8192/J XXV. GP

Eingelangt am 18.02.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Christiane Brunner, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Land- und Forstwirtschaft, Umwelt und Wasserwirtschaft

betreffend Torpedierung der EU-Politik zur Luftreinhaltung durch den österreichischen Umweltminister

BEGRÜNDUNG

 

Wie der Luftqualitätsbericht 2015 der Europäischen Umweltagentur (EEA) bestätigt, ist die Luftverschmutzung immer noch das größte gesundheitsrelevante Umweltproblem in der EU: mehr als 430.000 Menschen sterben jedes Jahr vorzeitig aufgrund von Luftschadstoffen wie Stickstoffoxide (NOx), Ozon oder Feinstaub in der EU. Alleine in Österreich sind es über 7.000 vorzeitige Todesfälle pro Jahr. Milliardenhöhe.

Österreich ist aufgrund der geographischen Situation besonders stark von grenzüberschreitendem Schadstofftransport betroffen und kann seine Luftqualitätsprobleme somit nicht im Alleingang lösen.

Auf EU-Ebene befinden sich die Verhandlungen über die Novelle der EU Emissionshöchstmengen-Richtlinie (COM (2013) 920), bei der neue nationale Obergrenzen für den Ausstoß bestimmter Luftschadstoffe[1] festgelegt werden, in der Endphase. Die so genannte NEC-Richtlinie legt fest, wie viele Schadstoffe pro Jahr in einem Mitgliedsland insgesamt ausgestoßen werden dürfen.

Die Reduktionsverpflichtungen des Kommissionsvorschlags ab dem Jahr 2020 entsprechen den im Jahr 2012 beschlossenen Verpflichtungen des Göteborg Protokolls[2]. Neu sind vor allem Höchstmengen ab dem Jahr 2030 sowie ein linearer Zielerreichungspfad. Der Vorschlag der Kommission wurde von vielen Seiten als zu vorsichtig kritisiert. Auch bei vollständiger Umsetzung der Reduktionsziele bis zum Jahr 2030 wären die Luftqualitätsprobleme in der EU – auch laut eigenen Angaben der EU-Kommission - noch lange nicht gelöst. So würden die vorzeitigen Todesfälle durch Ozoneinwirkung bis zum Jahr 2030 nur um ein Drittel zurückgehen, die Todesfälle durch Feinstaub PM2.5 wenigstens halbiert werden. 44 Prozent der Ökosystemfläche in der EU wären durch die Luftverschmutzung immer noch von Eutrophierung belastet.

Die mittlerweile abgeschlossenen Verhandlungen im EU-Parlament brachten nur eine leichte Anhebung des Ambitionsniveaus im Vergleich zum Kommissionsvorschlag – der ursprüngliche viel ambitioniertere Beschluss des Umweltausschusses hielt der Abstimmung im Plenum nicht stand. Die von der Kommission vorgeschlagenen Reduktionsverpflichtungen für 2030 wurden zwar bestätigt, allerdings wurde ein verbindliches Zwischenziel für das Jahr 2025 beschlossen. Letzteres wird von Experten als unverzichtbar gesehen, da es sonst über eine Periode von 10 Jahren überhaupt keine Kontrolle über eine mögliche Verfehlung der Ziele für das Jahr 2030 gibt.

Seit Beginn der Verhandlungen im Rat der Umweltminister gab es Gerüchte über die eher negative Rolle Österreichs, das den Vorschlag der Kommission aufweichen wollte. Umweltminister Rupprechter wurde von Seiten der Grünen im Parlament sowohl im Umweltausschuss sowie im EU-Unterausschuss aufgefordert, seine Position in den Verhandlungen offenzulegen. Dieser äußerte sich allerdings zwei Jahre lang nur kryptisch: Österreich begrüße das Luftpaket im Allgemeinen und trete für „ambitionierte aber realistische Ziele bis 2030“ ein[3].

Vor den abschließenden Verhandlungen im Rat der Umweltminister brachten die Grünen in der Sitzung des EU-Unterausschuss am 17.11.2015  einen Antrag auf Stellungnahme ein, um Minister Rupprechter an eine Verhandlungsposition zu binden. Wenn schon nicht umweltpolitischer Vorreiter, sollte sich Österreich zumindest nicht für eine (im Vergleich zum Beschluss des EU-Parlaments) weitere Aufweichung der NEC-RL einsetzen. Obwohl die anwesende EU-Abgeordnete Karin Kadenbach (SPÖ) zuvor noch das ihrer Meinung zu niedrige Ambitionsniveau des EU-Parlamentsbeschluss bedauerte, stimmten sowohl ÖVP als auch SPÖ gegen den Antrag der Grünen.

Die EU-Umweltminister trafen sich am 16. Dezember 2016 zur Ratssitzung, um ihren Verhandlungstext zur NEC-RL abzustimmen. Wie aus einem dem Grünen Parlamentsklub vorliegenden Entwurf des Verhandlungsdokuments hervorgeht, versuchte Österreich zusammen mit Ländern wie Bulgarien, Rumänien oder Polen, jede auch nur noch so schwache Verpflichtung für das Jahr 2025 abzuwehren:

Während das EU-Parlament ein verbindliches Zwischenziel für das Jahr 2025 vorsieht, enthält der Kommissionsvorschlag nur die Verpflichtung zur Einhaltung eines "linearen Zielerreichungspfad" zur Erreichung der Reduktionsziele im Jahr 2030. Dieser Text wurde vom Ministerrat noch weiter aufgeweicht, sodass die Mitgliedsstaaten unter festgelegten Bedingungen von diesem virtuellen linearen Pfad abweichen dürfen. Österreich wollte dem Ganzen die Krone aufsetzen nicht einmal über die Gründe die Zielpfadabweichung an die Kommission berichten.

Darüber hinaus hatten die Mitgliedsstaaten offenbar die Möglichkeit, dem Ratsvorsitz neue und vom Kommissionvorschlag abweichende Emissionsreduktionsverpflichtungen zu übermitteln. In Fußnote 29 wird angemerkt, dass Österreich und Polen diese Möglichkeit nicht in Anspruch genommen haben:

Presidency new compromise for 2030 values, following bilateral consultations. Results for PL and AT were not communicated to the Presidency. For these delegations, values as in 14645/15 are kept by default.”

In der Sitzung des Umweltminister-Rates vom 16. Dezember 2015 (http://video.consilium.europa.eu/en/webcast/847f5f3e-fea1-4085-93dd-fbedf942ad32) erklärte Minister Rupprechter sinngemäß, dass die österreichischen Vorschläge für neue Reduktionsverpflichtungen zwei Tage zuvor an den Ratsvorsitz übermittelt worden seien. Er drückte zudem sein Bedauern darüber aus, dass der Ratsvorsitz die neuen österreichischen Werte nicht mehr berücksichtige und der Verhandlungstext des Rates mit den ursprünglich von der Kommission vorgeschlagenen Reduktionsverpflichtungen für Österreich beschlossen wurde. Der Beschluss dient dem Rat als Grundlage für die Verhandlungen mit dem EU-Parlament.

Die Vorsitzende Carole Dieschbourg entgegnete, dass sich Österreich nicht an vereinbarte Deadlines zur Übermittlung neuer Werte für Reduktionsverpflichtungen gehalten hätte. Darauf folgte ein Disput zwischen Minister Rupprechter und der luxemburgischen Ratsvorsitzenden. Minister Rupprechter kündigte an, rechtliche Schritte gegen das Vorgehen des Ratsvorsitzes prüfen zu wollen. Darüber hinaus wolle er im Rahmen der Verhandlungen zwischen Rat und Parlament weiterverhandeln.

 

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Wann und in welcher Form wurden die Mitgliedsstaaten zur Übermittlung neuer Werte für Reduktionsverpflichtungen aufgefordert?

2)    Welche Informationen und Daten sollten bis zu welchem Datum an den Ratsvorsitz übermittelt werden?

3)    Wann haben Sie welche schriftlichen Informationen an den Ratsvorsitz übermittelt?

4)    Welche konkreten Reduktionsverpflichtungen für die einzelnen Luftschadstoffe haben Sie dem Ratsvorsitz übermittelt? Um eine tabellarische Angabe inkl. Verpflichtungsjahr, Schadstoff sowie Vergleich zum Vorschlag der Kommission wird gebeten.


5)    Die EU-Kommission errechnete im Fall einer vollständigen Umsetzung der von ihr vorgeschlagenen Reduktionsverpflichtungen  eine deutliche aber bei weitem keine vollständige Reduktion der negativen Auswirkungen der Luftverschmutzung in Europa. So würden die vorzeitigen Todesfälle durch Ozoneinwirkung bis zum Jahr 2030 nur um ein Drittel zurückgehen, die Todesfälle durch Feinstaub PM2.5 wenigstens halbiert werden. 44 Prozent der Ökosystemfläche in der EU wären durch die Luftverschmutzung immer noch von Eutrophierung belastet. Welche Unterschiede ergeben sich zwischen den von der Kommission vorgeschlagenen und den von Ihnen übermittelten Reduktionsverpflichtungen in Bezug auf vorzeitige Todesfälle sowie Gesundheitskosten durch Luftschadstoffe in Österreich für das Jahr 2030?

6)    Da EU-Parlament sieht in seinem Beschluss verbindliche Reduktionsziele für 2025 vor. Kommission und Rat wollten kein Ziel sondern nur einen „linearen Zielerreichungspfad“ sowie einen Bericht der Mitgliedsstaaten für den Fall, wenn dieser nicht eingehalten werden kann. Warum sind Sie dafür eingetreten, sogar die Minimalanforderung der Berichtspflicht im Fall einer Abweichung zu streichen?

7)    Auf welche Weise profitiert Österreich von EU-weiten Reduktionsverpflichtung für Luftschadstoffe?

8)    Welchen Anteil an der Schadstoffbelastung (Feinstaub. Stickoxide, Ozon) in den am meisten belasteten Gebieten in Österreich hat die grenzüberschreitende Schadstoffverfrachtung?

9)    Welche konkreten Forderungen haben Sie in die Ratsverhandlungen zur Novelle der NEC-RL eingebracht, um das Ambitionsniveau der Richtlinie im Vergleich zum Kommissionsvorschlag zu erhöhen?

10) Haben Sie, wie in der Ratssitzung vom 16. Dezember 2016 angedeutet, rechtliche Schritte im Zusammenhang mit dem Vorgehen des Ratsvorsitzes eingeleitet?

11) Wenn ja, welches rechtlich relevante Fehlverhalten werfen Sie dem Ratsvorsitz vor und welche konkreten Schritte haben Sie eingeleitet?

12) Haben oder werden Sie, wie in der Ratssitzung vom 16. Dezember, abseits der offiziellen Verhandlungen des Rates mit dem EU-Parlament, eigenständig mit EU-Parlament Verhandlungen aufgenommen bzw. aufnehmen?

13) Wenn ja, mit welchem konkreten Ziel?



[1] Schwefeldioxid (SO2), Stickstoffoxide (NOx), Ammoniak (NH4) und flüchtigen organischen Verbindungen (NMVOC) sowie nun auch für Feinstaub (PM2.5) und Methan (CH4), die von der aktuell gültigen Richtlinie nicht umfasst sind

[2] Das Göteborg-Protokoll zur Vermeidung von Versauerung und Eutrophierung sowie des Entstehens von bodennahem Ozon. 1999 verabschiedet, am 17. Mai 2005 in Kraft getreten, 2012 verschärft. Basis für das Göteborg Protokoll ist das Genfer Luftreinhalteabkommen.

[3] Schriftliche Stellungnahme des BMLFUW gemäß § 6 EU-InfoG zu Pkt. 3 der Tagesordnung des Ständigen Unterausschusses des Hauptausschusses in Angelegenheiten der Europäischen Union des Nationalrates am 17.11.2015