9048/J XXV. GP

Eingelangt am 19.04.2016
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Anfrage

 

der Abgeordneten Ruperta Lichtenecker, Freundinnen und Freunde an den Bundesminister für Wissenschaft, Forschung und Wirtschaft

betreffend Food Coops - Lebensmittelkooperativen: Regionales Wirtschaften ohne Gewinnabsicht

BEGRÜNDUNG

 

Wir leben in Zeiten, in denen die Rolle und Aktivitäten der Zivilgesellschaft zunehmend wichtiger werden. Neben der Bewältigung kurzfristiger Herausforderungen übernimmt die Gesellschaft bei der Stärkung und langfristigen Weiterentwicklung unserer Regionen zu einem lebenswerten Platz eine zentrale Rolle. Damit erweitert sich auch der Handlungsraum von Vereinigungen: Längst schließen sich Menschen nicht mehr nur zusammen, um miteinander Gemeinschaftsgärten zu bewirtschaften, zu musizieren, Flüchtlinge zu betreuen oder Fußball zu spielen. Sondern auch, um gemeinsam möglichst regionale, saisonale, biologische und fair erzeugte Lebensmittel zu beziehen und damit Landwirtschaft in den ländlichen Regionen zu fördern und damit dringend notwendige Arbeitsplätze zu sichern.

Regionale Lebensmittel zu beschaffen ist oftmals eine Herausforderung vom Transport bis hin zur Transparenz: Für einzelne BürgerInnen ist es - auch aus ökologischer Sicht - wenig sinnvoll, extra wegen einem Bund Karotten aufs Land zum Bauern seines Vertrauen zu fahren. Food Coops sind ein Bindeglied zwischen lokalen Erzeugern und nachhaltig agierenden Bürgern: In der Food Coop – Lebensmittelkooperative organisieren die Mitglieder gemeinsam die Auswahl, den Transport und die Bezahlung der direkt vom regionalen Bauern bezogenen Lebensmittel.

Wie andere Vereinigungen versuchen Food Coops als Gruppe jene Ziele zu erreichen, die ihnen wichtig sind und die alleine nicht erreichbar sind. Der Mehrwert dieser Gruppen & Initiativen und ihren wesentlichen Stellenwert in der Mitte der Gesellschaft hat auch im österreichischen und europäischen Rechtssystem einen zentralen Charakter. So heißt es im Artikel 11 der Europäischen Menschenrechtskonvention[1] zusammengefasst: Es steht uns offen, uns mit anderen zusammenzuschließen, solange wir nicht einen grundlegenden Nachteil für andere verursachen. Dabei sollen vorwiegend potentiell illegale, strafrechtlich relevante oder gesundheitsschädliche Aktivitäten ausgeschlossen werden.

Das österreichische Vereinsgesetz 2002 findet eine sehr pragmatische und einfache Definition, die ebenfalls gut die Intention der Gesetzgeber erkennen lässt, worum es sich bei einer Vereinigung handelt. §1, Abs. 2 lautet: „Ein Verein darf nicht auf Gewinn berechnet sein. Das Vereinsvermögen darf nur im Sinne des Vereinszwecks verwendet werden.“ Dieser Definition entsprechen Food Coops absolut – als eine Art „Versorgungsgemeinschaft“ sind sie nicht auf Gewinn ausgerichtet, sondern versuchen gleichzeitig die regionale Landwirtschaft zu stärken, Arbeitsplätze zu sichern und als Gruppe nachhaltig erzeugte Lebensmittel zu organisieren.

Dem gegenüber steht – allerdings erst seit 1988 – die Gewerbeordnung. Mit der Gewerbeordnungsnovelle 1988 wurde der Verein explizit im Anwendungsbereich der Gewerbeordnung (§1) erwähnt. Dabei wurde nicht wie im Vereinsgesetz auf eine Gewinnabsicht abgestellt, sondern auf den wesentlich breiteren Begriff „vermögensrechtlichen Vorteil“ für die jeweiligen Vereinsmitglieder. §1 Abs. 6 der Gewerbeordnung lautet seit 1988: 

Bei Vereinen gemäß dem Vereinsgesetz 1951 liegt die Absicht, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen, auch dann vor, wenn die Vereinstätigkeit das Erscheinungsbild eines einschlägigen Gewerbebetriebes aufweist und diese Tätigkeit - sei es mittelbar oder unmittelbar - auf Erlangung vermögensrechtlicher Vorteile für die Vereinsmitglieder gerichtet ist.“

Mit der Gewerberechtsnovelle 1992[2] wurde diese Regelung verschärft und eine gesetzliche Vermutung der Ertragsabsicht dem §1 Abs. 6 GewO hinzugefügt:

„Übt ein Verein gemäß dem Vereinsgesetz 1951 eine Tätigkeit, die bei Vorliegen der Gewerbsmäßigkeit in den Anwendungsbereich dieses Bundesgesetzes fiele, öfter als einmal in der Woche aus, so wird vermutet, dass die Absicht vorliegt, einen Ertrag oder sonstigen wirtschaftlichen Vorteil zu erzielen.“

Genau auf diese Regelung bezieht sich nun die oberösterreichische Wirtschaftskammer, die einen Gewerbeschein von solchen Food Coops fordert[3].

Alle fünf der oberösterreichischen Wirtschaftskammer bekannten Vereine haben nun ein Schreiben erhalten: „Verdacht der unbefugten Gewerbeausübung“ heißt es dort[4].

Der wirtschaftliche Vorteil laut der Wirtschaftskammer entsteht dadurch, dass die Mitglieder nach Ansicht der Wirtschaftskammer günstiger einkaufen als in der großen Supermarktkette nebenan. Dazu kommt: Dank der oben erwähnten Universalvermutung des wirtschaftlichen Vorteils steht de facto fast jeder Verein im Verdacht, einen Gewerbebetrieb zu betreiben.

Das Spannungsfeld zwischen der Definition der Gewinnorientierung laut Vereinsgesetz und dem „Generalverdacht der Gewerbeausübung“ in der Gewerbeordnung (seit der Novelle 1992) stellt sich damit zunehmend als hinderlich für die Herausbildung von regionalen und zivilgesellschaftlichen Initiativen heraus. Neben Food Coops bilden„Social Startups“ und nicht gewinnorientierte Organisationsformen einen zunehmend wesentlichen Bestandteil in unserer Gesellschaft und in den Wirtschaftskreisläufen.

Sie alle bieten einen wichtigen Mehrwert für die Gesellschaft und folgen oft unter großem Einsatz ihrer InitiatorInnen und MitstreiterInnen Zielen ganz abseits von ökonomischer Profitzielen und kurzfristiger Gewinnmaximierung.

Die Herausforderung ist jetzt, dass vernünftige Regelungen und Rahmenbedingungen gefunden werden, die solche Initiativen und Lebensmittelkooperativen ermöglichen und nicht behindern und verhindern. Ansonsten besteht die Gefahr des Abdriftens dieser so wichtigen Aktivitäten in die Halbillegalität, was den engagierten Bürgerinnen und Bürgern, den lokalen Bäuerinnen und Bauern nicht zumutbar ist und auch insgesamt der Entwicklung in den ländlichen Regionen schaden wird.

Die unterfertigenden Abgeordneten stellen daher folgende

ANFRAGE

 

1)    Erfüllen „Food Coops“ den Tatbestand des „unlauteren Wettbewerbs“?

 

2)    Wie definieren sie „fairen Wettbewerb“?

 

3)    Stellen ihrer Meinung nach „Food Coops“ eine Gefährdung des „fairen Wettbewerbs“ dar?

 

4)    Sehen sie bei Food Coops – Lebensmittelkooperativen den Tatbestand der „unbefugten Gewerbeausübung“ erfüllt?

 

5)    Stellen ihrer Meinung nach die bestehenden „Food Coops“ in Oberösterreich eine Gefährdung des etablierten Lebensmittelhandels in Oberösterreich dar?

 

6)    Welche Studien hinsichtlich einer potentiellen Schadenssumme von kommerziellen Unternehmungen durch Food Coops liegen Ihnen vor?

 

7)    Welche Studien hinsichtlich eines potentiellen Schadens von kommerziellen Unternehmungen durch Food Coops liegen Ihnen vor?

 

8)    Welche Maßnahmen sind bezüglich der Verbesserung der Rahmenbedingungen für „Food Coops“ seitens ihres Ministeriums in Planung?

 

9)    Planen Sie die bestehenden widersprüchlichen Regelungen hinsichtlich der zulässigen Aktivitäten von nicht gewinnorientierten Vereinigungen im Allgemeinen (daher in der Regel Vereine) insbesondere im Hinblick auf den §1 Abs. 6 GewO zu überarbeiten?

 

a.    Wenn ja, bis wann?

 

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

 

10) Planen Sie die bestehenden widersprüchlichen Regelungen hinsichtlich der zulässigen Aktivitäten Food Coops insbesondere im Hinblick auf den §1 Abs. 6 GewO zu überarbeiten?

 

a.    Wenn ja, bis wann?

 

b.    Wenn nein, weshalb nicht?

 

11) Welche Änderungen an der Gewerbeordnung im Allgemeinen sind geplant, um Rechtssicherheit für Non-Profit-Initiativen zu schaffen?

 



[1] Der vollständige Text des Artikel 11, abgerufen am 18.4.16 (http://dejure.org/gesetze/MRK/11.html) lautet: (1) Jede Person hat das Recht, sich frei und friedlich mit anderen zu versammeln und sich frei mit anderen zusammenzuschließen; dazu gehört auch das Recht, zum Schutz seiner Interessen Gewerkschaften zu gründen und Gewerkschaften beizutreten.

(2) Die Ausübung dieser Rechte darf nur Einschränkungen unterworfen werden, die gesetzlich vorgesehen und in einer demokratischen Gesellschaft notwendig sind für die nationale oder öffentliche Sicherheit, zur Aufrechterhaltung der Ordnung oder zur Verhütung von Straftaten, zum Schutz der Gesundheit oder der Moral oder zum Schutz der Rechte und Freiheiten anderer. Dieser Artikel steht rechtmäßigen Einschränkungen der Ausübung dieser Rechte für Angehörige der Streitkräfte, der Polizei oder der Staatsverwaltung nicht entgegen.

[2] BGBL 29/1993

[3] http://ooe.orf.at/news/stories/2768804/

[4] Oberösterreich heute vom 14.4.16