8864/J XXV. GP

Eingelangt am 05.04.2016
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ANFRAGE

 

der Abgeordneten Gisela Wurm und Genoss_innen

an den Bundesminister für Justiz

betreffend Prozessbegleitung und Gewaltschutzmaßnahmen in Österreich

 

 

Die jüngste Debatte rund um Gewalt gegen Frauen, Kinder und Jugendliche stellt ganz klar fest, dass sich Menschen, die in Österreich und Europa leben, für eine Gesellschaft frei von Gewalt und struktureller Benachteiligung von Frauen und Kindern aussprechen. Über alle Parteigrenzen hinweg und quer durch die Zivilgesellschaft ist klar, dass wir als Wertegemeinschaft für eine gewaltfreie und gleichberechtigte Zukunft eintreten.

 

Die Studie „Gewalt gegen Frauen: eine EU-weite Erhebung“, die im März 2014 von FRA (Agentur der Europäischen Union für Grundrechte) veröffentlichte wurde, belegt mit schockierenden Zahlen, wie die Lebensrealität jeder 5. Frau in der Europäischen Union tatsächlich aussieht. Frauen und Mädchen sind nach wie vor von struktureller, körperlicher, sexueller und psychischen Gewalt, einschließlich Vorfällen von Gewalt in Partner_innenschaften („häusliche Gewalt“), sowie Stalking, sexueller Belästigung und Missbrauch durch neue Medien betroffen.

 

Einer der bekannten Kritikpunkte an der Situation in Österreich ist der Mangel an statistischen Erhebungen über die verschiedenen Formen von Gewalt und die gesellschaftliche Beziehung der von Gewalt betroffenen Frauen und Kindern und den Gewalt ausübenden Personen. Eine Statistik, die nur die Fälle psychosozialer Prozessbegleitung ausweist, gibt es nicht. Die Beantwortungen von diversen parlamentarischen Anfragen zur Thematik belegen diesen Umstand.

 

Auch wenn im letzten Jahrzehnt auf legistischer Ebene Fortschritte im Bereich des Gewaltschutzes erzielt wurden, ist durch Berichte aus der Praxis klar, dass  Handlungsbedarf besteht. Prozessbegleiter_innen in straf- und zivilrechtlichen Verfahren, Gewaltschutzeinrichtungen, Frauenhäusern, die Kinder und Jugendanwaltschaft, die Bundesjugendvertretung und sozialen Einrichtungen im allgemeinen klagen über viel zu geringe finanzielle Mittel, Personalmangel, zu

wenige Plätze für Frauen und Kinder, die aus Gewaltbeziehungen flüchten und die unzureichende   Aufklärungsarbeit zur Bewusstseinssteigerung in der Gesellschaft. 

 

Wenn sich nun Betroffene dazu entschließen, den Kreislauf  der erfahrenen Gewalt zu durchbrechen, darf es nicht daran scheitern, dass die nötige Unterstützung von öffentlichen und säkularen Einrichtungen nicht oder nur teilweise vorhanden ist. Der Schritt, aus einer Gewaltsituation auszubrechen, wird in vielen Fällen dadurch erschwert, dass die erfahrene Gewalt von den engsten Mitgliedern der Familie (häusliche Gewalt), am Arbeitsplatz oder von Personen des sozialen Umfeldes ausgeübt wird. Diese Tatsache erhöht massiv den sozialen und ökonomischen Druck auf die Betroffenen. Wenn diese dann den Rechtsweg gehen, ist es wichtig, dass eine individuelle, sensible und hoch kompetente Begleitung stattfindet. Die Ansprüche an Prozessbegleitung bei Erwachsenen, Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich in der Praxis sehr. Eine vergewaltigte Frau hat andere Bedürfnisse und Ansprüche an psychosoziale Prozessbegleitung als das bei Minderjährigen der Fall ist. Diese Tatsache erfordert viel Erfahrung, Wissen und laufende Fortbildungen der Prozessbegleiter_innen, um diesen hohen Anforderungen gerecht zu werden. Ein kontinuierliches Schulungs- und Sensibilisierungsangebot für Prozessbegleiter_innen, Rechtsvertreter_innen und Beamt_innen ist daher unumgänglich.

 

In Zusammenarbeit mit Experten und Expertinnen aus der Praxis muss klar kommuniziert werden, dass von Gewalt Betroffene die notwendige, professionelle  und berechtigte Unterstützung erhalten werden. Dafür ist die statistische Erhebung des tatsächlichen Ausmaßes der verschiedenen Gewaltformen und die Analyse, in welcher Form Mittel zur Unterstützung von Betroffenen fehlen, unumgänglich. Nur wenn Probleme konkret benannt werden, können diese auch konkret gelöst werden.



Die unterzeichneten Abgeordneten richten daher an den Bundesminister für Justiz

nachstehende

 

 

Anfrage:

 

1.         Welche Maßnahmen gibt es vom Bund für das Jahr 2016, um auf das Angebot kostenloser psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung aufmerksam zu machen?


2.         Wie gestalten sich aktuell die Schulungen von Beamt_innen der Polizei zur Sensibilisierung für einschlägige Einvernahmen und kontradiktorische Einvernahmen?

3.         In welcher Form werden Expert_innen aus der Praxis des Gewaltschutzes in diese Schulungsprozesse eingebunden?

4.         Gibt es Bestrebungen, diese Sensibilisierungs- und Schulungsmaßnahmen von Beamt_innen künftig auszubauen oder zu modifizieren?

5.         Wie hoch sind die jährlichen Mittel für Schulungszwecke psychosozialer und juristischer Prozessbegleitung dotiert und wie hat sich dieser Bereich seit 2009 entwickelt?

6.         Welche Einrichtungen zur Unterstützung und zum Schutz von Frauen und Kindern, die von Gewalt betroffen sind, gibt es aktuell? Nach Bundesländern und Inhalten aufgeschlüsselt (Interventionsstellen, Frauenhäuser, Kinderschutzzentren, Beratungseinrichtungen, Beratungs- und Betreuungsstellen für Jugendliche).

7.         Wie hoch waren die jährlichen Beträge der Fördermittel, die Beratungsstellen vom Bund zur Verfügung gestellt wurden, in den Jahren 2009 bis 2015?

8.         Welche Einrichtungen zur Unterstützung und zum Schutz von Frauen und Kindern, die von Gewalt betroffen sind, werden finanziell gefördert? Aufgeschlüsselt nach Bund, Ländern und Inhalten jeweils für die Jahre von 2009 bis 2015.

9.         Wie gestaltet sich die Inanspruchnahme von  Beratungseinrichtungen/ Hotlines etc. betreffend diese Thematik seit der Gewaltschutz-Novelle 2009?

10.      Wurden seit 2009 einschlägigen Einrichtungen die Fördermittel gekürzt, wenn ja, mit welcher Begründung?

11.      Welchen Förderkriterien vom Bund, den Ländern oder den Kommunen unterliegen Interventionsstellen, Frauenhäuser, Kinderschutzzentren, Beratungseinrichtungen, Beratungs- und Betreuungsstellen für Jugendliche, diverse Hotlines etc.

12.      Wie funktioniert das zur Verfügung stellen von öffentlichen Räumen für mobile Beratungen bei Prozessbegleitungen in der Praxis?

13.      Welche Bundesländer erreichen die Sollmarke an Plätzen in Schutzeinrichtungen, die für Frauen-, Kinder und Jugendliche mindestens zur Verfügung gestellt werden sollen?

14.      Welche Gründe werden von den Ländern angeführt, wenn diese nicht die benötigte Anzahl an Schutzeinrichtungen und Plätzen erfüllen?

15.      Wie oft wurde nach dem Straf- der kostenlose Zivilrechtsweg der Prozessbegleitung in Anspruch genommen? Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.

16.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 201 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

17.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 202 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

18.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 203 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

19.      Wie viele Anzeigen,  Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 204 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

20.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 205 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

21.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 206 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

22.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 207 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

23.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 208 StGB? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

24.      Wie viele Anzeigen, Anklagen und Verurteilungen gab es nach § 2018a? (Im Vergleich die Zahlen von 2009 bis 2015, aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

25.      Können – aufgeschlüsselt nach Bundesländern - aktuell Angaben gemacht werden, wie viele der Verfahren durch Prozessbegleitungen betreut werden und wie viele davon psychosoziale Prozessbegleitungen sind?

26.      Wie viele Fälle von langfristiger Ausübung von Gewalt wurden von 2009 bis 2015 verzeichnet? (Aufgeschlüsselt nach Geschlecht, Alter, OLG Sprengel, LG-Sprengel, BG-Sprengel, Bildungsabschluss und Beruf.)

27.      Gibt es aktuell Überlegungen, um Fälle von häuslicher Gewalt, den Verurteilungen dazu, Gewaltdelikte gegen Partner_innen, Ex-Partner_innen, Eltern, Kinder und sonstige Angehörige iSd § 72 sowie Verurteilungen wegen Mord im Bereich der häuslichen Gewalt künftig zu erfassen?

a.         Wenn ja, ab wann soll dies der Fall sein?

b.         Wenn nein, warum gibt es diese Überlegungen nicht?

28.      Welche kostenlosen Angebote gibt es für die Betreuung und Behandlung von Langzeitfolgen durch Vorfälle von Gewalt?


Quellen:

FRA Studie:

http://fra.europa.eu/sites/default/files/fra-2014-vaw-survey-at-a-glance-oct14_de.pdf

 

Prozessbegleitung:

http://www.prozessbegleitung.co.at/Download/2009da_zwierschitz.pdf

http://www.ikf.ac.at/pdf/IKF-prozessbegleitung.pdf

http://www.prozessbegleitung.co.at/

 

Parlamentarische Anfragen und Beantwortungen:

2009/2010

http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_03870/fname_174014.pdf

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_03836/fname_178998.pdf

 

2010

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_04994/fname_182481.pdf

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_04919/fname_187365.pdf

 

2012/2013

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/J/J_13435/fname_281644.pdf

https://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXIV/AB/AB_13208/fname_290447.pdf

 

2015

http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/J/J_04459/fname_395413.pdf

http://www.parlament.gv.at/PAKT/VHG/XXV/AB/AB_04277/imfname_420538.pdf