoffe sind derzeit auf Gebäuden in Österreich verbaut?

22. In wie viel Prozent der in Österreich verbauten Polysterol-Dämmstoffen wurde Ihrer Kenntnis HBCD eingesetzt?

23. In welchen Dämmstoffarten wurde Ihrer Kenntnis nach HBCD eingesetzt?

24. Welche Kenntnisse haben Sie über Art, Mengen und Risikobewertung der in Österreich in den Jahren 2013 und 2014 eingesetzten Biozide für WDVS?

25. Welche rechtlichen Beschränkungen gelten für den Einsatz und die Zulassung von Bioziden in WDVS im Vergleich zum Einsatz in der Landwirtschaft?

26. Welche Kenntnisse haben Sie über die in den Jahren 2013 und 2014 eingesetzten Biozide für WDVS?
Bitte um Darstellung gegliedert nach

o   Name des Biozids

o   Eingesetzte jährliche Mengen der jeweiligen Biozids

o   GHS-Kennzeichnung bzw. Hazard Statements

o   Einstufung nach REACH

27. Ist Ihnen die oben erwähnte Untersuchung des deutschen Umweltbundesamts über die Biozid-Belastung der Spree bekannt?

28. Welche Kenntnisse haben Sie über Untersuchungen zur Auswaschung von Bioziden aus wärmegedämmten Fassaden?

29. Welche Kenntnisse haben Sie über die Menge an Bioziden, die in den Jahren 2013 und 2014 in Österreich aus wärmegedämmten Fassaden durch Regen ausgewaschen wurden?

30. Welche Kenntnisse haben Sie über die ökologischen und gesundheitlichen Folgen der Auswaschung von Bioziden aus wärmegedämmten Fassaden in Österreich?

31. Welche Kenntnisse haben Sie über Untersuchungen zur Auswaschung von chemischen Flammschutzmitteln aus wärmegedämmten Fassaden?

32. Welche Kenntnisse haben Sie über die Menge an chemischen Flammschutzmitteln, die in den Jahren 2013 und 2014 in Österreich aus wärmegedämmten Fassaden durch Regen ausgewaschen wurden?

33. Welche Kenntnisse haben Sie über die ökologischen und gesundheitlichen Folgen der Auswaschung von chemischen Flammschutzmitteln aus wärmegedämmten Fassaden in Österreich?