8462/J XXV. GP

Eingelangt am 01.03.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Sigrid Maurer, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft betreffend den Umgang mit regierungskritischen WissenschafterInnen in der Türkei

BEGRÜNDUNG

 

Mitte Jänner wurden in der Türkei 27 Universitätsdozent_innen festgenommen, nachdem sie eine Petition unterzeichnet hatten, die Kritik am Vorgehen der Regierung in den kurdischen Gebieten der Türkei übt.[1] Die Festgenommenen gehören zu mehr als 1.000 Akademiker_innen aus der Türkei und dem Ausland, die eine Erklärung unterzeichnet hatten, die die Militäreinsätze in den kurdisch geprägten Gebieten im Südosten des Landes öffentlich kritisiert. Die „Academics for Peace“ rufen die türkische Regierung auf, ihre Militäroperation einzustellen.

„Der türkische Präsident, Recep Tayyip Erdogan, hatte die Justiz aufgefordert, die „Verräter“ zur Rechenschaft zu ziehen. […] Nach Berichten türkischer Medien stammen zwölf Wissenschafter von der Universität Kocaeli im Nordwesten des Landes. In Bolu in der Schwarzmeerregion durchsuchte die Polizei die Wohnungen von drei Unterzeichnern. In zahlreichen Städten leitete die Staatsanwaltschaft Strafverfahren ein. Auch blockierten die Behörden die Website der «Akademiker für Frieden». Am Freitagabend sollen einige der Festgenommenen wieder freigelassen worden sein.

 

Laut der offiziösen Zeitung «Daily Sabah» ermitteln die Behörden wegen Beleidigung der türkischen Nation, Beleidigung der türkischen Republik und der Justizorgane sowie der Verbreitung terroristischer Propaganda. Die am Montag publizierte Petition glänzt nicht durch Ausgewogenheit. Während das Dokument die Armee beschuldigt, vorsätzlich Massaker zu verüben, findet die Gewalt der Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) keine Erwähnung. Auch richtet sich der Aufruf zur Niederlegung der Waffen einseitig an die Regierung.“ (Neue Zürcher Zeitung, 15.1.2016, S. 3)

 

Neben den Verhaftungen kam es nach der Veröffentlichung des Aufrufs am 10. Jänner 2016 auch zu anderen Repressionen gegenüber Unterzeichner_innen durch die Behörden. Diese gehen weiter, wenngleich die ursprünglich Festgenommenen mittlerweile wieder freigelassen wurden. Gegen die Unterzeichner_innen wird wegen Gutheißung von Terror ermittelt, viele Universitäten haben Disziplinarverfahren eingeleitet, einige Wissenschaftler_innen wurden bereits entlassen.

 

Der Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika in der Türkei, John Bass, hat seiner Besorgnis über das Vorgehen gegen die Akademiker_innen in einer Aussendung am 15. Jänner 2016 Ausdruck verliehen und festgestellt, dass das öffentliche Kundtun von Besorgnis über Gewalt nicht mit der Unterstützung von Terrorismus gleichzusetzen ist (https://twitter.com/USEmbassyTurkey).[2] 

Die Universitätenkonferenzen Österreichs, Deutschlands und der Schweiz „kritisierten die Repressionen der türkischen Regierung gegen Unterzeichner_innen des Aufrufs „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“ scharf und forderten den Schutz der Meinungsfreiheit in der Türkei.“[3] In einer Stellungnahme der Europäischen Universitätenkonferenz EUA (European University Association) heißt es:

 

The European University Association (EUA) would like to express its concern for the academics in Turkey being investigated for expressing their views, under the petition “We Will not be a Party to this Crime”, on the conflict in the South-East region.

EUA would also like to underline that, irrespective of the content of the petition, freedom of expression is a core university value and a sine qua non of democratic societies. We therefore urge the government of Turkey to fully respect the right to express any opinion in public without censorship or restraint as well as the Higher Education Council (YÖK) to withdraw its request to the rectors to open up an inquiry on the signatories.
More particularly, EUA is dismayed by the detainment of some signatory academics — even if they were released on the same day — most of them from Kocaeli University, an EUA member.“
[4]


Die Europäische Kommission hat die Repressionen als äußerst besorgniserregend bezeichnet: „The steps taken against the Turkish academics who signed a declaration regarding events in the Southeast of Turkey are an extremely worrying development.”[5]

Neben den Behörden setzten auch zahlreiche Universitäten repressive Maßnahmen gegen Unterzeichner_innen. Darunter sind auch Universitäten, die über Austauschabkommen mit österreichischen Universitäten im Rahmen des Erasmus-Programms verfügen.

So hat die Universität Wien hat einen solchen Vertrag mit der Hacettepe Universität[6], die Universität Innsbruck[7] und die Universität Salzburg[8] mit der Uludag Universität. Mit dieser hat auch die Veterinärmedizinische Universität Wien ein Abkommen. Die Universität Salzburg hat außerdem mit der Eskisehir Osmangazi Universität und der Anadolu Universität in Eskisehir Austauschabkommen. Die Universität Graz hat Abkommen mit der Anadolu Universität und der Marmara Universität.[9]

Von all diesen türkischen Universitäten wird berichtet, dass sie Repressionen gegen Unterzeichner_innen der „Wir werden nicht Teil dieses Verbrechens sein“-Petition gesetzt haben, wozu zB Entlassungen zählen.

 

Auch heimische Medien haben zuletzt über die Maßnahmen, mit denen sich Unterzeichner_innen der Petition konfrontiert sehen, berichtet:

 

[…] "Seitdem", sagt eine Wissenschaftlerin, die die Petition "Akademiker für Frieden" ebenfalls unterzeichnet hat, "werden wir an den Pranger gestellt, marginalisiert und als Pseudo-Intellektuelle bezeichnet." Die Namen der Unterzeichner wurden in regierungsnahen Medien samt Fotos veröffentlicht und als Unterstützer von Terroristen betitelt. Die Diktion werde von vielen Studenten und der Öffentlichkeit übernommen, so die Akademikerin, die anonym bleiben möchte. In mehreren Städten kam es zu Hausdurchsuchungen. An etlichen Privat- und staatlichen Universitäten wurden Professoren entlassen, einige weitere müssen mit Anklagen nach dem Terrorparagrafen rechnen. […][10]  

 

Die Türkei gehört zu den wichtigsten Entsendestaaten im Rahmen des Erasmus-Programms, sowohl bei Studierenden, als auch bei Hochschulpersonal.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Sind Sie über die Maßnahmen der türkischen Regierung gegen die Unterzeichner_innen der Petition „Akademiker für den Frieden“ informiert?

 

2)    Wie beurteilen Sie die Maßnahmen der türkischen Regierung gegen die Unterzeichner_innen der Petition „Akademiker für den Frieden“?

 

3)    Wie ist es Ihrer Meinung nach um die Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehre in der Türkei bestellt?

 

4)    Beurteilen Sie die Türkei als sicheren und angemessenen Ort für Menschen, die in Österreich oder anderswo in der Europäischen Union um Asyl angesucht haben und abgelehnt wurden?

 

5)    Spielt die Lage der Meinungsfreiheit bzw. der Freiheit der Wissenschaft und ihrer Lehrer_innen bei Ihrer Einschätzung der Türkei als sicherem Drittstaat eine Rolle?

 

6)    Hatten Sie in der Zeit seit 14. Jänner 2016, also seit Bekanntwerden der Petition und der Maßnahmen der türkischen Regierung gegenüber ihren Unterzeichner_innen, Kontakt mit ihrem türkischen Amtskollegen, dem für Universitäten zuständigen Minister Nabi Avcı oder seinem Kabinett?

 

a.    Falls ja, haben Sie die Maßnahmen der türkischen Regierung gegen die Unterzeichner_innen thematisiert?

                                  i.    Wenn ja, wie?

                                ii.    Wenn nein, warum nicht?

b.    Falls nein, gab es Kontakte auf Ebene der Ministerien, d.h. auf Beamt_innenebene?

 

7)    Hatten Sie Kontakt mit einem anderen Mitglied der türkischen Regierung?

a.    Falls ja, haben Sie die Maßnahmen der türkischen Regierung gegen die Unterzeichner_innen thematisiert?

                                  i.    Wenn ja, wie?

                                ii.    Wenn nein, warum nicht?

 

8)    Haben Sie bzw. die österreichische Bundesregierung vor, den Umgang mit regierungskritischen Wissenschafter_innen in der Türkei im Europarat zu thematisieren?

 

9)    Welche österreichischen Universitäten haben bilaterale Austauschabkommen mit türkischen Universitäten im Rahmen oder außerhalb des ERASMUS-Programms?

a.    Mit welchen türkischen Universitäten bestehen diese Abkommen (bitte um Auflistung)?

b.    Wie viele Studierende österreichischer Universitäten studieren derzeit im Rahmen von Austauschprogrammen an türkischen Universitäten (bitte um Nennung der Anzahl je Gastuniversität)?

 

 



[1] Neue Zürcher Zeitung vom 15.1.2016, S. 3)

[2] „[…] Der amerikanische Botschafter in der Türkei, John Bass, verurteilte das Kesseltreiben gegen die Akademiker in einer über Twitter verbreiteten Erklärung. Er erinnerte daran, dass es zur Wesensart von Demokratien gehöre, unpopuläre Meinungen vertreten zu können. Wer Besorgnis über Gewalt manifestiere, unterstütze nicht den Terrorismus. Und in einer Formulierung, die sich als direkte Antwort auf Erdogans Unterstellungen lesen lässt, weist der Botschafter darauf hin, dass Kritik an der Regierung nicht Verrat gleichzusetzen sei. Die oppositionelle Republikanische Volkspartei (CHP) nannte die Festnahmen «gesetzlos und extrem gefährlich». […]“ (Neue Zürcher Zeitung vom 15. 1. 2016, S. 3)

[3] OTS vom 16. Jänner 2016

[4] Aussendung vom 20. 1. 2016: http://www.eua.be/activities-services/news/newsitem/2016/01/20/eua-deeply-concerned-about-turkey-s-treatment-of-academics (Zugriff am 26.1. 2016)

[5] Stellungnahme der Europäischen Kommission, 18. Jänner 2016, http://ec.europa.eu/commission/2014-2019/hahn/announcements/statement-spokesperson-situation-southeast-turkey-and-steps-taken-against-group-academics_en) (Zugriff am 26.1. 2016)

 

[6] https://erasmus.univie.ac.at/site/weiterfuehrendelinks/erasmuspartnerunis/tuerkei (Zugriff am 26.1. 2016)

[7] (http://www.uibk.ac.at/international-relations/erasmus/outgoing/partneruniversitaeten/#tuerkei) (Zugriff am 26.1. 2016)

[8] https://www.uni-salzburg.at/fileadmin/multimedia/Internationale%20Beziehungen/documents/Erasmus_Studienpl%C3%A4tze_2015_2016_mit_Cover_Stand_15.10.2015.pdf (Zugriff am 26.1. 2016)

[9] https://static.uni-graz.at/fileadmin/bib/downloads/service/broschueren/outgoing/faktultaetsbros_erasmus/1415/bibwww_gewi_erasmus_broschuere_1415.pdf (Zugriff am 26.1. 2016)

[10] Die Presse, 9.2.2016, S. 2: Erdogans Feldzug gegen die Akademiker. Vgl. auch Profil, 8.2.2016, S. 13 und Kurier vom 5.2.2016, S. 6.